© 2018 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 089/18 Maßnahmen der Regierungen in Polen und Ungarn zur Entlastung von Menschen mit geringem Einkommen Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 4 - 3000 - 089/18 Seite 2 Maßnahmen der Regierungen in Polen und Ungarn zur Entlastung von Menschen mit geringem Einkommen Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 089/18 Abschluss der Arbeit: 13. September 2018 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 4 - 3000 - 089/18 Seite 3 1. Fragestellung Der Auftraggeber bittet für Polen und Ungarn um eine möglichst konkrete Auflistung der Regierungsmaßnahmen in der Steuer- und Sozialpolitik, um Menschen mit geringem Einkommen zu entlasten. 2. Vorbemerkung Um umfangreiche und möglichst präzise Informationen zu erhalten, wurde versucht, an originäre Quellen zu gelangen. Nachdem diese Versuche nicht zielführend waren, stützen sich die nachfolgenden Details auf Sekundärliteratur. Dabei wurde der Fachbereich von der Konrad-Adenauer- Stiftung in Warschau und von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Budapest unterstützt. 3. Polen In der Literatur werden insbesondere drei Maßnahmen der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hervorgehoben, die vor allem Menschen mit geringem Einkommen zugutekommen: – Familie „500 plus“: Seit 1. April 2016 werden vom zweiten Kind an monatlich 500 Polnische Złoty1 pro Kind unter 18 Jahren gezahlt. Für das erste oder einzige Kind sind nur Familien mit einem Einkommen von weniger als 800 Polnischen Złoty2 netto pro Kopf unterstützungsberechtigt. Für Familien mit einem behinderten Kind liegt die Grenze bei 1.200 Polnischen Złoty3 netto.4 53 Prozent der Kinder bis zum 18. Lebensjahr (3.684.000 Kinder) erhalten diese Unterstützung . Die Kosten betrugen in den ersten zwei Jahren 42,6 Mrd. Polnische Złoty.5 Das Programm verringerte die Anzahl der Personen, die von Sozialhilfe abhängig sind. 1 Mit Stand 11. September 2018 rund 116 Euro. 2 Mit Stand 11. September 2018 rund 186 Euro. 3 Mit Stand 11. September 2018 rund 279 Euro. 4 Im Wahlprogramm waren 500 Polnische Złoty für jedes Kind angekündigt. 5 Mit Stand 11. September 2018 rund 9,9 Mrd. Euro. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 4 - 3000 - 089/18 Seite 4 – „300 plus“: Einmalige Zahlung in Höhe von 300 Polnischen Złoty6 für jedes Schulkind in Polen für die Ausrüstung zum Schuljahresbeginn. – „Wohnungsbau plus“: Landesweites Bauprogramm, bevorzugt für Familien mit Kindern und Alleinerziehende. Geplant für Einkommensgruppen, die zu wenig Einkommen erzielen, um einen Wohnungsbaukredit zu bekommen, aber zu viel, um Anspruch auf eine Sozialwohnung zu haben. Es besteht die Option, die Wohnung nach 25 Jahren als Eigentum zu erhalten, wenn man eine höhere Miete gezahlt hat (umgerechnet ca. 4,50 Euro Kaltmiete). Entgegen der Ankündigung von mehreren zehntausend Wohnungen im Jahr 2017 ist Anfang 2018 im Rahmen des Programms die Errichtung von nur noch 2.800 Wohnungen vorgesehen . – Weitere Maßnahmen: Im November 2016 wurde die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre rückgängig gemacht. Frauen gehen damit wieder künftig mit 60, Männer mit 65 in den Ruhestand. Förderung des Straßenbaus in den strukturschwachen Regionen zur Verhinderung der Abwanderung . Dabei wird die Regierung von Gerhard Gnauck in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (siehe unten) mit den Worten zitiert, sie werde „in einem Jahr soviel ausgeben wie die Vorgängerregierung in acht Jahren“. Literatur: – Hahn-Fuhr, Irene; Röhrborn, Gert: Nur bedingt rechtspopulistisch, in: Internationale Politik (IP), Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Nummer 5, September-Oktober 2017, Seite 61ff., unter: https://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ip-die-zeitschrift/archiv/jahrgang- 2017/september-oktober/nur-bedingt-rechtspopulistisch, abgerufen am 11. September 2018. – Riedel, Rafał: Realisiert Mateusz Morawiecki den „Morawiecki-Plan“?, Deutsches Polen- Institut, Analysen Nr. 220, 19. Juni 2018, Seite 2ff., unter: http://www.laender-analysen .de/polen/pdf/PolenAnalysen220.pdf, abgerufen 12. September 2018. – Hahn-Fuhr, Irene; Röhrborn, Gert: Polens Prioritäten, Le Monde diplomatique, deutsche Ausgabe, 7. Dezember 2017, unter: https://monde-diplomatique.de/artikel/!5466349, abgerufen am 11. September 2018. 6 Mit Stand 11. September 2018 rund 70 Euro. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 4 - 3000 - 089/18 Seite 5 – Gnauck, Gerhard: Die tun was, die geben was, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. September 2018, Seite 4. – Druciarek, Małgorzata: „Familie 500 plus“ – für Frauen ein Minus, Deutsches Polen-Institut , Polen-Analysen Nr. 186, 6. September 2016, Seite 2ff., (mit ausführlichen Umfragen und Statistiken zu „Familie 500 plus“), unter: http://www.laender-analysen.de/polen /pdf/PolenAnalysen186.pdf, abgerufen am 12. September 2018. 4. Ungarn Die Analyse von Dorottya Szirkra vom März 20187 beschäftigt sich im ersten Teil mit der Sozialpolitik in Ungarn zwischen 1990 und 2010, insbesondere mit der Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit . Im Jahr 2012 erklärte Premierminister Orbán, dass der westliche Typ des Sozialstaats, der nicht wettbewerbsfähig sei, in Ungarn durch eine Arbeitsgesellschaft („work-based society“) ersetzt werden solle. In der Umsetzung dieser Linie sind in der zweiten und dritten Regierungszeit von Premierminister Viktor Orbán zwischen 2010 und 2017 insbesondere folgende Veränderungen von Bedeutung: – Die maximale Dauer der Arbeitslosenunterstützung (basierend auf Sozialversicherungsrechten ) wurde von neun auf drei Monate gesenkt, der niedrigste Wert innerhalb der EU. Darüber hinaus wurde der Bezug von Sozialleistungen oder Sozialhilfe an die obligatorische Teilnahme an öffentlichen Arbeitsprogrammen gebunden, unabhängig vom Bildungsniveau der Arbeitslosen. Während frühere öffentliche Angestellte den Mindestlohn erhielten, wurden ihre Gehälter jetzt auf 60 Prozent dieses Betrags gesenkt. – Die Regierung verstaatlichte zwischen 2010 und 2012 die privaten Rentenversicherungen – unter anderem, um die Defizite im Staatshaushalt zu senken - und beseitigte die zweite private Säule. Ungarn kehrte zu seinem vor 1997 bestehenden obligatorischen Rentensystem zurück, das aus einem einzigen umlagefinanzierten öffentlichen System besteht. Die Invalidenrente wurde im Jahr 2012 aus dem Rentensystem ausgeschlossen. Insgesamt wurden etwa 100.000 Menschen mit strengeren Anspruchsvoraussetzungen an das Sozialhilfesystem und an öffentliche Arbeitsprogramme verwiesen. Gleichzeitig wurden die Vorruhestandsrenten drastisch reduziert. 7 Szikra, Dorottya: Welfare fort he Wealthy, Friedrich-Ebert-Stiftung Budapest, März 2018, unter: http://library.fes.de/pdf-files/bueros/budapest/14209.pdf, abgerufen am 12. September 2018. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 4 - 3000 - 089/18 Seite 6 Durch die Herausnahme der Invaliditätsrentner aus dem Rentensystem und die starke Einschränkung von Vorruhestandsmöglichkeiten sank die Gesamtzahl der Rentner von 2,8 Millionen im Jahr 2011 auf 2,2 Millionen im Jahr 2012, ein Rückgang um 18 Prozent innerhalb eines Jahres. – Mit Einführung der pauschalen Einkommensteuer wurde der Mindestlohn, der früher von der Einkommensteuer befreit war, dem Steuersatz von 16 Prozent unterworfen. Auf der anderen Seite wurde der Steuersatz von 38 Prozent für die höchsten Einkommensgruppen auf 16 Prozent gesenkt. – Im Familienschutzgesetz von 2011 heißt es, dass sich die Förderung von Familien vom System der sozialen Versorgung für Bedürftige unterscheide. Der Staat unterstütze in erster Linie die verantwortliche Erziehung von Kindern. Für „Großfamilien“ mit drei oder mehr Kindern wurde ein neues Familienfreibetrags-System eingeführt. 2017 konnten Familien mit einem Kind 66.670 Ungarische Forint (HUF) pro Monat von der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage abziehen, Familien mit zwei Kindern 100.000 HUF pro Kopf und Monat und Familien mit drei oder mehr Kindern 220.000 HUF8. Für die Steuervergünstigung wurde keine Obergrenze festgelegt, für Geringverdiener wurden keine Ausgleichszahlungen oder Steuerrückerstattungen gewährt. Unter GYED (Gyermekgondozási Díj) verbirgt sich der zweijährige einkommensbezogene Elternurlaub für Mütter oder Väter mit mindestens einem Jahr Vollzeitbeschäftigung vor der Geburt. Sie erhalten 70Prozent ihres bisherigen Einkommens, maximal 193.200 HUF/Monat 9 im Jahr 2018. Das neue GYED-Extra-Programm erlaubte es Müttern, nach dem ersten Geburtstag ihrer Kinder ganztägig zu arbeiten, während sie immer noch den vollen Betrag von GYED erhalten . Die Altersgrenze wurde 2016 auf sechs Monate gesenkt. Arbeitslose Eltern oder solche mit kurzen Arbeitszeiten erhalten die Pauschale „Universal GYES“, die 2009 bei 28.500 HUF10 eingefroren wurde. Die Familienbeihilfe wurde ebenfalls nicht erhöht und verlor zwischen 2009 und 2017 ca. 30 Prozent an Wert. * * * 8 Mit Stand 13. September 2018 sind dies umgerechnet rund 205 Euro, 308 Euro und 678 Euro. Vgl. zu den Freibeträgen Felkai, Roland: Länderteil Ungarn, 111. Lieferung 2017, Randnummer 108, in: Mennel, Annemarie; Förster, Jutta: Steuern in Europa, Amerika und Asien. 9 Mit Stand 13. September 2018 rund 595 Euro. 10 Mit Stand 12. September 2018 rund 88 Euro.