© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 084/20 Verfassungsmäßigkeit der Einführung einer Plastiksteuer im Rahmen der geplanten wirtschaftlichen Aufbaumaßnahmen („Next Generation EU“) Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Abgrenzung von Unternehmenssteuern 7 2.2.1.2. Verbrauch eines Gutes des ständigen Bedarfs 8 2.2.1.3. Steuerrechtlicher Übergangsvorgang 10 2.2.2. Zwischenergebnis 10 2.3. Materielle Verfassungsmäßigkeit 10 2.3.1. Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG 11 2.3.2. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG 12 2.3.3. Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG 12 2.3.4. Zwischenergebnis 13 3. Zusammenfassung 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 084/20 Seite 4 1. Einführung und Kontext 1.1. Next Generation EU Vom 17.-21. Juli 2020 fand, bedingt durch die Herausforderungen der COVID-19-Pandemie, eine außerordentliche Tagung des Europäischen Rates statt mit dem Ziel, dass sowohl die EU als auch ihre Mitgliedstaaten Sofortmaßnahmen ergreifen müssen, um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und einen Zusammenbruch der Wirtschaft zu verhindern. Schwerpunkt der Sondersitzung war, den sozio-ökonomischen Schaden einzudämmen. Um diese Ziele zu erreichen, hat die Kommission im Mai 2020 ein Paket vorgelegt, in dem der künftige mehrjährige Finanzrahmen (MFR) und spezifische Aufbaumaßnahmen im Rahmen des Programms „Next Generation EU“ miteinander verknüpft werden.1 Bei dem Programm „Next Generation EU“ handelt es sich um ein befristetes Aufbauinstrument mit einem finanziellen Umfang von 750 Milliarden Euro. Es stellt eine ergänzende Aufstockung des von der Kommission bereits im Jahr 2018 vorgeschlagenen mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) für den Zeitraum 2021-2027 dar. Das Programm wurde mit dem Ziel eingeführt, den Wiederaufbau Europas rasch in Gang zu bringen und jenen Teilen der europäischen Wirtschaft Unterstützung zukommen zu lassen, die sie am meisten benötigen.2 Das Programm „Next Generation EU“ umfasst drei Säulen:3 1. Säule: Instrumente zur Unterstützung der Anstrengungen der Mitgliedstaaten beim Wiederaufbau und der Krisenbewältigung, um gestärkt aus der Krise hervorzugehen, 2. Säule: Maßnahmen zur Förderung privater Investitionen und zur Unterstützung angeschlagener Unternehmen, 3. Säule: Konsequenzen aus der Krise: Aufstockung wichtiger EU-Programme zur Stärkung und Stabilisierung des Binnenmarktes und zur Beschleunigung des ökologischen und digitalen Wandels. Zusammen mit den Sicherheitsnetzen für Arbeitnehmer, Unternehmen und Staaten, die sich auf ein Paket im Wert von 540 Milliarden EUR belaufen und vom Europäischen Rat am 23. April 2020 gebilligt wurden, wird durch diese Maßnahmen auf EU-Ebene mehr als 1,2 Billionen EUR 1 Vgl. Schlussfolgerungen europäischer Rat EUCO 10/20 S. 1 ff. 2 Vgl. Europäische Union (2020), Fragen und Antworten zum MFR und zu „Next Generation EU, Online im Internet unter https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/QANDA_20_935 (12.08.2020); European Union (2020): Langfristiger EU-Haushalt 2021-2027, Online im Internet unter https://www.consilium.europa .eu/de/policies/the-eu-budget/long-term-eu-budget-2021-2027/ (12.08.2020). 3 Vgl. Europäische Union (2020), Fragen und Antworten zum MFR und zu „Next Generation EU, Online im Internet unter https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/QANDA_20_935 (12.08.2020). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 084/20 Seite 5 bereitgestellt. Zusammen mit dem ohnehin schon bestehenden EU-Haushaltsplan erhöht sich der EU-Haushalt für die Jahre 2021-2027 auf insgesamt 1,85 Billionen EUR. 1.2. Finanzierung des Programms „Next Generation EU“ Zur Finanzierung der vorgeschlagenen Aufbaumaßnahmen im Zeitraum 2021-2024 wird die Kommission im Namen der Union Darlehen in Höhe von bis zu 750 Milliarden EUR auf den Finanzmärkten aufnehmen. Die aufgenommenen Mittel werden aus künftigen EU-Haushaltsplänen, die nach 2027, spätestens aber 2058 beginnen, zurückgezahlt. Die Darlehen werden von den kreditnehmenden Mitgliedstaaten zurückgezahlt. Um die Rückzahlung der aufgebrachten Marktfinanzierung zu erleichtern, wird die Kommission zusätzliche, neue Eigenmittel vorschlagen, die zu den bereits vorgeschlagenen Mitteln hinzukommen.4 Die Eigenmittel der Union sind Agrarabgaben und Zölle, Mehrwertsteuereinnahmen sowie die BNE-Einnahmen.5 Bisher sind der Union über diese Eigenmittel hinausgehend keine neuen Eigenmittel zugewiesen wurden. Art. 2 Abs. 2 des Eigenmittelbeschlusses6 sieht jedoch vor, dass im Haushaltsplan der Union als Eigenmittel auch Einnahmen aus sonstigen im Rahmen einer gemeinsamen Politik eingeführten Abgaben einzusetzen sind.7 1.3. Einführung einer Plastikabgabe Eines der neuen Eigenmittel ist die sogenannte Plastikabgabe, die anhand des Gewichts von nicht recycelten Plastikverpackungsabfällen in jedem Mitgliedsstaat berechnet wird.8 Dieser Betrag ist von den Mitgliedstaaten an die Union zu zahlen. Inwiefern die Abgabe auf nationalstaatlicher Ebene refinanziert wird, obliegt den Mitgliedsstaaten. 2. Ist die Erhebung der Plastikabgabe grundrechtskonform? Zur Refinanzierung dieser Plastikabgabe in Deutschland kommen nach derzeitigem Stand zwei Alternativen in Betracht. Der Gesetzgeber kann sich für die Einführung einer Sonderabgabe oder einer Steuer als sog. Plastiksteuer für nicht recycelte Plastikverpackungsabfälle entscheiden. 4 Vgl. Europäische Union (2020), Fragen und Antworten zum MFR und zu „Next Generation EU, Online im Internet unter https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/QANDA_20_935 (12.08.2020). 5 Niedobitek in Streinz, AEUV, 3. Aufl. 2018, Art 311 AEUV Rn. 20 ff. 6 Aktuelle Fassung: siebter Eigenmittelbeschluss vom 26.5.2014 Beschluss des Rates ABl. 2014 L 168/105. 7 Niedobitek in: Streinz AEUV, 3. Aufl. 2018, Art 311 AEUV Rn. 20 ff. 8 Vgl. Schlussfolgerungen europäischer Rat EUCO 10/20 S. 64. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 084/20 Seite 6 2.1. Abgrenzung von Sonderabgabe und Steuer Der Steuerbegriff ist in § 3 Abs. 1 AO legaldefiniert und lautet: Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein. Davon abzugrenzen ist die Sonderabgabe, der ebenfalls keine Gegenleistung gegenübersteht, die jedoch dadurch gekennzeichnet ist, dass die Abgabe zum Zweck der Finanzierung besonderer Aufgaben von bestimmten Gruppen von Bürgern oder Unternehmen erhoben wird.9 Für die Qualifizierung einer Abgabe als Steuer oder nichtsteuerliche Abgabe ist die Ausgestaltung des betreffenden Gesetzes maßgeblich.10 Ob es sich bei der einzuführenden Abgabe um eine Steuer oder eine Sonderabgabe handeln wird, kann noch nicht beurteilt werden, da es noch kein konkretes Gesetz oder einen Gesetzesentwurf gibt, anhand dessen die Frage beurteilt werden kann. Dies gilt insbesondere auch für die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer Sonderabgabe, die nur mit konkreten Angaben zur Ausgestaltung bewertet werden kann. Daher konzentrieren sich die folgenden Ausführungen ausschließlich auf die Verfassungsmäßigkeit einer einzuführenden Plastiksteuer. 2.2. Formelle Verfassungsmäßigkeit Fraglich ist, ob eine Plastiksteuer verfassungskonform erhoben werden kann. Im Rahmen der formellen Verfassungsmäßigkeit sind insbesondere die Gesetzgebungskompetenz des Gesetzgebers und die verfassungsrechtlichen Vorgaben an einen Steuertypus aus dem Katalog der Art. 105, 106 GG zu prüfen. Die Einführung einer Plastiksteuer wäre nur dann formell verfassungskonform, wenn der Bund sich auf Art. 105 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG als Gesetzgebungsbefugnis berufen könnte. Der Bund hat gem. Art. 105 Abs. 2 1. Hs GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die übrigen Steuern, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht, also er die Ertragshoheit hat oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen. Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 13.4.201711 zur Verfassungswidrigkeit der Kernbrennstoffsteuer entschieden, dass kein Steuererfindungsrecht existierte, wonach Bund oder Länder 9 Seer in: Tipke/Lang Steuerrecht, 23. Auflage 2018, § 2 Rn. 25. 10 BVerfG v. 13.4.2017 - 2 BvL 6/13, Rn. 103 (juris). 11 Ebenda. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 084/20 Seite 7 völlig neuartige, bisher in der Finanzverfassung des Grundgesetzes nicht geregelte Steuern einführen könnten. Der Gesetzgeber darf daher - ohne Verfassungsänderung - nur in den Grenzen der in Art. 105, 106 GG vorgegebenen Steuertypen und Kompetenzen neue Steuern „erfinden“ bzw. bereits vorhandene Steuern verändern.12 Insofern müsste die neu einzuführende Plastiksteuer unter einen Steuertypus des Art. 106 GG subsumierbar sein. Dieser Katalog wurde vom BVerfG als ausschließlich und abschließend bewertet .13 Es ist davon auszugehen, dass die Plastiksteuer der Refinanzierung der Unionsplastikabgabe dienen soll, sodass die Ertragshoheit beim Bund liegt. 2.2.1. Plastiksteuer als Verbrauchsteuer? Die neu einzuführende Plastiksteuer könnte eine Verbrauchsteuer i.S.v. Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG sein. Der Begriff der Verbrauchsteuer wird im Grundgesetz nicht definiert. Das BVerfG führt in der bereits oben genannten Entscheidung jedoch Tatbestandsvoraussetzungen auf, um die Klassifizierung einer Steuer als Verbrauchsteuer zu ermöglichen.14 (1) Die Verbrauchsteuern sind von den Unternehmenssteuern abzugrenzen, die nicht die Einkommensverwendung , sondern die Einkommenserzielung zum Ausgangspunkt nehmen. Bei der Verbrauchsteuer handelt es sich im Regelfall um eine indirekte Steuer, die beim Hersteller erhoben wird und auf eine Abwälzung auf den (End-)Verbraucher angelegt ist. (2) Der Typusbegriff der Verbrauchsteuer erfordert zudem den Verbrauch eines Gutes des ständigen Bedarfs. (3) Ferner knüpfen Verbrauchsteuern regelmäßig an den Übergang des Verbrauchsgutes aus einem steuerlichen Nexus in den steuerlich nicht gebundenen allgemeinen Wirtschaftsverkehr an.15 Im zweiten Schritt ist zu prüfen, ob nach diesen Kriterien die einzuführende Plastiksteuer eine Verbrauchsteuer sein kann. Dies ist eine Frage der Auslegung. 2.2.1.1. Abgrenzung von Unternehmenssteuern Der Begriff der Verbrauchsteuer im Sinne des traditionellen deutschen Steuerrechts umfasst zwar nicht nur Steuern auf Güter des „letzten“ Verbrauchs, das heißt die Belastung des Verbrauchs im privaten Haushalt, sondern betrifft auch den produktiven Bereich.16 Die Verbrauchsteuern sind von Unternehmenssteuern abzugrenzen, die nicht die Einkommensverwendung , sondern die Einkommenserzielung zum Ausgangspunkt nehmen. Verbrauchsteuern schöpfen die in der Einkommensverwendung zu Tage tretende steuerliche Leistungsfähigkeit des 12 BVerfG v. 13.4.2017 - 2 BvL 6/13, Rn. 72 ff. 13 Ebenda. 14 BVerfG v. 13.4.2017 - 2 BvL 6/13, Rn. 111 ff. 15 BVerfG v. 13.4.2017 - 2 BvL 6/13, Rn. 112. 16 BVerfG v. 13.4.2017 - 2 BvL 6/13, Rn. 111 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 084/20 Seite 8 Konsumenten ab. Sie werden zwar in der Regel bei demjenigen Unternehmer erhoben, der das Verbrauchsgut für die allgemeine Nachfrage anbietet; sie sind aber auf Überwälzung auf die Verbraucher 17 angelegt, auch wenn die Überwälzung nicht in jedem Fall gelingen muss.18 Ob die Abwälzbarkeit gerade Zweck der Steuer ist, ist nach der subjektiven Zielsetzung des Gesetzgebers, dem objektiven Regelungsgehalt des betreffenden Gesetzes und etwaigen flankierenden Maßnahmen zu beurteilen. Neben den Gesetzesmaterialien sind dabei alle objektiv feststellbaren Indizien in den Blick zu nehmen.19 Mangels Details zur Erhebungsform der einzuführenden Plastiksteuer lässt sich die Frage der Erhebung und Abwälzung der Steuer noch nicht abschließend beantworten. Nach derzeitiger Einschätzung ist es jedoch als wahrscheinlich anzusehen, dass die Steuer bei den Unternehmen erhoben wird, die nicht recycelte Plastikverpackungen erzeugen und/oder verwenden. Insofern ist in der Folge auch eine Umwälzung auf die Verbraucher wahrscheinlich, bei der der Preis der Produkte , die von der Steuer betroffen sind erhöht würde. 2.2.1.2. Verbrauch eines Gutes des ständigen Bedarfs Der Typusbegriff der Verbrauchsteuer erfordert zudem den Verbrauch eines Gutes, das der Befriedigung eines ständigen privaten Bedarfs dient. Dabei kommt es nicht auf einen - im Einzelfall nicht kontrollierbaren – tatsächlichen Verbrauch an, sondern darauf, ob der Besteuerungsgegenstand zum Verbrauch bestimmt ist. Ein Verbrauch ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Besteuerungsgegenstand nach Abschluss des konkreten Verwendungsvorgangs und nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes verbrauchsteuerrechtlich als nicht mehr existent angesehen oder funktions - und wertlos werden soll. Die herkömmlichen Verbrauchsteuern haben typischerweise Güter des ständigen privaten Bedarfs zum Ausgangspunkt. Hingegen ist es für die herkömmlichen Verbrauchsteuern nicht typusbildend, an „Genussmittel“ anzuknüpfen, was die bereits als Verbrauchsteuern anerkannten Mineralöl-, Zündwaren-, Leuchtmittel-, und die Spielkartensteuer sowie die Kohlenabgabe belegen.20 Unter Art. 106a Nr. 2 GG fallen folgende Verbrauchsteuern: Tabaksteuer, Kaffeesteuer, Teesteuer, Zuckersteuer, Salzsteuer, Branntweinsteuer, Mineralölsteuer, Kohlenabgabe, Schaumweinsteuer, Essigsäuresteuer, Zündwarensteuer, Leuchtmittelsteuer. Plastik stellt kein Genussmittel dar, es fällt daher in eine Kategorie mit den anderen oben genannten Steuern, wie z.B. der Mineralöl-, Zündwaren-, Leuchtmittelsteuer. 17 Nachfolgend wird die grammatisch maskuline Form verallgemeinernd verwendet und schließt männliche und weibliche Personen gleichermaßen ein. 18 BVerfG v. 13.4.2017 - 2 BvL 6/13, Rn. 111 ff. 19 BVerfG v. 13.4.2017 - 2 BvL 6/13, Rz. 119 ff; mit weiteren Nachweisen: Seer, in: Tipke/Lang Steuerrecht, 23. Auflage 2018, § 2 Rn. 47. 20 BVerfG v. 13.4.2017 - 2 BvL 6/13, Rn. 130. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 084/20 Seite 9 Für Einwegverpackungen hat das BVerfG das Tatbestandsmerkmal der verbrauchsteuerrechtlichen Verbrauchbarkeit bejaht, obwohl an der Verpackung kein Substanzverlust vorliegt.21 In seiner Entscheidung aus dem Jahr 1998 befasste sich das BVerfG mit einer kommunalen Verpackungssteuer der Stadt Kassel für Einwegbesteck, -geschirr und -verpackungen. Dabei erkannte es die Verbrauchssteuereigenschaft für örtliche Verpackungssteuern auf Einwegverpackungen an.22 Plastik, in allen seinen Erscheinungsformen ist in unserem Alltag omnipräsent. Man kann seinen Alltag kaum ohne Einsatz von Kunststoffe gestalten. Ein plastikfreies Leben ist nur mit erheblichem Aufwand umzusetzen. Zu unterscheiden ist zwischen Plastik, das unmittelbar verbraucht, also nach kurzem Gebrauch verbraucht wird und Plastik, das einem längeren Gebrauch dient. In Europa wurden im Jahr 2018 61,8 Millionen Tonnen Kunststoffe produziert.23 Davon wurden in Europa im Jahr 2018 rund 51 Millionen Tonnen verbraucht, davon 39,9% für Verpackungen, 19,8 im Bausektor, 9,9% im Fahrzeugbereich, 6,2%für im Bereich von Elektro und Elektronik, 4,1% im Bereich Haushalt, Freizeit und Sport, 3,4% in der Landwirtschaft und 16,7% entfielen auf weitere Einsatzgebiete.24 Pro Kopf fiel in Deutschland im Jahr 2017 38,53 Kilogramm Plastikverpackungsabfall an.25 Insbesondere der Anteil der Plastikverpackungen an der Gesamtproduktion von Kunststoffen stellt auch einen beachtlichen Teil dar. Bei jedem Einkauf gehören insbesondere Plastikverpackungen zur Normalität. Die Plastikverpackungen sind typischerweise für die einmalige Verwendung , die Verpackung der Ware und den Transport aus dem Markt konzipiert. Danach verliert die Verpackung ihren Zweck und landet im Abfall. Im Fall der Plastikverpackung fällt demnach der tatsächliche Verbrauch mit dem Verbrauch im verbrauchsteuerrechtlichen Sinne zusammen. Neben Plastik als Verpackungsmaterial dienen auch die weiteren Verwendungen von Kunststoffen in nicht unerheblichem Umfang dem alltäglichen Bedarf. Dies trifft insbesondere auf die Bereiche Fahrzeuge, Elektronik sowie Haushalt, Freizeit und Sport zu. Auch wenn diese Form der Kunststoffe i.d.R. auf einen längerfristigen Gebrauch und nicht auf einen unmittelbaren Verbrauch gerichtet ist, könnte es sich um eine Verbrauchsteuer handeln. Auch bei Plastik, das einem längeren Gebrauch dient, kann ein verbrauchsteuerrechtlicher Ver- 21 BVerfG, v. 07. 05 1998 – 2 BvR 1991/95 –, BVerfGE 98, 106-13, Rn. 73. 22 BVerfG, v. 07. 05 1998 – 2 BvR 1991/95 –, BVerfGE 98, 106-13, Rn. 73. 23 Statista 2020, Weltweite und europäische Produktionsmenge von Kunststoff in den Jahren von 1950 bis 2018, Online im Internet unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/167099/umfrage/weltproduktion-vonkunststoff -seit-1950/ (12.08.2020). 24 Statista 2020, Anteile an der Verwendung von Kunststoff in Europa nach Einsatzgebieten in den Jahren 2016 bis 2018, Online im Internet unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/206528/umfrage/verwendung-vonkunststoff -in-europa-nach-einsatzgebieten/ (12.08.2020). 25 Statista 2020, Plastikverpackungsabfall in ausgewählten EU-Ländern je Einwohner in den Jahren 2016 und 2017. Online im Internet unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/786353/umfrage/plastikverpackungsabfall -in-ausgewaehlten-eu-laendern-je-einwohner/(12.08.2020). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 084/20 Seite 10 brauch angenommen werden. Es kommt maßgeblich nicht auf die tatsächliche Verwendung, sondern auf eine verbrauchsteuerrechtliche Betrachtung an. Das betroffene Gut kann trotz noch vorhandener Gebrauchsmöglichkeit als verbrauchsteuerrechtlich nicht mehr existent angesehen werden . Es ist funktions-und wertlos geworden. Entscheidend für die Klassifizierung der Steuer als Verbrauchssteuer ist der betroffene Steuergegenstand . Die Plastikabgabe der EU bezieht sich ausdrücklich nur auf Verpackungsabfälle, sodass andere Gegenstände aus Plastik vom Anwendungsbereich ausgenommen sein dürften. Sofern die einzuführende Plastiksteuer lediglich Plastikverpackungsmaterial erfasst, dürfte diese entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG mit dem Steuertypus der Verbrauchsteuer in Einklang stehen . 2.2.1.3. Steuerrechtlicher Übergangsvorgang Ferner knüpfen Verbrauchsteuern regelmäßig an den Übergang des Verbrauchsgutes aus einem steuerlichen Nexus in den steuerlich nicht gebundenen allgemeinen Wirtschaftsverkehr an. Danach sind Steuern erfasst, die nach ihrem Regelungskonzept den Verbrauch bestimmter Güter des ständigen Bedarfs durch die privaten Endverbraucher belasten sollen und auf Grund eines äußerlich erkennbaren Vorgangs - regelmäßig das Verbringen des Verbrauchsgutes in den allgemeinen Wirtschaftsverkehr - von demjenigen als Steuerschuldner erhoben werden, in dessen Sphäre sich der Vorgang verwirklicht.26 Bei der Verwendung und dem Inverkehrbringen von Plastik wird ein steuerlich relevanter Übergang aus dem steuerlichen Nexus in den allgemeinen Warenverkehr verwirklicht. 2.2.2. Zwischenergebnis In der Gesamtbetrachtung würde die Plastiksteuer die Kriterien einer Verbrauchsteuer erfüllen. Dem Bund stünde hierfür die Gesetzgebungskompetenz zu. Eine Einführung stellt keinen finanzverfassungsrechtlichen Verstoß dar. Sie wäre formell verfassungsgemäß. 2.3. Materielle Verfassungsmäßigkeit Für die materielle Verfassungsmäßigkeit müsste die Plastiksteuer dem Gebot der Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung entsprechen. Da bislang noch keine Aussagen zur Höhe und tariflichen Ausgestaltung der Plastiksteuer bekannt sind, können hier keine konkreten Aussagen zur Belastungsgleichheit einer Plastiksteuer getroffen werden. 26 BVerfG, Beschluss vom 13. April 2017 – 2 BvL 6/13 –, Rn. 133 (juris). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 084/20 Seite 11 2.3.1. Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG „Das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das hieraus abgeleitete Übermaßverbot sind verfassungsrechtlich im Rechtsstaatsprinzip und in den Grundrechten begründet, und zwar für die Besteuerung besonders in Art. 14 I GG, aber auch in Art. 12 I GG. Das Übermaßverbot gilt grundsätzlich für jede staatliche Maßnahme, also für Maßnahmen der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung. Es beschränkt den Eingriff in die freiheitlich geschützte Sphäre des Bürgers auf Maßnahmen, die das gewählte Mittel in ein vernünftiges Verhältnis zum angestrebten Zweck setzen . Diese Rationalität der Zweck-Mittel-Relation wird durch die Kriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit konkretisiert.27 Die Einführung einer Plastiksteuer könnte einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG darstellen. Hierbei ist bereits zweifelhaft, ob die Plastiksteuer überhaupt den sachlichen Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG berührt. Anerkannt ist, dass eine Besteuerung grundsätzlich erheblichen Einfluss auf die Berufsausübung haben kann, da die Tätigkeit der Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage und damit auch dem ökonomischen Erfolg dient.28 Das BVerfG nimmt einen Eingriff in den Schutzbereich jedoch nur an, wenn die betroffene Steuer in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufes steht und - objektiv - eine berufsregelnde Tendenz deutlich erkennen lässt.29 Hiervon ausgehend zieht das BVerfG Art. 12 GG in erster Linie gegenüber Lenkungssteuern heran. Der Plastiksteuer dürfte, neben dem Fiskalzweck zur Refinanzierung der Plastikabgabe auf Unionsebene zumindest auch ein Lenkungszweck inne liegen. Sofern man den Eingriff in den Schutzbereich bejaht, müsste die Einführung der Plastiksteuer formell und materiell verfassungskonform sein. Hinsichtlich der formellen Verfassungsmäßigkeit kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Die Gesetzgebungskompetenz liegt danach beim Bund. Hinsichtlich der materiellen Verfassungsmäßigkeit ist eine Rechtfertigung des Eingriffs anhand der sog. „Drei-Stufen Theorie“ des BVerfG zu prüfen.30 Dabei werden bloße Berufsausübungsregelungen , sofern sie i. Ü. verhältnismäßig sind, bereits durch sachgerechte und vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls legitimiert. 27 Hey in: Tipke/Lang Steuerrecht, 23. Auflage, § 3 Rn. 180 (juris). 28 Hey in: Tipke/Lang Steuerrecht, 23. Auflage 2018, § 3 Rn. 188. 29 BVerfGE 110, 274 (288), mit weiteren Nachweisen Hey in: Tipke/Lang Steuerrecht, 23. Auflage 2018, § 3 Rn. 188. 30 BVerfGE 7, 377 (401, 403 u. 405 ff.); Mann in: Sachs GG Art. 12 Art Rn. 125. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 084/20 Seite 12 Insbesondere der mit der Plastiksteuer als Lenkungszweck verbundene Gedanke der Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit, der im Zusammenhang mit dem Staatsziel aus Art. 20a GG zu betrachten ist, dürfte als sachlicher Grund für die Rechtfertigung genügen. Für eine Unverhältnismäßigkeit im Übrigen bestehen hinsichtlich eines Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG zunächst keine Anhaltspunkte. Ein Verstoß gegen die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG ist nicht anzunehmen. 2.3.2. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG Die Einführung einer Plastiksteuer könnte einen Verstoß gegen die Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG darstellen. Ein Eingriff in die Eigentumsgarantie durch das Steuerrecht ist dogmatisch umstritten.31 Grundsätzlich schützt Art. 14 GG nicht das Vermögen als solches sondern das Eigentum. Ein Eingriff ist jedoch zumindest in den Fällen der erdrosselnden Wirkung einer Steuer, d.h., dass die Steuer selbst die Vermögensverhältnisse derart stark beeinträchtigt, dass die Steuerquelle, d.h. eigentumsrechtliche Positionen vernichtet wird, anerkannt. Hinzu kommen Fälle, in denen der Steuerpflichtige eigentumsrechtlich geschützte Geldmittel hingibt, um seine Steuerschuld zu begleichen . Beide Fälle dürften vorliegend nicht einschlägig sein, sodass bereits der Schutzbereich von Art. 14 GG nicht eröffnet ist. Ein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG ist nicht anzunehmen. 2.3.3. Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG Die Einführung einer Plastiksteuer könnte einen Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG darstellen. Art. 2 Abs. 1 GG schützt die allgemeine Handlungsfreiheit. Insofern liegt durch die Einführung eines neuen Steuertatbestands ein Eingriff in den Schutzbereich vor. Dieser könnte jedoch gerechtfertigt sein. Hinsichtlich der formellen Verfassungsmäßigkeit bestehen entsprechend der obigen Ausführungen keine Bedenken. Der Bund ist gesetzgebungsbefugt. Hinsichtlich der materiellen Verfassungsmäßigkeit ist insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (sog. Schranken-Schranke) zu berücksichtigen. Die Einführung einer Plastiksteuer müsste verhältnismäßig sein. Durch den Fiskal- aber auch den Lenkungszweck verfolgt das Vorhaben ein legitimes Ziel. Hinsichtlich der Geeignetheit, d.h. der Frage, ob das Mittel der Besteuerung den Zweck fördert und 31 Hey in: Tipke/Lang Steuerrecht, 23. Auflage 2018, § 3 Rn. 189. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 084/20 Seite 13 der Erforderlichkeit, d. h, das die Einführung der Steuer das relativ mildeste Mittel ist, bestehen keine Bedenken. Die Steuer muss letztlich auch angemessen sein, d.h. im Rahmen einer Güterabwägung der sich gegenüberstehenden Interessen darf kein Missverhältnis bestehen. Diesbezüglich sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die gegen eine Angemessenheit sprechen. Es ist nach derzeitigem Kenntnisstand nicht davon auszugehen, dass die Steuer erdrosselnde Wirkung haben wird. Ein Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG ist nicht anzunehmen. 2.3.4. Zwischenergebnis Es sind keine Anhaltspunkte für eine Verletzung von materiellem Verfassungsrecht durch die Plastiksteuer ersichtlich. 3. Zusammenfassung Eine Steuer zur Refinanzierung der EU-Abgabe für nicht recycelte Plastikverpackungsabfälle kann formell und materiell verfassungskonform erlassen werden. Sofern die einzuführende Steuer tatbestandlich an den Verbrauch eines Gutes des ständigen Bedarfs, was zumindest hinsichtlich Einwegplastik bereits vom BVerfG bejaht worden ist, anknüpft, ist diese Plastiksteuer unter den Typusbegriff der Verbrauchsteuer im Sinne des Art. 106 Abs. Nr. 2 GG subsumierbar. ***