© 2016 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 083/16 Begriff des Bruttofinanzierungsbedarfs (Gross Financing Needs) im Zusammenhang mit dem Dritten Hilfspaket für Griechenland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 083/16 Seite 2 Begriff des Bruttofinanzierungsbedarfs (Gross Financing Needs) im Zusammenhang mit dem Dritten Hilfspaket für Griechenland Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 083/16 Abschluss der Arbeit: 20. Juli 2016 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 083/16 Seite 3 1. Fragestellung „Die Eurogruppe hat sich in ihrer Erklärung zu Griechenland vom 24./25. Mai 2016 darauf verständigt , die Schuldentragfähigkeit anhand von Eckwerten für den Bruttofinanzbedarf (gross fnancing needs, GFN) zu bewerten (mittelfristig unter 15 % des BIP, anschließend unter 20 % des BIP). Die Schuldentragfähigkeitsanalysen der EU-Institutionen einschl. ESM und des IWF zu Griechenland stellen ebenfalls auf den Bruttofinanzbedarf ab. 1. Ist der Begriff „Bruttofinanzbedarf“ bzw. „gross financing needs“ dabei methodisch eindeutig definiert und verwenden die verschiedenen Institutionen den Begriff in identischer Weise, so dass diese Institutionen – unter ansonsten gleichen Bedingungen – zu gleichen Ergebnissen kommen werden? 2. Ist die Einigung bzw. die dahinterstehende Methode zutreffend wiedergegeben, wenn BMF schreibt, dass „die Schuldentragfähigkeit dann gegeben ist, wenn der Schuldendienst (Zinsen und Brutto-Tilgung) mittelfristig 15 % des BIP und langfristig 20 % des BIP nicht überschreitet ?“ 3. Welche Interpretationsspielräume oder -streitigkeiten könnten sich daraus ergeben, dass der Begriff „(Total) gross financing needs“ auch verwendet wurde, um den gesamten Finanzbedarf des dritten Hilfsprogramms für Griechenland zu beschreiben, in dessen Berechnung u.a. Liquiditätspuffer und Privatisierungserlöse eingerechnet wurden?“ 2. Zu den Fragen 1 und 2 Die europäischen Institutionen und der Internationale Währungsfonds (IWF) verwenden in ihren aktuellen Schuldentragfähigkeitsanalysen zu Griechenland den Quotienten aus Bruttofinanzierungsbedarf (gross financing needs - GFN) und Bruttoinlandsprodukt als Maßgröße. Die europäischen Institutionen definieren den Bruttofinanzierungsbedarf im Zusammenhang mit den Beschlüssen der Eurogruppe zu Griechenland folgendermaßen: „This is the sum of the overall fiscal deficit plus principal debt payments in a given year, expressed in terms of GDP.“1 Der IWF gibt in seinem Fiscal Monitor vom April 2016 eine methodisch gleiche Definition: „Gross financing need is defined as the projected overall deficit and maturing government debt in 2016.“2 1 Europäischer Stabilitätsmechanismus: FAQ on decisions concerning Greece at Eurogroup meeting on 25 May 2016, Seite 3, unter: http://www.esm.europa.eu/assistance/Greece/index.htm, abgerufen am 18. Juli 2016. 2 International Monetary Fund: World Economic and Financial Surveys – Fiscal Monitor, April 2016, Seite 97, unter: http://www.imf.org/external/pubs/ft/fm/2016/01/pdf/fm1601.pdf, abgerufen am 19. Juli 2016. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 083/16 Seite 4 In die Schuldentragfähigkeitsanalyse der europäischen Institutionen für Griechenland gehen folgende Beträge ein: – Primärüberschuss, – Privatisierungserlöse und – der Bedarf zur Bankenrekapitalisierung. Enthalten ist auch ein Puffer für Eventualverbindlichkeiten.3 Die Größen werden anhand eines Basisszenarios, zweier Negativ- und eines Positivszenarios geschätzt. Bei den Szenarien werden die Ergebnisse bei verschiedenen Zinsentwicklungen und unterschiedlichen Annahmen für das wirtschaftliche Wachstum durchgespielt. Der Schätzzeitraum läuft bis 2060, die Werte werden für die einzelnen Jahre ermittelt. Zu diesem jährlichen Bedarf wird die Summe der im selben Jahr fälligen Kredite und Zahlungsrückstände hinzugerechnet, um den Bruttofinanzierungsbedarf für dieses Jahr zu erhalten. Der gesamte Betrag wird ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt gesetzt. Der IWF setzt seine Schuldentragfähigkeitsanalyse aus denselben Komponenten zusammen: – Primary surplus, – privatization proceeds und – bank recapitalization needs. Hinzu kommen die in einem Jahr zu tilgenden Kredite sowie Zahlungsrückstände und Puffer für Eventualverbindlichkeiten (Additional financing needs). Auch der IWF spielt dabei verschiedene Szenarien durch und setzt die Summe ins Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt.4 Die beiden methodisch gleichen Schuldentragfähigkeitsanalysen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, da sie im Detail mit unterschiedlichen Annahmen arbeiten. 5 3 4 International Monetary Fund: Greece - Preliminary Debt Sustainability Analysis - Updated Estimates And Further Considerations, May 2016, Seite 2ff, Seite 15f, unter: http://www.imf.org/external /pubs/ft/scr/2016/cr16130.pdf, abgerufen am 18. Juli 2016. 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 083/16 Seite 5 In deutschen Texten wird synonym zum Bruttofinanzierungsbedarf auch der Begriff Schuldendienst verwendet.6 Der Schuldendienst ist definitionsgemäß die Summe aus Zins- und Tilgungsleistungen . Die vom Bundesministerium der Finanzen im Zusammenhang mit Griechenland verwendete Bezeichnung „Brutto-Tilgung“ findet in der Literatur selten Anwendung. Sie soll offensichtlich deutlich machen, dass die Tilgung von Altkrediten, die in der Praxis eine Ersetzung des Altkredits durch einen neuen Kredit bedeutet (Umschuldung oder Anschlussfinanzierung) und die Neuverschuldung zur Finanzierung des Budgetdefizits den Gesamtschuldenstand weiter erhöhen . 3. Zu Frage 3 Die europäischen Institutionen verwenden den Bruttofinanzierungsbedarf als absolute Größe zur Darstellung des Volumens des Dritten Hilfspakets für Griechenland. Dabei fließen die gleichen Elemente wie oben dargestellt ein.7 - Ende der Bearbeitung - 6 Vgl. zum Beispiel Gammelin, Cerstin: Schulden schöngerechnet, Süddeutsche Zeitung, 27. August 2015, unter: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/iwf-und-griechenland-kredite-schulden-schoengerechnet-1.2624290, abgerufen am 20. Juli 2016. 7 Vgl. Fußnote 3.