© 2016 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 093/16 Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur steuerlichen Behandlung der Renten in der Übergangsphase bis zur nachgelagerten Besteuerung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 093/16 Seite 2 Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur steuerlichen Behandlung der Renten in der Übergangsphase bis zur nachgelagerten Besteuerung Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 093/16 Abschluss der Arbeit: 27. Juli 2016 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 093/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Verfassungswidrigkeit der unterschiedlichen Besteuerung von Pensionen und Renten - Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 6. März 2002 4 3. Besteuerung der Renten in der Übergangsphase bis zur vollständigen nachgelagerten Besteuerung 4 4. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur möglichen Doppelbesteuerung 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 093/16 Seite 4 1. Fragestellung Zur Besteuerung von Alterseinkünften: Inwieweit kann es beim Übergang zur nachgelagerten Rentenbesteuerung zu einer Doppelbesteuerung kommen? 2. Verfassungswidrigkeit der unterschiedlichen Besteuerung von Pensionen und Renten - Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 6. März 2002 Bis zum Endes des Jahres 2004 wurden Pensionen und Renten steuerlich unterschiedlich behandelt . Im Gegensatz zu den Pensionen wurden die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung nur in Höhe des sogenannten Ertragsanteils versteuert, allerdings hatte ein Arbeitnehmer auch die Vorsorgeaufwendungen, die zur Erlangung der Rente geleistet werden mussten, zu einem großen Teil aus bereits versteuertem Einkommen zu bestreiten. Mit seinem Urteil vom 6. März 20021 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) den Gesetzgeber verpflichtet, zukünftig Pensionen und Renten steuerlich gleich zu behandeln. Die unterschiedliche Besteuerung sei nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vereinbar. Im Rahmen dieser gebotenen Neuregelung muss der Gesetzgeber die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Rente und die Besteuerung der Rente selbst so aufeinander abstimmen , dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird. 3. Besteuerung der Renten in der Übergangsphase bis zur vollständigen nachgelagerten Besteuerung Der Gesetzgeber hat die Vorgaben des BVerfG mit dem Alterseinkünftegesetz2 umgesetzt: Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die im Jahr 2040 zum ersten Mal gezahlt werden, unterliegen zu 100 Prozent der Besteuerung (vollständige nachgelagerte Besteuerung), im Gegenzug müssen die Vorsorgeaufwendungen nicht mehr aus versteuertem Einkommen geleistet werden. Um bei Rentnern mit einem Rentenbeginn vor 2040, die die bereits Vorsorgeaufwendungen aus versteuertem Einkommen geleistet haben, Doppelbesteuerungen weitgehend auszuschließen, hat sich der Gesetzgeber sowohl bei der Besteuerungshöhe der Renten als auch bei der Abzugsfähigkeit der Vorsorgeaufwendungen für eine Stufenlösung entschieden: – Bei allen gesetzlichen Renten mit Beginn bis 2005 beträgt der Besteuerungsanteil 50 Prozent . Für jeden neu hinzukommenden Rentnerjahrgang (Kohorte) steigt der Besteuerungsanteil bis zum Jahr 2020 jährlich um zwei Prozentpunkte auf 80 Prozent und anschließend jährlich um einen Prozentpunkt bis zum Jahr 2040 auf 100 Prozent. – Im Jahr 2005 konnten 60 Prozent der geleisteten Rentenversicherungsbeiträge als Sonderausgaben nach § 10 EStG bei der Einkommensteuer geltend gemacht werden. Seitdem steigt 1 BVerfG-Entscheidung (BVerfGE) 105, 73-135 (Aktenzeichen BvL 17/99). 2 Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz – AltEinkG), Bundesgesetzblatt I 2004, Seite 1427. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 093/16 Seite 5 dieser Anteil in jedem Jahr um zwei Prozentpunkte, so dass im Jahr 2025 100 Prozent dieser Beiträge steuerlich geltend gemacht werden können. Hierbei gilt für alle Steuerpflichtigen gleichermaßen der Höchstbetrag, der dynamisch an den Höchstbeitrag zur knappschaftlichen Rentenversicherung (West) gekoppelt ist. Für 2016 beispielsweise dürfen 82 Prozent der Beiträge zur Rentenversicherung, maximal 22.767 Euro (bei Zusammenveranlagung 45.534 Euro) abgezogen werden.3 Darüber hinaus enthält das Alterseinkünftegesetz eine Öffnungsklausel: Hat ein Steuerpflichtiger bis zum 31. Dezember 2004 über einen Zeitraum von insgesamt mindestens 10 Kalenderjahren Vorsorgeaufwendungen für die gesetzliche Rente oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt, kann er auf Antrag verlangen, für den Teil der Rente, der auf diesen Beiträgen beruht, weiterhin die Ertragsanteilbesteuerung anzuwenden4. Mit Einführung der Öffnungsklausel sollte der Befürchtung einer drohenden doppelten Besteuerung begegnet werden, die in außergewöhnlichen Fällen auftreten kann. Zu diesen außergewöhnlichen Fällen zählen Selbständige, die an einzelne berufsständische Versorgungswerke Pflichtbeiträge bis zum 2,5fachen der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung leisten müssen.5 4. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur möglichen Doppelbesteuerung Seit 2005 nahm das BVerfG in mehr als zehn Fällen Verfassungsbeschwerden, die sich gegen die einkommensteuerliche Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen durch das Alterseinkünftegesetz richteten, wegen mangelnder Erfolgsaussichten nicht zur Entscheidung an. Nach Ansicht des BVerfG sind die in den Verfassungsbeschwerden aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen durch die Rechtsprechung des BVerfG bereits geklärt oder lassen sich ohne Weiteres auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung beantworten. Im Folgenden werden exemplarisch die wesentlichen Begründungen des BVerfG anhand des Nichtannahmebeschlusses vom 29. September 2015 mit dem Aktenzeichen 2 BvR 2683/11 wiedergegeben : – Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln . Dieser Gleichheitsgrundsatz verwehrt dem Gesetzgeber jedoch nicht jede Differenzierung , diese bedarf jedoch stets der Rechtfertigung durch sachliche Gründe. Als besondere sachliche Gründe erkennt das BVerfG - neben anderen - Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse bei der Ordnung von Massenvorgängen des Wirtschaftslebens an. Dazu gehört die Steuergesetzgebung. Deshalb hat der Gesetzgeber dort einen - wenn auch nicht unbegrenzten - Spielraum für generalisierende und typisierende Regelungen. Muss der Gesetzgeber komplexe Regelungssysteme, wie zum Beispiel die Besteuerung der Alterseinkünfte, 3 Andere Vorsorgeleistungen wie Kranken- oder Haftpflichtversicherungen fallen nicht mehr unter diese Höchstgrenze . 4 Nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe bb Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG). 5 Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages zum Alterseinkünftegesetz, Bundestags-Drucksache 15/3004, Seite 12f., 20. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 093/16 Seite 6 umgestalten, steht ihm grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum jedoch findet im strikten Verbot der Doppelbesteuerung seine Grenze. Kernpunkt der Neuordnung der Besteuerung der Alterseinkünfte ist der Übergang zur nachgelagerten Besteuerung. Ab 2040 sind die Altersvorsorgeaufwendungen im Rahmen von Höchstgrenzen steuerlich absetzbar, im Gegenzug sind die Alterseinkünfte in Form von Leibrenten in vollem Umfang zu versteuern. In dieser endgültigen Ausgestaltung kann es nicht zur Ungleichbehandlung von verschiedenen Personengruppen kommen. In der Übergangsphase bis 2040 ist jedoch die Gleichbehandlung bei der Besteuerung der Alterseinkünfte hinzunehmen, obwohl die Altersvorsorgeaufwendungen der Personengruppen je nach Art der ausgeübten Erwerbstätigkeit in unterschiedlichem Maße steuerlich entlastet wurden. Der Gesetzgeber durfte auch für diese Übergangszeit eine einfache, praktikable und gesamtwirtschaftlich tragfähige Lösung suchen und die Alterseinkünfte, die ganz oder teilweise auf Vorsorgeaufwendungen aus der Zeit vor dem 1. Januar 2005 beruhen, pauschal besteuern . Die Festlegung individueller Besteuerungsanteile für jeden einzelnen Steuerpflichtigen in Abhängigkeit vom Umfang oder der Dauer seiner früheren Tätigkeit hätte zur Folge gehabt , dass die frühere steuerliche Behandlung der eingezahlten Beiträge eines jeden Steuerpflichtigen hätte ermittelt werden müssen. Dies wäre mit dem Erfordernis handhabbarer und administrierbarer Lösungen im Massenverfahren der Rentenbesteuerung nicht vereinbar gewesen. Die Grenze der durch die Typisierung eintretende Ungleichbehandlung, das Verbot der Doppelbesteuerung, ist nicht verletzt, weil der Gesetzgeber zutreffend den Besteuerungsanteil für den Rentenjahrgang 2005 einheitlich nur auf 50 Prozent festgelegte, obwohl nach seiner Auffassung bei anderen Steuerpflichtigen auch ein höherer Prozentsatz gerechtfertigt gewesen wäre. – Das Alterseinkünftegesetz verfolgt nicht mehr das Regelungskonzept, die Rentenanteile, die auf Vorsorgeaufwendungen aus versteuertem Einkommen beruhen, steuerfrei zu lassen und infolgedessen die Rente nur mit dem Ertragsanteil zu besteuern. Vielmehr wird jetzt das Konzept zugrunde gelegt, dass Rentenzuflüsse – auch soweit sie aus eigenen Beitragsleistungen des Steuerpflichtigen resultieren – besteuert werden dürfen, soweit es hierdurch nicht zu einer Doppelbesteuerung kommt. Der Gesetzgeber hat in der Begründung zum Alterseinkünftegesetz ausgeführt, dass die rechnerische Überprüfung, ob eine doppelte Besteuerung vorliegt, vom Nominalwertprinzip ausgehe. Dies entspreche der steuerrechtlichen Grundsystematik. Danach werden Einkünfte und Gewinne als Differenz zwischen den nominalen Aufwendungen und Erlösen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 093/16 Seite 7 ermittelt, unabhängig davon, wie groß der zeitliche Abstand zwischen den verschiedenen Zeitpunkten ist, zu denen Zahlungen geleistet oder Erlöse vereinnahmt wurden.6 Das BVerfG hat in dem Nichtannahmebeschluss die Anwendungen des Nominalwertprinzips bestätigt und in den Beschwerdefällen die Vorsorgeaufwendungen den nicht besteuerten Rentenbezügen gegenüber gestellt. In allen Fällen überstiegen die steuerfreien Rentenbezüge die Vorsorgeaufwendungen. Es stellt keinen Verstoß gegen das Verbot der Doppelbesteuerung dar, wenn etwaige in den Rentenzahlungen enthaltene reale oder nominelle Wertsteigerungen der Beitragsleistungen erstmals steuerlich erfasst werden. – Die Grundsätze des Vertrauensschutzes und das Rückwirkungsverbot sind ebenfalls nicht verletzt. Der Gesetzgeber hat den ihm vom BVerfG erteilten Regelungsauftrag zutreffend so verstanden, dass eine gleichheitsgerechte Besteuerung der Altersbezüge nur möglich ist, wenn bei der Neuregelung die Besteuerung aller bestehenden Altersvorsorgesysteme aufeinander abgestimmt wird. Als tragendes Element der Neuordnung hat der Gesetzgeber alle Basisversorgungssysteme unterschiedslos der nachgelagerten Besteuerung unterworfen. Die sofortige Anhebung des Besteuerungsanteils auf 50 Prozent war zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich, weil nur dadurch eine sofortige und fortschreitende Angleichung der steuerlichen Behandlung von Renten und Pensionsbezügen erreicht werden konnte, deren vorherige verfassungswidrige Ungleichbehandlung andernfalls für einen langen Übergangszeitraum fortgedauert hätte. In seinen neuesten Beschlüssen vom 14. Juni 2016 geht das BVerfG auch auf diejenigen Jahrgänge ein, die kurz vor oder kurz nach dem Ende der Übergangsphase zum ersten Mal Rente beziehen: „Nach den Feststellungen der Sachverständigenkommission… ist es allerdings gerade für die Arbeitnehmerjahrgänge , die wie der Beschwerdeführer in den Jahren 2039 bis 2043 in die Rentenbezugsphase eintreten, wenn die Renten gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG bereits zu (nahezu) 100 % der Besteuerung unterliegen, nicht ausgeschlossen, dass es zu einer Doppelbesteuerung kommt, weil ihre Aufwendungen dafür in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes nur in verhältnismäßig geringem Umfang steuerlich entlastet worden sind. Ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbesteuerung …(BVerfGE 105, 73 <134 f.>) kann jedoch erst in den Veranlagungszeiträumen der Rentenbesteuerung zum Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung gemacht werden.“ Das BVerfG führt weiter aus, dass ein Besteuerungsanteil von 100 Prozent nur festlege, in welcher Höhe die Altersrente zu den steuerbaren Einkünften zähle. Sie sei nicht gleichbedeutend damit , dass im Ergebnis die Rente zu 100 Prozent zu versteuern ist. Die Steuerlast in der Versorgungsphase hänge vielmehr davon ab, welche steuerlichen Abzugsmöglichkeiten dann bestünden und in welchem Umfang sie für die Frage der Doppelbesteuerung Berücksichtigung fänden. Welche Faktoren im Einzelnen bei der Prüfung einer Doppelbesteuerung von Verfassungs wegen Berücksichtigung finden dürften und müssten, bedürfe jedoch derzeit keiner Entscheidung. Denn 6 Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Alterseinkünftegesetz, Bundestags- Drucksache 15/2150, Seite 23. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 093/16 Seite 8 die Frage der Doppelbesteuerung könne erst in den Veranlagungszeiträumen der Rentenbesteuerung zum Gegenstand der verfassungsrechtlichen Beurteilung gemacht werden. Die dafür maßgebenden steuerrechtlichen Zusammenhänge ergäben sich erst aus einer Gesamtbetrachtung der steuerlichen Vorschriften der Aufbau- und der Rückflussphase.7 - Ende der Bearbeitung - 7 Aktenzeichen 2 BvR 323/10, Randziffer 82ff., und Aktenzeichen 2 BvR 290/10, Randziffer 56ff.