© 2018 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 072/18 Steuergeheimnis und parlamentarische Frage- und Auskunftrechte Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 072/18 Seite 2 Steuergeheimnis und parlamentarische Frage- und Auskunftrechte Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 072/18 Abschluss der Arbeit: 2. Mai 2018 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 072/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Reichweite und Grenzen des Steuergeheimnisses 4 3. Offenbarungsrechte zugunsten des Parlamentes 5 3.1. Widerstreitende Verfassungsrechte zwischen Abgeordneten und Steuerpflichtigen 5 3.2. Lösungsansätze aus der Rechtsprechung 8 3.2.1. Flick-Urteil des BVerfG 8 3.2.2. Hoeneß-Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes 9 3.2.3. Sondervotum zur Hoeneß-Entscheidung 10 4. Zusammenfassung 12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 072/18 Seite 4 1. Fragestellung Die Auftraggeber möchten wissen, ob das Steuergeheimnis auch bei versprochenen Steuererleichterungen anwendbar ist. Insbesondere interessiert sie, ob die Bundesregierung Angaben zu den gewährten Konditionen machen muss, wenn sie beispielsweise einem gemeinnützigen Verein Steuererleichterungen im Zuge einer Großveranstaltung gewährt. 2. Reichweite und Grenzen des Steuergeheimnisses „Durch das Steuergeheimnis wird alles geschützt, was dem Amtsträger oder einer ihm gleichgestellten Person in einem der in § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a bis c Abgabenordnung (AO) genannten Verfahren über den Steuerpflichtigen oder andere Personen bekannt geworden ist. Dabei macht es keinen Unterschied, ob diese Tatsachen für die Besteuerung relevant sind oder nicht. Das Steuergeheimnis erstreckt sich auf die gesamten persönlichen, wirtschaftlichen, rechtlichen, öffentlichen und privaten Verhältnisse einer natürlichen oder juristischen Person. Zu den Verhältnissen zählen auch das Verwaltungsverfahren selbst, die Art der Beteiligung am Verwaltungsverfahren und die Maßnahmen, die vom Beteiligten getroffen wurden. So unterliegt z.B. auch dem Steuergeheimnis, ob und bei welcher Finanzbehörde ein Beteiligter steuerlich geführt wird, ob ein Steuerfahndungsverfahren oder eine Außenprüfung stattgefunden hat, wer für einen Beteiligten im Verfahren aufgetreten ist und welche Anträge gestellt worden sind. Zum geschützten Personenkreis gehören nicht nur die Steuerpflichtigen, sondern auch andere Personen, deren Verhältnisse einem Amtsträger in einem steuerlichen Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren bekannt geworden sind. Ob diese Personen in einem derartigen Verfahren auskunftspflichtig sind oder ihre Angaben ohne rechtliche Verpflichtung abgegeben haben, ist für die Zuordnung zum geschützten Personenkreis unerheblich.“1 „Zu den „Verhältnissen“ zählen auch das Verwaltungsverfahren eines Steuerpflichtigen in Steuersachen selbst, die Art der Beteiligung an diesem Verfahren und die Maßnahmen, die von einem Beteiligten getroffen wurden. So unterliegt es z. B. schon dem Steuergeheimnis, ob und bei welcher Finanzbehörde ein Beteiligter steuerlich geführt wird und ob ein Steuerfahndungsverfahren oder eine Außenprüfung stattgefunden hat. Geschützt ist auch die Information darüber, wer für einen Beteiligten im Verfahren aufgetreten ist, welche Anträge gestellt worden sind und in welcher Form das Verfahren von dem Beteiligten betrieben worden ist. Unter den Schutz des Steuergeheimnisses fallen nur die Verhältnisse eines „anderen“, nicht aber verwaltungsinterne Vorgänge oder die Verhältnisse des Amtsträgers, der im Verwaltungsverfahren in Steuersachen tätig geworden ist. Allerdings sind Auskünfte nicht zulässig, soweit sie, und sei es auch nur mittelbar, Rückschlüsse auf Verhältnisse des Steuerpflichtigen oder einer anderen Person zulassen, die durch das Steuergeheimnis geschützt sind (vgl. Nr. 1 des Anwendungserlasses zu § 30 der Abgabenordnung – AEAO – in der Fassung vom 31. Januar 2014, BStBl I 2014, 291, sowie die im Zeit- 1 Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 30 AO, Tz. 1.1. bis 1.3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 072/18 Seite 5 punkt der Beantwortung der Schriftlichen Anfrage geltende inhaltsgleiche Fassung vom 15. August 2012; Nr. 1.5, 1.6 des BMF-Schreibens betr. Wahrung des Steuergeheimnisses gegenüber Parlamenten vom 13. Mai 1987).“2 Damit unterfallen auch die Angaben zu einer Gewährung von Steuerbegünstigungen dem Steuergeheimnis , sobald diese Angaben nicht in anonymisierter Form erfolgen. Aus dem Rechtsstatus der Gemeinnützigkeit gemäß §§ 52 ff. AO ergeben sich keine Besonderheiten hinsichtlich des Steuergeheimnisses. Gemeinnützige Körperschaften unterfallen dem Steuergeheimnis im gleichen Umfang wie nichtgemeinnützige Steuerpflichtige. Zwischenergebnis: Eine Mitteilung der Finanzbehörden bzw. des Bundesfinanzministeriums über eine gewährte Steuervergünstigung für einen gemeinnützigen Verein wäre vom Schutz des Steuergeheimnisses erfasst. 3. Offenbarungsrechte zugunsten des Parlamentes 3.1. Widerstreitende Verfassungsrechte zwischen Abgeordneten und Steuerpflichtigen Der Tatbestand des Steuergeheimnisses des § 30 AO ist so aufgebaut, dass vom Steuergeheimnis geschützte Verhältnisse des Steuerpflichtigen ausnahmsweise offenbart werden dürfen, wenn ein Ausnahmetatbestand des § 30 Abs. 4 AO einschlägig ist. Für die parlamentarische Kontrolle des Regierungshandelns kommt der Auffangtatbestand des § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. c) AO in Betracht. Demnach sind Offenbarungen der unter das Steuergeheimnis fallenden Angaben zulässig, wenn für sie ein zwingendes öffentliches Interesse besteht. Ein zwingendes öffentliches Interesse ist namentlich gegeben, wenn die Offenbarung erforderlich ist zur Richtigstellung in der Öffentlichkeit verbreiteter unwahrer Tatsachen, die geeignet sind, das Vertrauen in die Verwaltung erheblich zu erschüttern; die Entscheidung trifft die zuständige oberste Finanzbehörde im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen; vor der Richtigstellung soll der Steuerpflichtige gehört werden, § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. c) AO. Das zwingende öffentliche Interesse könnte in der hier zu beurteilenden Fallkonstellation im parlamentarischen Frage- und Antwortrecht eines Mitglieds des Deutschen Bundestages bestehen. Das Fragerecht jedes einzelnen Abgeordneten hat nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)3 Verfassungsrang. „Entsprechend hat das Bundesverfassungsgericht zum parlamentarischen Interpellationsrecht entschieden, dass diesem Recht eine verfassungsrechtliche Pflicht der Bundesregierung, auf Fragen Rede und Antwort zu stehen und den Abgeordneten die zur Ausübung ihres Mandates erforderlichen Informationen zu verschaffen, korrespondiere.“4 2 Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 11. September 2014 – Vf. 67-IVa-13 –, Rn. 44, juris 3 BVerfGE 13, 123 [125]; 57, 1 [5] 4 BVerfG, Urteil vom 17. Juli 1984, Az: 2 BvE 11/83 und 15/83 (Flick-Untersuchungsausschuss), Rn. 100 (juris) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 072/18 Seite 6 Dem Fragerecht des Abgeordneten steht auf verfassungsrechtlicher Ebene nicht unmittelbar das Steuergeheimnis gegenüber, sondern dessen grundrechtsspezifischer Kerngehalt. Hierzu führte das BVerfG in seinem Urteil zum Flick-Untersuchungsausschuss aus: „Das Recht auf Wahrung des in § 30 AO gesetzlich umschriebenen Steuergeheimnisses ist als solches kein Grundrecht. Die Geheimhaltung bestimmter steuerlicher Angaben und Verhältnisse , deren Weitergabe einen Bezug auf den Steuerpflichtigen oder private Dritte erkennbar werden läßt, kann indessen durch eine Reihe grundrechtlicher Verbürgungen, insbesondere durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 14 GG, gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG geboten sein. Die Angaben, die ein Steuerpflichtiger aufgrund des geltenden Abgabenrechts zu machen hat, ermöglichen weitreichende Einblicke in die persönlichen Verhältnisse, die persönliche Lebensführung (bis hin beispielsweise zu gesundheitlichen Gebrechen, religiösen Bindungen, Ehe- und Familienverhältnissen oder politischen Verbindungen ) und in die beruflichen, betrieblichen, unternehmerischen oder sonstigen wirtschaftlichen Verhältnisse. Über ihre zeitlich kontinuierliche Erfassung, Speicherung und ständige Abrufbarkeit ermöglichen sie demjenigen, der über diese Daten verfügt, ein Wissen außerordentlichen Ausmaßes über die Betroffenen, das unter den gegenwärtigen Lebensverhältnissen in entsprechende Macht über die Betroffenen umschlagen kann. Die genannten Grundrechte verbürgen ihren Trägern einen Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der auf sie bezogenen, individualisierten oder individualisierbaren Daten. Diese Verbürgung darf nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden; die Einschränkung darf nicht weiter gehen, als es zum Schutze öffentlicher Interessen unerläßlich ist. Das - auch strafrechtlich sanktionierte - Verlangen des Staates nach steuerlichen Angaben begründet sich aus dem Umstand, daß der Betroffene am staatlichen Leben teilnimmt, ihm insbesondere Schutz, Ordnung und Leistungen der staatlichen Gemeinschaft zugute kommen. Deshalb darf ihm ein Anteil an den finanziellen Lasten zur Aufrechterhaltung des staatlichen Lebens auferlegt werden. Die Bemessung dieses Lastenanteils nach Maßstäben verhältnismäßiger Gleichheit der Abgabenpflicht erfordert die Angabe von Daten, die solche Gleichheit der Besteuerung ermöglichen . Von hier aus rechtfertigen sich - vorbehaltlich ihrer näheren Ausgestaltung anhand der aufgezeigten verfassungsrechtlichen Maßstäbe - Gesetze, die eine Pflicht zu steuerlichen Angaben auferlegen. Zugleich aber ergeben sich hieraus prinzipielle Grenzen für die Verwendung und Weitergabe solcher Angaben: Das gegenwärtige gesetzliche Abgabenrecht verpflichtet den Betroffenen, allein zum Zwecke der Besteuerung Angaben zu machen; zu einer Erhebung, Speicherung , Verwendung oder Weitergabe individualisierter oder individualisierbarer Daten zu anderen Zwecken ermächtigen die Steuergesetze grundsätzlich nicht.“5 „Dieser Schutz besteht von Verfassungs wegen auch gegenüber den Befugnissen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse. Beweiserhebungsrecht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses und grundrechtlicher Datenschutz stehen sich mithin auf der Ebene des Verfassungsrechts gegenüber und müssen im konkreten Fall einander so zugeordnet werden, daß beide 5 BVerfG, siehe Fn. 4, Rn. 135 ff. (juris) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 072/18 Seite 7 soweit wie möglich ihre Wirkungen entfalten. Ausnahmen vom Steuergeheimnis sind im Lichte dieses verfassungsgerichtlichen Befundes auszulegen und anzuwenden.“6 Diese Konstellation der widerstreitenden verfassungsrechtlichen Garantien erkannte der Bayerische Verfassungsgerichtshof auch in seinem Urteil zum parlamentarischen Fragerecht bezüglich des Steuer(straf)verfahrens Hoeneß. „Einerseits kommt dem parlamentarischen Fragerecht im Gefüge des demokratischen Staates […] grundlegende Bedeutung zu. Dem steht andererseits das ebenfalls gewichtige Interesse des betroffenen Steuerpflichtigen an der Geheimhaltung seiner persönlichen Lebensumstände gegenüber.“7 Da die Auftraggeber ihre Fragestellung jedoch explizit auf Vereine ausgerichtet haben, sind hier die Besonderheiten des Grundrechtsschutzes für juristische Personen kurz zu erwähnen. Gemäß Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird aus Art. 2 Abs. 1 GG als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hergeleitet. So hielt das BVerfG im „Flick-Urteil“ die „Geheimhaltung bestimmter steuerlicher Angaben und Verhältnisse , deren Weitergabe einen Bezug auf den Steuerpflichtigen oder private Dritte erkennbar werden läßt, kann indessen durch eine Reihe grundrechtlicher Verbürgungen, insbesondere durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 14 GG, gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG geboten sein.“8 Zusätzlich ist bei ausländischen juristischen Personen zu beachten, dass Art. 19 Abs. 3 GG einen Grundrechtsschutz nur für inländische juristische Personen vorsieht. Dies wird vom BVerfG mittlerweile ausdrücklich so benannt.9 Bei Nicht-EU ansässigen Vereinigungen, wie beispielsweise in der Schweiz, kann zudem auch der antidiskriminierende Rechtsgedanke der Grundfreiheiten und der Europäischen Grundrechtecharta nicht angeführt werden. Zwischenergebnis: Bei der parlamentarischen Frage nach Informationen, die dem Steuergeheimnis unterfallen, stehen sich kollidierende Rechtsgüter gegenüber. Auf Seiten des fragenden Abgeordneten ist es das parlamentarische Fragerecht mit Verfassungsrang, auf Seiten des Steuerpflichtigen , über den Informationen weitergegeben werden sollen, kann eine unmittelbare Grundrechtsbetroffenheit aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG; ggf. zusätzlich mit Art. 19 Abs. 3 GG bei juristischen Personen bestehen. Ein grundrechtlich verstärktes Recht auf Geheimhaltung der eigenen Steuerdaten können nur inländische juristische Personen geltend machen . Für ausländische juristische Personen verbleibt es beim einfachgesetzlichen Schutz des Steuergeheimnisses gemäß § 30 Abs. 1 und 2 AO. 6 BVerfG: ebenda, Rn. 138 7 Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Urteil vom 11. September 2014, Az: 67-IVa-13, Rn. 57 8 BVerfG, Urteil vom 17. Juli 1984 – 2 BvE 11/83 –, BVerfGE 67, 100-146, Rn. 135 (juris) 9 BVerfGE 100, 313 (364) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 072/18 Seite 8 3.2. Lösungsansätze aus der Rechtsprechung 3.2.1. Flick-Urteil des BVerfG Das BVerfG hatte mit Urteil vom 17.07.1984 über die Weigerung der Bundesregierung zu entscheiden , Unterlagen zur steuerlichen Begünstigung des Flick-Konzerns nach dem Auslandsinvestitionsgesetz an den Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages herauszugeben. Die Bundesregierung verweigerte die Aktenherausgabe an den Untersuchungsausschuss u.a. mit dem Verweis auf das Steuergeheimnis (§ 30 AO). Das BVerfG stellte fest, dass die Weigerung der Bundesregierung, die Akten vollständig herauszugeben , Artikel 44 des Grundgesetzes verletzt. Das BVerfG nahm bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung das Offenbarungsrecht gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchstabe c) AO in den Blick. Das öffentliche Interesse „ist - unbeschadet grundrechtlicher Schranken - namentlich dann gegeben, wenn die Offenbarung zur Richtigstellung in der Öffentlichkeit verbreiteter unwahrer Tatsachen erforderlich ist, die geeignet sind, das Vertrauen in die Verwaltung erheblich zu erschüttern (§ 30 AO Abs. 4 Nr. 5 Buchst. c AO). Dieser Ausnahmetatbestand ist verfassungskonform so auszulegen, daß er auch den Fall des Aktenvorlageverlangens des Untersuchungsausschusses trifft, mit dem der Bundestag in der Öffentlichkeit verbreiteten Zweifeln an der Vertrauenswürdigkeit der Exekutive nachgeht, die auch die Steuermoral der Bürger nachhaltig erschüttern könnten.“10 „Die Bedeutung, die das Kontrollrecht des Parlaments sowohl für die parlamentarische Demokratie als auch für das Ansehen des Staates hat, gestattet in aller Regel dann keine Verkürzung des Aktenherausgabeanspruchs zugunsten des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Eigentumsschutzes, wenn Parlament und Regierung Vorkehrungen für den Geheimschutz getroffen haben, die das ungestörte Zusammenwirken beider Verfassungsorgane auf diesem Gebiete gewährleisten, und wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.“11 Dieser Geheimschutz wäre selbst bei der Beantwortung einer öffentlich gestellten Anfrage an die Bundesregierung gewährleistet. Die Bundesregierung müsste hierfür ihre Antwort als Verschlusssache klassifizieren, § 1 Abs. 1 und 3 der Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages. Das BVerfG sah in seinem Urteil insbesondere bei Subventionssachverhalten die Notwendigkeit der Gewährleistung der parlamentarischen Kontrolle als erforderlich an: „Aber auch der Umstand , daß der Exekutive bei der Vergabe von Subventionen oft weitreichende Entscheidungsbefugnisse eingeräumt sind, macht gerade in diesem Bereich eine parlamentarische Kontrolle des 10 BVerfG: siehe Fn. 8, Rn. 133 (juris) 11 BVerfG: ebenda, Rn. 140 (juris) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 072/18 Seite 9 Verwaltungshandelns sinnvoll und notwendig. Dies gilt zumal dann, wenn es sich um Entscheidungen handelt, deren politische Dimension sich ohne weiteres aus den ihnen zugrundeliegenden Rechtsnormen ergibt.“12 „Jedenfalls aber, wenn ein solches Begehren auf subventionsrechtliche Tatbestände der hier in Rede stehenden Art geschützt wird, verwehren es weder die Grundrechte noch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, einem Untersuchungsausschuß mit entsprechendem Untersuchungsgegenstand die hierauf bezogenen Daten zugänglich zu machen; Akten über solche Daten dürfen mithin dem Untersuchungsausschuß insoweit nicht vorenthalten werden.“13 3.2.2. Hoeneß-Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes Der Bayerische Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH) hatte mit Urteil vom 11.09.201414 über parlamentarische Anfragen eines Mitglieds des Bayerischen Landtags zu den Zeitpunkten der erstmaligen Kenntnisnahme von den Geldanlagen des Uli Hoeneß durch die Staatsregierung zu entscheiden . Die Staatsregierung hatte die Antwort hierzu unter Verweis auf das Steuergeheimnis verweigert. Die Mehrheit des Verfassungsgerichtshofs hielt dies im Ergebnis für rechtmäßig. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof erkannte zunächst an, dass „das Recht auf Wahrung des in § 30 AO durch einfaches Bundesgesetz umschriebenen Steuergeheimnisses dem landesverfassungsrechtlich in Art. 13 Abs. 2, Art. 16 a Abs. 1 und 2 Satz 1 BV verankerten Fragerecht der Abgeordneten jedoch nicht zwangsläufig vor[geht].“15 Der Verfassungsgerichtshof ging davon aus, dass das parlamentarische Fragerecht durch geschützte Interessen im Sinne der Bayerischen Verfassung begrenzt werden könnte. Hierfür führte der Verfassungsgerichtshof das Recht des Herrn Hoeneß auf informationelle Selbstbestimmung an. „Das Recht auf Wahrung des Steuergeheimnisses ist als solches kein Grundrecht, sondern eine auf verfassungsrechtlichen Verbürgungen beruhende Abwehranspruchsnorm, die dazu dient, Grundrechte des Steuerbürgers zu schützen und zu realisieren.“16 Insbesondere der Zeitpunkt des Eingangs der Selbstanzeige sei, wie von der Staatsregierung angeführt , für die Beurteilung der strafbefreienden Wirkung von wesentlicher Bedeutung. Deren Beurteilung sei dem zuständigen Strafgericht vorbehalten. Eine Veröffentlichung in Form der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage würde nach Auffassung des BayVerfGH die Rechte des Herrn Hoeneß verletzen. 12 BVerfG: ebenda, Rn. 132 (juris) 13 BVerfG: ebenda, Rn. 140 (juris) 14 BayVerfGH, Urteil vom 11.09.2014, Az: Vf. 67-Iva-13 15 BayVerfGH: ebenda, Rn. 49 (juris) 16 Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 30 AO Rn. 12; zit. Nach BayVerfGH: ebenda; Rn. 52 (juris) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 072/18 Seite 10 Zugleich stellte der Verfassungsgerichtshof grundsätzliche verfassungsrechtliche Anforderungen an die Begründung der Regierung bei Ablehnung einer Beantwortung auf: „Um festzustellen, ob schutzwürdige private Interessen dem parlamentarischen Fragerecht entgegenstehen , sind diese und das Informationsinteresse des Auskunft begehrenden Abgeordneten unter Berücksichtigung der Bedeutung der Pflicht zur erschöpfenden Beantwortung parlamentarischer Anfragen für die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems gegeneinander abzuwägen . Die unterschiedlichen Belange müssen einander im Weg der praktischen Konkordanz so zugeordnet werden, dass jeder für sich soweit wie möglich seine Wirkungen entfaltet. Diese Bewertung ist einzelfallbezogen anhand der jeweiligen konkreten Gesamtumstände vorzunehmen .“17 „Um berechtigten privaten Geheimhaltungsinteressen Rechnung zu tragen, ist auch eine Beantwortung entsprechender Fragen ohne öffentliche Drucklegung in Betracht zu ziehen. Zwar ist der parlamentarische Informationsanspruch auf Beantwortung gestellter Fragen in der Öffentlichkeit angelegt. Eine Verweigerung der Antwort als letztes Mittel zum Schutz der genannten Belange ist aber nur dann zulässig, wenn die gewünschte Informationsübermittlung nicht so gestaltet werden kann, dass die zu schützenden Rechtsgüter auf andere Weise als durch das Unterbleiben einer Beantwortung hinreichend gewahrt werden können. Es ist nicht ausgeschlossen, dass in bestimmten Fallgestaltungen einem Geheimhaltungsinteresse dadurch Rechnung getragen werden kann, dass die Antwort auf entsprechende Fragen lediglich in einem Schreiben an den Fragesteller erteilt und nicht in die Landtagsdrucksachen aufgenommen wird.“18 „Aus der verfassungsrechtlich verankerten grundsätzlichen Antwortpflicht folgt zugleich, dass die Staatsregierung eine Begründung geben muss, wenn sie die erbetenen Auskünfte, sei es aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen, ganz oder teilweise verweigert. Es sind plausible Gründe für die Ablehnung darzulegen, damit diese nachvollziehbar wird und es dem anfragenden Abgeordneten möglich ist, gegebenenfalls in eine politische Auseinandersetzung über die Verfahrensweise einzutreten. Der pauschale Hinweis auf einen der verfassungsrechtlichen Gründe, die dem parlamentarischen Fragerecht Grenzen setzen, genügt hierfür nicht. Das Vorliegen der Voraussetzungen eines Informationsverweigerungsrechts ist substanziiert, nicht lediglich formelhaft, zu begründen. Dies ist auch unentbehrliche Grundlage für die verfassungsgerichtliche Kontrolle.“19 3.2.3. Sondervotum zur Hoeneß-Entscheidung Zwei Richter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs haben zum Urteil eine abweichendes Sondervotum abgegeben. „Einer vollständigen Beantwortung der genannten Fragen stand weder das bundesgesetzlich geregelte Steuergeheimnis (§ 30 AO) noch das grundrechtlich gewährleistete Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 100, 101 BV) entgegen. Denn das parlamentari- 17 BayVerfGH: ebenda, Rn. 37 (juris) 18 BayVerfGH: ebenda, Rn. 38 (juris) 19 BayVerfGH: ebenda, Rn. 39 (juris) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 072/18 Seite 11 sche Auskunftsersuchen war bezüglich der Fragen 1 und 2 nicht auf eine Offenlegung von persönlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen gerichtet und stand daher in keinem Widerstreit zu einer persönlichkeitsrechtlich begründeten Geheimhaltungsverpflichtung (1.). Selbst wenn die Informationen über eine behördliche Kenntniserlangung durch Dritte grundrechtlich geschützt wären, käme jedenfalls im Rahmen der dann gebotenen Einzelfallabwägung dem Aufklärungsinteresse der Antragsteller ein deutlich höheres Gewicht zu als dem privaten Interesse an einem Nichtbekanntwerden der ggf. für die Strafbarkeit relevanten Verwaltungsvorgänge (2.).“20 „1. Die mit der Anfrage vom 15. Mai 2013 erbetenen Auskünfte dazu, welcher Vertreter welcher bayerischen Behörde auf welchem Weg von den Geldanlagen des Herrn Hoeneß in der Schweiz erstmals Kenntnis erlangte (Frage 1) und welche weiteren Behördenvertreter auf welchem Weg noch vor dem Einreichen der Selbstanzeige ebenfalls Kenntnis erhielten (Frage 2), berührten das Steuergeheimnis nicht, weil damit über die „Verhältnisse eines anderen“ (§ 30 Abs. 2 AO) nichts offenbart werden konnte, das zu diesem Zeitpunkt nicht ohnehin allgemein bekannt war.“21 „2. Selbst wenn sich die Fragen 1 und 2 der Antragsteller auf personenbezogene Daten des Herrn Hoeneß bezogen hätten, wäre jedenfalls das Interesse an einer Auskunftserteilung eindeutig höher zu gewichten als das Interesse des Steuerpflichtigen an einer Geheimhaltung. a) Da sich hier auf der Ebene der Bayerischen Verfassung das parlamentarische Informationsrecht des einzelnen Abgeordneten und der grundrechtliche Datenschutz des Steuerbürgers gegenüber stehen, müssen diese Verfassungsgüter im konkreten Fall einander so zugeordnet werden, dass beide so weit wie möglich ihre Wirkung entfalten; Ausnahmen vom Steuergeheimnis sind im Lichte dieses verfassungsrechtlichen Befundes auszulegen und anzuwenden (vgl. BVerfGE 67, 100/143 f.). Das Ergebnis der Abwägung unterliegt dabei – anders als die Art und Weise der Beantwortung der Anfrage (vgl. VerfGH vom 26.7.2006 VerfGH 59, 144/183) – in vollem Umfang der verfassungsgerichtlichen Überprüfung. Die im Mehrheitsvotum getroffene Aussage, die beanstandeten Antworten seien „verfassungsrechtlich noch vertretbar“, erweckt demgegenüber den Eindruck, die Staatsregierung verfüge bei der Auskunftserteilung über eine irgendwie geartete Einschätzungsprärogative, die nur eine beschränkte Kontrolle zulasse. Bei der verfassungsunmittelbaren Einzelfallabwägung kann es aber immer nur ein richtiges Ergebnis geben, das allein der Verfassungsgerichtshof verbindlich festzustellen hat. Wollte man stattdessen der Staatsregierung eine Bandbreite „vertretbarer“ Entscheidungen zubilligen, so könnte sie in diesem Rahmen über die praktische Reichweite der Kontrollkompetenzen des Landtags entscheiden; dies stünde im Widerspruch zur prinzipiellen Gleichrangigkeit der beiden obersten Staatsorgane. b) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Steuerdaten zwar „regelmäßig nicht von öffentlichem Interesse in dem Sinne, wie es ein Untersuchungsauftrag … an einen Untersuchungsausschuss voraussetzt“ (BVerfGE 67, 100/140). Geht es bei einer parlamentarischen Anfrage aber nicht um die Aufdeckung privater Verhältnisse des Steuerpflichtigen, sondern um die politische Kontrolle der Regierung wegen eines möglichen Fehlverhaltens der staatlichen 20 BayVerfGH: ebenda, Rn. 63 (juris) 21 BayVerfGH: ebenda, Rn. 64 (juris) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 072/18 Seite 12 Exekutive, so steht das Steuergeheimnis dem Aufklärungsbegehren nicht uneingeschränkt entgegen (vgl. BVerfGE 67, 100/140 ff.). Dem trägt auch der bundesgesetzliche Ausnahmetatbestand des § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. c AO Rechnung, wonach eine Offenbarung von Steuerdaten zulässig sein kann, wenn sie zur Richtigstellung in der Öffentlichkeit verbreiteter unwahrer Tatsachen erforderlich ist, die geeignet sind, das Vertrauen in die Verwaltung erheblich zu erschüttern.“22 Die beiden Verfassungsrichter kommen daher in ihrem Sondervotum zu dem Ergebnis, „dass diese notwendige Sachaufklärung schon durch die parlamentarische Anfrage und nicht erst im Ermittlungs- oder Strafverfahren erfolgt wäre, bedeutete für den Beschuldigten keine so erhebliche Belastung, dass das Auskunftsrecht der Antragsteller im Rahmen der praktischen Konkordanz dahinter zurückstehen musste. Ließe man schon eine so marginale Berührung von Individualinteressen genügen, um den Informationsanspruch der Abgeordneten zunichte zu machen, so könnte die Exekutive das Steuergeheimnis nahezu beliebig instrumentalisieren, um sich der parlamentarischen Aufklärung von Verdachtsfällen im Bereich der Finanzverwaltung zu entziehen. Wie naheliegend diese Gefahr ist, beweist die von einem Vertreter der Staatsregierung in der mündlichen Verhandlung geäußerte Rechtsauffassung, wonach einer Auskunft zu den Fragen 1 und 2 selbst heute, also nach rechtskräftigem Abschluss des Steuerstrafverfahrens, noch immer das Steuergeheimnis des Herrn Hoeneß entgegenstehe. “23 4. Zusammenfassung Die Angaben zur Gewährung von Steuerbegünstigungen für Vereine und andere juristische Personen unterfallen grundsätzlich dem Steuergeheimnis des § 30 AO. Das Steuergeheimnis besitzt jedoch keinen Verfassungsrang. Auf verfassungsrechtlicher Ebene kann das Steuergeheimnis jedoch durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Art. 2 Abs. 1 GG geschützt sein. Ausländische juristische Personen verfügen jedoch nicht über einen derartigen Grundrechtsschutz , Art. 19 Abs. 3 GG. Soll die Bundesregierung Auskunft über die Gewährung von Steuerbegünstigungen für juristische Personen auf eine parlamentarische Anfrage hin geben, kann der Offenbarungsgrund des § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchstabe c) AO einschlägig sein. Bei der verfassungsrechtlichen Entscheidung, ob eine Auskunftpflicht für die Bundesregierung besteht, sind das parlamentarische Frage- und Auskunftrecht einerseits und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des vom Auskunftinhalt Betroffenen andererseits in einen schonenden Ausgleich zu bringen. „Aber auch der Umstand, dass der Exekutive bei der Vergabe von Subventionen oft weitreichende Entscheidungsbefugnisse eingeräumt sind, macht gerade in diesem Bereich eine parlamentarische Kontrolle des Verwaltungshandelns sinnvoll und notwendig. Dies gilt zumal dann, wenn es sich um Entscheidungen handelt, deren politische Dimension sich ohne weiteres aus den ihnen zugrundeliegenden Rechtsnormen ergibt.“24 22 BayVerfGH: ebenda, Rn. 72 ff. (juris) 23 BayVerfGH: ebenda, Rn. 78 a.E. (juris) 24 BVerfG: ebenda, Rn. 132 (juris) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 072/18 Seite 13 Vor der Ablehnung einer Auskunfterteilung hat die Bundesregierung die Möglichkeiten der Geheimhaltung im Informationsaustausch mit dem Deutschen Bundestag gemäß der Geheimschutzordnung in Betracht zu ziehen. Die Begründung der Bundesregierung zur Versagung der Auskunfterteilung unterliegt im vollen Umfang der verfassungsgerichtlichen Kontrolle durch das BVerfG. ***