© 2016 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 091/16 Folgen des Brexit: Vermutliche Auswirkungen auf den Euro-Handel für die europäischen Finanzplätze – Änderungen bei den Genehmigungen von Finanzprodukten (EU-Pass) Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Presseartikel und Analysen – Ein Artikel im Handelsblatt vom 27. Juni 2016 betont, was Tenor fast aller anderen Beiträge zu diesen Fragestellungen ist: Wie tief die Einschnitte im Finanzzentrum London tatsächlich ausfallen und wie stark andere europäische Standorte davon profitieren, dürfte vom Ausgang der Austritts-Verhandlungen abhängen. „Nicht wenige Banker hoffen, dass die britische Regierung zu günstigen Konditionen aus der EU ausscheidet - und womöglich auch der Zugang zum Binnenmarkt oder eine vergleichbar vorteilhafte Regelung erhalten bleibt.“1 Nach Darstellung des Handelsblattes fürchten jedoch viele Banker eine Abwanderung von Jobs nach Frankfurt, Paris oder Dublin. Osman, Yasmin: Das große Zittern in der Londoner City, Handelsblatt 27. Juni 2016, unter: http://www.handelsblatt.com/politik/international/brexit-referendum/brexit-news/exitnach -brexit-das-grosse-zittern-in-der-londoner-city/13790664.html, abgerufen am 09. August 2016. – The Financial Markets Association (ACI), die größte internationale Interessenvertretung für den Devisenhandel, befragte ihre 12.000 Mitglieder im April 2016 zu den Risiken für den Finanzplatz London bei einem Brexit. 65 Prozent der Befragten erwarten, dass der EU-Austritt London als wichtigsten Devisenmarkt der Welt gefährden könnte. 70 Prozent von dieser Gruppe rechnen damit, dass Frankfurt von dem Verlust Londons am meisten profitiert, gefolgt von Paris, New York und Dublin. The Financial Markets Association (ACI): Brexit would harm FX trading, unter: https://acifma.com/news/brexit-would-harm-fx-trading, abgerufen am 10. August 2016. – Ein Beitrag in n-tv vom 25. Juni 2016 äußert - neben dem Hinweis auf den abzuwartenden Ausgang der Verhandlungen - die Befürchtung, dass der EU-Pass nach dem Brexit wegfallen dürfte. Vor allem amerikanische Banken, die in London große Standorte haben, könnten nach dem EU-Austritt umdenken. Die Deutsche Bank überlege Finanzkreisen zufolge, Bereiche wie den Devisenhandel von London nach Frankfurt zu verlagern. Neben Frankfurt mache sich auch Dublin Hoffnung auf Firmenansiedlungen. Es gebe jedoch auch Stimmen, die im Brexit eine Chance für die Londoner City sehen, weil diese dann frei von EU-Regeln sei. 1 Eine schematische Übersicht über den Austrittsprozess findet sich bei Rilasciati, Lisa, Wirtschaftskammer Österreich : Das Vereinigte Königreich (VK) am Scheideweg, unter: https://www.wko.at/Content.Node/Interessenvertretung /Europa-und-Internationales/Europa/Facts_UK_Referendum.pdf, abgerufen am 09. August 2016. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 4 - 3000 - 091/16 Seite 4 n-tv: Was wird aus der „City of London“?, 25. Juni 2016, unter: http://www.n-tv.de/wirtschaft /Was-wird-aus-der-City-of-London-article18037236.html, abgerufen am 08. Juni 2016. – Nach Ansicht von Simeon Djankov vom Peterson Institute for International Economics (PIIE) wird London auf Jahre hinaus Europas Hauptfinanzzentrum bleiben, auch wenn Firmengruppen einen Umzug nach Dublin, Amsterdam, Frankfurt oder Paris erwögen. Großbritannien biete den besten Schutz von Gläubiger- und Aktionärsinteressen, sei führend in der Ausbildung von Wirtschaftswissenschaftlern und biete niedrige Unternehmensteuern und flexibles Arbeitsrecht. Das Vereinigte Königreich habe sich 2015 vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erfolgreich gegen die Vorgaben der Europäischen Zentralbank gewehrt, Clearinghäuser außerhalb der Eurozone vom Euro-Devisenhandel auszuschließen.2 Der Brexit, so der Verfasser, ändere somit am Status Quo nichts. Djankov, Simeon: Warum London Europas Finanzhauptstadt bleiben wird, Makronom 26. Juli 2016, unter: http://makronom.de/warum-london-europas-finanzhauptstadt-bleibenwird -16179, abgerufen am 08. August 2016. – Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) analysiert die Implikationen des Brexits für den britischen Finanzsektor unter dem Szenario, dass das Vereinigte Königreich die europäischen Finanzpassrechte verliert. Es kommt zu dem Ergebnis, dass ein Verlust des Finanzpasses die ohnehin schon stark negative Handelsbilanz des Vereinigten Königreichs von zwei Seiten weiter unter Druck setzen könnte. „Erstens könnten die Kapitalzuflüsse zurückgehen, falls London als Finanzstandort für Investoren an Attraktivität verlieren sollte. Zweitens könnte sich das Handelsbilanzdefizit deutlich ausweiten, wenn die finanznahen Dienstleistungen als einzige Komponente mit positiver Nettobilanz weniger attraktiv für Unternehmen und Banken in der EU werden.“ Das DIW führt weiter aus, dass der Euro-Wertpapierhandel zu großen Teilen in den Euroraum verlagert werden könnte. Die Analyse nimmt ebenfalls Bezug auf die Entscheidung des EuGH zu den Standortanforderungen der Europäischen Zentralbank für wertpapierabrechnende zentrale Gegenparteien (CCPs). „Sollte das Vereinigte Königreich den Europäischen Wirtschaftsraum verlassen (müssen), wäre es nicht mehr an die EMIR-Verordnung3 gebunden. Dementsprechend müsste der Derivathandel im Vereinigten Königreich auch nicht länger der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) gemeldet werden. Es erscheint unwahrscheinlich, dass die europäischen Institutionen derart hohe Transaktionen in Euro außerhalb ihrer regulatorischen Zuständigkeit tolerieren. Abgesehen davon ist fraglich, ob die letztjährige Entscheidung zur Standortfrage von Clearinghäusern nach einem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs überhaupt noch anwendbar wäre.“ 2 Urteil des Europäischen Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 4. März 2015, Rechtssache T-496/11, unter: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=162667&pageIndex=0&doclang =DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=593976, abgerufen am 08. August 2016. 3 Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (European Market Infrastructure Regulation, EMIR). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 4 - 3000 - 091/16 Seite 5 Miethe, Jakob; und Pothier, David: Brexit: Was steht für den britischen Finanzsektor auf dem Spiel?, DIW Wochenbericht 31/2016, Seite 681ff., unter: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.540653.de/16-31.pdf, abgerufen am 09. August 2016. – Im März 2016 hat der Interessenverband „TheCityUK“ PriceWaterhouseCoopers (PwC) mit einem Gutachten über die möglichen wirtschaftlichen Folgen eines Brexit für den britischen Finanzsektor beauftragt. PwC nimmt dabei zwei Szenarien an. Im ersten Szenario schließen die Europäische Union und das Vereinigte Königreich ein Freihandelsabkommen , im zweiten gilt eine Meistbegünstigungsklausel im Sinne der Welthandelsorganisation . Ein wichtiges Ergebnis der Studie ist unter anderem, dass in beiden Szenarien der Finanzsektor deutlich langsamer wächst als bei einem Verbleiben des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union. Außerdem geht PwC von einer Verringerung der Beschäftigtenzahl im Finanzsektor von 70.000 bis 100.000 aus. PriceWaterhouseCoopers: Leaving the EU: Implications for the UK financial services sector, April 2016, unter: http://www.pwc.co.uk/financial-services/assets/Leaving-the-EU-implications -for-the-UK-FS-sector.pdf, abgerufen am 10. August 2016. – In seiner Analyse vom Juli/August 2016 kommt PriceWaterhouseCoopers (PwC) zu dem Ergebnis , dass allein der Verlust des EU-Passes zu einer Ablösung Londons als Finanzplatz Nr. 1 zu Gunsten Dublins führt. Viele Unternehmen des britischen Finanzsektors mit europäischen Kunden könnten in andere europäische Staaten abwandern, um den EU-Pass weiter nutzen zu können. Sie müssten sich aber auf langwierige Erlaubnisverfahren einstellen, die es zu überbrücken gelte. Ein weiterer Verlust an Arbeitsplätzen könnte dadurch entstehen , dass die Europäische Zentralbank ihre Forderung wieder aufleben lässt, Clearinghäuser außerhalb der Eurozone vom Euro-Devisenhandel auszuschließen. PriceWaterhouseCoopers (PwC): Global Economy Watch July/August 2016: What does Brexit mean for London, the UK and Europe?, darin: What does an EU exit mean for London ’s role as an international financial centre?, unter: http://www.pwc.com/gx/en/issues /economy/global-economy-watch/assets/pdfs/global-economy-watch-july-august- 2016.pdf, abgerufen am 10. August 2016. – Die Deutsche Börse AG und die London Stock Exchange Group haben unmittelbar nach der Brexit-Entscheidung am 24. Juni 2016 eine gemeinsame Stellungnahme veröffentlicht. Der empfohlene Zusammenschluss der Unternehmen sei nicht vom Ergebnis des Referendums abhängig, es würden weiter die entsprechenden Schritte unternommen, um die erforderlichen Genehmigungen zu erhalten. Die Leitungsgremien betonen die Leistungsfähigkeit des zusammengeschlossenen Unternehmens, insbesondere vor dem Hintergrund der globalen Reichweite und des Vertriebsnetzes ins Europa, Asien und Amerika. - Ende der Bearbeitung -