Die Entschädigungszahlungen an jüdische Opfer des Nationalsozialismus - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 4 086/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Die Entschädigungszahlungen an jüdische Opfer des Nationalsozialismus Ausarbeitung WD 4 086/07 Abschluss der Arbeit: Fachbereich WD 4: Haushalt und Finanzen Telefon: Hinweise auf interne oder externe Unterstützung bei der Recherche bzw. Abfassung des Textes Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. 1. Einleitung 4 2. Übersicht über die Gesamtleistungen 4 3. Leistungen an Einzelpersonen aufgrund der nationalen Entschädigungsgesetze 5 3.1. Gesetzliche Grundlagen 5 3.2. Leistungen nach den Entschädigungsgesetzen und Rückerstattungen 7 4. Abkommen zugunsten NS-geschädigter Staatsangehöriger anderer Staaten 8 4.1. Leistungen an den Staat Israel 8 4.2. Globalabkommen mit westeuropäischen Staaten 8 4.3. Globalabkommen mit osteuropäischen Staaten 9 4.4. Globalabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika 9 5. Fonds bei der Jewish Claims Conference 10 5.1. Härtefall-Fond 10 5.2. Artikel-2-Fond 11 5.3. Osteuropa-Fond 12 6. Entschädigung für die während des Nationalsozialismus geleistete Zwangsarbeit 12 - 3 - - Zusammenfassung - Das System der Wiedergutmachung für das während des Nationalsozialismus erlittene Unrecht basiert im Wesentlichen auf vier Säulen: Den nationalen deutschen Entschädigungsgesetzen , den internationalen Abkommen zur Entschädigung von NS-Unrecht mit bestimmten Staaten und außergesetzlichen Entschädigungszahlungen für jüdische NS- Opfer aus Fonds sowie der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zur Entschädigung von Zwangsarbeitern. Die Entschädigung der „Westverfolgten“ und der NS-Opfer in Osteuropa entwickelten sich unterschiedlich. Für jüdische Opfer des NS-Regimes in Osteuropa wurden 1998 ein gesonderter Fond bei der Jewish Claims Conference1 eingerichtet. Während erste Entschädigungsabkommen mit westeuropäischen Staaten schon von 1959 bis 1964 geschlossen wurden, wurden mit osteuropäischen Staaten solche Abkommen erst nach dem Ende des Kalten Krieges geschlossen. Die Entschädigungen, die die jüdischen Opfer des NS-Regimes erhalten, sind daher nicht einheitlich, sondern von den jeweils anzuwendenden Abkommen und Regelungen abhängig. Ob Rentenzahlungen erfolgen oder einmalige Entschädigungsleistungen ist ebenfalls von den zugrunde liegenden Vereinbarungen abhängig. Insgesamt wurden nach Angaben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) bis Ende 2005 63,224 Mrd. € an Entschädigung für die NS-Verbrechen geleistet.2 Für das Haushaltsjahr 2007 sind 483,04 Mio. € zur Entschädigung der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung eingeplant.3 Für den Osteuropa-Fond bei der Jewish Claims Conference werden im Haushaltsjahr 2007 29,9 Mio. € zur Verfügung gestellt.4 1 Die „Conference on Jewish Material Claims against Germany“ ist ein Zusammenschluss jüdischer Organisationen, die seit ihrer Gründung 1951 Entschädigungsansprüche jüdischer Opfer des NS- Regimes und Holocaust Überlebender vertritt. Eine Darstellung der Organisation findet sich auf deren englischer Webseite unter: http://www.claimscon.org . 2 Entschädigung von NS-Unrecht Regelungen zur Wiedergutmachung, Broschüre des Bundesministeriums der Finanzen, Ausgabe 2006, S. 37. Die komplette Broschüre kann im Internet als pdf-Datei unter http://www.bundesfinanzministerium.de/lang_de/DE/Service/Broschueren__Bestell service /Finanz__und__Wirtschaftspolitik/40144,templateId=raw,property=publication File.pdf abgerufen werden. 3 Haushaltsgesetz 2007 BGBl. I 2006, S. 3346ff, Kapitel 0813 Wiedergutmachung des Bundes, Titelgruppe 03. 4 Haushaltsgesetz 2007 BGBl I 2006, S. 3346ff, Kapitel 0813 Wiedergutmachung des Bundes, Titelgruppe 03, Titel 687 34. - 4 - 1. Einleitung Eine Wiedergutmachung im Sinne von materiellen Leistungen für das vom Nationalsozialismus erlittene Unrecht ist seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine der wichtigsten und dringlichsten Aufgaben deutscher Politik. Die Verpflichtung zur Wiedergutmachung war Bestandteil des Überleitungsvertrages5, der 1952 ratifiziert und 1955 in Kraft gesetzt wurde. In Erfüllung dieser Verpflichtung wurde in der Bundesrepublik Deutschland ein umfassendes System der Wiedergutmachung aufgebaut, das seit 1990 vom vereinten Deutschland fortgeführt und erweitert wurde. Das System der Wiedergutmachung gliedert sich in nationale Regelungen in der Bundesrepublik, die Personen entschädigen, die zum Territorium des Deutschen Reiches einen gewissen Bezug haben (dazu unten Punkt 3) und in ein System internationaler Vereinbarung zur Entschädigung von ausländischen NS-Opfern (dazu unten Punkt 4). Daneben gibt es noch außergesetzliche Entschädigungszahlungen aus Fonds, die durch die „Jewish Claims Conference “ verwaltet werden, (dazu unten Punkt 5) und aus der Stiftung zugunsten von Zwangsarbeitern (dazu unten Punkt 6). Jüdische NS-Opfer können unter jede der genannten Entschädigungsregelungen fallen. Zuerst sollen aber die Gesamtleistungen zur Wiedergutmachung von NS-Opfern in einer Übersicht dargestellt werden. 2. Übersicht über die Gesamtleistungen Die gesamten Leistungen der öffentlichen Hand auf dem Gebiet der Wiedergutmachung - auch an nicht-jüdische Opfer - belaufen sich bis zum Dezember 2005 auf rund 63,22 Mrd. €.6 Nicht eingeschlossen sind die von deutschen Unternehmen aufgebrachten Mittel des Fonds „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ für die Entschädigung der NS- Zwangsarbeiter und erhebliche, nicht einzeln bezifferbare, sonstige Leistungen nach anderen Regelungen, wie z.B. dem Gesetz über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung, dem Bundesgesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Kriegsopferversorgung und dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz. Bisherige Leistungen in Mrd. € 1. Bundesentschädigungsgesetz (BEG) 44, 538 2. Bundesrückerstattungsgesetz (BRüG) 2,023 3. Entschädigungsrentengesetz (ERG) 0,722 4. NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz (NS-VEntschG) 1,221 5 „Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen“ zwischen der Bundesrepublik Deutschland, den Vereinigten Staaten von Amerika, der Republik Frankreich und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, BGBl II 1955 , S. 405. 6 BMF Broschüre aaO, S. 37. - 5 - 5. Israelvertrag 1,764 6. Globalverträge (u. ä.) 1,460 7. Sonstige Leistungen7 4,628 8. Leistungen der Länder außerhalb des BEG 1,528 9. Härteregelungen (ohne Länder) 2,784 10. Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ 2,556 insgesamt: 63,224 Im Haushaltsplan 2007 sind für die Entschädigung der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung im Jahr 2007 insgesamt 483,04 Mio. € veranschlagt.8 3. Leistungen an Einzelpersonen aufgrund der nationalen Entschädigungsgesetze Um der Aufgabe der Wiedergutmachung des NS-Unrechts nachzukommen, wurde in der Bundesrepublik ab 1953 ein System gesetzlicher Regelungen zur Entschädigung geschaffen. 3.1. Gesetzliche Grundlagen Mit dem "Bundesergänzungsgesetz für die Entschädigung der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung" vom 18. Oktober 1953 wurde das erste bundeseinheitliche Entschädigungsgesetz erlassen. Nachdem die darin getroffenen Regelungen sich als nicht ausreichend erwiesen, folgte am 29. Juni 1956 das „Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der NS-Verfolgung“ (BEG), das rückwirkend ab 1. Oktober 1953 in Kraft trat. Es bildet das Kernstück der individuellen Wiedergutmachung. Das BEG regelt die Entschädigung für Beeinträchtigungen an Leben, Körper oder Gesundheit, Freiheit , Eigentum, Vermögen sowie für Schäden im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen . Allerdings knüpft das BEG Entschädigungsleistungen an einen gewissen territorialen Bezug zum Deutschen Reich (§ 4 BEG). Das bedeutet etwas vereinfacht, das nur diejenigen nach dem BEG entschädigungsberechtigt sind, die zur Zeit ihrer Verfolgung ihren Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt in den Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 hatten und am 31. Dezember 1952 ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik oder 7 Leistungen nach dem Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes, an Opfer pseudo-medizinischer Menschenversuche, an Geschädigte im rumänischen Lager Wapniarka, Härtefonds für Verfolgte nicht-jüdischen Glaubens u.a. 8 Haushaltsgesetz 2007 BGBl I 2006, S. 3346ff., Kapitel 0813 Wiedergutmachung des Bundes, Titelgruppe 03. - 6 - einem anderen Land der „westlichen Welt“ hatten.9 Das schließt Opfer des NS-Regimes aus, die in einem osteuropäischen Land leben. Für diejenigen, die einen solchen territorialen Bezug zur Bundesrepublik haben, werden dann abhängig von der Art des erlittenen Unrechts Renten oder Kapitalentschädigungen gewährt. Nach dem BEG können Hinterbliebene von NS-Opfern, die zu Tode gekommen sind, eine Hinterbliebenenrente erhalten.10 Eine Rente kommt auch für Personen in Betracht, die anhaltende Gesundheitsschäden erlitten haben.11 Personen, die an ihrem beruflichen oder wirtschaftlichen Fortkommen gehindert wurden, können zwischen einer Rente und einer Kapitalentschädigung wählen.12 Für Freiheitsentziehung (z.B. Haft), Freiheitsbeschränkung (z.B. Leben im Versteck) sowie für Eigentums- und Vermögensschäden wird eine Kapitalentschädigung gewährt.13 Den Abschluss der Gesetzgebung auf dem Gebiet der Wiedergutmachung bildete das Bundesentschädigungsgesetz-Schlussgesetz vom 14. September 1965. Es brachte eine Entschädigungsregelung für diejenigen Verfolgten, die nach dem Inkrafttreten des BEG (1. Oktober 1953) ihre Heimat in Ost- und Südosteuropa verlassen hatten, dadurch staatenlos oder Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention geworden und nach dem gelenden Recht nicht anspruchsberechtigt waren. In der Zeit vom 1. Oktober 1953 bis 31. Dezember 1987 wurden 4.384.138 Anträge auf Entschädigung nach den oben genannten drei Gesetzen gestellt. Die Anträge wurden wie folgt beschieden: Zuerkennungen 2.014.142 Ablehnungen 1.246.571 Sonstige Erledigungen (z.B. Rücknahmen) 1.123.425 Die Zahl der Anträge und Erledigungen ab 1. Januar 1988 bis heute ist so geringfügig, dass sie von den Ländern nicht mehr statistisch erfasst wird.14 Ergänzend zu den Entschädigungsgesetzen wurden eine Reihe weiterer Entschädigungsregelungen getroffen, die sich auf besondere, durch diskriminierende Maßnahmen des Nationalsozialismus geschädigte Personengruppen beziehen. Zu erwähnen ist das Gesetz über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialver- 9 Hans Günther Hockerts Grenzen und Räume der Wiedergutmachung, Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 2005, S. 292, 296. 10 § 17 BEG; für die Zeit vor dem 1. November 1953 steht den Hinterbliebenen vom Tode des Verfolgten an eine Kapitalentschädigung zu (§24 BEG). 11 Für die Zeit vor dem 1. November 1953 steht dem Verfolgten vom Beginn der Gesundheitsbeeinträchtigung an eine Kapitalentschädigung zu (§36 BEG). 12 § 93 BEG. 13 vgl. §§ 45, 48, 52, 58 BEG. 14 BMF Broschüre aaO, S. 38. - 7 - sicherung, das die Rechtsstellung jener Personen wiederherstellt, denen Rechte und Vorteile in der Sozialversicherung aus Verfolgungsgründen genommen worden waren. Hierher gehört auch das Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Kriegsopferversorgung. Des Weiteren wurde 1951 das Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes erlassen. Außerdem sind die einmaligen Härtebeihilfen für ehemalige KZ-Häftlinge zu erwähnen , an denen medizinische Experimente vorgenommen worden waren. Ein besonderer Härtefonds wurde für Verfolgte geschaffen, die von den Nationalsozialisten wegen ihrer Abstammung als Juden angesehen worden waren, jedoch der jüdischen Glaubensgemeinschaft zu keiner Zeit angehört haben. Zur Rückerstattung der aus Verfolgungsgründen entzogenen Vermögensgegenstände haben die alliierten Militärregierungen noch in den vierziger Jahren jeweils für ihre Zonen Regelungen geschaffen. Soweit aber nach diesen Gesetzen Schadensersatzansprüche gegen das Deutsche Reich, das frühere Land Preußen oder die ehemalige NSDAP gegeben waren, konnten diese Ansprüche nicht realisiert werden. Mit dem Bundesrückerstattungesetz (BRüG) vom Juli 1957 wurde diese Lücke geschlossen. Durch das Gesetz wurden Schadensersatzansprüche nach dem Wert der entzogenen Gegenstände an einem einheitlichen Stichtag (1. April 1956) errechnet und von der Bundesrepublik befriedigt. Die Verfahren nach dem BRüG sind bis auf einen unbedeutenden Rest abgeschlossen.15 3.2. Leistungen nach den Entschädigungsgesetzen und Rückerstattungen Die an jüdische Verfolgte im Rahmen des Bundesentschädigungsgesetzes, des Bundesrückerstattungsgesetzes und der sonstiger Vorschriften bis zum Jahr 2005 geflossenen Wiedergutmachungsleistungen können nur grob geschätzt werden, da die hierzu geführten Statistiken nicht nach Verfolgungsgründen oder Empfängergruppen, sondern nach Schadenstatbeständen gegliedert sind. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der überwiegende Teil der Wiedergutmachungsleistungen des Bundes auf jüdische Empfänger entfiel, da die Gruppe der jüdischen Verfolgten mit Abstand die zahlenmäßig größte darstellt. Bis zum 31. Dezember 200516 hat die Bundesrepublik im Rahmen der Entschädigungsgesetze und ergänzender Regelungen folgende Leistungen erbracht: a) 17 15 BMF Broschüre aaO, S. 38. 16 BMF Broschüre aaO, S. 40. - 8 - b) Nach dem BRüG wurden Leistungen in Höhe von rd. 2,02 Mrd. € erbracht.18 Davon dürften ebenfalls etwa 80% (rund 1,62 Mrd. €) jüdischen Empfängern zugute gekommen sein. c) An sonstigen Wiedergutmachungsleistungen (insb. Leistungen für Berufsschäden im Bereich des öffentlichen Dienstes, Entschädigungsrentengesetz, NS- Verfolgtenentschädigungsgesetzes) wurden bisher 6,57 Mrd. € gezahlt.19 Auch hier ist davon auszugehen, das etwa 80 % der Empfänger jüdische Verfolgte sind, was einem Anteil an den ausgezahlten Mitteln von 5,26 Mrd. € entspricht. d) Die Bundesländer haben auf Grund eigener Wiedergutmachungsregelungen Leistungen in Höhe von rd. 1,53 Mrd. € erbracht.20 Auch hiervon dürften 80% an jüdische Verfolgte gezahlt worden sein, das entspricht 1,22 Mrd. €. 4. Abkommen zugunsten NS-geschädigter Staatsangehöriger anderer Staaten Neben den innerstaatlichen Gesetzen zur Wiedergutmachung, die oben unter Punkt 3 dargestellt wurden, hat die Bundesrepublik internationale Abkommen geschlossen, um eine Entschädigung von NS-Opfer zu ermöglichen. Die Verteilung der Gelder oblag dabei jeweils den Vertragsstaaten. 4.1. Leistungen an den Staat Israel An den Staat Israel wurden auf Grund des Israelvertrages vom 10. September 195221 als Eingliederungshilfe für Juden aus Deutschland und den ehemals besetzten Gebieten Entschädigungsleistungen in Form von Warenlieferungen und Dienstleistungen im Wert von 1,76 Mrd. € gezahlt.22 Die Zahlungen waren für die Eingliederung der mehr als 500.000 jüdischen Flüchtlinge bestimmt, die von 1933 bis 1951 aus Deutschland und den besetzten Gebieten nach Israel geflohen waren. Sie erfolgten in Anerkennung der Tatsache, dass der junge israelische Staat beträchtliche materielle Lasten durch die Aufnahme und Eingliederung auf sich genommen hatte. 4.2. Globalabkommen mit westeuropäischen Staaten In den Jahren von 1959 bis 1964 hat die Bundesrepublik Deutschland so genannte Globalabkommen mit 12 Ländern geschlossen. Darin verpflichtete sich die Bundesrepublik, 17 . 18 BMF Broschüre aaO, S. 37. 19 BMF Broschüre aaO, S. 37. 20 BMF Broschüre aaO, S. 37. 21 BGBl II 1953, S. 36. 22 BMF Broschüre aaO, S. 37. - 9 - Zahlungen an diese Länder zu leisten, um ihnen eine Entschädigung derjenigen Staatsbürger zu ermöglichen, die Gesundheits- und Freiheitsschäden durch NS- Gewaltmaßnahmen erlitten haben, aber nach dem BEG nicht anspruchsberechtigt waren . In diesem Rahmen stellte die Bundesrepublik Deutschland den Ländern Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Luxemburg, den Niederlanden , Norwegen, Österreich, Schweden und der Schweiz insgesamt 0,5 Mrd. € zur Verfügung.23 Die Verteilung der Mittel oblag den Regierungen der betreffenden Länder. Die Globalabkommen sind inzwischen abgewickelt. Es konnte nicht ermittelt werden wie viele jüdische Opfer aus diesen Mitteln entschädigt wurden. 4.3. Globalabkommen mit osteuropäischen Staaten Für in den ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts lebende Verfolgte hat die Bundesregierung über spezielle Stiftungen Entschädigungsleistungen an NS-Opfer gezahlt. Für die Stiftungen in Weißrussland, der Russischen Föderation, der Ukraine und Polen hat die Bundesrepublik Deutschland Mittel in Höhe von rund 0,8 Mrd. € bereitgestellt.24 Ergänzend zu den Stiftungsvereinbarungen wurde für NS-Opfer in den osteuropäischen Staaten, die durch die genannten Stiftungen nicht erfasst sind, ein Betrag von 41 Mio. € bewilligt. Die Stiftungsbeträge und die 41 Mio. € sind so bemessen, dass Zahlungen von durchschnittlich 511 € (1000 DM) pro Person möglich sind.25 In der „Deutsch-Tschechischen Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung" vom 21. Januar 1997 hat die Bundesregierung 72 Mio. € für den deutsch-tschechischen Zukunftsfonds zugesagt, zu dem die tschechische Seite weitere 13 Mio. € bereitstellt.26 Der Stiftungsfonds soll insbesondere Opfern nationalsozialistischer Gewalt zugute kommen. Wie viele der Entschädigten jüdische Opfer des NS-Regimes sind, lässt sich den vorliegenden Materialien nicht entnehmen. 4.4. Globalabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika Weitere Globalabkommen über Entschädigungs- und Unterstützungsleistungen an NS- Verfolgte wurden 1995 und 1998/ 99 mit den Vereinigten Staaten abgeschlossen. Im Rahmen dieser Abkommens wurden Zahlungen in Höhe von rund 19 Mio. € geleistet.27 Die Abkommen erbrachten pro Kopf unvergleichlich viel höhere Beträge als die Ver- 23 BMF Broschüre aaO, S. 10, 49. 24 BMF Broschüre aaO, S. 11. 25 vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, BT- Drs. 13/8317, Antwort zu Frage 8 S.4 und zu Frage 11 S. 6. 26 BMF Broschüre aaO, S. 12. 27 BMF Broschüre aaO, S. 10, 11. - 10 - einbarungen mit den osteuropäischen Staaten.28 Mit einer Summe von 1,5 Mio. € (3 Mio. DM) wurden 11 US-Amerikaner entschädigt in dem weiteren Abkommen von 1999 mit 17,6 Mio. € (34, 5 Mio. DM) noch einmal 240 Personen.29 Ihren Anwälten zufolge erhielten die Mandanten durchschnittlich 100.000 Dollar Entschädigung.30 Wie viele dieser Verfolgten jüdischen Glaubens waren, kann den vorliegenden Materialien nicht entnommen werden.31 5. Fonds bei der Jewish Claims Conference Neben den gesetzlichen Regelungen in den deutschen Entschädigungsgesetzen und den Abkommen mit verschiedenen Staaten, werden jüdische Opfer des NS-Regimes auch durch so genannte außergesetzliche Entschädigungsleistungen aus Fonds unterstützt. Diese Fonds werden von der Jewish Claims Conference verwaltet.32 5.1. Härtefall-Fond Die Bundesregierung hat für gesundheitlich schwer geschädigte jüdische NS-Verfolgte in den „Richtlinien für die Vergabe von Mitteln an jüdische Verfolgte zur Abgeltung von Härten in Einzelfällen im Rahmen der Wiedergutmachung“ vom 3. Oktober 1980 (BAnz. Nr. 192 vom 14. Oktober 1980) eine Regelung getroffen, die von der Jewish Claims Conference durchgeführt wird. Die Mittel in einer Gesamthöhe von 250,689 Mio. €33 wurden an jüdische Opfer des NS-Regimes geleistet, die nach 1965 aus osteu- 28 Hans Günter Hockerts, Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa, in Grenzen der Wiedergutmachung: Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa 1945-2000, Hans Günter Hockerts, Claudia Moisel, Tobias Winstel (Hrsg.), Göttingen 2006, S. 53. 29 Constantin Goschler, Die Entschädigung von Ausländern seit 1966, in Grenzen der Wiedergutmachung : Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa 1945-2000, Hans Günter Hockerts , Claudia Moisel, Tobias Winstel (Hrsg.), Göttingen 2006, S. 124; vgl. dazu auch die Angaben in der Broschüre des BMF aaO, S. 10. 30 „Germany to compensate 240 Survivors of Nazi Camp“ Artikel der New York Times vom 16. Januar 1999 im Internet als „free preview“ verfügbar unter http://select.nytimes.com/gst/abstract.html?res=F30912FA34550C758DDDA80894 D1494D81. 31 Unter den Entschädigten des Abkommens von 1995 war auch der Fall des in der Slowakei geborenen Juden Hugo Princz, über den auch in der Presse berichtet wurde z.B. Frankfurter Allgemeine Zeitung “Der Fall Hugo Princz“ vom 21. September 1995. Der Artikel kann gegen Entgelt auf der Webseite der FAZ abgerufen werden http://fazarchiv.faz.net/webcgi?WID=24053- 0130347-91702_1. Über die anderen Entschädigten liegen keine Informationen vor. vgl dazu die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Gruppe der PDS, BT-Drs. 13/3190, S. 2 Antwort zu Frage 2. 32 . 33 Bericht der Bundesregierung über den Stand der Abwicklung des Fonds für Wiedergutmachungsleistungen an jüdische Verfolgte, BT-Drs. 16/2463, S. 1 Punkt 3.1.1 Hinweis. - 11 - ropäischen Staaten in den Westen emigriert waren.34 Aufgrund dieser Regelung können einmalige Kapitalzahlungen in Höhe von bis zu 2.556,46 € (5000 DM) gewährt werden .35 5.2. Artikel-2-Fond Im Einigungsvertrag vom 31. August 1990 verpflichteten sich die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik darüber hinaus zur Fortführung der Wiedergutmachungspolitik der Bundesrepublik. Es wurde ein zusätzlicher Fonds (so genannter Artikel-2-Fond) für solche Opfer der Naziverfolgung eingerichtet, die noch keine oder nur begrenzte Entschädigung erhalten hatten. Der Fond wurde an die Härtefallregelung von 1980 angelehnt, so dass jüdische NS-Opfer in Osteuropa nur dann davon profitieren konnten, wenn sie ihre Heimat mittlerweile verlassen hatten und in den „Westen“ gegangen waren.36 Einzelheiten wurden im Oktober 1992 in einem Abkommen des Bundesministeriums der Finanzen mit der Jewish Claims Conference festgelegt.37 Für das Haushaltsjahr 2007 sind Mittel in Höhe von 210 Mio. € zur Unterstützung dieses Fonds vorgesehen.38 Der Großteil dieser Fondmittel geht an jüdische NS-Opfer in Israel, den USA und auch in Deutschland.39 Die der Jewish Claims Conference im Rahmen dieser Fonds zur Verfügung gestellten Mittel40 können im Wesentlichen für einmalige Beihilfen bis zu 2.556,46 € und eine Rente von monatlich 270 € verwendet werden.41 Laufende Beihilfen können Verfolgten gewährt werden, die - mindestens sechs Monate in einem Konzentrationslager im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes inhaftiert waren oder 34 Informationen von der Webseite der Jewish Claims Conference http://www.claimscon.org/index.asp?url=hardship/overview. 35 BMF Broschüre aaO, S. 16. 36 Constantine Goschler aaO, S. 128. 37 vgl. Bericht der Bundesregierung über den Stand der Abwicklung des Fonds für Wiedergutmachungsleistungen an jüdische Verfolgte, Stand 30. Juni 2006, BT-Drs. 16/2463. 38 Haushaltsgesetz 2007 BGBl I 2006, S. 3346ff., Kapitel 0813 Wiedergutmachung des Bundes, Titelgruppe 03, Titel 699 31. 39 Bericht der Bundesregierung über den Stand der Abwicklung des Fonds für Wiedergutmachungsleistungen an jüdische Verfolgte, BT-Drs. 16/2463, S. 1 Punkt 3.1. Von 211688 Bewilligungen von Einmalbeihilfen entfallen 117866 auf Israel, 67334 auf die USA und 21496 auf Deutschland. Von 70252 Bewilligungen von Renten entfallen 37685 auf Israel, 19160 auf die USA und 1936 auf Deutschland. 40 Bericht der Bundesregierung über den Stand der Abwicklung des Fonds für Wiedergutmachungsleistungen an jüdische Verfolgte, BT-Drs. 16/2463, S. 1 Punkt 3. Insgesamt sind dem Fond seit 1980 rund 2,287 Mrd. € zur Verfügung gestellt worden. 41 BMF Broschüre aaO, S. 17. - 12 - - 18 Monate Ghettohaft erlitten haben oder - unter menschenunwürdigen Bedingungen während mindestens 18 Monaten versteckt gelebt haben oder - ein Leben in der Illegalität geführt haben (mindestens 18 Monate).42 5.3. Osteuropa-Fond Am 12. Januar 1998 haben die Bundesregierung und die Jewish Claims Conference außerdem die Gründung eines Fond vereinbart, aus dem jüdische NS-Verfolgte in Osteuropa unterstützt werden, die Not leidend sind und bislang keine Entschädigung erhalten haben. Unter diese Regelungen fallen diejenigen Opfer des NS-Regimes, die noch heute in Osteuropa leben, und deshalb nicht unter die Entschädigung nach dem Artikel- 2-Fond fallen. Die Bundesregierung leistete zu diesem Fonds 196,13 Mio. € für die Jahre 1999 bis 2005.43 Im Haushaltplan 2007 sind für den Osteuropa-Fond 29,9 Mio. € vorgesehen.44 Ausgezahlt wird eine monatliche Rente von 135 € an NS-Opfer in osteuropäischen Ländern, die nicht Mitglieder der EU sind, und 175 € an NS-Opfer in den neuen EU-Mitgliedstaaten in Osteuropa.45 Die Modalitäten der Leistungen werden von der Jewish Claims Conference selbst festgelegt. Die Beurteilung der Leistungsgewährung im Einzelfall sowie die Verwaltung der Mittel liegen in der alleinigen Verantwortung der Jewish Claims Conference. 6. Entschädigung für die während des Nationalsozialismus geleistete Zwangsarbeit Im Jahre 2002 verpflichteten sich die Bundesrepublik Deutschland und deutsche Unternehmen , je 2,556 Mrd. € der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zur Verfügung zu stellen. Zweck der Stiftung ist es, über Partnerorganisationen (darunter auch die Jewish Claims Conference) Finanzmittel zur Gewährung von Leistungen an ehemalige Zwangsarbeiter und von anderem Unrecht aus der Zeit des Nationalsozialismus Betroffene bereitzustellen. Grundlage von Leistungen ist das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ vom 2. August 2000, das am 12. August 2000 in Kraft getreten ist. 42 BMF Broschüre aaO, S. 17. 43 BMF Broschüre aaO, S. 12. 44 Haushaltsgesetz 2007 BGBl I 2006, S. 3346ff., Kapitel 0813 Wiedergutmachung des Bundes, Titelgruppe 03, Titel 687 34. 45 Informationen von der englischen Webseite der Jewish Claims Conference, die im Internet unter http://www.claimscon.org/index.asp?url=ceef/overview verfügbar sind. - 13 - Dieses Gesetz sieht auch Leistungen an Antragsteller vor, die im Zuge rassistischer Verfolgung unter wesentlicher, direkter und schadensursächlicher Beteiligung deutscher Unternehmen Vermögensschäden im Sinne der Wiedergutmachung erlitten haben und mangels Erfüllung der Wohnsitzvoraussetzungen des Bundesentschädigungsgesetzes hierfür keine Leistungen erhalten konnten.46 Inzwischen sind die Stiftungsmittel nahezu vollständig ausbezahlt worden; etwa 1,65 Millionen Personen haben Leistungen erhalten . Neue Anträge können nicht mehr gestellt werden. Das Stiftungsgesetz sieht den Abschluss aller Auszahlungen bis zum 31. Dezember 2006 vor.47 Statistische Daten wie viele der von der Stiftung entschädigten Zwangsarbeiter jüdische NS-Opfer sind, waren nicht verfügbar. 46 vgl. Fünfter Bericht der Bundesregierung über den Stand der Auszahlungen und die Zusammenarbeit der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ mit den Partnerorganisationen, BT-Drs. 15/5936. 47 BMF Broschüre aaO, S. 13.