© 2019 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 – 075/19 Ermäßigter Umsatzsteuersatz für Beherbergungsleistungen: Fiskalische Wirkungen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 075/19 Seite 2 Ermäßigter Umsatzsteuersatz für Beherbergungsleistungen: Fiskalische Wirkungen Aktenzeichen: WD 4 - 3000 – 075/19 Abschluss der Arbeit: 28. Mai 2019 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 075/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Einführung der Regelung 4 3. Steuermindereinnahmen 5 4. Erhöhter Bürokratieaufwand durch die Verwendung differenzierter Umsatzsteuersätze 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 075/19 Seite 4 1. Fragestellung Es wird um die Darstellung der fiskalischen Wirkungen (Steuermindereinnahmen, administrativer Aufwand) der Ermäßigung des Umsatzsteuersatzes auf Beherbergungsleistungen (sogenannte Mövenpicksteuer) gebeten. 2. Einführung der Regelung Die Ermäßigung des Umsatzsteuersatzes auf Beherbergungsleistungen gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 11 Umsatzsteuergesetz (UStG)erfolgte durch das Gesetz zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (Wachstumsbeschleunigungsgesetz) vom 22. Dezember 2009.1 Die Ermäßigung trat am 1. Januar 2010 in Kraft. Die Umsatzsteuer ermäßigt sich auf 7 Prozent für die Umsätze aus der Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält. Die Ermäßigung umfasst sowohl die Umsätze des klassischen Hotelgewerbes als auch kurzfristige Beherbergungen in Pensionen, Fremdenzimmern und vergleichbaren Einrichtungen. Nicht von der Steuerermäßigung umfasst, da sie nicht unmittelbar der Beherbergung dienen, sind die Verpflegung , insbesondere das Frühstück, der Zugang zu Kommunikationsnetzen (insbesondere Telefon und Internet), die TV-Nutzung („pay per view“), die Getränkeversorgung aus der Minibar, Wellnessangebote, Überlassung von Tagungsräumen, sonstige Pauschalangebote usw., auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Beherbergung abgegolten sind.2 Mit der Maßnahme werde von der Option in Artikel 98 Absatz 1 und 2 in Verbindung mit Kategorie 12 des Anhangs III der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. EU Nr. L 347 S. 1) Gebrauch gemacht.3 Zur Begründung der Gesetzesänderung betonten die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP, dass die Bundesrepublik Deutschland der tiefgreifensten Wirtschaftskrise seit ihrem Bestehen gegenüberstehe, aus der gravierende Folgen für die Entwicklung der Beschäftigung, die Lage der Sozialkassen und der öffentlichen Haushalte zu erwarten seien. Vor diesem Hintergrund sei die Zielsetzung gerechtfertigt, das wirtschaftliche Wachstum in Deutschland zu unterstützen, um die Krisenlage möglich rasch zu überwinden. Die Umsatzsteuerermäßigung für Beherbergungsleistungen sei unter dem Gesichtspunkt der Gleichstellung des deutschen Beherbergungsgewerbes im internationalen Wettbewerb gerechtfertigt.4 1 Bundesgesetzblatt (BGBl.) I vom 22. Dezember 2009, Seite 3950. 2 Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (Wachstumsbeschleunigungsgesetz), Bundestags-Drucksache 17/147, Seite 9. 3 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (Wachstumsbeschleunigungsgesetz ), Bundestags-Drucksache 17/15, Seite 20. 4 Bericht des Finanzausschusses zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (Wachstumsbeschleunigungsgesetz), Bundestags-Drucksache 17/147, Seite 3f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 075/19 Seite 5 3. Steuermindereinnahmen Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP gingen bei der Einführung der Umsatzsteuerermäßigung für Beherbergungsleistungen von folgenden Mindereinnahmen aus:5 Kassenjahr 2010 2011 2012 2013 2014 Steuermindereinnahmen in Mio. Euro 805 950 955 960 965 Die Umsatzsteuerermäßigung für Beherbergungsleistungen nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG gehört zu den 20 größten Steuervergünstigungen des 26. Subventionsberichts. Laut 23. bis 26. Subventionsbericht 6 haben sich die dadurch verursachten Steuermindereinnahmen wie folgt entwickelt: Jahr 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Steuerminder - einnahmen (Schätzung Mio. Euro) 805 920 955 1.060 1.090 1.205 1.265 1.330 1.395 Die Steuermindereinnahmen belasten den Bund zu 53,37 Prozent, die Länder zu 44,63 Prozent und die Gemeinden zu 2,0 Prozent. 4. Erhöhter Bürokratieaufwand durch die Verwendung differenzierter Umsatzsteuersätze Zu eventuell entstehenden Bürokratiekosten enthielt der Gesetzentwurf keine Angaben. Sie wurden in der öffentlichen Anhörung zu dem Gesetzentwurf im Finanzausschuss am 30. November 2009 thematisiert, ohne sie zu beziffern. Im Zentrum der Kritik steht bezüglich der Verwaltung die Gültigkeit zweier Umsatzsteuersätze für die Haupt- und für die Nebenleistung: 5 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (Wachstumsbeschleunigungsgesetz ), Bundestags-Drucksache 17/15, Seite 15. 6 Berichte der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen 2009 bis 2018, Bundestags-Drucksachen 17/6795, 17/14621, 18/5940 und 18/13456. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 075/19 Seite 6 „Die Deutsche Steuer-Gewerkschaft weist auf die Missbrauchsanfälligkeit der Vorschrift hin, die zu weit höheren Steuermindereinnahmen als vorgesehen führen kann. So steht zu besorgen , dass das Hotelgewerbe versuchen wird Hotelpauschalangebote inklusive umfangreicher Nebenleistungen mit dem ermäßigten Steuersatz von 7 Prozent abzurechnen. Es ist administrativ aufwendig diese Haupt- und Nebenleistungen voneinander abzugrenzen.“7 „Vor allem aber erscheint das mit nur 945 Mio. Euro veranschlagte Subventionsvolumen unplausibel , weil man keinesfalls unterstellen darf, der ermäßigte Steuersatz käme nur Beherbergungsleistungen im Wortsinn zugute. Vielmehr sind Gestaltungen absehbar und auch bereits in der Diskussion, wonach Beherbergungen, Frühstück und Wellnessangebote – vielleicht auch die Anreise oder Ausflüge – zu Gesamtpaketen verschnürt werden. Nach der bekannten Regel, dass Nebenleistungen umsatzsteuerlich das Schicksal der Hauptleistung teilen, werden daher zahlreiche Dienstleistungen in den Anwendungsbereich des ermäßigten Steuersatzes kommen, für die dieser gar nicht gedacht war. Dem Erfindungsreichtum der Steuerpflichtigen sind hier kaum Grenzen gesetzt. Bund und Länder werden dann vor der Wahl stehen, ob sie viel größere Einnahmeausfälle hinnehmen wollen als veranschlagt – oder ob sie die Steuerpflichtigen mit zusätzlichen Regeln zum „verdeckten Frühstück “ (in Anlehnung an die verdeckte Gewinnausschüttung) beglücken wollen, soweit das europarechtlich überhaupt zulässig ist.“8 Das Bundesministerium der Finanzen hat unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder im März 2010 ein umfangreiches Schreiben mit Klarstellungen und Vereinfachungsregeln, zum Beispiel bei Pauschalangeboten, die in Rechnungen als Sammelposten angegeben werden dürfen, veröffentlicht.9 Der Bundesfinanzhof hat 2013 geurteilt, dass bei Übernachtungen in einem Hotel nur die unmittelbar der Vermietung (Beherbergung) dienenden Leistungen des Hoteliers dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 Prozent unterliegen. Frühstücksleistungen an die Hotelgäste gehörten nicht dazu; sie sind mit dem Regelsteuersatz von 19 Prozent zu versteuern. Das gilt auch dann, wenn der Hotelier "Übernachtung mit Frühstück" zu einem Pauschalpreis anbietet. Der Grundsatz, dass die (unselbständige) Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt, wird von dem Aufteilungsgebot verdrängt.10 7 Stellungnahme der Deutschen Steuer-Gewerkschaft zum Gesetzentwurf „Gesetz zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (Wachstumsbeschleunigungsgesetz)“ zur öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses am 30. November 2009. 8 Homburg, Stefan: Stellungnahme zum Gesetzentwurf „Gesetz zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (Wachstumsbeschleunigungsgesetz)“ zur öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses am 30. November 2009. 9 Bundesministerium der Finanzen: Umsatzsteuer/Lohnsteuer; Änderung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für Beherbergungsleistungen (§ 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG) ab dem 1. Januar 2010; Folgen für die Umsatz- und Lohnbesteuerung , Bundessteuerblatt (BStBl.) I, 5. März 2010, Seite 259. 10 Bundesfinanzhof (BFH): Urteil vom 24. April 2013, Aktenzeichen XI R 3/11. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 075/19 Seite 7 Im aktuellen 26. Subventionsbericht wird unter dem Stichwort „Evaluierung“ des ermäßigten Steuersatzes für Beherbergungsleistungen weiterhin das Gutachten „Analyse und Bewertung der Strukturen von Regel- und ermäßigten Sätzen bei der Umsatzbesteuerung unter sozial-, wirtschafts -, steuer- und haushaltspolitischen Gesichtspunkten“ genannt. In Bezug auf die Bürokratiekosten stellen die Autoren ohne weitere Bezifferung heraus, dass in der Literatur eine Umsatzsteuerdifferenzierung skeptisch gesehen wird: „Sie hebt hervor, dass die Bürokratie- und Befolgungskosten der Umsatzsteuererhebung in der älteren Forschung stark unterschätzt wurden. Diese Kosten steigen stark mit dem Grad der Differenzierung der Umsatzsteuer und mit der Zahl der Güter und Dienstleistungen, die nicht vom Normalsatz erfasst werden, erheblich. Dementsprechend spricht sich die neuere ökonomische Forschung weitgehend gegen den Gebrauch einer differenzierten Umsatzsteuer aus.“11 * * * 11 Kaul, Ashok (Projektleitung); Ismer, Roland; Reiß, Wolfram; Rath, Silke: Analyse und Bewertung der Strukturen von Regel- und ermäßigten Sätzen bei der Umsatzbesteuerung unter sozial-, wirtschafts-, steuer- und haushaltspolitischen Gesichtspunkten, Endbericht eines Forschungsgutachtens im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen (BMF), Saarbrücken, September 2010, Seite 8, unter: https://taspo.de/uploads/media/TASPO-Downloads -Mehrwertsteuer-Gutachten.pdf, abgerufen am 28. Mai 2019.