© 2015 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 096/15 Die Gesetzgebungskompetenz für die Vermögensteuer Konkurrierende Gesetzgebung und Sperrwirkung Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 096/15 Seite 2 Die Gesetzgebungskompetenz für die Vermögensteuer Konkurrierende Gesetzgebung und Sperrwirkung Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 096/15 Abschluss der Arbeit: 22.06.2015 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Telefon: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 096/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 5 2. Gesetzgebungskompetenz des Bundes oder der Länder für die Vermögensteuer? 5 3. Sperrwirkung des Vermögensteuergesetzes? 8 3.1. Anforderungen an eine Sperrwirkung 8 3.2. Sperrwirkung trotz erheblichem Zeitablauf seit der BVerfG- Entscheidung? 9 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 096/15 Seite 4 Zusammenfassung Mit der Rechtsprechung des BVerfG zur Erbschaftsteuer wurden die Voraussetzungen für die Wahrnehmung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz durch den Bund bejaht. Dies ist auf die Regelungsbereiche der Vermögensteuer übertragbar. Bei der Vermögensteuer ist davon auszugehen, dass für die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich ist. Die Sperrwirkung des Vermögensteuergesetzes (VStG) gegenüber der Gesetzgebungskompetenz der Länder besteht weiterhin. Mit der Ablehnung des Gesetzentwurfs der CDU/CSU-Fraktion zur Abschaffung des Vermögensteuergesetzes (BT-Drs. 15/196) hat der Bundesgesetzgeber bestätigt, dass er den Regelungsbereich der Vermögensteuer weiterhin wahrnimmt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 096/15 Seite 5 1. Fragestellung Gegenstand der vorliegenden Ausarbeitung ist die Frage nach der Gesetzgebungskompetenz für eine Neuregelung der Vermögensteuer. Insbesondere soll dargestellt werden, ob eine Gesetzgebungskompetenz der Länder für die Erhebung einer Vermögensteuer gegeben ist. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seiner Entscheidung vom 22.06.1995 zur Vermögensteuer (BVerfGE 93, 121-165) angeordnet, dass § 10 Nr. 1 des Vermögensteuergesetzes (VStG) seit dem Veranlagungszeitraum 1983 mit Art. 3 Abs. 1 GG insofern unvereinbar ist, als er den einheitswertgebundenen Grundbesitz und das zu Gegenwartswerten erfasste Vermögen mit demselben Steuersatz belastet. Dem Gesetzgeber wurde auferlegt bis zum 31.12.1996 eine Neuregelung zu den für verfassungswidrig erklärten Gesetzesbestandteilen zu erlassen. Dies ist jedoch nicht erfolgt. Gegenstand der - für die Fragestellung relevanten - juristischen Diskussion ist nunmehr, ob eine Neuregelung überhaupt in die (konkurrierende) Gesetzgebungskompetenz des Bundes fallen würde. (2.) Daran schließt sich sodann die Frage nach der Sperrwirkung des alten Vermögensteuergesetzes für den Erlass einer gesetzlichen Neuregelung durch die Länder an. (3.) 2. Gesetzgebungskompetenz des Bundes oder der Länder für die Vermögensteuer? Grundsätzlich steht die Gesetzgebungskompetenz den Ländern zu, Art. 70 Abs. 1 GG. Eine abweichende Sondergesetzgebungskompetenz des Bundes könnte sich aus Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG ergeben. Die erste Variante des Art. 105 Abs. 2 GG scheidet für eine ausschließlich den Ländern zukommende Vermögensteuer aus. Der Bund kann die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Art. 105 Abs. 2 GG daher allenfalls aus dem Verweis auf die allgemeinen Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG herleiten. Demnach steht dem Bund die Gesetzgebung zu, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet (a) oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse (b) eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich machen. a) Mit den Lebensverhältnissen nimmt das GG das gesamte soziale, wirtschaftliche und politische Umfeld der Bürger in Bezug. (Oeter in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl. 2010, Art. 72 Rn. 99) Die Vermögensbesteuerung betrifft das wirtschaftliche Umfeld der Bürger und somit die Lebensverhältnisse. Allerdings wird deren Gleichwertigkeit erst dann bedroht und der Bund erst dann zum Eingreifen ermächtigt, wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt haben oder sich ein derartige Entwicklung konkret abzeichnet (BVerfG NJW 2003, 41 (52)). Das BVerfG begründet diese Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 096/15 Seite 6 enge Auslegung mit der im Zuge der Föderalismusreform 2006 vollzogenen Abkehr vom Erfordernis der “Einheitlichkeit“ der Lebensverhältnisse. (BVerfG aaO.) Unterschiedliche Steuerbelastungen in den Bundesländern reichten wohl hierbei nicht aus, um bundesgesetzliche Regelungen für die Landessteuern zu rechtfertigen. (Korte, Die konkurrierende Steuergesetzgebung des Bundes im Bereich der Finanzverfassung, Diss. 2008, S. 154 f.) Mögliche Abwanderungen aus Bundesländern mit einer hohen Vermögensteuer müssten als Ausdruck des Steuerwettbewerbs angesehen werden. Eine Auseinanderentwicklung der Lebensverhältnisse in den Bundesländern, die das Sozialgefüge ernstlich beeinträchtigen würde, sei nicht zu erwarten. (Korte: aaO.) b) Bezüglich der Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit als Voraussetzung für eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes bestehen unterschiedliche Auffassungen , ob diese in Bezug auf die Vermögensteuer gegeben sei. Das BVerfG geht von einem Erfordernis der bundesgesetzlichen Regelung zur Wahrung der Rechtseinheit aus, wenn und soweit die mit ihr erzielbare Einheitlichkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen Voraussetzung für die Vermeidung einer Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen ist, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden kann. (BVerfG NJW 2015, 303-328 (305)) Zur Wahrung der Wirtschaftseinheit ist eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich, wenn und soweit sie Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik ist, wenn also unterschiedliche Landesregelungen oder das Untätigbleiben der Länder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich brächten (BVerfG ebenda). Während die Wahrung der Rechtseinheit in erster Linie auf die Vermeidung einer Rechtszersplitterung zielt, geht es bei der Wahrung der Wirtschaftseinheit im Schwerpunkt darum, Schranken und Hindernisse für den wirtschaftlichen Verkehr im Bundesgebiet zu beseitigen (BVerfG aaO.). Die Befürworter einer bundesgesetzlichen Regelungskompetenz betonen die Gefahr einer „Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen“, wenn die Vermögensteuer der landesgesetzlichen Kompetenz zugewiesen wäre. Die Vermögensteuer diene dem Zweck, eine nach dem Weltvermögen bzw. nach dem Weltvermögenserwerb bemessene Gesamtleistungsfähigkeit zu belasten. Innerhalb des Bundesgebiets sei die gesamtstaatliche Verantwortung für die Verwirklichung gleichmäßiger Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit wahrzunehmen. Es drohe eine hochkomplexe Zersplitterung des Vermögensteuerrechts. Um diese Gefahr abzuwenden gebiete es die Rechtseinheit die Vermögensteuer bundesgesetzlich zu regeln. (Seer in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. A., § 2 Rn. 42) Dagegen führen Hey (IFSt-Schrift Nr. 483: Zukunft der Vermögensbesteuerung; S. 28) und Korte (S. 156 f.) an, dass die Rechtseinheit zumindest durch unterschiedliche Regelungen zu Freibeträgen und Steuersätzen nicht gefährdet wäre. Der Bund müsse für die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit lediglich eine Doppelbesteuerung zwischen den Bundesländern ausschließen. (Hey aaO., S. 160 f.) Das BVerfG hat in seiner jüngsten Entscheidung zur Erbschaftsteuer klargestellt, dass das Merkmal der Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung zur Erreichung der in Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 096/15 Seite 7 Art. 72 Abs. 2 GG genannten Zwecke durch den Bezug auf das “gesamtstaatliche Interesse “ in besonderer Weise geprägt werde. Die Regelung durch Bundesgesetz müsse danach nicht unerlässlich für die Rechts- oder Wirtschaftseinheit in dem normierten Bereich sein. Es genüge vielmehr, dass der Bundesgesetzgeber andernfalls nicht unerheblich problematische Entwicklungen in Bezug auf die Rechts- oder Wirtschaftseinheit erwarten darf. (BVerfG NJW 2015, 303-328 (305)) Das Vorliegen dieser Voraussetzungen sei vom Bundesverfassungsgericht zu überprüfen. Es bestehe insoweit kein von verfassungsgerichtlicher Prüfung freier gesetzgeberischer Beurteilungsspielraum . Im Rahmen dieser verfassungsgerichtlichen Kontrolle stehe dem Gesetzgeber im Hinblick auf die allein zulässigen Zwecke einer bundesgesetzlichen Regelung und deren Erforderlichkeit im gesamtstaatlichen Interesse im Sinne von Art. 72 Abs. 2 GG eine Einschätzungsprärogative zu. (BVerfG ebenda) In Bezug auf die Normen der §§ 13a und 13b ErbStG sieht das BVerfG sowohl die Voraussetzung der Gefährdung der Rechts- als auch der Wirtschaftseinheit für gegeben an. Es handele sich um umfangreiche Befreiungen zur Steuerpflicht. Der Bundesgesetzgeber hätte daher davon ausgehen dürfen, dass eine nicht hinnehmbare Rechtszersplitterung mit nicht unerheblichen Nachteilen und Erschwernissen für Erblasser und Erwerber betrieblichen Vermögens wie auch für die Finanzverwaltung zu befürchten wäre, bliebe es den Ländern überlassen, ob, in welchem Umfang und in welcher Ausgestaltung im Einzelnen sie Regeln für die erbschaftsteuerliche Begünstigung des Betriebsübergangs schaffen wollen . (BT-Drs. 16/7918, S. 25 zitiert nach BVerfG NJW aaO.) Ferner betonte das BVerfG, dass unterschiedliche landesrechtliche Regelungen zur Befreiung von betrieblichem Vermögen zur Folge hätte, dass die Beantwortung der für die Planung der Unternehmensnachfolge wichtigen Frage, mit welcher Steuerbelastung ein Betriebsübergang verbunden ist, vom Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt des Erben oder Beschenkten beziehungsweise vom Sitz der betrieblichen Einheit abhängig wäre. „Wäre Gegenstand des Erwerbs ein Unternehmen mit mehreren Betriebsstätten im ganzen Bundesgebiet oder mehreren selbstständigen betrieblichen Einheiten in verschiedenen Ländern […] würden sich schwierige Abgrenzungsfragen ergeben, welche die bereits bestehende Komplexität der erbschaft- und schenkungsteuerlichen Förderung unternehmerischen Vermögens noch weiter steigern und damit die rechtliche Planungssicherheit erheblich einschränken würden.“(BVerfG NJW aaO.) Zwischenergebnis: Die Ausführungen des BVerfG zur konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich der Erbschaftsteuer sind zumindest auf Teilbereiche des Vermögensteuergesetzes übertragbar. Ähnlich wie bei der Erbschaftsteuer würde auch eine dezentrale Regelung von weitreichenden Befreiungen bei der Vermögensteuer zur Gefahr einer Zersplitterung des Rechts im Bundesgebiet führen. Zudem sind die Besteuerungsgrundlagen vergleichbar : das Vermögen in seiner Gesamtheit wird zur Bemessungsgrundlage für die Besteuerung herangezogen. Beides sind reine Landessteuern, bei denen der Bund seine Gesetzgebungskompetenz nicht aus der Steuerertragshoheit ableiten kann. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 096/15 Seite 8 Das BVerfG musste sich in seiner jüngsten Entscheidung nicht zur Gesetzgebungskompetenz für Normen zum Steuertarif und Freibeträgen positionieren. Insoweit kann es als offene Rechtsfrage angesehen werden, ob die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG für eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes gegeben sind. Anzeichen für das Vorliegen einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergeben sich jedoch aus der Feststellung des BVerfG zur Einschätzungsprägorative des Bundesgesetzgebers zu zulässigen Zwecken einer bundesgesetzlichen Regelung und deren Erforderlichkeit . Es kann davon ausgegangen werden, dass die Annahme einer Gefährdung der Rechts- und Wirtschaftseinheit durch dezentrale Regelungen des Steuertarifs der Vermögensteuer einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung ebenfalls standhalten würde. Die Grundannahme einzelner Stimmen in der Literatur, die Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 72 Abs. 2 GG sei auf Grund des föderalen Wettbewerbs und einer restriktiven Auslegung der Voraussetzungen des Art. 72 GG ausgeschlossen, werden vom BVerfG in der Erbschaftssteuer-Entscheidung nicht geteilt. Vielmehr lässt der Senat erkennen, dass er die Annahme der Gefährdung der Rechts- und Wirtschaftseinheit bei abweichenden steuerrechtlichen Regelungen der Länder akzeptiert, zumal wenn die Gefahr schwieriger Abgrenzungsfragen in Sachverhalten mit Bezugspunkten zu mehreren Bundesländern bestehe. 3. Sperrwirkung des Vermögensteuergesetzes? Auch wenn die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Vermögensteuer weiterhin gegeben ist, könnte der Regelungsbereich für die Länder geöffnet sein. Hierzu dürfte das noch in Kraft befindliche VStG keine Sperrwirkung für die Gesetzgebungskompetenz der Länder entfalten. 3.1. Anforderungen an eine Sperrwirkung Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz ist dadurch gekennzeichnet, dass die grundsätzlich geltende Kompetenz der Länder (Art. 70 GG) erst dann wirksam durch die Gesetzgebungskompetenz des Bundes gesperrt wird, wenn der Bund nicht durch Gesetz von der ihm zustehenden Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat oder der Bund mangels Erforderlichkeit nicht wirksam von den in Art. 72 Abs. 2 GG aufgeführten Kompetenztiteln Gebrauch machen kann (Maunz/Dürig, GG Art. 72 Rn. 78). Die Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG wurde für den überwiegenden Teil der Regelungsbereiche eines Vermögensteuergesetzes bereits bejaht (2. b)). Fraglich ist jedoch, ob der Bund tatsächlich noch von seiner Gesetzgebungszuständigkeit durch Gesetz Gebrauch gemacht hat, wenn die Tarifnorm des Vermögensteuergesetzes durch das BVerfG für verfassungswidrig erklärt wurde und der Gesetzgeber der Aufforderung des Verfassungsgerichts zum Erlass einer Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 096/15 Seite 9 verfassungskonformen Neuregelung nicht nachgekommen ist. Diese als Sperrwirkung bezeichnete Funktion eines Bundesgesetzes gegenüber der Gesetzgebungskompetenz der Länder wird in der Literatur an unterschiedlich weit ausgelegten Voraussetzungen beurteilt. Der Eintritt der Sperrwirkung hänge vom kumulativen Vorliegen verschiedener Voraussetzungen ab. Erforderlich sei zunächst, dass der Bundesgesetzgeber im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung ein wirksames Gesetz erlässt. Dieses Gesetz stelle ein, die Sperrwirkung herbeiführendes , „Gebrauchmachen“ im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG nur dann dar, wenn der Bundesgesetzgeber damit für die betreffende Materie auch eine „erschöpfende“ Regelung trifft. (Maunz/Dürig, GG, Art. 72 Rn. 79) Das Gesetz müsse zudem wirksam sein, dürfe also nicht an Wirksamkeitsmängeln leiden. Hierzu sei erforderlich, dass das „sperrende“ Bundesgesetz sowohl formell als auch materiell verfassungskonform sei. Ein für nichtig erklärtes Gesetz könne daher von vornherein keine Sperrwirkung auslösen. Allerdings soll nach Ansicht des BVerfG ein materiell verfassungswidriges Bundesgesetz, das verfassungsgerichtlich noch nicht für nichtig erklärt wurde, nicht ohne weiteres als unwirksam und „nicht-sperrend“ behandelt werden können. (Maunz/Dürig aaO; Rn. 76) Das BVerfG verneint nur dann im Rahmen einer Inzidentprüfung die Sperrwirkung eines Gesetzes , wenn das Gesetz bereits in einem früheren Verfahren auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüft wurde. Nur wenn es dabei für verfassungswidrig erklärt worden ist, entfällt die Sperrwirkung . (BVerfG NJW 1999, 841-857 (847)) Kompetenzrechtlich bleibe die Materie mit Sperrwirkung für die Länder ausgeschöpft, solange die bundesrechtliche Norm Bestand habe (BVerfG aaO., S. 848) Diese Aussagen des BVerfG sind dahingehend zu verstehen, dass auch bei für verfassungswidrig erklärten Gesetzen zunächst der Bundesgesetzgeber aufgefordert ist, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen. Die Sperrwirkung soll erst dann entfallen, wenn in einem gesonderten Normenkontrollverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG) die Nichtigkeit des Gesetzes festgestellt wird, weil bspw. der Auftrag des BVerfG zur verfassungskonformen Modifizierung des Gesetzes nicht umgesetzt wurde. (Maunz/Dürig, GG aaO, Rn. 80) 3.2. Sperrwirkung trotz erheblichem Zeitablauf seit der BVerfG-Entscheidung? Eine Besonderheit ergibt sich bei der Vermögensteuer jedoch aus dem mittlerweile erheblichen Zeitablauf nach dem verfassungsgerichtlichen Verdikt der Verfassungswidrigkeit. Es ist hier fraglich , ob die Sperrwirkung zeitlich unbeschränkt ihre Wirksamkeit entfaltet und ob die gesamte Rechtsmaterie weiterhin als vom Bundesgesetzgeber geregelt gilt. Die h.M. im Schrifttum (Bonner Komm. Z. GG, Art. 72 II.2; Jarass/Pieroth, Komm. z. GG Art. 72 Rn.6; v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, Komm. Z. GG, Art. 72 Rn. 339; Mayer, DStR 1997, 1152 (1155) mwN) sieht die Sperrwirkung aufgrund des formell weiterhin bestehenden VStG als gegeben an. Auch die Wissenschaftlichen Dienste gingen bereits in einer Ausarbeitung vom 7.11.1996 davon aus, dass auf Grund der fehlenden formellen Aufhebung des Vermögensteuergesetzes die Sperrwirkung für die Gesetzgebung der Länder weiterhin bestehe (Wissenschaftliche Dienste, Venturini : Handlungsmöglichkeiten der Länder im Zusammenhang mit dem Wegfall der Vermögensteuer , S. 6 Rn. 5). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 096/15 Seite 10 Vereinzelt (Kube, DStR-Beihefter 2013, 37-51 (39); Schüppen DStR 1997, 225 (227)) wird dagegen angeführt, dass das BVerfG von der Nichtigkeitserklärung nur abgesehen habe, weil der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten habe, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen. Diese Begründung habe sich jedoch mit Ablauf der vom BVerfG dem Gesetzgeber gesetzte Frist erledigt. Die Sperrwirkung sei sodann entfallen. § 10 Nr. 1 des Vermögensteuergesetzes wurde am 22.06.1995 vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt. Dem Gesetzgeber wurde bis zum 31.12.1996 Zeit eingeräumt den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen. Ab dem 01.01.1997 war § 10 Nr. 1 VStG nicht mehr anwendbar. Das übrige Vermögensteuergesetz besteht bis heute fort. Gesetzesinitiativen des Bundesrates (BT-Drs. 15/408) und der CDU/CSU-Fraktion (BT-Drs. 15/196) zur Aufhebung des Vermögensteuergesetzes fanden keine Mehrheit im Bundestag. Eine die Sperrwirkung des VStG verneinende Argumentation ignoriert die ablehnende Entscheidung des Bundestages zu den gleichlautenden Gesetzesinitiativen zur Aufhebung des Vermögensteuergesetzes . In der Begründung des Gesetzentwurfes führte der Bundesrat u.a. aus: „Gleichwohl hat das Vermögensteuergesetz auch heute noch formellen Bestand, da es bisher nicht aufgehoben wurde. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts steht jedoch einer weiteren Anwendung dieses Gesetzes entgegen. Eine Neuauflage der Vermögensteuer ist aus vielerlei Gründen äußerst fragwürdig. Prinzipiell sollte deshalb jedes Land für sich entscheiden, ob es in Anbetracht des wirtschaftspolitischen und administrativen Kosten-Nutzen-Verhältnisses die Vermögensteuer im eigenen Bundesland wieder einführt. Diesem Grundsatz trägt die Aufhebung des Vermögensteuergesetzes Rechnung. Sie eröffnet den Ländern nun das Recht, eigene Vermögensteuergesetze zu beschließen. Denn das Recht der Gesetzgebung über die Steuern vom Vermögen steht gemäß Artikel 70 Abs. 1 GG grundsätzlich den Ländern zu. Sobald der Bund mit der Aufhebung des Vermögensteuergesetzes auf sein Besteuerungsrecht aus der konkurrierenden Gesetzgebung gemäß Artikel 72 GG verzichtet, ist der Weg für ländereigene Vermögensteuergesetze frei.“ Mit der Ablehnung des Gesetzentwurfes hat der Gesetzgeber seinen Willen zum Ausdruck gebracht , die Gesetzgebungskompetenz zur Vermögensteuer weiter wahrnehmen und sie gerade nicht den Ländern überlassen zu wollen. Fazit: Die Gesetzgebungskompetenz der Länder ist erst wieder eröffnet, wenn der Bundestag das Vermögensteuergesetz aufhebt oder das BVerfG es für nichtig erklärt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 096/15 Seite 11 Literaturverzeichnis Hey, Johanna (2012): Die Zukunft der Besteuerung von Vermögen aus rechtlicher Perspektive. In: Hey, Johanna; Maiterth, Ralf; Houben, Henriette (Hrsg.) Zukunft der Vermögensbesteuerung [P 5140679] Korte, Anja (2008). Die konkurrierende Steuergesetzgebung des Bundes im Bereich der Finanzverfassung . Steuerautonomie der Länder ohne Reform?. Dissertation Universität Köln [P 5122472] Kube, Hanno (2013). Verfassungsrechtlicher Rahmen von Vermögensteuer und Vermögensabgabe . DStR 2013, 37-51 Maunz/Dürig: Grundgesetz-Kommentar; Beck-Online (2015) Mayer, Christian (1997). Die Folgen des Ausbleibens der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Reform des Vermögensteuerrechts. DStR 1997, 1152-1156 Schüppen, Matthias (1997). Die Nichtanwendbarkeit des Vermögensteuergesetzes ab 1.1.1997: offene Fragen und ein zusätzliches “Steuergeschenk“. DStR 1997, 225-228 Seer, Roman (2012): § 2 Finanzverfassungsrechtliche Grundlagen der Steuerrechtsordnung. In: Tipke/Lang, Steuerrecht Venturini (1996). Handlungsmöglichkeiten der Länder im Zusammenhang mit dem Wegfall der Vermögensteuer. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages [P 758901] Bonn: Deutscher Bundestag