© 2018 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 073/18 Einzelfragen zur Gewerbesteuerreform Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 073/18 Seite 2 Einzelfragen zur Gewerbesteuerreform Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 073/18 Abschluss der Arbeit: 27. April 2018 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 073/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Welche rechtlichen Bedenken bestehen hinsichtlich eines Ersatzes der Gewerbesteuer durch ein kommunales Zuschlagsrecht auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer? 4 2.1. Kompetenz zum Abbau der Gewerbesteuer 4 2.2. Hebesatzrechte bei Einkommen- und Körperschaftsteuer 5 3. Finanzwissenschaftliche Bewertung 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 073/18 Seite 4 1. Einführung Der Auftraggeber bittet um Darstellung möglicher rechtlicher Probleme für einen Ersatz der Gewerbesteuer durch ein kommunales Zuschlagsrecht auf die Einkommen- und Körperschafssteuer. Vorschläge zur Reform der Gewerbesteuer waren in den vergangenen zwanzig Jahren mehrfach Bestandteil von Modellen zur Neuordnung der kommunalen Finanzausstattung. Ein Vorschlag beinhaltet die Abschaffung der Gewerbesteuer und die Einführung eines kommunalen Hebesatzrechtes (Zuschlagsrecht) auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer.1 2. Welche rechtlichen Bedenken bestehen hinsichtlich eines Ersatzes der Gewerbesteuer durch ein kommunales Zuschlagsrecht auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer? 2.1. Kompetenz zum Abbau der Gewerbesteuer Bei der Gewerbesteuer sind die Besteuerungskompetenzen auf Bund, Länder und Gemeinden verteilt. Der Bund übt die Gesetzgebungshoheit aus. Dabei muss er den Gemeinden von Verfassungswegen ein Hebesatzrecht einräumen (Art. 106 Abs. 6 GG). Diese Teilkompetenz begründet jedoch keinen Bestandsschutz. Die Gesetzgebungshoheit des Bundes umfasst nämlich auch das Recht, die Gewerbesteuer abzuschaffen.2 Die Aufkommenshoheit steht den Gemeinden zu (Art. 106 Abs. 6 GG). Auch hieraus lässt sich kein Bestandsschutz herleiten.3 Die Verwaltungshoheit liegt bei den Ländern. Folglich kann festgehalten werden, dass der Gesetzgeber die Kompetenz besitzt, die Gewerbesteuer abzubauen. Hebesatzrecht und Aufkommenshoheit der Gemeinden stehen dem nicht entgegen . Jedoch müsste ein möglicher Abbau der Gewerbesteuer mit weiteren einschlägigen Vorgaben des Grundgesetzes vereinbar sein. Der in der Verfassung geregelte Finanzausgleich bestimmt ein finanzielles Gleichgewicht im Bundesstaat . Dies bedeutet, dass Bund, Länder und Gemeinden über die notwendigen Mittel verfügen müssen, um die ihnen von Verfassungswegen obliegenden Aufgaben zu erfüllen. Da der Abbau der Gewerbesteuer bei den Gemeinden zu erheblichen Mindereinnahmen führen würde, sind Ausgleichsmaßnahmen seitens des Steuergesetzgebers erforderlich. Auf welchem Wege dieser 1 Weitere zu nennende Vorschläge wären die Wertschöpfungssteuer oder eine Beteiligung an der Umsatzsteuer. Vgl. hierzu Broer, Michael: Ersatzvorschläge für die Gewerbesteuer, in: Wirtschaftsdienst 2001/XII, S. 713 ff. 2 Vgl. Schemmel, Lothar: Verfassungskonform und finanzpolitisch vorteilhaft: Ein aktueller Vorschlag zum Abbau und Ersatz der Gewerbesteuer, in: ifo-Schnelldienst 10/2002, S. 22. 3 Vgl. Schemmel, Lothar: Verfassungskonform und finanzpolitisch vorteilhaft: Ein aktueller Vorschlag zum Abbau und Ersatz der Gewerbesteuer, in: ifo-Schnelldienst 10/2002, S. 22. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 073/18 Seite 5 Ausgleich erfolgt, ist den Bestimmungen des Grundgesetzes zum Finanzausgleich nicht zu entnehmen .4 Weiterhin müsste eine Abschaffung oder Ersatz der Gewerbesteuer mit Art. 28 Abs. 2 GG (kommunale Selbstverwaltung) vereinbar sein. Die Norm legt fest, dass zu den Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung „eine den Gemeinden zustehende wirtschaftsbezogene und mit Hebesatzrecht ausgestattete Steuerquelle gehört.“ Hieraus lässt sich keine institutionelle Garantie für die Gewerbesteuer herleiten.5 Die Abschaffung der Gewerbesteuer wäre demnach zulässig, solange sie durch eine wirtschaftsbezogene Steuer mit Hebesatzrecht ersetzt würde. Dabei definiert sich die Wirtschaftskraft über den Wirtschaftsraum, nicht aber den Steuerschuldner.6 Folglich verbleiben unter Berücksichtigung der durch die Verfassung vorgegebenen Kriterien steuer- und finanzpolitische Spielräume.7 2.2. Hebesatzrechte bei Einkommen- und Körperschaftsteuer Die Anforderungen aus Art. 28 Abs. 2 GG werden durch die Hebesatzrechte bei der Einkommenund Körperschaftsteuer erfüllt.8 Das Hebesatzrecht am Gemeindeanteil an der Einkommensteuer hat der Verfassungsgesetzgeber bereits im Jahre 1969 als Instrument zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung geschaffen und in die Verfassung (Art. 106 Abs. 5 GG) aufgenommen. Dieses Hebesatzrecht lässt sich durch den einfachen Gesetzgeber, also ohne Verfassungsänderung, aktivieren. Die Einführung eines ähnlich gestalteten Hebesatzrechts bei der Körperschaftsteuer verlangt eine Verfassungsänderung.9 3. Finanzwissenschaftliche Bewertung Nach Ansicht von Broer wäre ein alleiniges Zuschlagsrecht auf die Einkommensteuer, wie in Art. 106 Abs. 5 GG vorgesehen, unzweckmäßig, da dann Körperschaften ohne Begründung von der Steuer freigestellt wären. Dies würde nicht der Intention einer kommunalen Unternehmensteuer entsprechen. Gemäß einer gruppenmäßigen Äquivalenz sollten auch die Unternehmen unabhängig von ihrer Rechtsform an der Finanzierung öffentlicher Leistungen beteiligt sein.10 4 Vgl. Schemmel, Lothar: Verfassungskonform und finanzpolitisch vorteilhaft: Ein aktueller Vorschlag zum Abbau und Ersatz der Gewerbesteuer, in: ifo-Schnelldienst 10/2002, S. 23. 5 Maunz/Dürig/Mehde, GG Art. 28 Abs. 2, Rn. 147. 6 Maunz/Dürig/Mehde, GG Art. 28 Abs. 2, Rn. 147. 7 Vgl. Schemmel, Lothar: Verfassungskonform und finanzpolitisch vorteilhaft: Ein aktueller Vorschlag zum Abbau und Ersatz der Gewerbesteuer, in: ifo-Schnelldienst 10/2002, S. 23. 8 Vgl. Schemmel, Lothar: Verfassungskonform und finanzpolitisch vorteilhaft: Ein aktueller Vorschlag zum Abbau und Ersatz der Gewerbesteuer, in: ifo-Schnelldienst 10/2002, S. 24. 9 Vgl. Schemmel, Lothar: Verfassungskonform und finanzpolitisch vorteilhaft: Ein aktueller Vorschlag zum Abbau und Ersatz der Gewerbesteuer, in: ifo-Schnelldienst 10/2002, S. 25. 10 Vgl. Broer, Michael: Ersatzvorschläge für die Gewerbesteuer, in: Wirtschaftsdienst 2001/XII, S. 714. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 073/18 Seite 6 Ein Zuschlag auf die Körperschaftsteuer wäre nach Broer einfach zu realisieren. Eine Abgrenzung der Bemessungsgrundlage auf kommunaler Ebene wäre unproblematisch, wie bei den Stadtstaaten zu sehen ist.11 Weiterhin wäre zu beachten, dass die Einkommensteuer im Gegensatz zur Körperschaft- und Gewerbesteuer nicht nach den Betriebsstätten, sondern nach dem Wohnsitzprinzip verteilt wird. Bei einer Abschaffung der Gewerbesteuer müsste nun der Verteilungsmaßstab der Einkommensteuer verändert werden. Ansonsten hätten Gemeinden mit vielen Einpendlern kein Interesse mehr an der Ausweisung von Gewerbegebieten, da die Einkommensteuer in die Wohnsitzgemeinde abfließen würde.12 Auch besteht die Tendenz, dass die Gemeinden künftig mehr Wohngebiete und weniger Gewerbeflächen ausweisen könnten, da den entstandenen Erschließungskosten nur bei Ansiedlung von Kapitalgesellschaften Steuereinnahmen gegenüberstehen würden.13 Nach Junkernheinrich würde ein kommunales Zuschlagsrecht auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer die bisher zu schwach ausgeprägte Korrespondenz zwischen Nutzern und Zahlern bei den Bürgern durch eine direkte Fühlbarkeit stärken. Diese kombinierte Reform hätte zudem den Vorteil, dass die durch die Körperschaftsteuer nicht erfassten Wirtschaftseinheiten (Personengesellschaften , Freiberufler etc.) über die Einkommensteuer, deren Ergebnis dann nach Wohn- und Arbeitsort aufzuteilen wäre, einbezogen werden. 14 Hinsichtlich der Kommunalverträglichkeit bemängelt Junkernheinrich jedoch folgende Aspekte:15 - Ein kommunaler Körperschaftsteuerzuschlag bietet nicht die notwendige Verbreiterung des Kreises der Steuerpflichtigen (er erfasst nicht alle, die vom Nutzen kommunaler Leistungen profitieren), und er hat eine sehr schmale, gewinnorientierte Bemessungsgrundlage . - Mit einem kommunalen Zuschlagsrecht auf die bestehende Einkommensteuer würde, wenn die unternehmerischen Anteile am Einkommen arbeitsortbezogen verteilt werden, zwar der Kreis der Steuerpflichtigen erweitert. Allerdings ergäben sich andere, folgenschwere Konsequenzen. Im Vergleich mit dem bestehenden Gemeindeanteil an der Einkommensteuer erhöhe sich durch die nun »ungedeckelte« Wirkung der massiven Progressionskomponente des Einkommensteuertarifs (Wegfall der Sockelgrenzen) die Streuung des Steueraufkommens ganz wesentlich. In einzelnen Bundesländern könnte sie sich verdoppeln . Damit wäre eine bedarfsorientierte Steuerverteilung in weite Ferne gerückt. Dies würde die Ausgleichsintensität des kommunalen Finanzausgleichs überfordern und zu sehr hohen Grenzabschöpfungen von Steuermehreinnahmen führen. 11 Vgl. Broer, Michael: Ersatzvorschläge für die Gewerbesteuer, in: Wirtschaftsdienst 2001/XII, S. 714. 12 Vgl. Broer, Michael: Ersatzvorschläge für die Gewerbesteuer, in: Wirtschaftsdienst 2001/XII, S. 715. 13 Vgl. Broer, Michael: Ersatzvorschläge für die Gewerbesteuer, in: Wirtschaftsdienst 2001/XII, S. 715. 14 Vgl. Junkernheinrich, Martin: Gewerbesteuer: reformieren oder ersetzen?, in: ifo-Schnelldienst 9/2003, S. 4f. 15 Vgl. Junkernheinrich, Martin: Gewerbesteuer: reformieren oder ersetzen?, in: ifo-Schnelldienst 9/2003, S. 4f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 073/18 Seite 7 - Darüber hinaus würde der individuelle Spitzensteuersatz nunmehr kommunal divergieren , z.B. zwischen 38% in einer Umlandgemeinde und 44% in einer Großstadt. Dies verstößt gegen den aus der ökonomischen Föderalismustheorie bekannten Grundsatz, dass die Verteilungspolitik auf die zentrale Ebene gehört. In der Summe bewertet Junkernheinrich einen Ersatz der Gewerbesteuer durch ein kommunales Zuschlagsrecht auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer zur Lösung der gemeindefinanzpolitischen Probleme als nicht zielführend.16 *** 16 Vgl. Junkernheinrich, Martin: Gewerbesteuer: reformieren oder ersetzen?, in: ifo-Schnelldienst 9/2003, S. 5.