© 2019 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 095/19 und WD 3 – 3000 – 181/19 Verfassungsrechtliche Einzelaspekte einer CO2-Steuer Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 095/19 und WD 3 – 3000 – 181/19 Seite 2 Verfassungsrechtliche Einzelaspekte einer CO2-Steuer Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 095/19 und WD 3 – 3000 – 181/19 Abschluss der Arbeit: 31. Juli 2019 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen WD 3: Verfassung und Verwaltung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 095/19 und WD 3 – 3000 – 181/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Gesetzgebungskompetenz für den Emissionshandel (WD 3) 4 3. Gesetzgebungskompetenz für eine CO2-Steuer (WD 4) 5 4. Verfassungsrechtliche Implikationen der Erstattung aus einer CO2-Steuer (WD 4) 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 095/19 und WD 3 – 3000 – 181/19 Seite 4 1. Fragestellung Der Auftraggeber erkundigt sich nach der Gesetzgebungskompetenz für den Emissionshandel. Dieser Aspekt wird vom Fachbereich WD 3 dargestellt. (2.) Anschließend wird die Gesetzgebungskompetenz für eine vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vorgeschlagenen CO2-Steuer erläutert. (3.) Zudem soll die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer 100%igen Rückverteilung der Steuereinnahmen erörtert werden. (4.) 2. Gesetzgebungskompetenz für den Emissionshandel (WD 3) Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat in seinem Sondergutachten zur Klimapolitik unter anderem vorgeschlagen, neben dem bestehenden Emissionshandelssystem der Europäischen Union einen separaten nationalen Emissionshandel einzuführen, der zusätzliche Bereiche umfassen soll.1 Es stellt sich die Frage, ob der Bund die Gesetzgebungskompetenz für die Einführung eines nationalen Emissionshandels hat. Nach der Gesetzesbegründung für das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG)2, das zur Umsetzung der Emissions-Richtlinie3 erlassen wurde, besteht eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Diese ergebe sich zum einen aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG für den Bereich der Luftreinhaltung, weil dieser auch den Schutz der Atmosphäre und damit den Klimaschutz umfasse. Zum anderen ergebe sich die Kompetenz aus dem Recht der Wirtschaft nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, da sich die Regelungen an Unternehmen richteten und neue Rahmenbedingungen für die Teilnahme der einbezogenen Unternehmen am Emissionshandel geschaffen würden.4 Das Bundesverfassungsgericht hat 2018 in Bezug auf das TEHG festgestellt, dass eine Regelung, die der Schaffung eines Emissionshandelssystem zur Reduzierung der Emission von Kohlendioxid diene, die Luftreinhaltung zum Gegenstand habe und daher unter die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG falle.5 Dem Bund steht somit eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für den Emissionshandel zu. 1 Die unionsrechtliche Zulässigkeit eines solchen Vorhabens wird an dieser Stelle nicht geprüft. Die Einführung eines nationalen Emissionshandels ist nach Erwägungsgrund 16 der Emissions-Richtlinie (siehe Fn. 3) aber grundsätzlich zulässig. 2 Gesetz über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen (Treibhausgas-Emissionsgesetz – TEHG) vom 21. Juli 2011 (BGBl. I S. 1475), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 18. Januar 2019 (BGBl. I S. 37). 3 Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (ABl. L 275 vom 25. Oktober 2003, S. 32). 4 BT-Drs. 17/5296, S. 32. 5 Nichtannahmebeschluss vom 5. März 2018 – 1 BvR 2864/13, Rn. 27. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 095/19 und WD 3 – 3000 – 181/19 Seite 5 3. Gesetzgebungskompetenz für eine CO2-Steuer (WD 4) Für die Gesetzgebung im Steuerrecht gibt das Grundgesetz einen gewissen Rahmen vor, wie und in welcher Art Steuern ausgestaltet werden können. Dafür ist der – nach herrschender Meinung – abschließende Steuertypenkatalog des Art. 106 GG entscheidend, der ein Steuerfindungsrecht, aber kein Steuererfindungsrecht vorsieht.6 Eine neu konzipierte Steuer muss sich daher unter die vorhandenen Steuerarten des Art. 106 GG7 subsumieren lassen. Ihr kann dabei – seit dem Ökosteuerurteil8 – auch ein lenkender Charakter zukommen. In Betracht kommt damit die Schaffung einer CO2-Steuer als Verbrauchs-, Aufwands-, oder Verkehrsteuer. Verbrauchsteuern im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG sind Abgaben, die den Verbrauch bestimmter Güter des ständigen Bedarfs belasten und auf Grund eines äußeren Vorgangs von demjenigen erhoben werden, in dessen Bereich der Vorgang stattfindet.9 Sie knüpfen an einen tatsächlichen Vorgang, also ein einmaliges oder fortdauerndes Geschehen, an. Der steuerbegründende Tatbestand einer Aufwandsteuer ist dagegen ein tatsächlicher oder rechtlicher Zustand.10 Verkehrsteuern hingegen knüpfen an Vorgänge des Rechtsverkehrs oder an Wirtschaftsvorgänge an.11 Das CO2-Steuermodell im Gutachten des Sachverständigenrates knüpft an den Verbrauch bestimmter CO2-intensiver Güter an. Damit wäre es als Verbrauchsteuer einzuordnen. Für dieses Modell müsste an solche Güter angeknüpft werden, deren Verbrauch zu CO2-Emissionen führt. Demnach würde die Steuer an den Verbrauch von Kohle, Erdgas, Benzin, Diesel und vergleichbaren Gütern anknüpfen.12 Dies wäre zwar keine unmittelbare Besteuerung einer CO2-Emission, aber immerhin ein zulässiges Mittel in Form einer Verbrauchsteuer, die – unter Anpassung von Energie- und Stromsteuer – zu einer Erhöhung des CO2-Preises führen würde, da jeder mit CO2- Emissionen belastete Verbrauch von Gütern betroffen wäre. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Änderung des Energie- und Stromsteuergesetzes ergäbe sich somit aus Art. 105 Abs. 2 Var. 1 in Verbindung mit 106 Abs. 1 Nr. 2 GG. 6 Büdenbender, Arbeitspapier 05/19, Rechtliche Rahmenbedingungen für eine CO2-Bepreisung in der Bundesrepublik Deutschland, Juli 2019, S. 32 f.; im Internet: https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin /dateiablage/Arbeitspapiere/Arbeitspapier_05_2019.pdf (zuletzt aufgerufen am: 30.07.2019). 7 Dabei sind alle Absätze erfasst. Der Bund ist für die Gesetzgebung zuständig, soweit ihm die Einkünfte aus der Steuer zustehen, aber auch, wenn eine bundeseinheitliche Regelung erforderlich ist, vgl. Art. 72 Abs. 2 GG. Davon ist bei einer Klimaschutzsteuer auszugehen, da die Frage an sich weltweit ist und damit jedenfalls im gesamten Bundesgebiet einheitlich geregelt werden muss. Siehe dazu auch: Schomerus, ZfZ 2010, 141, 146. 8 BVerfG v. 20.04.2004, 1 BvR 905/00, abgedruckt: NVwZ 2004, 846. 9 Dreier/Heun, GG, Art. 106, Rn. 16. 10 Dreier/Heun GG Art. 105 Rn. 39. 11 Ebd., Rn. 16. 12 Büdenbender, Arbeitspapier 05/19, Rechtliche Rahmenbedingungen für eine CO2-Bepreisung in der Bundesrepublik Deutschland, Juli 2019, S. 32 f.; im Internet: https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin /dateiablage/Arbeitspapiere/Arbeitspapier_05_2019.pdf (zuletzt aufgerufen am: 30.07.2019). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 095/19 und WD 3 – 3000 – 181/19 Seite 6 4. Verfassungsrechtliche Implikationen der Erstattung aus einer CO2-Steuer (WD 4) Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wendet in seiner ständigen Rechtsprechung13 den Steuerbegriff der Abgabenordnung (AO) auch auf die Regelungen der Finanzverfassung des Grundgesetzes an. Ein Wesensmerkmal des Steuerbegriffs nach § 3 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) ist die nicht vorhandene Gegenleistung für die zu zahlende Steuer. Der Gesetzgeber ist in seiner Entscheidung zur Mittelverwendung aus dem Steueraufkommen grundsätzlich frei. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist auch die Bindung der Steuer an einen konkreten Ausgabezweck finanzverfassungsrechtlich zulässig.14 „Dem Grundsatz der Gesamtdeckung des Haushalts kommt kein Verfassungsrang zu.“15 „§ 3 Abs. 1 Halbsatz 2 AO lässt es zu, dass der fiskalische Hauptzweck „Erzielung von Einnahmen “ gegenüber dem von der Steuer in erster Linie verfolgten Sozialzweck zu einem Nebenzweck degradiert wird.“16 Mit dem Ökosteuerurteil vom 20.4.2004 erklärte das BVerfG auch Steuern mit Lenkungscharakter für verfassungsrechtlich zulässig: „Der Gesetzgeber darf seine Steuergesetzgebungskompetenz grundsätzlich auch ausüben, um Lenkungswirkungen zu erzielen. Er darf nicht nur durch Geund Verbote, sondern ebenso durch mittelbare Verhaltenssteuerung auf Wirtschaft und Gesellschaft gestaltend Einfluss nehmen. Der Gesetzgeber verpflichtet dann den Bürger nicht rechtsverbindlich zu einem bestimmten Verhalten, gibt ihm aber durch Sonderbelastung eines unerwünschten oder durch steuerliche Verschonung eines erwünschten Verhaltens ein finanzwirtschaftliches Motiv, sich für ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zu entscheiden. Dabei nimmt die steuerliche Lenkung in Kauf, dass das Lenkungsziel nicht verlässlich erreicht wird, ist also ein Instrument zur Annäherung an ein Ziel. Verfolgt ein Steuergesetz zulässigerweise auch Lenkungsziele, so muss der Lenkungszweck von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen und ebenfalls gleichheitsgerecht ausgestaltet sein. Dabei müssen Standortvorteile, die auf einem ökologisch bedenklichen Umgang mit Gütern der Allgemeinheit beruhen, nicht etwa auf Dauer erhalten bleiben. Schafft der Gesetzgeber durch die gezielte Höherbelastung steuerlicher Verbrauchstatbestände einen Anreiz dafür, ein ökologisch unerwünschtes Verhalten einzuschränken, ist er durch Art. 3 Abs. 1 GG nicht gehindert , besonders problematischen Wettbewerbssituationen durch Subventionen an die davon betroffenen Unternehmen Rechnung zu tragen.“17 Im Sondergutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung wird auch der Aspekt der Mittelverwendung aus einer CO2-Steuer thematisiert: 13 BVerfGE 3, 407 (435); 4, 7 (13 f.); 7, 244 (251 f.); 8, 274 (317); 10, 372 (380 f.); 29, 402 (408 f.) 14 Tipke/Lang/Seer: Steuerrecht, § 2, Rn. 16; BVerfGE 36, 66 (70 f.); 49, 343 (353 f.); 65, 325 (344) 15 Tipke/Lang/Seer: ebenda mwN. 16 Tipke/Lang/Seer: Steuerrecht, § 2 Rn. 10 17 BVerfG, Urteil vom 20.4.2004, Az: 1 BvR 1748/99, 905/00, BVerfGE 110, 275 (292 f.) Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 095/19 und WD 3 – 3000 – 181/19 Seite 7 „Aus diesen Zusammenhängen folgt, dass die Einführung einer CO2-Steuer mit einem konkreten Mitteleinsatz verbunden werden kann, der Staat jedoch auch davon abzusehen vermag. Daher ist es zulässig, aus sozialen Gründen einen (teilweisen) Rückfluss des mittels CO2-Steuer verbundenen Finanzaufkommens an die Bürger (pauschal oder an die Zahler der CO2-Abgabe in ihrer Eigenschaft als Verbraucher) vorzunehmen oder das Steueraufkommen (teilweise) in Infrastrukturprojekte zur Senkung der CO2-Emissionen zu investieren. Der Staat verfügt insoweit über ein weites Gestaltungsermessen, in der Auswahl der Begünstigten und der Maßstäbe für den Rückfluss der Einnahmen nur begrenzt durch das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG.“18 „Einmal ist es denkbar, wie bereits im Ausland praktiziert, den Verbrauchern (Haushalten, aber auch Unternehmen) in pauschalierter Form in Abhängigkeit von noch festzulegenden Größen Geld zu überweisen. Je nachdem, in welcher Höhe derartige Entlastungen gewährt werden, kann die mit CO2-Steuern eintretende Belastung ganz oder teilweise kompensiert, u. U. auch überkompensiert werden. Bei der Art und Weise, wie dies geschieht, verfügt der Staat über ein weites, durch den Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG begrenztes Ermessen. Dies bietet die Möglichkeit, soziale Erwägungen in die Ausgestaltung der Finanzrückflüsse einfließen zu lassen und damit derartige Zahlungen davon abhängig zu machen, auf welche Art und Weise eine soziale Schutzbedürftigkeit der Verbraucher besteht.“19 Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die Lenkungsteuer für die Steuergesetzgebung vom Bundesverfassungsgericht seit der Ökosteuer-Entscheidung anerkannt ist. Wenn die Implementierung von Lenkungszwecken dem Gesetzgeber offensteht, so können diese auch zur Legitimation einer Steuer dienen, die nur geringe im Haushalt verbleibende Steuereinnahmen generiert und zu einem Großteil (mit Umverteilungswirkung) an die Steuerpflichtigen zurückfließt. Im Bereich der Sozialzwecksteuern ist bereits seit Längerem anerkannt, dass der Hauptzweck in der Lenkungswirkung und daneben lediglich ein fiskalischer Nebenzweck besteht.20 Hierbei ist jedoch zu beachten, dass Sozialzwecksteuern der Rechtfertigung durch ein Sonderbelastungsprinzip bedürfen, das sich grundsätzlich am Gemeinwohl zu orientieren hat; dabei darf das Leistungsfähigkeitsprinzip wohl eingeschränkt, jedoch nicht ausgeschaltet werden.21 Das Gemeinwohlinteresse bestünde bei der CO2-Steuer in der Einhaltung der Emissionsziele der Klimakonferenz von Paris und der Vermeidung der weiteren Klimaerwärmung. Auf einfachgesetzlicher Ebene bestehen keine Beschränkungen für eine 100%ige Rückverteilung des Steueraufkommens aus einer CO2-Steuer. *** 18 Büdenbender, Arbeitspapier 05/19, Rechtliche Rahmenbedingungen für eine CO2-Bepreisung in der Bundesrepublik Deutschland, Juli 2019, S. 40; im Internet: https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage /Arbeitspapiere/Arbeitspapier_05_2019.pdf (zuletzt aufgerufen am: 30.07.2019) 19 Ebenda, S. 41 20 Tipke/Lang/Seer: Steuerrecht § 2 Rn. 11 21 Tipke/Lang/Seer: § 2 Rn. 11