© 2016 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 086/16 Einzelfragen zu öffentlich-rechtlichen Versicherungsunternehmen Versicherungsangebote und Aufsicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 086/16 Seite 2 Einzelfragen zu öffentlich-rechtlichen Versicherungsunternehmen Versicherungsangebote und Aufsicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 086/16 Abschluss der Arbeit: 12. August 2016 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 086/16 Seite 3 1. Fragestellung 1. Wie weit können und sollen öffentlich-rechtliche Versicherungen gerade im Sinn einer Gemeinwohlorientierung Versicherungsangebote in den Feldern unterbreiten, wo die privaten Versicherungsunternehmen wegen vermeintlich unkalkulierbarer Risiken Versicherungsschutz zunehmend zu kaum bezahlbaren hohen Prämien anbieten? Welche Diskussionsbeiträge bzw. Positionen gibt es zu der Frage? 2. Gibt es Erkenntnisse oder Untersuchungen, ob und wie weit öffentlich-rechtliche Versicherungsunternehmen sich im Umgang mit der Finanzdienstleistungsaufsicht anders verhalten bzw. durch die Finanzaufsicht anders beobachtet werden? 2. Vorbemerkung Zur Beantwortung dieser Frage wurden eine Recherche in Genios (Deutsche Wirtschaftsdatenbank ), juris, im Internet und bei der Deutschen Nationalbibliothek sowie eine telefonische Anfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und dem Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr durchgeführt. 3. Zu Frage 1 Im Februar 2014 forderte die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) den Staat auf, seinen Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Versicherer geltend zu machen, damit diese zukünftig die Hebammenpflichtversicherung übernehmen. Ab Mitte 2015 wollten die privaten Versicherer diese Versicherungen nicht mehr anbieten. Das Beispiel der Hebammenhaftpflichtversicherung macht nach Ansicht von ver.di deutlich, dass Versicherungen nicht nur nach einer Risikoabschätzung sowie guten Möglichkeiten für Aktionärsgewinne und Ausschüttungen betrachtet werden dürften. In der Versicherungsbranche existiere eine Säule der öffentlichen Versicherer, die gut aufgestellt sei und die Leistungen, die im öffentlichen Interesse stehen, übernehmen könnten .1 Auch ein fraktionsübergreifender Antrag im schleswig-holsteinischen Landtag vom Oktober 2014 hielt die Versicherung von Hebammen für eine mögliche Aufgabe von öffentlich-rechtlichen Versicherern . Anlass für die Formulierung des Antrags war die geplante Verschmelzung der Provinzial mit anderen Versicherern; die Fraktionen forderten, dass die Provinzial öffentlich bleiben müsse. Alle öffentlichen Finanzdienstleister, zu denen auch die öffentlich-rechtlichen Versicherer gehörten, hätten eine zentrale Bedeutung für eine ausgewogene soziale Marktwirtschaft: Sie gewährten eine Daseinsvorsorge, die nicht vordergründig am Profit, sondern am Gemeinwohlinteresse orientiert sei. Die Bevölkerung und die öffentliche Hand brauchten insolvenz- und krisensichere öffentliche Versicherer. „Gerade vor dem Hintergrund von Niedrigzinsen und Finanzmarktkrise mit Hinblick auf die private Altersvorsorge, aber auch wegen zunehmender finanziel- 1 Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft: ver.di fordert Übernahme der Hebammenversicherung durch öffentliche Versicherer, 24. Februar 2014, unter: https://www.verdi.de/themen/nachrichten/++co++5ecea142-9d53-11e3- ae6b-52540059119e, abgerufen am 11. August 2016. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 086/16 Seite 4 ler Risiken durch gehäufte Elementarschäden aufgrund des Klimawandels sowie der Versicherung von öffentlichen Risiken (z.B. Krankenhäuser, kommunale Daseinsvorsorge) ist der gemeinwohlorientierte Auftrag der öffentlichen Versicherer von offenkundiger Bedeutung.“2 Am 16. April 2014 berichtete der Bonner General-Anzeiger über die Neukonstellation bei der Haftpflichtversicherung selbständiger Hebammen („Neue Versicherer für Hebammen – Konsortium springt ein“). Mit Ausscheiden der Nürnberger Versicherung aus dem Konsortium übernimmt deren Anteil von 20 Prozent zu 5 Prozent die Versicherungskammer Bayern (VKB), der größte öffentlich-rechtliche Versicherer. Damit ist die VKB zu 55 Prozent an dem Konsortium beteiligt und weiß andere öffentlich-rechtliche Versicherer hinter sich. Bei einer Veranstaltung im November 20153 betonte der Vorstandsvorsitzende der Versicherungskammer Bayern (VKB) die Verlässlichkeit dieses öffentlich-rechtlichen Versicherers. Während sich ein Großteil der Versicherer aufgrund der hohen Risiken aus diesem Bereich zurückgezogen habe, sichere die VBK den Berufsstand der Hebammen weiter ab. Die gesellschaftliche Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Versicherer machte er auch an aktuellen Beispielen deutlich: „So versichere die Versicherungskammer Bayern nicht nur die Unterkünfte, in denen Flüchtlinge untergebracht sind; sie sichert diese auch gegen Haftpflichtrisiken ab, wenn sie in kommunalen Einrichtungen untergebracht sind.“ Darüber hinaus versichere die VKB Unternehmen und Privatpersonen gegen die Schäden von Elementarereignissen, die innerhalb von Minuten die gesamte Existenz zerstören könnten. Auch der Verband öffentlicher Versicherer sprach sich für eine stärkere Verbreitung der Elementarversicherung aus und schlägt unter anderem vor, die Kreditfinanzierung von Gebäuden nicht nur an den Nachweis einer Feuerversicherung zu koppeln, sondern auch an den Nachweis einer Elementardeckung. „Es gibt Versicherungsschutz. Kaum ein Objekt ist nicht versicherbar. Dabei spielt natürlich auch der Preis eine Rolle, wir weisen aber keinen ab.“4 Der Verband öffentlicher Versicherer weist zudem darauf hin, dass die Mitgliedsunternehmen neben der Gebäudeversicherung und der Haftpflichtversicherung im Zusammenhang mit der Flüchtlingsunterbringung auch die ehrenamtlichen Helfer, die sich in ihrer Freizeit für die Ver- 2 Antrag der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Abgeordnete des SSW: Provinzial muss öffentlich bleiben, Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drucksache 18/2330(neu). 3 Kreissparkasse Kelheim, Kundenveranstaltung: Versicherungen: Hohe Bedeutung für das gesellschaftliche Miteinander und eine funktionierende Volkswirtschaft, November 2015, unter: https://www.kreissparkasse-kelheim .de/module/ueber_uns/pressecenter/upload/kundenveranstaltung_2015_intranet.pdf, abgerufen am 11. August 2016. 4 Lier, Monika: Öffentliche Versicherer forcieren Elementardeckungen, in: Versicherungswirtschaft, 02. Juni 2014, 69. Jahrgang, Nr. 06, Seite 39. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 086/16 Seite 5 sorgung, Unterbringung und Eingliederung von Flüchtlingen engagieren, versichern. Einige Versicherungen der Sparkassen böten Sammelverträge auf kommunaler Ebene oder auf Länderebene an, über die ehrenamtlich Tätige unfall- und haftpflichtversichert sind.5 4. Zu Frage 2 Nach Art. 17 Abs. 2 der europäischen Richtlinie 2009/138/EG (Solvabilität II) können die Mitgliedstaaten öffentlich-rechtliche Unternehmen („öffentlich-rechtliche Wettbewerbsversicherungsunternehmen “) schaffen, wenn diese Einrichtungen zum Ziel haben, Versicherungs- oder Rückversicherungsgeschäfte unter den gleichen Bedingungen wie private Unternehmen durchzuführen . § 320 Abs. 1 Nr. 3 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) bestimmt, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die öffentlich-rechtlichen Wettbewerbsversicherungsunternehmen beaufsichtigt, die über das Gebiet eines Landes hinaus tätig sind. Die Aufsicht über die regional tätigen Unternehmen obliegt den Ländern. Das Bundesministerium der Finanzen kann jedoch, auf Antrag der BaFin, die Aufsicht über die überregionalen öffentlich-rechtlichen Wettbewerbs-Versicherungsunternehmen den zuständigen Landesaufsichtsbehörden übertragen (§ 321 Abs. 1 VAG). In die andere Richtung ist es möglich, dass die Landesaufsichtsbehörde der BaFin die Fachaufsicht über ein öffentlich-rechtliches Wettbewerbs -Versicherungsunternehmen, dessen Tätigkeit sich auf das Gebiet eines Landes beschränkt , überträgt (§ 322 Abs. 1 VAG). Die BaFin beaufsichtigt zum Beispiel die VGH Versicherungen und die Versicherungskammer Bayern. In ihren Jahresberichten über die Durchführung und die Ergebnisse der Prüfungen wird jedoch keine weitere Differenzierung zwischen den öffentlich-rechtlichen und den privaten Versicherungsunternehmen vorgenommen. In den Ländern üben die Fachministerien die Aufsicht über die öffentlich-rechtlichen Wettbewerbsversicherungsunternehmen aus, in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel das Finanzministerium . Nach telefonischer Auskunft besteht keinerlei Berichtspflicht. Auch in der Literatur konnten keine Untersuchungen zu der konkreten Fragestellung gefunden werden. - Ende der Bearbeitung - 5 Wolff von der Sahl, Ulrich-Bernd, Verwaltungsratsvorsitzender des Verbands öffentlicher Versicherer: Sparkassenversicherer bieten Versicherungsschutz für Flüchtlinge und Helfer, unter: http://www.voev.de/web/export /sites/voev/_resources/download_galerien/unsere_meinung/2015/151222_Versicherungsschutz_Fluechtlinge .pdf, abgerufen am 11. August 2016.