© 2018 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 077/18 Einzelfragen zum Konnexitätsprinzip Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 077/18 Seite 2 Einzelfragen zum Konnexitätsprinzip Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 077/18 Abschluss der Arbeit: 2. Mai 2018 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 077/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitende Bemerkungen 4 2. Konnexitätsprinzip zwischen Bund und Kommunen 4 2.1. Verfassungsrechtliche Vorgaben 4 2.1.1. Art. 104a Abs. 1 GG 4 2.1.2. Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG 4 2.1.3. Art. 85 Abs. 1 S. 2 GG 5 2.2. Auswirkungen auf die Kommunen 5 2.3. Vorschläge im Rahmen der Föderalismuskommission I 5 2.4. Mögliche finanzielle Auswirkungen 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 077/18 Seite 4 1. Einleitende Bemerkungen Die Auftraggeberin bittet um eine Erörterung rechtlicher Probleme einer möglichen Fixierung eines Konnexitätsprinzips zwischen Bund und Kommunen im Grundgesetz. Die Schwerpunkte der diversen Einzelfragen werden gebündelt beantwortet. 2. Konnexitätsprinzip zwischen Bund und Kommunen 2.1. Verfassungsrechtliche Vorgaben 2.1.1. Art. 104a Abs. 1 GG Nach Art 104a Abs. 1 GG tragen Bund und Länder gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben (Konnexitätsgrundsatz). Die Ausgabenlast folgt damit der Aufgabenzuständigkeit. In seiner zuständigkeitsabgrenzenden Funktion verbietet das Konnexitätsprinzip den Gebietskörperschaften, die Aufgabenlast der jeweils anderen zu finanzieren. Die Finanzverantwortung für die Kommunen tragen nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes die Länder.1 2.1.2. Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG Bis zu der Einfügung des Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG im Zuge der Föderalismusreform I ließ das BVerfG ausnahmsweise zu, dass der Bund unmittelbar durch Gesetz Aufgabenzuweisungen an die Gemeinden oder Gemeindeverbände vornahm.2 Diese stellen sich insbesondere vor dem staatsorganisationsrechtlichen Aufbau als problematisch dar. Aufgabenzuweisungen an die Gemeinden und Gemeindeverbände durch den Bund unter Umgehung des jeweiligen Landes bedeuten daher einen gravierenden Eingriff in deren organisatorische Eigenständigkeit.3 Denn der Bund war und ist mangels unmittelbarer finanzverfassungsrechtlicher Beziehungen zu den Kommunen zu einem Ausgleich weder verpflichtet noch berechtigt. Und die mittlerweile flächendeckend in den Landesverfassungen enthaltenen Konnexitätsregelungen, die Aufgabenübertragungen an die Kommunen nur bei Regelung eines finanziellen Ausgleichs zulassen, greifen nur ein, wenn das Land den ihm zugehörigen Kommunen Aufgaben zuweist. Diese Aushebelung der landesverfassungsrechtlichen Sicherungen zugunsten einer aufgabenadäquaten Finanzausstattung der Kommunen unterbindet Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG. Adressat von Aufgabenzuweisungen durch den Bund sind dementsprechend die Länder. Nach der Übergangsregel des Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG gelten Regelungen in Bundesgesetzen, die vor dem 1.9.2006 erlassen worden sind, wegen Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG jedoch nicht mehr erlassen werden könnten, fort. Die Länder können sie gem. Art. 125a Abs. 1 S. 2 GG durch Landesrecht 1 BeckOK Grundgesetz/ Kube, GG Art. 104a, Rn. 8. 2 BeckOK Grundgesetz/ Suerbaum, GG Art. 84, Rn. 26. 3 BeckOK Grundgesetz/ Suerbaum, GG Art. 84, Rn. 27. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 077/18 Seite 5 ersetzen. Im Hinblick auf die sich nach Maßgabe des jeweiligen Landesverfassungsrechts anschließenden Finanzierungsfolgen zulasten der Länder ist indes fraglich, in welchem Umfang hiervon Gebrauch gemacht werden wird.4 2.1.3. Art. 85 Abs. 1 S. 2 GG Das Durchgriffsverbot konkretisiert sich auch in Art. 85 Abs. 1 S. 2 GG für die Bundesauftragsverwaltung . Dies wurde ebenfalls mit der Föderalismusreform I im Jahre 2006 eingefügt. Demnach dürfen auch im Bereich der Bundesauftragsverwaltung den Gemeinden und Gemeindeverbänden keine Aufgaben durch Bundesgesetz übertragen werden.5 2.2. Auswirkungen auf die Kommunen Der rechtliche Rahmen, den die Finanzverfassung vorgibt, lässt nur wenig Spielraum für eine Stärkung der Kommunalfinanzen durch den Bund. Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG und Art. 85 Abs. 1 S. 2 GG können nur im Zusammenwirken von Bundes- und Landesverfassung ihr Ziel erreichen, und die Normzwecke – die Stärkung der Autonomie der Länder, der Selbstverwaltungshoheit der Kommunen und deren finanzielle Leistungsfähigkeit - erfüllen.6 Nach Ansicht von Wieland haben es die Länder nicht selten versäumt, ihren Kommunen eine für deren Aufgabenerfüllung angemessene Finanzausstattung zur Verfügung zu stellen.7 Der Bund hat vor Inkrafttreten des Aufgabenübertragungsverbots gem. Art. 84 Abs. 1 S. 7 und Art. 85 Abs. 1 S. 2 GG im Jahr 2006 den Ausbau des Sozialstaats zulasten der Kommunen finanziert. Da das Aufgabenübertragungsverbot gem. Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG nur für die Zukunft gilt, die Kommunen also die aus den ihnen vor 2006 übertragenen Sozialleistungen resultierenden Ausgaben weiter selbst finanzieren müssen, ist die finanzielle Entlastung durch das Verbot relativ gering.8 Das Aufgabenübertragungsverbot hilft den Kommunen folglich wenig, weil die alten Aufgabenübertragen nach Art. 125a Abs. 1 GG fortbestehen.9 2.3. Vorschläge im Rahmen der Föderalismuskommission I Zur Stärkung der kommunalen Finanzen wurden damals verschiedene Verfassungsänderungen diskutiert. So wurde die Einführung eines Aufgabenübertragungsverbots erörtert und auch später eingeführt (Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG). 4 BeckOK Grundgesetz/ Suerbaum, GG Art. 84, Rn. 30. 5 BeckOK Grundgesetz / Suerbaum, GG Art. 85, Rn. 14. 6 Maunz/Dürig/ F. Kirchhoff, GG Art. 84, Rn. 157f. 7 Vgl. Wieland: Flüchtlinge als Herausforderung für die Finanzverfassung, DÖV 2017, S. 11. 8 Vgl. Wieland: Flüchtlinge als Herausforderung für die Finanzverfassung, DÖV 2017, S. 11. 9 Vgl. Wieland: Flüchtlinge als Herausforderung für die Finanzverfassung, DÖV 2017, S. 15. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 077/18 Seite 6 Alternativ wurde eine Änderung des Art. 104 a GG oder des Art. 28 Abs. 2 GG vorgeschlagen. Den Vorschlägen, Art. 28 GG oder Art. 104 a GG zu ändern, ist gemein, dass stets eine Verankerung des Konnexitätsprinzips im Grundgesetz in Form der Gesetzeskausalität (Veranlassungsprinzip ) diskutiert wird. Die Fraktion der FDP im Deutschen Bundestag schlug in der 15. Wahlperiode die Verankerung des erweiterten Konnexitätsprinzips im Grundgesetz durch eine Ergänzung des Art. 28 Abs. 2 GG um einen Satz 4 vor. „Der Gesetz- und Verordnungsgeber muss Bestimmungen über die Deckung der Kosten treffen, wenn er Gemeinden oder Gemeindeverbände durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zur Erfüllung bestimmter Aufgaben verpflichtet.“ Eine Verankerung des Konnexitätsprinzips in Art. 28 Abs. 2 GG würde für die Kommunen bedeuten , dass der Gesetzgeber gleichzeitig mit der Übertragung der Aufgabe, Regelungen über die Deckung der Kosten treffen müsste. Diesem Vorschlag ständen verfassungsrechtlich keine Bedenken entgegen.10 Die Änderung durch Gesetz wäre gemäß Art. 79 Abs. 1 GG grundsätzlich möglich. Dem Bund steht die Kompetenz zu, in den Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG u. a. Zuständigkeitsverschiebungen zwischen Bund und Ländern vorzunehmen. Die Grenzen des Absatzes 3 wären im Falle der vorgeschlagenen Verfassungsänderung eingehalten. Es könnte allerdings die Möglichkeit bestehen, dass es zu Kollisionen mit Normen der Finanzverfassung kommt, wenn der Gesetzgeber das erweiterte Konnexitätsprinzip nur in Art. 28 Abs. 2 GG verankert, da die Vorschriften im X. Abschnitt des Grundgesetzes grundsätzlich als Sonderregeln behandelt werden müssen. Eine Klarstellung in der Finanzverfassung wäre daher zu überlegen. Betrachtet man den Vorschlag allerdings unter verfassungspolitischen Gesichtspunkten, so erscheint er bedenklich. Denn fraglich ist, ob den Kommunen auch tatsächlich ausreichend finanzielle Mittel vom Bund für die Aufgabenerfüllung zur Verfügung gestellt werden und gestellt werden müssen. Es ist zu erwarten , dass die Aufnahme einer Konnexitätsklausel in Art. 28 Abs. 2 GG die tatsächliche Finanzsituation der Kommunen mittelfristig nicht wesentlich verbessern würde, denn im Falle einer Kostenübernahme durch den Bund würden die den öffentlichen Haushalten insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel unverändert bleiben.11 Je größer die Kostenerstattungspflicht des Bundes wäre, umso kleiner könnte auf Dauer beispielsweise der auf die Länder und Kommunen anfallende Anteil an der Umsatzsteuer und umso geringer könnten im Rahmen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs die Ergänzungszuweisungen des Bundes an die Länder sein.12 Einer Konnexitätsklausel in Art. 28 Abs. 2 GG könnte aber eine Disziplinierungsfunktion zukommen . Der Aufgaben zuweisende Bundesgesetzgeber müsste Finanzierungsfragen zeitgleich mit der Aufgabenzuweisung regeln. Da er dabei unmittelbar über Bundesmittel zu verfügen hätte, 10 So die Ausarbeitung „Zu Fragen der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Kommune“, WF III – 364/05, 19. Januar 2006, S. 9. 11 Remmert, Barbara: Die verfassungsrechtliche Stellung der Gemeinden bei der Zuweisung überörtlicher Aufgaben durch Bundesgesetz, VA 2003, S. 459. 12 Remmert, Barbara: Die verfassungsrechtliche Stellung der Gemeinden bei der Zuweisung überörtlicher Aufgaben durch Bundesgesetz, VA 2003, S. 482. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 077/18 Seite 7 könnte das dazu veranlassen, stärker als bisher die Notwendigkeit der wahrzunehmenden Aufgabe zu überprüfen. Eine dadurch veranlasste Aufgabenreduktion käme den öffentlichen Haushalten insgesamt zu Gute - und damit langfristig auch den Kommunen. Für die Aufnahme eines erweiterten Konnexitätsprinzips wurde auch eine Änderung von Art. 104a GG diskutiert. So wurde u.a. gefordert, dass Art. 104a Abs. 1 GG vorsehen soll, dass der Bund dann die Zweckausgaben für die Wahrnehmung von direkt übertragenen Aufgaben trägt, wenn für die Länder oder die Kommunen kein nennenswerter Ausführungsspielraum besteht, das Ausgabenvolumen durch Bundesgesetz vorgegeben ist.13 Entsprechende die Gemeinden und Gemeindeverbände betroffenen Regelungen können als Ergänzung auch zu Art. 104a Abs. 2, 3 GG eingefügt werden. Hier beständen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.14 Huber hingegen sieht erhebliche verfassungsrechtliche Probleme. Ausgangspunkt seiner Argumentation ist die fehlende Staatsqualität von Gemeinden und Gemeindeverbänden.15 Demnach kann, auch unter Berücksichtigung von Art. 106 Abs. 9 GG, kein Anspruch der Kommunen auf Zurverfügungstellung der vom Bund an das Land überwiesen Mittel für Zweckausgaben konstruiert werden.16 Ein spezifisches bundesrechtliches Konnexitätsprinzip, das die Länder verpflichtet, den Kommunen die mit der Erfüllung bestimmter Aufgaben verbundenen Kosten zu ersetzen, lässt sich dem Grundgesetz nicht entnehmen. Die Regelungen der Rechtsverhältnisse zwischen dem Land und seinen Kommunen bleiben somit grundsätzlich Sache des Landesrechts. Deshalb hilft auch die Erwägung, dass die „Fremderfüllung“ gleichsam ein Auftrag sei, der eine entsprechende Vergütungspflicht des Landes nach sich ziehen müsse, nicht weiter.17 Gleiches gilt für die sachlich richtige Annahme, dass beim Land eine entsprechende Kostenentlastung eintritt, wenn die Gemeinden Aufgaben für das Land wahrnehmen. Auch insoweit bleiben die Kommunen mit ihrer konkreten Finanzausstattung primär auf das Landesverfassungsrecht angewiesen. Das erscheint nach Huber strukturadäquat und entspricht auch der Konzeption des Grundgesetzes. Folglich lehnt er eine stärkere Verselbständigung der Kommunen als dritte Ebene im Staatsaufbau ab. Die Fixierung eines Konnexitätsprinzips, das den Kommunen unmittelbare Finanzierungsansprüche gegen den Bund eröffnete, wäre folglich abzulehnen und mit Blick auf die Eigenstaatlichkeit der Länder auch bedenklich.18 Aufgrund der dargestellten Erwägungen wären auch obligatorische Ausführungsgesetze, die die Länder zur Weiterleitung der Haushaltsmittel verpflichten würden, 13 Wendt, Rudolf: Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlasste kommunale Ausgaben, in: Verfassungsstaatlichkeit , Festschrift für Klaus Stern, München 1997, S. 614. 14 So bereits die Ausarbeitung „Zu Fragen der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Kommune“, WF III – 364/05, 19. Januar 2006, S. 11. 15 So auch VerfGH NW, DVBl. 1985, 685, 687. 16 Huber: Klarere Verantwortungsteilung von Bund, Ländern und Kommunen?, Bonn 2004, S. 161f. 17 Huber: Klarere Verantwortungsteilung von Bund, Ländern und Kommunen?, Bonn 2004, S. 163. 18 Huber: Klarere Verantwortungsteilung von Bund, Ländern und Kommunen?, Bonn 2004, S. 164. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 077/18 Seite 8 verfassungsrechtlich bedenklich. Diese könnten zu stark die Staatlichkeit der Länder einschränken . 2.4. Mögliche finanzielle Auswirkungen Den für die Kommunalfinanzen entlastenden Maßnahmen stünden erhebliche Belastungen für den Bund und insbesondere die Länder gegenüber. Belastbare Untersuchungen zur Quantifizierung des finanziellen Volumens liegen nicht vor. ***