Deutscher Bundestag Finanzverfassungsrechtliche Fragen zur Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 4 – 3000 - 075/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 075/11 Seite 2 Finanzverfassungsrechtliche Fragen zur Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) Aktenzeichen: WD 4 – 3000 - 075/11 Abschluss der Arbeit: 11. Mai 2011 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 075/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Kapitalstruktur des ESM nach der Vereinbarung des Europäischen Rates 4 3. Welche Nachschusspflichten der Anteilseigner soll es nach der Vereinbarung des Europäischen Rates geben? 5 4. Sind Obergrenzen für die Haftung der Mitgliedstaaten vorgesehen? 6 5. Welche Vorgaben an die Ausgestaltung des ESM ergeben sich aus der Finanzverfassung? 6 5.1. Budgetrecht des Parlaments 7 5.2. Einhaltung der Schuldenbremse 9 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 075/11 Seite 4 1. Einleitung Mit dem neuen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wollen die EU-Staaten einen dauerhaften Rettungsmechanismus für Euro-Krisenstaaten schaffen. Ab Mitte 2013 soll der ESM dazu die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und den Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) ablösen. Auf dem Gipfel vom 24./25. März 2011 hat der Europäische Rat unter anderem eine Vereinbarung über die Merkmale des künftigen ESM getroffen, welche zuvor von den Finanzministern der Eurogruppe erarbeitet worden waren1. In den nächsten Monaten wollen die Euro-Mitgliedstaaten den Vertrag zur Errichtung des ESM sowie die Änderung am ESFS-Rahmenvertrag ausarbeiten. Die Verträge werden voraussichtlich vor Ende Juni 2011 unterzeichnet2. Für die nationale Umsetzung der Beschlüsse sind folgende gesetzliche Maßnahmen vorgesehen:3 a. Ratifikation der Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) b. Ratifikation des völkerrechtlichen Vertrages zur Errichtung des ESM c. Schaffung einer Ermächtigung nach Art. 115 Abs. 1 GG für die Beteiligung am ESM d. Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus (StabMechG) zur „Ertüchtigung“ der EFSF Die vorliegende Ausarbeitung informiert über die nach der Vereinbarung des Europäischen Rates vorgesehene Kapitalstruktur des ESM (Gliederungspunkt 2), die Nachschusspflichten der Anteilseigner (Gliederungspunkt 3 und 4) sowie darüber hinaus über die finanzverfassungsrechtlichen Vorgaben an die Ausgestaltung des ESM (Gliederungspunkt 5). 2. Kapitalstruktur des ESM nach der Vereinbarung des Europäischen Rates Der ESM soll nach den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates über eine effektive Gesamtdarlehenskapazität in Höhe von 500 Mrd. Euro verfügen. Dazu soll das nominale Volumen des Fonds 700 Mrd. Euro betragen, um dem ESM die höchste Bonitätseinstufung der Ratingagenturen zu garantieren4. Zur Absicherung eines Teiles des nominalen Volumens sollen die Euro-Staaten eine Bareinlage in Höhe von 80 Mrd. Euro leisten. Die Bareinlage muss ab Juli 2013 in fünf glei- 1 Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11), Anlage II, S. 21, abrufbar unter: http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/ec/120313.pdf, abgerufen am 10.05.2011. 2 vgl. Informationen auf den Internetseiten des BMF, Europäischer Stabilitätsmechanismus, abrufbar unter: http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_54/DE/Wirtschaft__und__Verwaltung/Europa/20110414- ESM.html?__nnn=true, abgerufen am 10.05.2011. 3 ebenda. 4 Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11), Anlage II, S. 23. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 075/11 Seite 5 chen jährlichen Tranchen eingezahlt werden. Die übrigen 620 Mrd. Euro sollen durch eine Kombination aus gebundenem abrufbarem Kapital und Bürgschaften bereitgestellt werden. Während der Übergangsphase bis 2017 – also bis die Bareinlagen zum Aufbau des Kapitalstocks des ESM in voller Höhe eingezahlt sind – sollen die Mitgliedstaaten sich verpflichten, erforderlichenfalls „geeignete Instrumente schneller bereitzustellen“, um das Verhältnis des eingezahlten Kapitals zum ausstehenden Betrag der ESM-Anleiheemissionen stets bei mindestens 15 % zu halten5. Der deutsche Kapitalanteil beträgt 27,146 %6, was eine Bareinlage von knapp 22 Mrd. Euro und einen Garantierahmen von 168 Mrd. Euro bedeutet. Nach einem inoffiziellen Vertragsentwurf des Europäischen Rates soll der ESM nur noch aus eingezahlten und abrufbaren Anteilen („shares“) bestehen7. Bürgschaften werden in diesem Zusammenhang nicht mehr erwähnt. Dafür sollen sich die Mitgliedstaaten „bedingungslos und unwiderruflich “ verpflichten, ihre Anteile am genehmigten Stammkapital auch in Geld zu leisten8. 3. Welche Nachschusspflichten der Anteilseigner soll es nach der Vereinbarung des Europäischen Rates geben? Nachschusspflichten können nach der bisherigen Vereinbarung über die Merkmale des ESM entstehen , wenn während der Übergangsphase bis 2017 das Verhältnis zwischen den bis dahin eingezahlten Bareinlagen und dem ausstehenden Betrag der ESM-Anleiheemissionen nicht mindestens 15 % beträgt9. Dies hat den Hintergrund, dass mögliche ESM-Kredite durch einen Mindestanteil von Bareinlagen abgesichert werden müssen. Erst die vollständige Einzahlung der Bareinlagen in Höhe von 80 Mrd. Euro sowie die Kombination aus abrufbarem Kapital und Bürgschaften stellen sicher, dass der ESM Kredite in Höhe von bis zu 500 Mrd. Euro verleihen kann. Der permanente Erhalt des Anteils der Bareinlagen an den ausgegebenen Krediten während der Übergangsphase sorgt dafür, dass der ESM-Fonds das angestrebte Top-Rating („AAA“) nicht verliert. Für diesen Fall sind „geeignete Instrumente schneller bereitzustellen“. Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates erläutern indes nicht, in welcher Weise die Bareinlagen auf die 15 % aufzustocken sind. Ferner können sich Nachschusspflichten für die Anteilseigner ergeben, wenn Mitgliedstaaten ihren Zahlungspflichten nicht nachkommen und daraufhin der ESM aus dem eingezahlten Kapital die Forderungen seiner Gläubiger begleichen muss. Dann soll der Verwaltungsrat10 des ESM 5 Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11), Anlage II, S. 24. 6 Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11), Anlage II, S. 34. 7 vgl. Bericht aus Brüssel 09/2011 vom 09. Mai 2011, Referat PA 1 Europa, abrufbar unter: http://www.bundestag.btg/Wissen/Europa/Berichte/2011_09.pdf, abgerufen am 11.05.2011, S. 6 8 Bericht aus Brüssel 09/2011 vom 09. Mai 2011, Referat PA 1 Europa, S. 7. 9 Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11), Anlage II, S. 24. 10 Der Verwaltungsrat setzt sich aus den Finanzministern der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets als stimmberechtigten Mitgliedern zusammen. Das Kommissionsmitglied für Wirtschaft und Währung und der EZB-Präsidenten fungieren als Beobachter. vgl. Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11), Anlage II, S. 22. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 075/11 Seite 6 mit einfacher Mehrheit beschließen können, dass die Verluste des eingezahlten Kapitals durch den Abruf von Kapital wiederhergestellt werden soll. Darüber hinaus soll es möglich sein, ohne vorherige Abstimmung Bürgschaften automatisch abzurufen, wenn das eingezahlte Kapital für die Forderungen der Gläubiger nicht ausreichen sollte11. 4. Sind Obergrenzen für die Haftung der Mitgliedstaaten vorgesehen? In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates heißt es dazu: “Die Haftung der Anteilseigner ist unter allen Umständen auf ihren jeweiligen Anteil am gezeichneten Kapital begrenzt“12. Allerdings sehen die Vereinbarungen auch vor, dass der Verwaltungsrat im gegenseitigen Einvernehmen – also einstimmig - über eine Änderung der Darlehenskapazität beschließen kann. Dies könnte auch eine Erhöhung der Garantiesumme oder der Kapitalausstattung bedeuten. In zeitlicher Hinsicht soll zumindest während des Übergangs von der ESFS zum ESM die Gesamtdarlehenskapazität in Höhe von 500 Mrd. Euro nicht überschritten werden13. Eine Obergrenze für die Änderung der Darlehenskapazitäten findet sich in den vorliegenden Schlussfolgerungen nicht. Auch ist nach hiesiger Ansicht ungeklärt, welche Folgen der Zahlungsausfall eines Mitgliedstaates auf die Kapitalstruktur des ESM hat. Kann ein Mitgliedstaat seinen Zahlungsverpflichtungen aus den in Anspruch genommenen Krediten nicht mehr nachkommen , ließe dies auch an der Werthaltigkeit seiner Bürgschaften für die ESM-Beteiligung Zweifel aufkommen. Um die effektive Darlehenskapazität von 500 Mrd. Euro weiter aufrechtzuerhalten , müssten voraussichtlich die Sicherheiten durch die übrigen Anteilseigner entsprechend erhöht werden. Obergrenzen der Beteiligung der Mitgliedstaaten oder die Zustimmung der Parlamente zu einer Erhöhung der Beteiligungen sind in den bisherigen Vereinbarungen des Europäischen Rates nicht vorgesehen. Da eine Begrenzung der deutschen Beteiligung aber sowohl wegen des Budgetrechts des Parlaments als auch wegen der Einhaltung der Schuldenbremse erforderlich ist14, müssten bereits in den völkerrechtlichen Vertrag zur Errichtung des ESM entsprechende gesetzliche Regelungen aufgenommen werden. 5. Welche Vorgaben an die Ausgestaltung des ESM ergeben sich aus der Finanzverfassung?15 Die verfassungsrechtlichen Vorgaben an die Ausgestaltung des ESM ergeben sich zum einen aus dem Budgetrecht des Parlaments und zum anderen aus den Vorschriften zur Einhaltung der Schuldenbremse. 11 ebenda. 12 ebenda. 13 Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11), Anlage II, S. 21, Fußnote 2. 14 vgl. dazu den nachfolgenden Abschnitt 5. 15 Die Gliederungspunkte 5.1 und 5.2 sind übernommen aus der Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste vom 11. April 2011, Verfassungsrechtliche Vorgaben für den Europäischen Stabilitätsmechanismus, WD 3 – 3000 – 092/11, S. 13-15. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 075/11 Seite 7 5.1. Budgetrecht des Parlaments Das Budgetrecht des Parlaments ist sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht zu beachten . In formeller Hinsicht verlangt Art. 115 Abs. 1 GG für die Übernahme von Bürgschaften und Garantien einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz .16 Die Ermächtigung kann im Haushaltsgesetz oder in einem anderen förmlichen Bundesgesetz erteilt werden.17 Üblich ist, in das Haushaltsgesetz Bestimmungen über Gewährleistungen aufzunehmen, in denen die Gesamtsumme des Ermächtigungsrahmens und deren Aufteilung auf einzelne Gewährleistungstatbestände festgelegt werden.18 Erforderlich ist dies jedoch nicht.19 Allerdings leidet hierdurch die Publizität und Transparenz der Gewährleistungsübernahme, was im Hinblick auf den Schutzzweck von Art. 115 GG als problematisch angesehen wird.20 Sind kassenmäßige Ausgaben aufgrund der Gewährleistungen nicht oder jedenfalls nicht im Rechnungsjahr zu erwarten, ist für die Gewährleistungen im laufenden Haushaltsplan keine Deckung durch Einnahmen erforderlich. Die Ermächtigung des Bundesfinanzministers zur Übernahme von Gewährleistungen nach Verabschiedung des Haushaltsplans bedarf in diesem Fall keines Nachtragshaushaltes. In dem Rechnungsjahr der voraussichtlichen Inanspruchnahme hingegen ist nach Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG zwingend eine vorsorgliche Deckung im Haushalt vorzusehen .21 In materieller Hinsicht hat das BVerfG in seinem Lissabon-Urteil22 Grenzen für die Vergemeinschaftung des Budgetrechts aufgestellt: es zähle zu den Kernbereichen demokratischen Lebens, die in der Verantwortung des direkt gewählten, dem Volk gegenüber verantwortlichen nationalen Gesetzgebers verbleiben müssten. Das Parlament müsse verantwortlich über die Summe der Belastungen der Bürger und ebenso über die wesentlichen Ausgaben des Staates bestimmen. Sowohl das Demokratieprinzip als auch das Wahlrecht seien verletzt, wenn die Festlegung über die Art und Höhe der den Bürger betreffenden Abgaben in wesentlichem Umfang supranationalisiert würde.23 Entscheidend sei, dass „die Gesamtverantwortung mit ausreichenden politischen Freiräumen für Einnahmen und Ausgaben noch im Deutschen Bundestag getroffen werden kann.“24 16 Wendt, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Art. 115 GG, Rn. 14; vgl. Kube, in: Maunz/Dürig, Art. 115 GG, Rn. 89. 17 Kube, in: Maunz/Dürig, Art. 115 GG, Rn. 94, 106. 18 Vgl. Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2010 (Haushaltsgesetz 2010) vom 6. April 2010 (BGBl. I S. 346). 19 Kube, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 115 GG, Rn. 106 mit einigen Beispielen. 20 Kube, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 115 GG, Rn. 94, 108 f. m. w. N. 21 Kube, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 115 GG, Rn. 93, 105; Wendt, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz , Art. 115 GG, Rn. 25. 22 BVerfG, 30.06.2009, 2 BvE 2/08 u.a. 23 BVerfG, 30.06.2009, 2 BvE 2/08 u.a., Rn. 256. 24 BVerfG, 30.06.2009, 2 BvE 2/08 u.a., Rn. 256. Fettungen durch den Verfasser. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 075/11 Seite 8 Im Rahmen des ESM wird Deutschland Garantien übernehmen, die bei maximaler Inanspruchnahme (voraussichtlich)25 einen dreistelligen Milliardenbetrag erreichen können. In der bisherigen Vereinbarung über die Merkmale des ESM ist ein „Verfahren der Bürgschaft auf Abruf“ vorgesehen .26 Hier soll automatisch Kapital von den Anteilseignern – den Mitgliedstaaten – abgerufen werden können, wenn ein Zahlungsausfall gegenüber den Gläubigern des ESM droht. Die EFSF-Vereinbarung, die zumindest als Modell für den ESM dienen soll, sieht in diesem Fall vor, dass die EFSF von den bürgenden Staaten die Überweisung des Fehlbetrages bis zu einem bestimmten Datum anfordert (Art. 6 EFSF-Vereinbarung). Eine weitere Prüfung durch die Bürgen findet nicht statt. Ebenso wenig kommt ihnen ein Entscheidungsspielraum, ob die Zahlung getätigt werden soll, zu. Geht man davon aus, dass der automatische Abruf ein ähnliches Vorgehen bedeutet, findet auf supranationaler Ebene weder eine Kontrolle durch den nationalen Gesetzgeber statt noch ist seine Beteiligung an der Entscheidung vorgesehen. Des Weiteren kann der Verwaltungsrat mit einfacher Mehrheit den Abruf von Kapital27 beschließen , wenn die Kapitalausstattung durch Verluste verringert wurde. Da der Beschluss nur mit einfacher Mehrheit getroffen wird, ist es möglich, dass ein Mitgliedstaat gegen seinen Willen zur Zahlung verpflichtet wird. Auch in diesem Fall wird das Parlament nicht beteiligt. Selbst bei der Entscheidung über die Übernahme einer Gewährleistung ist in der ESM- Vereinbarung bisher keine Beteiligung der nationalen Parlamente vorgesehen. Vielmehr entscheidet der Verwaltungsrat im gegenseitigen Einvernehmen.28 Das bedeutet, dass die auf internationaler Ebene gültige Entscheidung eines Mitgliedstaates allein durch seinen Vertreter (durch den jeweiligen Finanzminister29) getroffen wird. Durch die Übernahme einer Bürgschaft wird demnach ein Verfahren in Gang gesetzt, an dessen Ende die Pflicht zur Zahlung sehr hoher Summen stehen kann, ohne dass das Parlament „in diesen höchst haushaltsrelevanten Fragen“30 auf diesen Automatismus, der auf supranationalem Recht beruht, entscheidenden Einfluss nehmen kann.31 So ist es nicht verwunderlich, dass Kreditermächtigungen zum Kernbereich des parlamentarischen Budgetrechts gezählt werden.32 25 Gemäß der bisherigen ESM-Vereinbarung kann der Verwaltungsrat im gegenseitigen Einvernehmen eine Änderung der Darlehenskapazität beschließen. Dies könnte z. B. durch eine Erhöhung der Garantiesumme oder der Kapitalausstattung geschehen. Siehe Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11), Anlage II, S. 24. 26 Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11), Anlage II, S. 24. 27 Die 620 Milliarden Euro setzen sich aus einer Kombination von Bürgschaften und gebundenem abrufbaren Kapital zusammen. 28 Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11), Anlage II, S. 23. 29 Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011 (EUCO 10/11), Anlage II, S. 22. 30 Brück, Michael/Schalast, Christoph/Schanz, Kay-Michael, Finanzkrise letzter Akt: Die deutschen Zustimmungsgesetze zur Griechenlandhilfe und zum Europäischen Stabilisierungsmechanismus, in: Betriebsberater 2010, S. 2522 (S. 2526). 31 Mit Blick auf die „marginale und mediatisierte Beteiligung“ des Parlaments an der EFSF bezweifelt Faßbender, ob das Parlament seiner Integrationsverantwortung bei deren Errichtung genüge getan hat (Faßbender, Kurt, Der Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 075/11 Seite 9 Die Einrichtung des ESM sowie die Beteiligung Deutschlands an ihm darf nach der Rechtsprechung des BVerfG somit nicht dazu führen, dass dem Parlament die Gestaltungsfreiheit und –macht über den deutschen Haushalt genommen wird. Ist eine Beteiligung der Parlamente auf der supranationalen Ebene nicht vorgesehen, sprechen die Argumente des BVerfG dafür, den nationalen Gesetzgeber zumindest auf innerstaatlicher Ebene in die zu treffenden haushaltswirksamen Entscheidungen gemäß seiner verfassungsmäßigen Rolle einzubinden. 5.2. Einhaltung der Schuldenbremse Gemäß Art. 109 Abs. 3 GG ist der Bundeshaushalt grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten aufzustellen. Durch die Vereinbarungen zum ESM wird Deutschland voraussichtlich verpflichtet, eine Bareinlage in zweistelliger Milliardenhöhe zu leisten. Eine solch hohe Summe wird sehr wahrscheinlich selbst über Kredite finanziert, wodurch die Nettoneuverschuldung des Bundes steigen würde.33 Die Zahlung der Bareinlage an den ESM hätte nach den Bilanzierungsregeln jedoch keine Auswirkung auf die Schuldenbremse. Denn als Einlage in eine Gesellschaft erhält Deutschland einen entsprechenden Gesellschaftsanteil, tauscht mithin lediglich Vermögen aus. Zudem soll Deutschland die Garantie für Kredite über etwa 168 Milliarden Euro übernehmen. Art. 115 Abs. 1 GG sieht für die Übernahme von Gewährleistungen nur ein Ermächtigungsgesetz vor, macht aber für das Volumen der übernommenen Gewährleistung keine Einschränkung. Es ist indes nicht auszuschließen, dass Deutschland den Gewährleistungsrahmen ausschöpfen sowie tatsächlich in voller Höhe als Bürge haften muss. Es besteht mithin durch die Gewährleistungsübernahme die Gefahr, zukünftig in eine sehr hohe Staatsverschuldung zu geraten – in diesem Fall käme der Haushaltsgesetzgeber nicht umhin, gegen die Schuldenbremse zu verstoßen. Da es sich im Rahmen des ESM um die Übernahme von Bürgschaften und nicht um die Aufnahme von Krediten handelt, sind Art. 109 Abs. 3, 115 Abs. 2 GG nicht unmittelbar anwendbar. Dennoch müssten sie – nach einer Ansicht in der Rechtswissenschaft34 – „als eine ungeschriebeeuropäische „Stabilisierungsmechanismus“ im Lichte von Unionsrecht und deutschem Verfassungsrecht, in: NVwZ 2010, S. 799 (S. 802). 32 Pünder, Hermann, in: Isensee, Josef/Kirchhof, Paul, Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Auflage, Heidelberg 2007, § 123, Rn. 14. 33 So der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. März 2011, Nr. 68, S. 11 („Der neue Euro-Krisenfonds steht“). Auf dem EU-Gipfel vom 24./25. März 2011 wurde allerdings der Zeitraum, in welchem das Kapital eingezahlt werden muss, von drei auf fünf Jahre verlängert, beginnend ab Juli 2013. Damit sinkt der jährliche Beitrag Deutschlands auf 4,4 Milliarden Euro. 34 Kube, Hanno/Reimer, Ekkehart, Grenzen des Europäischen Stabilisierungsmechanismus, in: NJW 2010, S. 1911 (S. 1915). Heun hält die sehr hohe Verschuldung zukünftiger Generationen zumindest für „rechtfertigungsbedürftig “ (Heun, Werner, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 115 GG, Rn. 7). Anderer Ansicht Wieland, Joachim, Der Rettungsschirm für Irland, NVwZ 2011, S. 340 (S. 342) mit dem Hinweis, dass nach dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers eine Finanzkrise eine außergewöhnliche Notsituation darstellen kann. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 075/11 Seite 10 ne Funktionsvoraussetzung“35 der Schuldenbremse herangezogen werden. Der Gesetzgeber unterliege einem „haushaltswirtschaftlichen Selbstverstümmelungsverbot“ und dürfe sich nicht in eine Lage bringen, in welcher die spätere Verletzung der Schuldenbremse durch die Aufnahme von Krediten unausweichlich werde. Folgt man dieser Ansicht, dürfte der Bundesgesetzgeber nach Maßstäben des nationalen Rechts dem Ermächtigungsgesetz zur Übernahme von Bürgschaften (Art. 115 Abs. 1 GG) in dieser Höhe nicht zustimmen. 35 Kube/Reimer, in: NJW 2010, S. 1911 (S. 1915).