© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 – 089/20 Einzelfrage zur rechtlichen Ausgestaltung des Tilgungsplans nach Art. 115 Abs. 2 Satz 7 GG Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 089/20 Seite 2 Einzelfrage zur rechtlichen Ausgestaltung des Tilgungsplans nach Art. 115 Abs. 2 Satz 7 GG Aktenzeichen: WD 4 - 3000 – 089/20 Abschluss der Arbeit: 12. August 2020 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 089/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Bewertung 4 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 089/20 Seite 4 1. Fragestellung Der Deutsche Bundestag hat im Zusammenhang mit dem Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 20201 den nach Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG erforderlichen Beschluss2 über das Bestehen einer außergewöhlichen Notsituation gefasst. Zugleich hat er im Rahmen dieses Überschreitungsbeschlusses den nach Satz 7 dieser Vorschrift erforderlichen Tilgungsplan3 verabschiedet. Fraglich ist, ob der Tilgungsplan nach Art. 115 Abs. 2 Satz 7 GG der Ausgestaltung in Form eines Gesetzesbeschlusses bedarf oder ob er – wie vorstehend – durch schlichten Parlamentsbeschluss gefasst werden darf. 2. Bewertung Gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 7 GG ist der Beschluss über die Überschreitung der Kreditobergrenze mit einem Tilgungsplan zu verbinden, welcher die Rückführung der oberhalb der Regelgrenze liegenden Kreditaufnahme regelt. Die Rückführungspflicht soll ein weiteres Anwachsen der Staatsverschulung verhindern.4 Ob der Tilgungsplan Bestandteil des Beschlusses sein darf oder der Gesetzesform bedarf, lässt der Wortlaut des Art. 115 Abs. 2 Satz 7 GG offen. Eine überwiegende Ansicht5 im verfassungsrechtlichen Schrifttum fordert für den Tilgungsplan die Gesetzesform . Sie wird damit begründet, der Tilgungsplan unterscheide sich inhaltlich vom Überschreitungsbeschluss im Hinblick auf seine gestaltende Funktion und Bindungswirkung für den späteren Haushaltsgesetzgeber.6 Abgesehen davon, dass auch der als Gesetz ausgestaltete Tilgungsplan im Rahmen zukünftiger Haushaltsgesetzgebungsverfahren wegen anderer als erwarteter Konjunkturentwicklung oder 1 Vom 14.7.2020, BGBl. I S. 1669. 2 In der Fassung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses vom 1.7.2020, BT-Drs. 19/20128 und 19/20716. 3 Ausweislich des nach Art. 115 Abs. 2 Satz 7 GG gefassten Tilgungsplans werden die aufgenommenen Kredite ab dem Bundeshaushalt 2023 sowie in den folgenden 19 Haushaltsjahren in Höhe von jeweils einem Zwanzigstel des Betrages der Kreditaufnahme, die nach Art. 115 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG zulässige Verschuldung überstiegen hat, zurückgeführt. 4 Begründung zum Gesetzentwurf zum Art. 115 Abs. 2 Satz 7 GG, BT-Drs. 16/12410, S. 11 und 13. 5 Vgl. Reimer, in: Beck OK GG, Art. 115 Rn 58; Kube, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 90. EL Februar 2020, Art. 115 Rn 190; Heintzen, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 6. Auflage 2012, Art. 109 Rn 39. 6 Ebenda; so auch Gröpl, der aus Gründen einer höheren Rechtsverbindlichkeit ein „Tilgungsgesetz“ empfiehlt. Vgl. Rechtsgutachten zur Vereinbarkeit des Entwurfs über die Feststellung eines Zweiten Nachtrages zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2020 mit den haushaltsverfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes , insbesondere mit der sog. Schuldenbremse, erstattet im Auftrag des Bundes der Steuerzahler e. V., abrufbar unter https://www.steuerzahler.de/fileadmin/user_upload/Presseinformationen/2020/BdSt_Rechtsgutachten _Verfassungswidrigkeit_Nachtragshaushalt.pdf, S. 45 und 47. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 089/20 Seite 5 neuer notlagenbedingter Situation geändert werden kann7, geht die Begründung des Gesetzentwurfs zu Art. 115 Abs. 2 Satz 7 GG8 und die sich hierauf stützende Ansicht9 vom Parlamentsbeschluss für den Tilgungsplan aus: „Das Parlament entscheidet durch Parlamentsbeschluss über den Zeitraum der Rückführung je nach Größenordnung des Kredits und der erwarteten Konjunkturlage .“ Vorliegende Streitfrage, ob für den in Art. 115 Abs. 2 Satz 7 GG vorgesehenen Tilgungsplan ein Gesetzesbeschluss erforderlich oder ein Parlamentsbeschluss ausreichend ist, entfaltet jedenfalls keine Wirkung auf die Verfassungsmäßigkeit des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2020. *** 7 Kube, a.a.O., Art. 109 Rn 211. 8 BT-Drs. 16/12410, S. 13. 9 Kirchhof, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz 7. Auflage 2018, Art. 109 Rn 101 m.w.N.