© 2018 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 076/18 Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Grundsteuer bei Realisierung des Äquivalenzsteuermodells? Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Fragestellung Der Auftraggeber erkundigt sich nach der Reichweite einer Gesetzgebungskompetenz aus Art. 125a Abs. 2 GG für eine Reform der Grundsteuer. Insbesondere soll dargestellt werden, ob ein Grundsteuermodell nach Äquivalenzwerten mit der Gesetzgebungskompetenz des Art. 125a Abs. 2 GG vereinbar wäre. 2. Gesetzgebungskompetenz für eine Reform der Grundsteuer 2.1. Das Äquivalenzsteuer-Modell „Einzelne Bundesländer präferieren ein rein flächenbezogenes Grundsteuer-Konzept für Boden und Gebäude. Es wird vor allem von Bayern vertreten, früher unterstützten es auch Baden-Württemberg und Hessen, zuletzt hat sich Hamburg dafür ausgesprochen. Dabei werden unabhängig von den tatsächlichen Werten einheitliche Messzahlen für die Grundstücksflächen und die Gebäudeflächen vorgegeben, zum Beispiel 0,02 €/m2 für die Grundstücksflächen, für die Gebäudeflächen 0,20 €/m2 bei Wohnnutzungen und 0,40 €/m2 bei betrieblichen Nutzungen. Die Grundstücks - und Gebäudeflächen sollen vereinfachend abgeleitet werden aus vorhandenen administrativen Informationen der Kataster- und Grundbuchämter.“1 2.2. Die Gesetzgebungskompetenz aus Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG gibt dem Bundesgesetzgeber die Möglichkeit, Rechtsbereiche die vor dem 15. November 1994 auf Grund des Artikels 72 Abs. 2 in der damals geltenden Fassung erlassen worden sind, weiter in Kraft zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat zudem aus Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG eine Anpassungs - und Änderungskompetenz des Bundes hergeleitet.2 „So soll diese Kompetenz an „die Beibehaltung der wesentlichen Elemente der in dem fortgeltenden Bundesgesetz enthaltenen Regelung “ gebunden sein mit der Folge, dass dem Bund namentlich grundlegende Neukonzeptionen verwehrt sind.“3 2.3. Äquivalenzsteuer-Modell als Neukonzeption? Das BVerfG führt zur Frage der Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 125a Abs. 2 GG in seinem Urteil vom 10. April 20184 Folgendes aus: 1 DIW/Bach, Stefan: Grundsteuerreform: Aufwändige Neubewertung oder pragmatische Alternativen http://www.diw.de/de/diw_01.c.581851.de/presse/diw_aktuell/grundsteuerreform_aufwaendige_neubewertung _oder_pragmatische_alternativen.html 2 BVerfGE 111, 10 (28 ff.) 3 Maunz/Dürig: GG, Art. 125 a Rn. 13 (beck-online) 4 BVerfG, Urteil vom 10. April 2018 – 1 BvL 11/14 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 076/18 Seite 5 „Die bestehende Regelung (gilt) nach Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG als Bundesrecht fort, solange sie nicht in wesentlichen Elementen geändert wird. Denn die Zuständigkeit zur Änderung solcher fortgeltender Vorschriften verbleibt ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG beim Bundesgesetzgeber, soweit die Änderung die wesentlichen Elemente der in dem fortbestehenden Bundesgesetz enthaltenen Regelung beibehält und keine grundlegende Neukonzeption enthält (vgl. BVerfGE 111, 10 <28 ff.>; 112, 226 <250>). Danach kann sich das geltende Recht der für die Grundsteuer maßgeblichen Einheitsbewertung für Grundbesitz nach wie vor auf eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes stützen. Die wesentlichen Elemente der Einheitsbewertung im Bewertungsgesetz sind nach der Einfügung der Erforderlichkeitsklausel in den Art. 72 Abs. 2 GG zum 15. November 1994 unverändert geblieben. Eine Neukonzeption dieses Teils des Bewertungsgesetzes hat seither nicht stattgefunden.“5 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob das Äquivalenzsteuer-Modell eine Neukonzeption der grundsteuerlichen Bemessungsgrundlage darstellt. In der Literatur wird das Äquivalenzsteuer-Modell als Neukonzeption der Grundsteuer und nicht als Fortschreibung des bisherigen Einheitswert-Modells angesehen. So sieht Hantzsch6 in der reinen Flächensteuer des bayerischen Modellvorschlags einen Widerspruch zum bisherigen Gesetzeskonzept einer wertorientierten Steuer. Becker7 verweist in ihrem Aufsatz darauf, dass der Grundstückswert beim wertunabhängigen Modell für die Besteuerung keine Bedeutung hat. „Allein diese besondere Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage stellte – im Falle des „Südländer- Modell“ – eine eindeutige Abkehr von einem der besonders prägenden Merkmale der derzeitigen Grundsteuer (Bewertungsmaßstab ist der gemeine Wert = Verkehrswert) dar. Es ist schon deshalb von einer Neukonzeption des Grundsteuergesetzes im Falle des „Südländer-Modells“ auszugehen .“8 Zwischenergebnis: Aufgrund der Aufgabe des Verkehrswerts als Bewertungsgrundlage im Äquivalenzsteuermodell ist von einer Neukonzeption der Grundsteuer durch dieses Modell auszugehen . Dem Bundesgesetzgeber wäre daher die Gesetzgebungskompetenz aus Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG verwehrt. 2.4. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz aus Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG Für das Äquivalenzsteuermodell käme jedoch die (reguläre) Steuergesetzgebungskompetenz aus Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG in Betracht. Art. 72 Abs. 2 GG enthält die Erforderlichkeitsklausel, die für steuerrechtliche Gesetzgebungskompetenzen immer dann erfüllt 5 BVerfG, Urteil vom 10. April 2018 – 1 BvL 11/14 –, Rn. 89 (juris) 6 Hantzsch, Dieter: „Reform der Grundsteuer durch den Bundesgesetzgeber?“ in: Deutsche Steuer Zeitung (DStZ) 2012, 758-765 (S. 764) 7 Becker, Julia: „Die Reform der Grundsteuer – wem obliegt die Gesetzgebungskompetenz“ in: BetriebsBerater 2013, 861-866 8 Becker: ebenda, Seite 866 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 076/18 Seite 6 sein müssen, wenn die Steuereinnahmen dem Bund nicht zufließen. Die Voraussetzungen der Erforderlichkeitsklausel wurden von der Rechtsprechung des BVerfG in den vergangenen Jahren eng definiert: „Das bundesstaatliche Rechtsgut gleichwertiger Lebensverhältnisse ist erst dann bedroht und der Bund erst dann zum Eingreifen ermächtigt, wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern „in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet.“9 „Eine bundesgesetzliche Regelung ist zur „Wahrung der Rechtseinheit“ erforderlich, wenn und soweit die mit ihr erzielbare Einheitlichkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen Voraussetzung für die Vermeidung einer Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen ist, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden kann.“10 „Eine bundesgesetzliche Regelung ist zur „Wahrung der Wirtschaftseinheit“ erforderlich, wenn und soweit sie Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des gesamtstaatlichen Wirtschaftsraums ist, wenn also unterschiedliche Landesregelungen oder das Untätigbleiben der Länder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich brächten. Während die Wahrung der Rechtseinheit in erster Linie auf die Vermeidung einer Rechtszersplitterung zielt, geht es bei der Wahrung der Wirtschaftseinheit im Schwerpunkt darum, Schranken und Hindernisse für den wirtschaftlichen Verkehr im Bundesgebiet zu beseitigen.“11 Ob die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG für eine Neukonzeption der Grundsteuer erfüllt wären, ist in der Literatur umstritten. So bejaht Becker zu Gunsten der Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung. Die Begründung liege jedoch weniger in der Vermeidung eines schädlichen Steuerwettbewerbs, sondern eher in der Einbeziehung der Grundsteuer in den Länderfinanzausgleich. Die Neutralisierung der Grundsteuer im Ausgleichssystem sei nur solange möglich, wie es eine einheitliche Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer gäbe. Aus diesem Grund sei die bundesgesetzliche Regelung unverzichtbar .12 Hantzsch13 sieht dagegen die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG für die Grundsteuer als nicht erfüllt an. Eine länderspezifische Regelung der Grundsteuer würde weder die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft gefährden noch die Rechtseinheit beeinträchtigen. 9 BVerfG v. 24.10.2002 - 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (144); zitiert nach Tipke/Lang/Seer: Steuerrecht, § 2 Rn. 36 10 BVerfG v. 27.1.2010 - 2 BvR 2185/04, 2 BvR 2189/04, BVerfGE 125, 141 (155); BVerfG v. 17.12.2014 - 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136, Rz. 109; zitiert nach Tipke/Lang/Seer: Steuerrecht, § 2 Rn. 36 11 Siehe Fn. 9 12 Becker: siehe Fn. 6, Seite 864 f. 13 Hantzsch: siehe Fn. 5, Seite 761 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 076/18 Seite 7 Das BVerfG lässt in seinem Urteil zur Grundsteuer den Meinungsstreit in der Literatur um die Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG offen. Zwar benennt das BVerfG die unterschiedlichen Positionen zu dieser Frage. Letztlich stellt das BVerfG jedoch nur fest, dass für das derzeit noch anwendbare Bewertungssystem der Einheitsbewertung entweder Artikel 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG oder Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG anwendbar seien. Über die Gesetzgebungskompetenz für völlig neuartige Bewertungs- und Besteuerungsmodelle musste das BVerfG in diesem Urteil nicht entscheiden. Der Bundesrat hat in der vergangenen Legislaturperiode zudem einen Gesetzentwurf14 zur Änderung des Artikels 105 Abs. 2 GG in den Deutschen Bundestag eingebracht, mit dem die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Grundsteuer unabhängig von Art. 72 Abs. 2 GG gesichert werden sollte. Der Gesetzentwurf wurde in der 18. Wahlperiode nicht beraten und unterlag somit der Diskontinuität der Wahlperiode. Ergebnis: Das Äquivalenzsteuermodell kann über die Anpassungsgesetzgebungskompetenz des Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG nicht realisiert werden. Eine bundesgesetzliche Regelung wäre daher nur mittels Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG möglich. Hierbei ist die Frage, ob eine bundesgesetzliche Regelung der Grundsteuer die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt , in der Literatur umstritten und wurde vom BVerfG bislang nicht entschieden. *** 14 BT-Drs. 18/10751