© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 096/20 Prüfungs- und Beteiligungsrechte des Bundesrechnungshofes Einbeziehung des Bundesrechnungshofes bei der Gründung einer bundeseigenen Mobilinfrastrukturgesellschaft (MIG) Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Rechtsfolge der Beratung 6 2. Einbeziehung des Bundesrechnungshof bei der Gründung einer bundeseigenen GmbH 7 2.1. Gründung einer bundeseigenen GmbH, § 65 BHO 8 2.2. Verletzung der Auskunftspflicht, § 95 Abs. 1 BHO 9 2.3. Verletzung der Unterrichtungsverpflichtung, § 102 Abs. 1 BHO 9 2.4. Rechtsfolgen 10 3. Zusammenfassung 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 096/20 Seite 4 1. Hintergrund Im Jahr 2019 verabschiedete die Bundesregierung die sog. Mobilfunkstrategie, um Versorgungslücken im deutschen Mobilfunknetz zu schließen.1 Zur Erreichung dieses Anliegens sieht die Mobilfunkstrategie u.a. die Gründung einer bundeseigenen Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft (MIG) vor, die mit 5 Milliarden Euro ausgestattet werden soll.2 Das Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur (BMVI) beabsichtigt, die MIG als hundertprozentige Tochtergesellschaft der bundeseigenen Toll Collect GmbH zu gründen.3 Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) stimmte der beabsichtigten Gründung am 30.06.2020 unter Auflagen zu. Daraufhin gab der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages am 01.07.2020 die Haushaltsmittel für die Gründung der MIG frei.4 Die Bundesregierung beabsichtigt, die MIG noch im dritten Quartal 2020 zu gründen.5 Der Bundesrechnungshof hat dieses Vorhaben zuletzt erheblich kritisiert. In seinem Bericht vom 26.08.2020 an den Haushaltsausschuss stellt er die Notwendigkeit und die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens insgesamt in Frage.6 Er empfiehlt, die MIG erst nach haushaltsrechtskonformer Vorbereitung durch den BMVI zu gründen. Außerdem trägt der Bundesrechnungshof vor, ihm seien trotz Nachfragen prüfungsrelevante Unterlagen vom BMVI zur Planung der MIG vorenthalten worden. Durch dieses „Unterlassen“ sei der Bundesrechnungshof nicht dazu in der Lage gewesen sei, seine prüferischen und beratenden Aufgaben gegenüber der Bundesregierung und dem Haushaltsgesetzgeber wahrzunehmen.7 Der Auftraggeber erbittet vor diesem Hintergrund eine rechtliche Einschätzung zu der Frage, ob die fehlende oder nur unzureichende Einbeziehung des Bundesrechnungshofes bei der Planung bzw. Gründung einer bundeseigenen GmbH rechtliche Konsequenzen hat und, ob eine Gründung unter solch einschränkenden Faktoren noch rechtlich zulässig ist. 1. Beratungstätigkeit des Bundesrechnungshofes Es stellt sich zunächst die Frage, inwieweit der Bundesrechnungshof zur Beratung des BMVI ermächtigt ist und welche Folgen eine solche Beratung hat. 1 BMVI, „Eckpunkte für die Mobilfunkforderung“, S.1: https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/K/eckpunkte -mobilfunkfoerderung.pdf?__blob=publicationFile [zuletzt aufgerufen am 31.08.2020]. 2 Vgl. Ergebnispapier des Koalitionsausschusses v. 03.06.2020, S. 12, Nr. 47. 3 BT-Drs. 19/21309, S. 6. 4 Vgl. BT-Drs. 19/20601. 5 BT-Drs. 19/21309, S. 4. 6 Vgl. BRH, Bericht nach § 88 Abs. 2 BHO, „Bereitstellen einer Mobilinfrastruktur des Bundes“, 26.08.2020. 7 BRH, Bericht nach § 88 Abs. 2 BHO, 26.08.2020, S. 15. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 096/20 Seite 5 1.1. Verfassungsrechtliche Grundlage, Art. 114 Abs. 2 GG Art. 114 Abs. 2 GG regelt die Stellung und die Aufgaben des Bundesrechnungshofes in der Verfassung . Nach Art. 114 Abs. 2 S. 1 GG prüft der Bundesrechnungshof die Rechnungen sowie die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit des Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes. Seine Mitglieder besitzen richterliche Unabhängigkeit, Art. 114 Abs. 2 S.1 GG. Dadurch wird eine Parallele zur gerichtlichen Kontrolle des Verwaltungshandelns gezogen.8 Der Bundesrechnungshof gehört zu den obersten Bundesorganen.9 Im Gewaltenteilungssystem hat er nach herrschender Meinung eine Stellung sui generis bzw. eine Sonderstellung zwischen Legislative und Exekutive inne.10 Denn der Bundesrechnungshof unterstützt sowohl den Bundestag als auch die Bundesregierung bei ihrer jeweiligen verwaltungsinternen Finanzkontrolle. Begrifflich ist eine etwaige Beratungstätigkeit des Bundesrechnungshofes in Art. 114 Abs. 2 GG nicht vorgesehen. Daraus folgt, dass der Verfassungsgesetzgeber der Prüfungsaufgabe des Bundesrechnungshofes Vorrang gegenüber der Beratungstätigkeit eingeräumt hat. Die beratende Tätigkeit des Bundesrechnungshofes wird mit Blick auf seine verfassungsrechtlich verankerte Unabhängigkeit teilweise für problematisch erachtet, weil er sich durch die Beratung bei einer späteren Prüfung selbst befangen machen könne.11 Beratung und Begutachtung sind allerdings nicht per se, sondern nur in seltenen Ausnahmefällen verfassungswidrig.12 Gemäß Art. 114 Abs. 2 S. 4 GG können Befugnisse des Bundesrechnungshofes durch Bundesgesetz geregelt werden. Die beratende Tätigkeit des Bundes wurde einfach-gesetzlich insbesondere durch § 88 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung (BHO) sowie § 42 des Gesetzes über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (HGrG) geregelt. 1.2. Beratungstätigkeit, Art. 88 Abs. 2 BHO Die Vorschrift des § 88 Abs. 2 BHO eröffnet dem Bundesrechnungshof die Möglichkeit, „auf Grund von Prüfungserfahrungen“ den Bundestag, den Bundesrat, die Bundesregierung sowie einzelne Bundesministerien zu beraten. Es besteht keine Verpflichtung, eine Beratung vorzunehmen („kann“). Beraten im Sinne von § 88 Abs. 2 BHO bedeutet das Übermitteln von Feststellungen, von daraus gezogenen Folgerungen sowie von Erfahrungen, verbunden mit Vorschlägen für ein künftiges Verhalten.13 Die Beratung findet also ex-ante statt. Im Gegensatz dazu impliziert der Begriff des 8 Tappe/Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 2019, § 7 Rn. 615. 9 Butzer, in: BeckOK GG, 43. Ed. 15.05.2020, GG Art. 114 Rn. 1. 10 Butzer, in: BeckOK GG, 43. Ed. 15.05.2020, GG Art. 114 Rn. 2. 11 Heintzen, in: v. Münch/Kunig GG, 6. Aufl. 2012, GG Art. 114 Rn. 22. 12 Butzer, in: BeckOK GG, 43. Ed. 15.5.2020, GG Art. 114 Rn. 36.1. 13 Schwarz, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, GG Art. 114 Rn. 97. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 096/20 Seite 6 Prüfens, dass ein vorgefundener, geschehener Sachverhalt ex-post untersucht wird. 14 Da die Beratung nach § 88 Abs. 2 BHO auf Grund von Prüfungserfahrungen zu erfolgen hat, ist eine scharfe Trennung zwischen prüfender und beratender Tätigkeit gleichwohl nicht immer möglich. Es kann zwischen „unselbstständiger Beratung“ und „selbstständiger Beratung“ differenziert werden .15 Unselbstständige Beratung ist dadurch gekennzeichnet, dass ihre Empfehlungen, Vorschläge und Hinweise in einem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit den konkreten Prüfungsergebnissen stehen; im Gegensatz dazu erfolgt selbstständige Beratung auf eigene Initiative des Bundesrechnungshofes, somit losgelöst von einzelnen Prüfungsergebnissen.16 Nach der Intention des Gesetzgebers soll die Beratungstätigkeit des Bundesrechnungshofes auf „wichtige Angelegenheiten“ beschränkt sein.17 Sinn und Zweck der Beratungstätigkeit ist die Wissensweitergabe und Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit in der Verwaltung sowie die Vermeidung von Mängeln bei der Haushaltsaufstellung, ‑feststellung und ‑durchführung .18 Aus Sicht des Bundesrechnungshofes stellen die sog. „88er-Berichte“ außerdem eine Möglichkeit dar, über konkrete Prüfungsergebnisse im Einzelfall zu berichten.19 Andernfalls könnte der Bundesrechnungshof über konkrete Prüfungsergebnisse dem Parlament nur im Rahmen der jährlichen Bemerkungen (§ 97 BHO), mittels Sonderberichte (§ 99 BHO) oder in den Ausnahmefällen des § 96 Abs. 1 S. 2 BHO berichten. 1.3. Rechtsfolge der Beratung Wenn der Bundesrechnungshof seine Feststellungen und Empfehlungen in einem Bericht nach § 88 Abs. 2 BHO zusammengetragen hat, teilt er das Prüfungsergebnis den betroffenen Stellen förmlich zur Äußerung innerhalb einer bestimmten Frist mit, § 96 Abs. 1 BHO. Danach erstattet er gemäß § 97 BHO Bundestag und Bundesrat Bericht über das Ergebnis seiner Prüfung. Die Berichte, Mitteilungen und Bemerkungen des Bundesrechnungshofes sind empfehlender Art und entfalten keine rechtlich verbindliche Wirkung.20 Sie sind insbesondere nicht an Sanktionen geknüpft.21 Die Einflussnahme des Bundesrechnungshofes im politischen Entscheidungsprozess 14 Kellner, in: Verwaltung und Management (Heft 5), 2001, 294 (295). 15 Erb, Der Bundesrechnungshof als Berater von Parlament und Regierung, S. 171. 16 Erb, Der Bundesrechnungshof als Berater von Parlament und Regierung, S. 172. 17 Vgl BT-Drs. V/3040, S. 66, Rn. 423. 18 v.Lewinski/Burbat, Bundeshaushaltsordnung, 1. Aufl. 2013, BHO § 88 Rn. 16. 19 Erb, Der Bundesrechnungshof als Berater von Parlament und Regierung, S. 173. 20 Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, GG Art. 114 Rn. 120. 21 Niekamp, in: DÖV 2004, 739 (740). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 096/20 Seite 7 beschränkt sich auf die Überzeugungskraft seiner Argumente und die Bereitschaft der Adressaten , seine Ergebnisse und Vorschläge umzusetzen.22 Ein Druckmittel liegt nur mittelbar in der durch die mit seiner Rüge veranlasste Diskussion im öffentlichen Raum vor.23 Hinsichtlich des Vorhabens des BMVI und der Kritik des Bundesrechnungshofs an diesem lässt sich folglich feststellen, dass der Bundesrechnungshof gemäß § 88 Abs. 2 BHO zwar zur Beratung ermächtigt war. Seine Empfehlungen, insbesondere die Gründung der MIG haushaltskonform nachzuholen, sowie die Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit des Vorhabens zu überdenken, entfaltet jedoch keine rechtliche verbindliche Wirkung gegenüber dem BMVI. Es obliegt nunmehr dem BMVI, die Argumente des Bundesrechnungshofes aufzugreifen oder aber außer Acht zu lassen . Die rechtliche Würdigung des Bundesrechnungshofes im Rahmen von § 88 Abs. 2 BHO wirkt sich nicht auf die rechtliche Zulässigkeit der Gründung der MIG aus. 2. Einbeziehung des Bundesrechnungshof bei der Gründung einer bundeseigenen GmbH Es ist darüber hinaus fraglich, ob die Planung bzw. Gründung der MIG dadurch unzulässig sein könnte, dass der Bundesrechnungshof nicht hinreichend in die Prozesse des BMVI zu diesem Vorhaben einbezogen worden ist. Der Bundesrechnungshof hat hierzu in seinem Bericht vom 26.8.2020 ausgeführt:24 „Im April 2020 kündigte der Bundesrechnungshof dem BMVI die Prüfung „Bereitstellen einer Mobilinfrastruktur des Bundes“ an. Mit Blick auf den zwischenzeitlich zurückgezogenen Antrag des BMVI bat er in einem ersten Schritt ausdrücklich um Übersendung aller im Zusammenhang mit der beabsichtigten Gründung der MIG erstellten vorbereitenden Unterlagen. Noch in einer Ende Mai 2020 durchgeführten Videokonferenz mit der fachlich zuständigen Abteilung zog sich das BMVI darauf zurück, dass die Erarbeitung andauere. Die Übersendung wurde schnellstmöglich in Aussicht gestellt. Sechs Arbeitstage nach diesem Gespräch bat das BMVI das BMF mit Schreiben vom 08.06.2020 um Einwilligung zur Gründung der MIG; dem Antrag beigefügt waren begründende Unterlagen. Das Anschreiben erweckte den Anschein, der Bundesrechnungshof sei nachrichtlich beteiligt worden. Nach inhaltlichen Anpassungswünschen des BMF aktualisierte das BMVI die Unterlagen und übersandte diese dem BMF erneut mit Schreiben vom 22.06.2020. Nach eingehender Untersuchung hat das Schreiben des BMVI vom 8. Juni 2020 den BRH weder schriftlich noch elektronisch erreicht. Erst auf Informationen des BMF forderte er die Unterlagen am 24.06.2020 nach. Andere fachliche Unterlagen […] liegen dem Bundesrechnungshof nicht vor.“ 22 Tappe/Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, 2 Aufl. 2019, § 8 Rn 615. 23 Kellner, in: Verwaltung und Management (Heft 5), 2001, 294 (295). 24 BRH, Bericht nach § 88 Abs. 2 BHO, 26.08.2020, S. 14, 15. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 096/20 Seite 8 Für das vorliegende Gutachtenwird die Richtigkeit der vorgenannten Ausführungen des Bundesrechnungshofes unterstellt, da Möglichkeiten zur weiteren Tatsachenermittlung den Wissenschaftlichen Diensten nicht zur Verfügung stehen. Auf den Grund für die fehlende bzw. verspätete Beteiligung des Bundesrechnungshofes kommt es dabei nicht an. Maßgeblich ist allein, ob es Verfahrensvorschriften gibt, die eine Einbeziehung des Bundesrechnungshofes bei der Gründung einer Gesellschaft des Privatrechts durch den Bund zwingend vorsehen und ob hiergegen verstoßen wurde, indem der Bundesrechnungshof nicht schon am 08.06.2020 Unterlagen zum Vorhaben des BMVI erhielt. Dann könnte ein Verfahrensfehler in der Gründungsphase der MIG vorliegen , der sich auf die rechtliche Zulässigkeit der MIG auswirken könnte. 2.1. Gründung einer bundeseigenen GmbH, § 65 BHO Die MIG soll als bundeseigene Gesellschaft des Privatrechts, als hundertprozentige Tochter der bundeseigenen Toll Collect GmbH, gegründet werden. Das Grundgesetz gestattet eine wirtschaftliche Betätigung des Staates, einschließlich der Gründung und Beteiligung an Gesellschaften in privater Rechtsform.25 Es ist aber zu beachten, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre Einnahmen in erster Linie durch die Erhebung von Abgaben und Steuern erzielt (sog. Steuerstaatkonzeption des Grundgesetzes).26 Gleichwohl ist der Bund nach § 7 Abs. 1 S. 2 BHO dazu verpflichtet zu prüfen, ob er eine öffentliche Aufgabe nicht wirtschaftlicher in privater Rechtsform erbringen kann. Der Bund kann ein privatrechtliches Unternehmen nur unter den Voraussetzungen des § 65 BHO gründen. Dabei handelt es sich um eine Soll-Vorschrift, die sich nur an die Verwaltung richtet und aus der Dritte keine Rechte ableiten können.27 Über die Frage, ob eine Gesellschaft des Privatrechts gegründet werden soll, entscheidet im Grundsatz das fachlich zuständige Ressort.28 Nach § 65 Abs. 1 Nr. 1 BHO soll sich der Bund ein Unternehmen in einer Rechtsform des privaten Rechts nur gründen können, wenn ein wichtiges Bundesinteresse vorliegt und sich der vom Bund angestrebte Zweck nicht auf andere Weise besser und wirtschaftlicher erreichen lässt. Darüber hinaus ist nach § 65 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 BHO eine Begrenzung der Einzahlungsverpflichtung, ein angemessener Einfluss des Bundes, insbesondere auf das Überwachungsorgan, sowie die Rechnungslegung nach den HGB-Vorschriften zwingend. Die Vorschrift des § 65 BHO sieht eine Beteiligung des Bundesrechnungshofes bei der Gründung einer Gesellschaft des Privatrechts durch den Bund, bspw. durch einen Einwilligungsvorbehalt, nicht vor. Ein solcher Einwilligungsvorbehalt ist in § 65 Abs. 2 BHO lediglich bei bedeutsamen Entscheidungen – wozu die Gründung eines Unternehmens zählt (§ 65 Nr. 2.1.1 der Allgemeinen 25 Tollmann/Depenheuer/Kahl (Hrsg.), Staatseigentum, 2017, § 15 III. 2. 26 Tollmann/Depenheuer/Kahl (Hrsg.), Staatseigentum, 2017, § 15 IV. 27 Tollmann/Depenheuer/Kahl (Hrsg.), Staatseigentum, 2017, § 15 V. 28 Wernsmann, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 65 Rn. 14. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 096/20 Seite 9 Verwaltungsvorschrift zur Bundeshaushaltsordnung) – für das BMF vorgesehen. Nach § 92 BHO prüft der Bundesrechnungshof allerdings die Einhaltung der Voraussetzungen des § 65 BHO. Ob die Voraussetzungen von § 65 Abs. 1 BHO mit dem Vorhaben des BMVI, die MIG zu gründen, vorliegen, ist nicht Bestandteil dieses Gutachtens. Es ist insoweit lediglich festzustellen, dass die maßgebliche Vorschrift des § 65 BHO eine zwingende Beteiligung des Bundesrechnungshofes, insbesondere eine etwaige Einwilligung, nicht vorsieht. Die Planung bzw. Gründung der MIG ist daher auch ohne Einwilligung des Bundesrechnungshofes zulässig. Es ist nicht ersichtlich, dass ein Verstoß gegen § 92 BHO zur Unzulässigkeit eines Vorhabens nach § 65 BHO führen könnte. 2.2. Verletzung der Auskunftspflicht, § 95 Abs. 1 BHO Das BMVI könnte seine Auskunftspflicht gemäß § 95 Abs. 1 BHO gegenüber dem Bundesrechnungshof verletzt haben. Nach dieser Vorschrift sind dem Bundesrechnungshof auf sein Verlangen Unterlagen, die er zur Erfüllung seiner Aufgaben für erforderlich hält, innerhalb einer bestimmten Frist zu übersenden oder seinen Beauftragten vorzulegen. Der Bundesrechnungshof kann nach pflichtgemäßen Ermessen entscheiden, welche Unterlagen er für erforderlich hält. Die von der Prüfung betroffenen Stellen haben somit kein eigenes Bewertungsrecht , ob das Begehren des Bundesrechnungshofs berechtigt ist.29 Es können allerdings nur solche Unterlagen herausverlangt werden, die tatsächlich vorhanden sind oder bei ordnungsgemäßer Verwaltung vorhanden sein müssten.30 Der Bundesrechnungshof bat das BMVI im April 2020 erstmals um die Übersendung aller im Zusammenhang mit der beabsichtigten Gründung der MIG erstellten Unterlagen. Diesem Verlangen kam das BMVI trotz Nachfragen erst am 24.06.2020 nach. Am 08.06.2020 legte das BMVI dem BMF mehrere Unterlagen zur Gründung der MIG vor, als es seinen Antrag um Einwilligung zur Gründung der MIG stellte. Spätestens am 08.06.2020 muss das BMVI folglich dazu in der Lage gewesen sein, dem Bundesrechnungshof die angefragten Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Es liegt somit ein Verstoß gegen § 95 Abs. 1 BHO vor. Die verspätete Zusendung von Auskünften hat jedoch keine rechtliche Folge zulasten des Vorhabens des BMVI. 2.3. Verletzung der Unterrichtungsverpflichtung, § 102 Abs. 1 BHO Ferner könnte das BMVI gegen § 102 BHO verstoßen haben. Nach § 102 Abs. 1 Nr. 5 BHO ist der Bundesrechnungshof unverzüglich zu unterrichten, wenn von den obersten Bundesbehörden organisatorische oder sonstige Maßnahmen von erheblicher finanzieller Tragweite getroffen werden . Die Informationspflicht trifft das Ministerium, das im Rahmen seiner Ressortkompetenz verantwortlich ist.31 Nach § 102 Abs. 3 BHO steht dem Bundesrechnungshof dann ein jederzeitiges Äußerungsrecht zu, um frühzeitig auf haushaltsrelevante Entwicklungen einwirken zu können. 29 Schwarz, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 95 Rn. 3. 30 Schwarz, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 95 Rn. 5. 31 Schwarz, in: Gröpl, 2. Aufl. 2019, BHO § 102 Rn. 8. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 096/20 Seite 10 Die Verwaltung ist aber nicht verpflichtet, möglichen Bedenken des Bundesrechnungshofes zu entsprechen.32 Die Gründung der MIG kann als eine Maßnahme von erheblicher finanzieller Tragweite im Sinne von § 102 Abs. 1 Nr. 5 BHO verstanden werden. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die MIG mit 5 Milliarden Euro ausgestattet werden soll (s.o.). Das BMVI als zuständige Stelle wäre demnach zur frühzeitigen Unterrichtung über ihr Vorhaben verpflichtet gewesen. Dieser Verpflichtung ist das BMVI erst am 24.06.2020 und zwar auf Verlangen des Bundesrechnungshofs nachgekommen. Zu diesem Zeitpunkt war die Gründungsplanung der MIG bereits weit vorangeschritten. Dem Bundesrechnungshof wurde dadurch die Möglichkeit genommen, sich frühzeitig zu äußern, § 102 Abs. 3 BHO. Es liegt folglich ein Verletzung von § 102 Abs. 1 BHO vor. Dies hat indes keine weiteren Konsequenzen, da das BMVI ohnehin nicht dazu verpflichtet wäre, den Äußerungen des Bundesrechnungshofes zu folgen. 2.4. Rechtsfolgen Es lässt sich zusammenfassend feststellen, dass eine Einbeziehung des Bundesrechnungshofes bei der Gründung einer Gesellschaft des Privatrechts nach § 65 BHO nicht zwingend ist und daher nicht zur Unzulässigkeit des Vorhabens „MIG“ führt. Soweit der Vortrag des Bundesrechnungshofes zu der verspäteten Übersendung der Unterlagen zutreffen ist, hat das BMVI durch sein Verhalten gegen die Auskunftspflicht nach § 95 Abs. 1 BHO sowie die Unterrichtspflicht des § 102 Abs. 1 BHO verstoßen. Dies hat zur Folge, dass der Bundesrechnungshof nicht im anfänglichen Gründungsprozess der MIG die Möglichkeit hatte, sich beratend zu äußern und Empfehlungen auszusprechen. Es führt aber nicht zur Unwirksamkeit hinsichtlich der Gründung der MIG insgesamt. Sein Auskunftsbegehren hätte der Bundesrechnungshof im Zweifel im Wege der allgemeinen Leistungsklage bzw. der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO vor dem Verwaltungsgericht durchsetzen können.33 Der Bundesrechnungshof ist überdies im Organstreitverfahren parteifähig und hätte grundsätzlich die Möglichkeiten, ein Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG durchzuführen. Davon hat er allerdings keinen Gebrauch gemacht und es würde sich auch nicht auf die rechtliche Zulässigkeit der MIG auswirken. 3. Zusammenfassung Der Bundesrechnungshof hat gemäß Art. 114 Abs. 2 S. 4 GG in Verbindung mit § 88 Abs. 2 BHO die Möglichkeit, gegenüber dem BMVI beratend tätig zu werden. Die auf Grundlage von § 88 Abs. 2 BHO ergangenen Berichte und darin enthaltenen Empfehlungen des Bundesrechnungshofes sind nicht rechtlich verbindlich für die betroffene Stelle und auch nicht an Sanktionen geknüpft. Die Berichte des Bundesrechnungshofes wirken allein durch die Kraft ihrer Argumente und deren Diskussion im öffentlichen Raum. Dadurch, dass das BMVI dem Bundesrechnungshof die Unterlagen zur Gründung der MIG nicht am 08.06.2020 zur Verfügung stellte, hat das BMVI bestimmte Auskunfts- und Unterrichtungs- 32 v.Lewinski/Burbat, Bundeshaushaltsordnung, 1. Aufl. 2013, BHO § 102 Rn. 10. 33 v.Lewinski/Burbat, Bundeshaushaltsordnung, 1. Aufl. 2013, BHO § 95 Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 096/20 Seite 11 pflichten der BHO verletzt. Diese führen allerdings nicht zur rechtlichen Unzulässigkeit des Vorhabens des BMVI. Die maßgebliche Regelung für die Gründung einer Gesellschaft des Privatrechts durch den Bund - § 65 BHO – sieht eine Einwilligung des Bundesrechnungshofes nicht vor. ***