© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 073/20 Einzelfragen zu kapitalmarktrechtlichen Schadensersatzansprüchen Ansprüche nach dem Wertpapierhandelsgesetz und dem Wertpapierprospektgesetz im Hinblick auf die Wirecard AG Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Schadensersatz wegen unterlassener unverzüglicher Veröffentlichung von Insiderinformationen gemäß § 97 Abs. 1 WpHG 4 2.1.1. Anspruchsgegner 4 2.1.2. Anspruchssteller 5 2.1.3. Objektive Pflichtverletzung 5 2.1.4. Verschulden 7 2.1.5. Rechtsfolge 8 2.2. Schadensersatz wegen Veröffentlichung unwahrer Insiderinformationen gemäß § 98 WpHG 8 2.3. Haftung Dritter nach §§ 97, 98 WpHG 9 3. Haftung nach dem Wertpapierprospektgesetz 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 073/20 Seite 4 1. Einleitung Hinsichtlich möglicher kapitalmarktrechtlicher Schadensersatzansprüche gegen die Wirecard AG, bzw. gegen Dritte aufgrund pflichtwidrigen Verhaltens der Wirecard AG, kommen vor allem die Vorschriften zur erforderlichen Veröffentlichung von Insiderinformationen nach §§ 97, 98 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) in Betracht. Ferner könnte die Prospekthaftung nach dem Wertpapierprospektgesetz (WpPG) einschlägig sein. Zunächst wird untersucht, inwiefern Ansprüche aufgrund der genannten Anspruchsgrundlagen gegen eine Aktiengesellschaft wie der Wirecard AG selbst bestehen könnten und ob eine Dritthaftung auch Wirtschaftsprüfer ausgeweitet erfassen könnte. Im zweiten Schritt werden dann die Voraussetzungen der Prospekthaftung nach den WpPG vorgestellt. 2. Emittentenhaftung nach dem Wertpapierhandelsgesetz §§ 97, 98 WpHG normieren zwei eigene Anspruchsgrundlagen in Bezug auf pflichtwidrigen Umgang mit Insiderinformationen. Die Normen unterscheiden sich hinsichtlich der Handlung, an die die objektive Pflichtverletzung anknüpft. § 97 Abs. 1 WpHG stellt dabei auf die „unterlassene unverzügliche Veröffentlichung“ und § 98 Abs. 1WpHG auf die „Veröffentlichung unwahrer Insiderinformationen “ ab. 2.1. Schadensersatz wegen unterlassener unverzüglicher Veröffentlichung von Insiderinformationen gemäß § 97 Abs. 1 WpHG Zweck des § 97 WpHG ist der Schutz des abstrakten Vertrauens des Rechtsverkehrs darin, dass beim inländischen Handel die Emittenten von Finanzinstrumenten alle relevanten Informationen öffentlich gemacht haben.1 Diese Veröffentlichungspflicht, die in Art. 17 Marktmissbrauchsverordnung (MAR)2 geregelt ist, soll durch Schadensersatzregelungen im WpHG abgesichert werden. 2.1.1. Anspruchsgegner Anspruchsgegner des schadensersatzrechtlichen Anspruchs aus § 97 WpHG sind die Emittenten selbst, also nicht die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder.3 Erfasst sind primär Emittenten, die für den Handel ihrer Finanzinstrumente im Sinne des § 2 Abs. 4 WpHG an einem inländischen Handelsplatz zugelassen sind. Finanzinstrumente im Sinne des WpHG sind nach § 2 Abs. 4 WpHG unter anderem Wertpapiere, ausdrücklich nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 WpHG auch Aktien, oder derivate Geschäfte. Nach § 2 Abs. 22 in Verbindung mit § 2 Abs. 11 WpHG erfasst der Begriff des Handelsplatz im Sinne des WpHG inländisch organisierte Märkte an denen Wertpapiere und sich 1 Zimmer/Steinhaeuser in Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, 5. Auflage 2020, § 98 WpHG, Rn. 9. 2 VO (EU) 596/2014. 3 Kumpan in Baumbach/Hopt (Hrsg.), Handelsgesetzbuch 39. Auflage 2020, § 97 WpHG, Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 073/20 Seite 5 hierauf beziehende Derivate gehandelt werden. Börsennotierte Aktiengesellschaften dürften somit unproblematisch in den persönlichen Anwendungsbereich des § 97 WpHG als mögliche Anspruchsgegner fallen. 2.1.2. Anspruchssteller Als mögliche Anspruchsinhaber kommen nach § 97 Abs. 1 WpHG zwei verschiedene Personengruppen in Betracht. Zum einen nach § 97 Abs. 1 Nr. 1 WpHG diejenigen, die Finanzinstrumente nach der Unterlassung der Veröffentlichung von Insiderinformationen erwerben und bei Bekanntwerden noch Inhaber sind und zum anderen diejenigen, die Finanzinstrumente vor dem Entstehen der Insiderinformation erwerben und nach dem Unterlassen veräußern. Erfasst sind somit die Fälle, in denen ein finanzieller Schaden dadurch entsteht, dass das Finanzinstrument entweder „zu teuer gekauft“ oder „zu billig verkauft“ wird.4 Hierbei ist auf das Verpflichtungsgeschäft als maßgeblicher Zeitpunkt abzustellen. 2.1.3. Objektive Pflichtverletzung Als weiteres Tatbestandsmerkmal müsste die Wirecard AG eine objektive Pflichtverletzung in Form des Unterlassens der unverzüglichen Veröffentlichung von Insiderinformationen begangen haben. Zunächst muss demnach der Begriff der veröffentlichungspflichten Insiderinformation bestimmt werden. § 97 Abs. 1 WpHG verweist ausdrücklich auf Art. 17 MAR. Da der Begriff der Insiderinformation in § 97 WpHG nicht eigenständig bestimmt wird, richtet sich auch dieser nach der Verordnung. Insiderinformationen im Sinne des Art. 7 Abs. 1 a) MAR sind „nicht öffentlich bekannte präzise Informationen, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen“. Die Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR wird aber dahingehend eingeschränkt, dass nur solche Informationen, die unmittelbar den Emittenten betreffen, erfasst sind. Art. 17 MAR selbst enthält keine nähere Bestimmung, wann Unmittelbarkeit vorliegt. Ausgehend von der alten Rechtslage (§ 15 WpHG aF) kann aber wohl weiterhin davon ausgegangen werden, dass es sich regelmäßig um Umstände aus dem Tätigkeitsbereich des Emittenten handelt.5 Diese Informationen im Tätigkeitsfeld des Emittenten erfassen vor allem unternehmensinterne Entwicklungen .6 Auch Compliance-Verstöße sind Informationen aus dem unternehmerischen Tätigkeitsbereich , die den Marktpreis von Finanzinstrumenten beeinflussen und somit den Tatbestand der veröffentlichungspflichtigen Insiderinformation erfüllen können.7 Ein Indiz dafür, ob es sich um eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation handelt, kann der Emittentenleitfaden der 4 Kumpan in Baumbach/Hopt (Fußn. 3), WpHG § 97, Rn. 2. 5 Kumpan/Grütze in Schwark/Zimmer (Fußn. 1), Art. 17 MAR, Rn. 54. 6 Kumpan/Grütze in Schwark/Zimmer (Fußn. 1), Art. 17 MAR, Rn. 46. 7 Schockenhoff, Geheimhaltung von Compliance-Verstößen, NZG 2015, 409, 412.; Kumpan/Grütze in Schwark/Zimmer (Fußn. 1), Art. 17 MAR, Rn. 54. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 073/20 Seite 6 Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sein, hier werden typische Fälle genannt .8 Der Emittentenleitfaden hat aber rein informellen Charakter und kann daher lediglich als Hinweis betrachtet werden.9 Die Vorwürfe gegen die Wirecard AG bestehen im Kern einerseits darin, dass Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden Euro nicht existent seien bzw. nicht nachgewiesen werden können,10 sowie zu hoch ausgewiesene Umsätze und Gewinne.11 Zwischenzeitlich hat auch die Wirecard AG selbst in einer Stellungnahme mitgeteilt, dass die Bankguthaben in Höhe von 1,9 Milliarden Euro „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen“.12 Bei der Information , dass wesentliche Teile der Unternehmensmittel nicht existieren, dürfte es sich um eine derart wesentlichen unternehmensinternen Umstand handeln, welcher, wie sich gezeigt hat, auch Auswirkungen auf den gehandelten Wert des Unternehmensanteil haben kann, dass von einer veröffentlichungspflichtigen Insiderinformation ausgegangen werden kann. Aber schon bereits die Tatsache, dass unternehmensintern keine Möglichkeit besteht, abschließend die eigene Bilanzierung nachvollziehen zu können, könnte eine Tatsache darstellen, die die unternehmensinterne Entwicklung unmittelbar betrifft. Auch bei Geschäftszahlen handelt es sich um Umstände aus dem unmittelbaren unternehmerischen Tätigkeitsfeld und unterliegen somit als typischer Fall der Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 MAR.13 Die Wirecard AG müsste zudem unterlassen haben, diese veröffentlichungspflichtigen Insiderinformationen „unverzüglich“ zu veröffentlichen. Auch das Merkmal der Unverzüglichkeit knüpft wegen der Funktion von § 97 WpHG, die Veröffentlichungspflicht des Emittenten privatrechtlich abzusichern, an die Marktmissbrauchsverordnung und nicht § 121 BGB an und ist entsprechend 8 BaFin, Emittentenleitfaden der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Modul C Regelungen aufgrund der Marktmissbrauchsverordnung (MAR) Stand 25. März 2020 (https://www.bafin.de/DE/Aufsicht/BoersenMaerkte /Emittentenleitfaden/Modul3/emittentenleitfaden_node.html), 33f. 9 Kumpan/Grütze in Schwark/Zimmer (Fußn. 1), Art. 17 MAR, Rn. 48. 10 McCrum, „Wirecard: the timeline“ in Financial Times vom 25.06.2020 (https://www.ft.com/content/284fb1adddc 0-45df-a075-0709b36868db) letzter Zugriff: 07.07.2020; Vgl. KPMG, Bericht über die unabhängige Sonderuntersuchung Wirecard AG, München 27. April 2020 (https://www.wirecard.com/uploads/Bericht_Sonderpruefung _KPMG.pdf), 23. 11 Storbeck, „Wirecard’s core business has been lossmaking for years, audit shows“ in Financial Times vom 05.07.2020 (https://www.ft.com/content/f697a093-4e1b-4ef4-9b16-820198e4a67f) letzter Zugriff: 07.07.2020. 12 „Wirecard AG: Stellungnahme des Vorstands zur aktuellen Lage des Unternehmens“ (https://ir.wirecard .de/websites/wirecard/German/5110/nachrichtendetail.html?newsID=1985595&fromID=1000) Letzter Zugriff : 07.07.2020. 13 Vgl. BaFin, Emittentenleitfaden der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Modul C Regelungen aufgrund der Marktmissbrauchsverordnung (MAR) Stand 25. März 2020 (https://www.bafin.de/DE/Aufsicht/Boersen Maerkte/Emittentenleitfaden/Modul3/emittentenleitfaden_node.html), 33f.; THE COMMITTEE OF EURO- PEAN SECURITIES REGULATORS, Market Abuse Directive Level 3 – second set of CESR guidance and information on the common operation of the Directive to the market July 2007 (CESR/06-562b) (https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/2015/11/06_562b.pdf), 7f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 073/20 Seite 7 auszulegen.14 Generell wird dem Emittenten eine angemessene Überprüfungsfrist zugestanden, die sich grundsätzlich objektiv danach bestimmt, wann eine Veröffentlichung nach vorheriger Durchführung aller erforderlichen und zumutbaren Vorkehrungen möglich gewesen wäre.15 In der Fachliteratur umstritten ist die Frage, ob die Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 MAR die Kenntnis oder Kennenmüssen als subjektives Element voraussetzt.16 Aus dem Wortlaut selbst lässt sich diese Voraussetzung nicht entnehmen. Fraglich ist somit, ob Art. 17 MAR ein derartiges ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal voraussetzt. Dafür wird angeführt, dass ohne Wissen um eine Information deren Veröffentlichung nicht möglich sei.17 Diesem Ansatz folgend, müsste dann Art. 17 MAR ebenso eine Pflicht zur Wissensorganisation durch den Emittenten umfassen, um eine möglichst frühe Identifizierung von Insiderinformationen zu gewährleisten.18 2.1.4. Verschulden Der Streitentscheid kann im Rahmen der §§ 97, 98 WpHG in Verbindung mit Art. 17 MAR aber dahinstehen, da diese bereits in Absatz 2 ein subjektives Element enthalten. Gemäß § 97 Abs. 2 WpHG, beziehungsweise § 98 Abs. 2 WpHG bedarf es aus materiell-rechtlicher Sicht des Vorsatzes oder grober Fahrlässigkeit. Durch die negative Formulierung wird das Verschulden zwar vermutet , was aus prozessualer Sicht zur Beweislast beim Anspruchsgegner hinsichtlich des fehlenden Verschuldens führt, ein subjektives Element bleibt aber materiell Tatbestandsvoraussetzung. Wenn der Emittent darlegen und im Zweifelsfall beweisen kann, dass keine Kenntnis oder Kennenmüssen hinsichtlich der Insiderinformationen bestand, ist eine Exkulpation möglich. Hierbei kommt es, da der Emittent als juristische Person nicht selbst verschuldensfähig ist, auf das zurechenbare Verschulden seiner Organe nach § 31 BGB analog oder seiner Erfüllungsgehilfen nach § 278 S. 1 BGB an. Der Maßstab für grobe Fahrlässigkeit im Rahmen der §§ 97, 98 WpHG sind professionelle Sorgfaltsanforderungen.19 Ob das der Wirecard AG zur Last gelegte planvolle Vorenthalten von Informationen über unternehmerische Vorgänge den Tatsachen entspricht ist derzeit Gegenstand von Ermittlungen. Das tatsächlich der Wirecard AG zurechenbare Fehlverhalten ist letztlich entscheidend für das Vorliegen des Verschuldenselements, beziehungsweise der dahingehenden Exkulpation. Mangels hinreichend belastbarer Tatsachengrundlage muss an dieser Stelle eine abschließende Beurteilung unterbleiben. 14 Zimmer/Steinhaeuser in Schwark/Zimmer (Fußn. 1), § 98 WpHG, Rn. 41. 15 Kumpan/Grütze in Schwark/Zimmer (Fußn. 1), Art. 17 MAR, Rn. 73-74. 16 Kumpan/Grütze in Schwark/Zimmer (Fußn. 1), Art. 17 MAR, Rn. 81. 17 Koch, Die Ad-hoc-Publizität: Veröffentlichungs- oder Wissensorganisationspflicht?, AG 2019, 273, 275f. 18 Kumpan/Grütze in Schwark/Zimmer (Fußn. 1), Art. 17 MAR, Rn. 86. 19 Kumpan in Baumbach/Hopt (Fußn. 3), § 97 WpHG, Rn. 5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 073/20 Seite 8 2.1.5. Rechtsfolge Bei Vorliegen der genannten Tatbestandsvoraussetzungen ist die Rechtsfolge der Ausgleich des kausalen Schadens nach § 249 Abs. 1 BGB. Der Geschädigte ist somit so zu stellen, wie er bei Nichteintritt des schädigenden Ereignisses, hier das Unterlassen der unverzüglichen Veröffentlichung , stünde. Hierbei ist sowohl die Rückabwicklung des Investitionsgeschäftes Zug um Zug oder Ersatz des Kursdifferenzschadens möglich.20 Verlangt der Anspruchssteller die Rückabwicklung , muss er den konkreten Kausalitätsnachweis für die Investitionsentscheidung führen, nur dann würde bei Hinwegdenken des Unterlassens des Anspruchsgegners das Investitionsgeschäft entfallen. Bei Geltendmachung des Differenzschadens ist der Kausalitätshinweis nur hinsichtlich der Auswirkung des Unterlassens der Veröffentlichung auf den Kurs erforderlich.21 Im Falle frei gehandelter Aktien dürfte die tatsächliche Rückabwicklung aber kaum möglich sein, an deren Stelle dürfte dann eine entsprechende Entschädigung in Geld treten. 2.2. Schadensersatz wegen Veröffentlichung unwahrer Insiderinformationen gemäß § 98 WpHG Hinsichtlich der Haftung nach § 98 WpHG besteht weitgehend ein Gleichlauf mit der Haftung nach § 97 WpHG. Hinsichtlich der einzelnen Tatbestandsmerkmale kann insofern nach oben verwiesen werden. Der Unterschied zwischen den beiden Haftungstatbeständen liegt in der Handlung des Anspruchsgegners, an die die objektive Pflichtverletzung anknüpft. So erfordert § 98 WpHG Abs. 1 nicht das Unterlassen der Veröffentlichung einer veröffentlichungspflichtigen Insiderinformation , sondern die Veröffentlichung einer unwahren Insiderinformation. Unwahr im Sinne der Vorschrift bedeutet, dass bei einer ex-ante Betrachtung von einem objektiven Empfängerhorizont die veröffentlichte Information nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt .22 Auch hinsichtlich der Veröffentlichung einer unwahren Information über als öffentlich bekannt geltende Umstände ist die Haftung nach § 98 WpHG möglich, soweit die Unrichtigkeit der veröffentlichten Information nicht öffentlich bekannt ist.23 Für die Wirecard AG könnten unter Umständen mit den ad-hoc Mitteilungen vom 12.03.202024 und vom 22.04.202025 solche unwahren Informationen vorliegen, die den Tatbestand von § 98 WpHG erfüllen. Grundsätzlich ist hierbei zu beachten, dass auch die Unvollständigkeit der 20 So auch der BGH in BGH, Urt. v. 13. 12. 2011 − XI ZR 51/10, NJW 2012, 1800. 21 Vgl. Zimmer/Steinhaeuser in Schwark/Zimmer (Fußn. 1), § 98 WpHG, Rn. 104. 22 Zimmer/Steinhaeuser in Schwark/Zimmer (Fußn. 1), § 98 WpHG, Rn. 48. 23 Zimmer/Steinhaeuser in Schwark/Zimmer (Fußn. 1), § 98 WpHG, Rn. 51. 24 „Wirecard AG: Sonderuntersuchung von KPMG“, (https://ir.wirecard.de/websites/wirecard/German/5110/nachrichtendetail .html?newsID=1923071&fromID=5000) Letzter Zugriff: 08.07.2020 25 „Wirecard AG: Sonderuntersuchung von KPMG dauert bis 27. April 2020 an. Untersuchung liefert bislang keine Belege für Bilanzmanipulation“ (https://ir.wirecard.de/websites/wirecard/German/5110/nachrichtendetail .html?newsID=1949979&fromID=5000) Letzter Zugriff: 08.07.2020. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 073/20 Seite 9 Mitteilung einen Unterfall der Unwahrheit im Sinne des § 98 Abs. 1 WpHG darstellt und der Adressat der Mitteilung davon ausgehen muss, dass alle wesentlichen Informationen in der Mitteilung offengelegt sind.26 Die Frage, ob diese Mitteilungen derart irreführend oder unvollständig sind, dass sie als „unwahr“ im Sinne des § 98 WpHG gelten können, ist eine Frage, die einer genaueren Einzelfalluntersuchung bedarf. Eine Einschätzung an dieser Stelle ist daher nicht möglich . Für die Prüfung weiterer Tatbestandsmerkmale wird auf die Ausführungen zu § 97 WpHG verwiesen , es ergeben sich keine inhaltlichen Unterschiede. 2.3. Haftung Dritter nach §§ 97, 98 WpHG Anspruchsgegner im Rahmen der §§ 97, 98 WpHG ist der Emittent selbst. Ein Schadensersatz Dritter kommt nur dann in Betracht, wenn man der Ansicht folgt, dass §§ 97, 98 WpHG deliktischer Natur ist.27 Demgemäß wäre eine Teilnahme am deliktischen Verhalten durch Anstiftung oder Beihilfe nach § 830 Abs. 2 BGB möglich. Für eine Ausweitung der kapitalmarktrechtlichen Haftung nach §§ 97, 98 WpHG unter diesem Ansatz müsste demnach auch Doppelvorsatz auf Seiten des Dritten vorliegen.28 Insbesondere würde grobe Fahrlässigkeit als Verschuldenselement nicht genügen. Im Falle von Wirtschaftsprüfgesellschaften dürfte Vorsatz hinsichtlich pflichtwidrigen Umgangs mit Insiderinformationen durch den Emittenten nicht der typischen Interessenlage entsprechen. Eine abschließende Einschätzung bedarf aber einer genauen Untersuchung im Einzelfall. 3. Haftung nach dem Wertpapierprospektgesetz Bei erstmaliger Börsenzulassung eines Wertpapiers muss nach Art. 3 Abs. 1 Prospektverordnung (Prospekt-VO)29 ein den Vorschriften der Prospekt-VO entsprechendes Prospekt veröffentlicht werden. §§ 8 ff. WpPG regelt hierzu ergänzend die Haftung in Fällen fehlerhafter Prospekte. Gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 WpPG kann innerhalb von sechs Monaten nach erstmaliger Einführung von Wertpapieren zum Börsenhandel ein Haftungsanspruch vom Erwerber gegen den Emittenten nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpPG und den Garanten nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 WpPG geltend gemacht werden. Voraussetzung hierfür ist die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Börsenzulassungsprospekts . Die Haftung ist gemäß § 12 Abs. 1 WpPG dann ausgeschlossen, wenn der Anspruchsgegner die Unrichtigkeit nicht kannte und seine Unkenntnis auch nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht. Außerdem entfällt die Haftung, wenn gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 WpPG das Prospekt nicht kausal für den Erwerb wurde, gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 2 WpPG die Unrichtigkeit des 26 Zimmer/Steinhaeuser in Schwark/Zimmer (Fußn. 1), § 98 WpHG, Rn. 49. 27 Umstritten, siehe Zimmer/Steinhaeuser in Schwark/Zimmer (Fußn. 1), § 98 WpHG, Rn. 9-15. 28 Spindler in Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB 54. Edition Stand: 01.05.2020, § 830, Rn. 10; Vgl. Zimmer/Steinhaeuser in Schwark/Zimmer (Fußn. 1), § 98 WpHG, Rn. 157-158. 29 VO (EU) 2017/1129. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 073/20 Seite 10 Prospekts sich nicht auf den Börsenpreis auswirkte oder gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 3 WpPG hinsichtlich der Fehlerhaftigkeit des Prospekts positive Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Erwerbers bestand. Ferner entfällt gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 4 WpPG die Haftung nach § 9 WpPG wenn die Unrichtigkeit durch eine ad-hoc Mitteilung gemäß Art. 17 MAR bekannt gegeben wurde. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 WpPG darf nicht lediglich aufgrund der Zusammenfassung beziehungsweise einer Übersetzung hiervon haften, es sei denn die Zusammenfassung ist hinreichend widersprüchlich. ***