© 2017 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 094/17 Kompensation von Steuerverlusten durch Gewinnverlagerung mit Hilfe der Mehrwertsteuer? Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Fragestellung Vor dem Hintergrund von Gewinnverlagerungen in Staaten mit niedriger Ertragsbesteuerung mit dem Ziel der Steuervermeidung erkundigen sich die Auftraggeber nach der Möglichkeit der Einführung eines Aufschlags zur Mehrwertsteuer. Mit diesem Zuschlag soll der Einnahmeverlust, der durch die Gewinnverlagerungen verursacht wurde, ausgeglichen werden. Hierzu soll nachfolgend die Vereinbarkeit einer derartigen Ergänzung des Mehrwertsteuersystems mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben und dem europäischen Sekundärrecht kurz dargestellt werden. 2. Verfassungsrechtliche Aspekte der Fragestellung Die dem Auftrag zu Grunde liegende Überlegung möchte eine Steuergestaltung die zu Mindereinnahmen im Ertragsteuerbereich führt, mittels eines Aufschlags bei der Mehrwertsteuer kompensieren . Die Mehrwertsteuer ist jedoch eine Verbrauchsteuer. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben differenzieren zwischen Ertragsteuern einerseits und Verbrauchsteuern anderseits. Insbesondere die Vorgaben zur Leistungsfähigkeit und Folgerichtigkeit beziehen sich zuvörderst auf die Ertragsteuern. „Die Steuern auf die Vermögensverwendung, namentlich die Verbrauch- und Aufwandsteuern einschließlich der ertragskräftigen Umsatzsteuer, sind vom Bundesverfassungsgericht bisher nicht gleichermaßen an den Freiheitsrechten gemessen worden. Denn ihr Wesen als indirekte Steuern bedingt typischerweise eine wirtschaftliche Verlagerung der Steuerlast vom Steuerschuldner auf anonyme Dritte und aktualisiert damit deren Grundrechte, ohne dass Art und Maß ihrer individuellen Belastung erkennbar würden. Die Freiheitsrechte kommen deshalb – von mittelbaren Auswirkungen für den eigentlich nicht belasteten Schuldner und eher seltenen objektiven Grundrechtsdimensionen abgesehen – in der Regel nicht zur Sprache. In den Vordergrund der (ohnehin spärlicheren) verfassungsgerichtlichen Spruchpraxis tritt stattdessen der Gleichheitssatz , der aber, soweit die überwälzten Belastungswirkungen in Rede stehen, nur entindividualisierend anhand des typischen Falles geprüft werden kann. All dies macht den Grundrechts-, das heißt auch Freiheitsbezug der indirekten Steuern jedoch nur unkenntlicher, hebt ihn aber nicht auf, so dass sich die Suche nach einem rechtfertigenden Grund nicht erübrigt .“1 Überträgt man diese Maßstäbe auf das hier zu prüfende Zuschlagsmodell zur Mehrwertsteuer, so wird deutlich, dass insbesondere bei einer Überwälzung des Mehrwertsteuer-Zuschlags auf den Endabnehmer der Waren und Dienstleistungen eine Belastungsgleichheit im Sinne der gesetzgeberischen Intention nicht gegeben wäre. Der Unternehmer soll vom Grundgedanken des Vorschlags her mit einem Zuschlag zur Mehrwertsteuer den Einnahmeverlust im Bereich der Ertragsteuern durch die Gewinnverlagerung ins Ausland ausgleichen. Die Mehrwertsteuer ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass die Unternehmer innerhalb einer Leistungs- und Lieferungskette die Steuerbelastung nur weiterreichen. Die Steuerlast ist in der 1 Maunz/Dürig: GG, Kommentar auf www.beck-online.de; Art. 105 Rn. 71 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 094/17 Seite 5 Regel erst am Ende der Lieferkette durch den Endabnehmer der Waren oder Dienstleistungen zu tragen. Der Zuschlag würde somit ebenso wie der „normale“ Umsatzsteuersatz auf den Endabnehmer überwälzt. „Steuerschuldner ist grundsätzlich nicht der Endverbraucher als intendierter Steuerträger, sondern der Fiskus hält sich an die den Markt mit Leistungen versorgenden Unternehmer . Diese sind im Regelfall Steuerschuldner (§ 13a I Nr. 1 UStG) und sollen nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Steuerbelastung auf ihren jeweiligen Abnehmer über den Preis für Waren und Dienstleistungen abwälzen.“2 Wollte man diesen Mechanismus verhindern, so müsste man den Zuschlag vom Vorsteuerabzug ausnehmen. Der Zuschlag ist jedoch hinsichtlich seiner Berechtigung zum Vorsteuerabzug im Sinne des § 15 UStG von der steuerpflichtigen Lieferung oder Leistung abhängig. Ungeachtet des Überwälzungsaspekts ergeben sich zudem weitere verfassungsrechtliche Bedenken aus der Anknüpfung eines steuervermeidenden Verhaltens im Ertragsteuerbereich an die Erhebung eines Zuschlags zur Mehrwertsteuer. Die Besteuerungsgrundlagen der beiden Steuerarten sind nicht identisch. Während bei den Ertragsteuern der Gewinn die Bemessungsgrundlage für die Steuer ist, stellt die Mehrwertsteuer auf den einzelnen (konkreten) Umsatz ab. Dieser ist jedoch von der Gewinnverlagerung gar nicht betroffen . Nach dem UStG können vielmehr nur Lieferungen und Leistungen mit Inlandsbezug besteuert werden. Die Begründung für die Zuschlagserhebung auf den jeweiligen Umsatz liefert allein der Umstand, dass der steuerbare Umsatz von einem Unternehmen getätigt wurde, dass einen Teil seiner Gewinne steuervermeidend ins Ausland verlagert hat. Der kausale Anknüpfungspunkt für diese Mehrbesteuerung lässt sich nicht auf den konkreten steuerpflichtigen Umsatz zurückführen . Es wird vielmehr eine Art Unternehmenshaftung mit allen Inlandsumsätzen bei Gewinnverlagerung ins Ausland konstruiert. Betrachtet man den Gesetzeszweck des Umsatzsteuergesetzes so wird deutlich, dass dieser in der Sicherstellung der Besteuerung von inländischer Einkommensverwendung zu Konsumzwecken liegt. Ein Gesetzeszweck zur Sanktionierung von ertragsteuerlichen Gestaltungen ist dem Umsatzsteuergesetz fremd. Hierfür würden sich eher die bereits bestehenden Regelungszusammenhänge bei § 235 Abgabenordnung (AO) zur Verzinsung von hinterzogenen Steuern und bei § 240 AO zu den Säumniszuschlägen als Anknüpfungspunkte anbieten. Eine verfassungskonforme Zuschlagsregelung müsste zudem die Belastungsgleichheit der betroffenen Steuerart beachten. Eine ertragsteuerliche Gestaltung könnte nur mit einer Zuschlagsbelastung im Bereich der Ertragsteuern „sanktioniert“ werden . 2 Tipke/Lang/Englisch: Steuerrecht, § 17 Rn. 12, zuletzt abgerufen unter juris-Datenbank am 27.11.2017 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 094/17 Seite 6 3. Vorgaben der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie und deren Umsetzung im Umsatzsteuergesetz (UStG) Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf das Sekundärrecht der Europäischen Union, also die Mehrwertsteuersystem-Richtlinie. Die primärrechtlichen Aspekte erläutert die Ausarbeitung des Referates PE6 (PE6-076-17). Die Mehrwertsteuersystem-Richtlinie gibt den unionsrechtlichen Regulierungsrahmen für die gesetzliche Ausgestaltung der Umsatzsteuer durch die EU-Mitgliedsstaaten vor. „Art. 98 Abs. 1 MwStSystRL erlaubt es den Mitgliedstaaten, einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anzuwenden. Der Normalsatz muss mindestens 15 % betragen (Art. 97 MwStSystRL). Die ermäßigten Sätze müssen mindestens 5 % betragen (Art. 99 Abs. 1 MwStSystRL); sie müssen normalerweise über der Vorsteuerbelastung liegen (vgl. Art. 99 Abs. 2 MwStSystRL). Sachlich ist die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf die in Anhang III zur MwStSystRL aufgeführten Leistungen beschränkt (Art. 98 Abs. 2 MwStSystRL).“3 Der deutsche Gesetzgeber hat diese unionsrechtlichen Vorgaben in § 12 UStG umgesetzt. Angesichts der Vorgabe eines Normaltarifs und der Option in der MwStSysRL maximal zwei Ermäßigungstarife hiervon zuzulassen, ist eine Ergänzung des Normaltarifs um einen besonderen Zuschlag zur Mehrwertsteuer mit den Vorgaben der MwStSysRL zum Steuertarif unvereinbar. Der Normaltarif ist die allgemeine Besteuerungsregelung für die Mehrwertsteuer im jeweiligen Mitgliedsstaat der Europäischen Union. Die Möglichkeiten der Besteuerung mit einem ermäßigten Tarif werden in der MwStSysRL abschließend genannt. Eine Abweichung vom Normaltarif nach oben durch einen Zuschlag zur Mehrwertsteuer kennt die MwStSysRL nicht. Es ist davon auszugehen , dass der Richtliniengeber eine derartige Möglichkeit auch nicht zulassen wollte. *** 3 Sölch/Ringleb/Klenk UStG § 12 Rn. 3, beck-online