© 2019 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 079/19 Gemeinnützigkeit am Beispiel von Tierrechtsorganisationen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 079/19 Seite 2 Gemeinnützigkeit am Beispiel von Tierrechtsorganisationen Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 079/19 Abschluss der Arbeit: 3. Juli 2019 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 079/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Rechtsgrundlagen 4 3. Kriterien zur An- bzw. Aberkennung der Gemeinnützigkeit 5 4. Verstöße gegen die Rechtsordnung 6 5. Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen 8 6. Verfahren gegen Tierschützer 9 7. Rechtsprechung zu einer möglichen Aberkennung der Gemeinnützigkeit in anderen Fällen 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 079/19 Seite 4 1. Fragestellung Gefragt wurde nach der Gemeinnützigkeit im Sinne der §§ 51 bis 68 Abgabenordnung (AO) von Tierrechtsorganisationen. 2. Rechtsgrundlagen Im deutschen Steuerrecht können gemäß der §§ 51 bis 68 AO bestimmte Körperschaften bei Verfolgung eines gemeinnützigen Zwecks steuerbegünstigt werden. Zu diesen Körperschaften zählen auch eingetragene Vereine. Neben der Steuerbegünstigung für die Vereine selbst ist für diese insbesondere die Möglichkeit des Ausstellens von Spendenbescheinigungen von Bedeutung. Die Steuerbegünstigung wird nach § 59 Abgabenordnung (AO) gewährt, wenn sich aus der Satzung ergibt, welchen Zweck die Körperschaft verfolgt, wobei dieser Zweck den Anforderungen der §§ 52 bis 55 AO entsprechen sowie ausschließlich und unmittelbar selbstlos verfolgt werden muss. Darüber hinaus muss die tatsächliche Geschäftsführung ebenfalls diesen Satzungsbestimmungen entsprechen. Grundsätzlich werden in den §§ 52 bis 54 AO drei Arten steuerbegünstigter Zwecke aufgeführt: Gemeinnützige Zwecke im engeren Sinn, mildtätige Zwecke sowie kirchliche Zwecke. Wie erwähnt muss ein solcher Zweck für die Gewährung einer Steuerbegünstigung mit den folgenden drei Grundprinzipien verknüpft werden: Selbstlosigkeit (§ 55 AO), Ausschließlichkeit (§ 56 AO) sowie Unmittelbarkeit (§ 57 AO). Selbstlos ist ein Handeln, wenn es, neben anderen Voraussetzungen, nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt und die Mittel nur für satzungsgemäße Zwecke verwendet werden (§ 55 AO). Ausschließlichkeit liegt vor, wenn nur die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Ziele verfolgt werden (§ 56 AO). Unmittelbarkeit bedeutet gemäß § 57 Abs. 1 AO, dass die Körperschaft ihre steuerbegünstigten, in der Satzung festgelegten Zwecke selbst verwirklichen muss. Dies kann unter bestimmten Voraussetzungen auch durch das Wirken einer Hilfsperson geschehen. Einen gemeinnützigen Zweck verfolgt eine Körperschaft gemäß § 52 Abs. 1 AO, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet zu Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 079/19 Seite 5 fördern. Keine Förderung der Allgemeinheit besteht insbesondere dann, wenn der Personenkreis, dem die Förderung zugutekommt, fest abgeschlossen ist. § 52 Abs. 2 AO enthält einen abschließenden Katalog von Zwecken, die, bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen, als Förderung der Allgemeinheit anzuerkennen sind. Darin aufgeführt ist unter Nr. 14 der Tierschutz. 3. Kriterien zur An- bzw. Aberkennung der Gemeinnützigkeit Die Gemeinnützigkeit muss sowohl formell (satzungsmäßig) als auch materiell vorliegen. Um die formelle Gemeinnützigkeit zu erreichen, muss die Körperschaft in ihrem Statut die Satzungszwecke und die Art der Verwirklichung so genau bestimmen, dass bereits aufgrund der Satzung die Voraussetzungen für die steuerlichen Vergünstigungen geprüft werden können. Aus ihr muss sich ergeben, welchen Zweck die Körperschaft verfolgt, dass dieser Zweck den Anforderungen der AO entspricht und dass dieser ausschließlich und unmittelbar verfolgt wird (§ 60 Abs. 1 AO). Als Beispiele für formelle Verstöße seien genannt: Die satzungsmäßigen Zwecke der Körperschaft entsprechen nicht den gemeinnützigkeitsrechtlichen Anforderungen der AO, die künftige Vermögensverwendung wird nicht in der Satzung festgeschrieben, die Vermögensbindung im Falle der Auflösung der Körperschaft oder im Falle des Wegfalls des bisherigen Zwecks geht aus der Satzung nicht genau genug hervor. Bei der Beantwortung der Frage nach der materiellen Gemeinnützigkeit im späteren Veranlagungsverfahren wird hingegen überprüft, ob die tatsächliche Geschäftsführung der Körperschaft auf die ausschließliche und unmittelbare Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke gerichtet ist und den Bestimmungen entspricht, die die Satzung über die Voraussetzung für die Steuervergünstigung enthält (§ 63 Abs. 1 AO).1 Als Beispiele für materielle Verstöße seien genannt: Keine Förderung der Allgemeinheit durch die Begrenzung des Mitgliederkreises, Aufnahmegebühren oder überhöhte Mitgliedsbeiträge, andere gemeinnützige, nicht mit der Satzung übereinstimmende Zwecke werden gefördert , allgemein fehlerhafte Mittelverwendung, 1 Seer in Tipke/Kruse (TK.), AO – FGO, § 60a AO, Tzn. 3 f, Stand April 2016. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 079/19 Seite 6 steuerbegünstigte Zwecke werden endgültig aufgegeben, etwaige Mittel werden nicht zeitnah und sachgerecht verwendet, höhere Verwaltungskostenquote (einschließlich Spendenwerbung) als 50 Prozent, bloße vermögensverwaltende Tätigkeit und unzulässige Rücklagenbildung, vorrangige Verfolgung eigenwirtschaftlicher Zwecke, Zuwendungen an Mitglieder, Gewinnausschüttungen, missbräuchliche Spendenbescheinigungspraxis, Verstöße gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Die Feststellung der Gemeinnützigkeit muss außerdem von Amts wegen gemäß § 60a Abs. 4 AO aufgehoben werden, wenn bei den für die Feststellung erheblichen Verhältnissen eine Änderung eintritt. Damit ist im Wesentlichen der Fall einer nachträglichen gemeinnützigkeitsschädlichen Satzungsänderung gemeint, bspw. eine Änderung des Satzungszwecks.2 4. Verstöße gegen die Rechtsordnung Tierrechtsorganisationen ist in der Vergangenheit vorgeworfen worden, mit ihren Aktionen gegen geltende Gesetze verstoßen zu haben. Neben einer dauerhaften Mittelfehlverwendung können insbesondere Verstöße gegen die Rechtsordnung in der tatsächlichen Geschäftsführung als solche und ganz allgemein zu einem Entzug der Gemeinnützigkeit führen. So liegt nach Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) eine Förderung der Allgemeinheit nicht vor, wenn sich unter anderem die tatsächliche Geschäftsführung nicht im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz bewegt. Durch diese Auffassung ist also praktisch jedes rechtsoder gesetzeswidrige Verhalten einer Körperschaft geeignet, ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden, auch dann, wenn dieses Verhalten dem in der Satzung angegebenen gemeinnützigen Zweck dient.3 Im Anwendungserlass zur AO zu § 63 Nr. 5 wird diesbezüglich ausgeführt: „Die tatsächliche Geschäftsführung muss sich im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung halten , da die Rechtsordnung als selbstverständlich das gesetzestreue Verhalten aller Rechtsunterworfenen voraussetzt. Als Verstoß gegen die Rechtsordnung, der die Steuerbegünstigung ausschließt , kommt auch eine Steuerverkürzung in Betracht (BFH-Urteil vom 27.9.2001, V R 17/99, BStBl 2002 II S. 169). Die verfassungsmäßige Ordnung wird schon durch die Nichtbefolgung von polizeilichen Anordnungen durchbrochen (BFH-Urteil vom 29.8.1984, I R 215/81, BStBl 1985 II 2 Seer in TK., § 60a AO, Tz. 10, Stand April 2016. 3 Hüttemann, Rainer, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 4. Aufl. 2018, S. 191 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 079/19 Seite 7 S. 106). Gewaltfreier Widerstand, z. B. Sitzblockaden, gegen geplante Maßnahmen des Staates verstößt grundsätzlich nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung (vgl. BVerfG-Beschluss vom 10.1.1995, 1 BvR 718/89, 1 BvR 719/89, 1 BvR 722/89, 1 BvR 723/89, BVerfGE 92, S. 1 bis 25).“4 Konkrete Entscheidungen zu Tierrechtsorganisationen liegen bisher nicht vor. In Bezug auf einen konkreten Fall bemerkt die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ebner Stolz außerdem zu diesem Thema „Umstritten ist, ob jeder Verstoß gegen die allgemeine Rechtsordnung , wie z.B. die Nichterfüllung steuerlicher Pflichten und/oder Steuerhinterziehung, als Durchbrechung der verfassungsmäßigen Ordnung anzusehen ist und „automatisch“ zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit führt. […] Die Auffassungen in der Literatur sind nicht einheitlich. In einem Fall des Finanzgerichts (FG) Berlin (24.2.97, 8435/96, EFG 97, 1006) […] hat das Gericht Bedenken geäußert, ob die tatsächliche Geschäftsführung noch den Anforderungen des Gemeinnützigkeitsrechts entspreche, wenn verspätet Steuererklärungen abgegeben werden. Nach Ansicht des FG kann eine Körperschaft nur Steuervergünstigungen in Anspruch nehmen, „wenn sie sich im Wesentlichen an die geltenden Gesetze hält“. Damit versteht das FG die verfassungsmäßige Ordnung umfassend im Sinne aller Rechtsvorschriften. Offen bleibt jedoch, wann ein Verstoß gegen die geltenden Gesetze „unwesentlich“ und damit gemeinnützigkeitsunschädlich ist.“5 Wie Hüttemann in seinem Standardwerk „Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht“ ausführt, werde die strikte Auffassung der Rechtsprechung und Verwaltung zu der Frage eines Verstoßes gegen die Rechtsordnung in der tatsächlichen Geschäftsführung im Schrifttum zu Recht kritisiert. Die Rechtsordnung sehe einerseits andere jeweilige Sanktionen für den Fall der Zuwiderhandlung vor, andererseits sei der Entzug der Gemeinnützigkeit mit seinen oft großen wirtschaftlichen Konsequenzen unverhältnismäßig und stelle gemeinnützige Einrichtungen damit schlechter als andere Körperschaften. Leisner-Egensperger unterstützt diese Argumentation und erläutert, dass im Einzelfall die Frage zu prüfen sei, ob Art und Schwere der Pflichtverletzung die Schlussfolgerung zuließe, dass die tatsächliche Geschäftsführung nicht ausschließlich auf die Erfüllung gemeinnütziger Zwecke bezogen ist.6 Bedenkenswert ist jedoch nicht nur der steuerrechtliche Aspekt. In einer Stellungnahme zur Sachverständigenanhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages am 13. Februar 2019 erläuterte Richter Dr. Ulf Buermeyer, dass es grundsätzlich Aufgabe zivilgesellschaftlicher Organisationen sei, am politischen und gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen, wozu auch die gesellschaftliche Aushandlung jenes Verhaltens gehöre, das kraft Entscheidung des Gesetzgebers strafbar sein solle. Dabei würden strafrechtliche Normen (außerhalb des nicht verhandelbaren Kernbereichs) und ihre Anwendung durch die Gerichte mitunter durch bewusste Grenzüberschreitungen in Frage gestellt. Typischerweise endeten die meisten diesbezüglichen Verfahren jedoch mit Freisprüchen oder Einstellungen. Gleichzeitig wurden in der Vergangenheit durch 4 https://www.jurion.de/gesetze/aeao/55/, abgerufen am 24. Juni 2019. 5 https://www.ebnerstolz.de/de/1/9/7/3/2/Aberkennung_der_Gemeinnu__776_tzigkeit.pdf, S. 225 f, abgerufen am 24. Juni 2019. 6 Leisner-Egensperger in Hübschmann/Hepp/Spitaler (HHSp.), AO – FGO, § 63 AO, Rz. 7, Stand Oktober 2015. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 079/19 Seite 8 diese Grenzüberschreitungen wichtige gesellschaftliche Debatten angestoßen, in deren Folge mitunter auch rechtliche Änderungen beschlossen wurden.7 Anlass der Anhörung waren der Antrag der FDP-Fraktion „Straftaten und Gemeinnützigkeit schließen sich aus“8 sowie der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Gemeinnützigkeit braucht Rechtssicherheit statt politischer Willkür“9. Anders als bei einem gelegentlichen Verstoß sieht die Lage aus, wenn eine Körperschaft ihre satzungsmäßigen Zwecke systematisch mit gesetzeswidrigen Mitteln zu verfolgen beabsichtigt. Hüttemann nennt einen Fall, bei dem eine Organisation keine Gemeinnützigkeit beanspruchen konnte, da sie Umweltschutzbelange mit Gewalt durchsetzen wollte und zum offenen Widerstand gegen polizeiliche Anordnungen aufrief (BFH v. 29.8.1984 – I R 215/8110).11 Dessenungeachtet ist jedoch häufig die Frage problematisch, ob ein gemeinnützigkeitsschädliches Verhalten der jeweiligen Organisation überhaupt zugerechnet werden kann. Dazu erläutert Leisner-Egensperger: „Der Körperschaft ist als tatsächliche Geschäftsführung das Verhalten ihrer Vertretungsorgane (insb. nach §§ 26ff. BGB) zuzurechnen sowie dasjenige ihrer Hilfspersonen (§ 57 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Zurechnung reicht soweit wie die Handlungsberechtigung. Eine solche kann sich aus einer Anscheins- oder Duldungsvollmacht ergeben oder aus einer Stellung als Erfüllungsgehilfe. Die Zurechnung betrifft auch Verstöße, die bei hinreichender Kontrolle hätten verhindert werden können.“12 5. Tierschutz- und Tierrechtsorganisationen Obwohl Tierschutz- und Tierrechtsbewegung in der öffentlichen Wahrnehmung häufig gleichgesetzt werden, handelt es sich um getrennte soziale Bewegungen. Beide sind darum bemüht „unnötiges Leiden“ von Tieren abzuwenden und mitunter verschwimmen in der Praxis sogar beide Positionen, zum Beispiel bei Kampagnen zur Abschaffung von Pelzfarmen.13 Grundsätzlich bleibt Tierschutz jedoch anthropozentrisch orientiert, stellt also das Interesse des Menschen am Tier über das Interesse des Tiers an einem tiergerechten Leben und möchte nur die 7 https://www.bundestag.de/resource/blob/628100/da0782f3616ce7c7a0dff733ce7a3e32/Protokoll-data.pdf, abgerufen am 1. Juli 2019. 8 http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/19/025/1902580.pdf, abgerufen am 3. Juli 2019. 9 http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/19/074/1907434.pdf, abgerufen am 3. Juli 2019. 10 https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=BFH&Datum=29.08.1984&Aktenzeichen =I%20R%20215/81, abgerufen am 3. Juli 2019. 11 Hüttemann, Rainer, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 4. Aufl. 2018, S. 193. 12 Leisner-Egensperger in HHSp., § 63 AO, Rz. 8, Stand Oktober 2015. 13 Petrus, Klaus, Tierrechtsbewegung – Geschichte, Theorie, Aktivismus, Münster, 2013, S. 32. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 079/19 Seite 9 Umstände, unter denen die Tiernutzung vonstatten geht, so modifizieren, dass das daraus folgende Leid auf ein Minimum reduziert wird.14 Aus Sicht von Tierschutzorganisationen ist es demgemäß nicht beanstandenswert, Tiere für die menschliche Ernährung unter anderem zu züchten, zu mästen und zu töten, solange diese nicht mehr als dafür notwendig leiden müssen. Organisationen, die sich für Tierrecht einsetzen, fragen hingegen, ob überhaupt irgendein vom Menschen verursachtes Tierleid unvermeidbar ist und gehen davon aus, dass Tiere unabhängig von ihrem Nutzen für Menschen mit eigenen Interessen ausgestattete leidensfähige Individuen sind, deren Interessen nicht per se geringer bewertet werden dürfen als diejenigen der Menschen. Diese sollen nicht das Recht haben, Tiere in irgendeiner Form auszubeuten, zu misshandeln oder zu verwerten. Folgerichtig werden alle Arten der Tiernutzung durch den Menschen bekämpft (unter anderem in Bezug auf Nahrung, Kleidung, Heim- und Zoohaltung). Einen hohen Bekanntheitsgrad hat die ursprünglich aus den USA stammende Tierrechtsorganisation PETA (People for the Ethical Treatment of Animals), deren Kampagnen unter anderem wegen ihrer Drastik als auch ihrer inzwischen untersagten historischen Vergleiche umstritten sind. Die Organisation greift dabei auf Film- und Fotomaterial zurück, das nicht selten durch illegales Eindringen von Privatpersonen bzw. Tierschützern in Tierställe entstanden ist. Die Tierrechtsorganisation analysiert, verarbeitet und verbreitet das ihr zugespielte Recherchematerial. 6. Verfahren gegen Tierschützer In Bezug auf PETA wird in Presse und Politik immer wieder die Forderung laut, der Organisation solle die Gemeinnützigkeit entzogen werden, da sie zu Straftaten aufriefe. Unter solche Straftaten fallen im Wesentlichen sogenannte „Stalleinbrüche“, bei denen Tierschützer in Ställe eindringen , um Verstöße gegen das Tierschutzgesetz zu dokumentieren. „Stalleinbrüche“, bei denen typischerweise nichts entwendet wird, gelten nicht als Einbruch, sondern als Hausfriedensbruch, der einen Straftatbestand (nach § 123 StGB) darstellt. Tatsächlich wurden Stallfilmer in der Vergangenheit gelegentlich wegen Hausfriedensbruchs verurteilt. Bemerkenswert waren in den letzten Jahren dazu insbesondere zwei Urteile: Das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Naumburg vom 22. Februar 2018 (2 Rv 157/17)15 sowie das des OLG Stuttgart vom 4. September 2018 (2 Rv 25 Ss 145/18)16. Mit dem Urteil des OLG Naumburg wurden die Freisprüche für drei Tierschützer bestätigt, da ihre Tat gerechtfertigt gewesen sei. In dem gefährdeten Tierwohl sah das Gericht einen rechtfertigenden Notstand, der es den Aktivisten erlaubt habe, in die Räume des Unternehmens einzudringen . Die Tierschützer hätten das Filmmaterial den zuständigen Behörden vorgelegt und Strafanzeige erstattet, woraufhin die behördlichen Kontrollen diverse Verstöße gegen die Tierschutz- 14 Roscher, Mieke, Tierschutz- und Tierrechtsbewegung – ein historischer Abriss, in: Aus Politik und Zeitgeschichte , 8-9/2012, S. 39. 15 https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=OLG%20Naumburg&Datum=22.02.2018&Aktenzeichen =2%20Rv%20157%2F17, abgerufen am 3. Juli 2019. 16 https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=OLG%20Stuttgart&Datum=04.09.2018&Aktenzeichen =2%20Rv%2025%20Ss%20145%2F18, abgerufen am 3. Juli 2019. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 079/19 Seite 10 nutztierhaltungsverordnung feststellten. Die Tat sei zur Abwendung der Gefahr erforderlich gewesen , da mit einem Eingreifen der Behörden ansonsten nicht zu rechnen gewesen sei. Anders hingegen ein vom OLG Stuttgart bestätigtes Urteil des Landgerichts (LG) Heilbronn, in dem „die schlimmen Zustände in Massentiermästereien (…) zumindest derzeit noch als „sozial adäquat“ und „im Spannungsverhältnis zwischen Tierwohl und Nahrungsmittelproduktion als hinnehmbar, also mit „vernünftigem Grund“ und damit in Übereinstimmung mit dem Tierschutzgesetz “ angesehen werden, was zur Verurteilung des betroffenen Stallfilmers führte. In dieser Sache ist jedoch, finanziell unterstützt von der Albert-Schweizer-Stiftung für unsere Mitwelt und der Erna-Graff-Stiftung, eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof des Landes Baden- Württemberg anhängig (1 Vb 72/18). Der langjährige Richter (a. D.) Hans-Georg-Kluge bemerkt dazu, dass die Argumentation des LG Heilbronn die Auswirkung habe, „dass geltendes Tierschutzrecht in der Massentierhaltung nicht angewendet wird und Veterinärämter keinerlei Möglichkeiten der Einflussnahme oder Korrektur zum Schutz der Tiere in den Mastbetrieben haben. Das setzt das Tierschutzgesetz in weiten Teilen außer Kraft […] und widerspricht zudem […] der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der bereits 1987 entschieden hat, dass das Tierschutzgesetz auch in der Massentierhaltung anzuwenden ist (2 StR 159/86)17.“18 Festzuhalten ist, dass bezüglich der „Stalleinbrüche“ keine einheitliche Rechtsprechung existiert. 7. Rechtsprechung zu einer möglichen Aberkennung der Gemeinnützigkeit in anderen Fällen Aufsehenerregend war im Zusammenhang mit Gemeinnützigkeit das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10. Januar 2019, wodurch dem globalisierungskritischen Netzwerk attac die Gemeinnützigkeit entzogen wurde (VR 60/17)19. Im Katalog der steuerbegünstigten Zwecke des § 52 Abs. 2 Satz 1 AO ist unter Nummer 7 die Förderung der Volksbildung aufgeführt, worunter auch politische Bildungsarbeit zu verstehen ist. Nach Meinung der Richter jedoch setze politische Bildungsarbeit ein Handeln in geistiger Offenheit voraus, was bei den Kampagnen des attac- Trägervereins mit ihren Forderungen zu sehr unterschiedlichen Themen der Tagespolitik nicht gegeben sei. Der BFH unterstrich, dass gemeinnützige Körperschaften kein allgemeinpolitisches Mandat haben. Dennoch dürfen sich Körperschaften nach ständiger BFH-Rechtsprechung im Rahmen ihrer nach § 52 AO steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke in gewissen Grenzen auch betätigen, um Einfluss auf die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung zu nehmen.20 Dies wurde beispielsweise im BFH-Urteil vom 20. März 2017 (X R 13/15)21 bestätigt, indem dieser entschied, dass eine wegen Förderung des Umweltschutzes gemeinnützige Körperschaft (hier: BUND) sich 17 https://www.jurion.de/urteile/bgh/1987-02-18/2-str-159_86/, abgerufen am 3. Juli 2019. 18 https://www.houndsandpeople.com/de/magazin/recht-verordnungen/tierschutzer-und-stallfimler-legt-verfassungsbeschwerde -ein/, abgerufen am 24. Juni 2019. 19 https://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/druckvorschau.py?Gericht=bfh&Art=en&nr=39534, abgerufen am 3 Juli 2019. 20 https://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bfh&Art=en&Datum=Aktuell &nr=39507&linked=pm, abgerufen am 21. Juni 2019. 21 https://juris.bundesfinanzhof.de/cgi-bin/rechtsprechung/druckvorschau.py?Gericht=bfh&Art=pm&nr=34884, abgerufen am 3. Juli 2019. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 079/19 Seite 11 mit allgemeinpolitischen Themen befassen darf, wenn sie parteipolitisch neutral bleibt, sich dabei an ihre satzungsmäßigen Ziele hält und ihre vertretenen Auffassungen objektiv und sachlich fundiert sind. Die Richter urteilten, dass die politischen Maßnahmen des BUND lediglich dem gemeinnützigen Zweck des Umweltschutzes dienten. Ähnliches gilt beispielsweise für die Betätigung von PETA zur Einflussnahme auf Politik und Öffentlichkeit im Rahmen des steuerbegünstigten Zwecks (hier § 52 Abs. 2 S. 1 Nr. 14 AO) – es sei denn, es käme in einem Verfahren zu einem anderslautendem rechtskräftigen Urteil. *****