© 2018 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 070/18 Mögliche Einführung einkommensteuerlicher Entlastungen für Altenpflegerinnen und Altenpfleger Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 070/18 Seite 2 Mögliche Einführung einkommensteuerlicher Entlastungen für Altenpflegerinnen und Altenpfleger Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 070/18 Abschluss der Arbeit: 11. Juni 2018 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 070/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz 4 3. Gründe für Bedenken gegen eine steuerliche Ungleichbehandlung von Altenpflegekräften 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 070/18 Seite 4 1. Fragestellung Es wird um ein Gutachten gebeten, ob es rechtlich möglich sei, bei der Einkommensteuer für (professionell) in der Altenpflege Tätige besonderen Erleichterungen einzuführen. 2. Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz Der Staat ist auf die Erhebung von Steuern angewiesen, um seine Aufgaben zu finanzieren. Diese öffentliche Teilhabe an der privaten Finanzkraft wird durch das Rechtsstaatsprinzip und die Grundrechte begrenzt. Nach ständiger Rechtsprechung1 des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gebietet der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG)2, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Aus ihm ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber einen weitreichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstandes als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes. Diese grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers wird für den Bereich des Steuerrechts vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch die Ausrichtung der Steuerlast an den Prinzipien der finanziellen Leistungsfähigkeit und der Folgerichtigkeit. Der Gleichheitssatz hat im Steuerrecht seine besondere Ausprägung in Form des Grundsatzes der Steuergerechtigkeit gefunden, wobei die Besteuerung grundsätzlich an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten ist. Die Steuerpflichtigen müssen dem Grundsatz nach durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden. Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands hat der Gesetzgeber die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne dieser Belastungsgleichheit umzusetzen. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes. Das hindert den Gesetzgeber nicht daran, außerfiskalische Förderungs- und Lenkungsziele zu verfolgen. Er darf nicht nur durch Ge- und Verbote, sondern ebenso durch mittelbare Verhaltenssteuerung auf Wirtschaft und Gesellschaft gestaltend Einfluss nehmen. Der Bürger wird dann nicht rechtsverbindlich zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet, erhält aber durch Sonderbelastung eines unerwünschten oder durch steuerliche Verschonung eines erwünschten Verhaltens ein finanzwirtschaftliches Motiv, sich für ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zu entscheiden. Führt ein Steuergesetz zu einer steuerlichen Verschonung, die einer gleichmäßigen Belastung der jeweiligen Steuergegenstände innerhalb einer Steuerart widerspricht, so kann eine solche Steuerentlastung vor dem Gleichheitssatz gerechtfertigt sein, wenn der Gesetzgeber das Verhalten des 1 Sofern nicht anders angegeben, stammen die die folgenden Ausführungen aus dem Beschluss des BVerfG vom 7. November 2006 – 1 BvL 10/02, Erbschaftsteuer. 2 Auf das Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) und das Recht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) wird hier nicht weiter eingegangen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 070/18 Seite 5 Steuerpflichtigen aus Gründen des Gemeinwohls fördern oder lenken. Bei Vorliegen ausreichender Gemeinwohlgründe kann die Entlastung dabei im Ausnahmefall in verfassungsrechtlich zulässiger Weise sogar dazu führen, dass bestimmte Steuergegenstände vollständig von der Besteuerung ausgenommen werden. Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung des BVerfG ist Art. 3 Abs. 1 GG jedenfalls verletzt, "wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt". Weiterhin ist der allgemeine Gleichheitssatz auch dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können. Dafür kommt es wesentlich auch darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall das Willkürverbot oder das Gebot verhältnismäßiger Gleichbehandlung durch den Gesetzgeber verletzt ist, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur bezogen auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sachund Regelungsbereiche bestimmen. 3. Gründe für Bedenken gegen eine steuerliche Ungleichbehandlung von Altenpflegekräften In den Altenpflegeberufen fehlen unbestritten Fachkräfte.3 Eine bessere Bezahlung, um Anreize für die Aufnahme eines solchen Berufs zu ergreifen, ist jedoch primär Aufgabe der Tarifparteien und nicht des Steuerrechts. Wie oben dargelegt, müsste sich für eine steuerliche Ungleichbehandlung ein sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie einleuchtender Grund finden lassen oder es müssten Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht vorliegen, dass eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen wäre. Altenpflegeberufe haben gegenüber anderen Berufen keine in der Natur dieses Berufes liegenden Gründe für eine Ungleichbehandlung bei der Einkommensteuer. Gegebenenfalls höhere sogenannte erwerbssichernde Aufwendungen können, wie bei anderen Steuerpflichtigen auch, bei der Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage abgezogen werden. Sofern Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt werden, kommen Steuervergünstigungen oder -befreiungen allen Steuerpflichtigen zugute, die diese Zuschläge beziehen. Zudem fehlen nicht nur in diesem Berufszweig Fachkräfte. Die Bundesregierung schreibt in ihrem Fortschrittsbericht 2017 zum Fachkräftekonzept4 unter Berufung auf die Engpassanalyse der 3 Vgl. dazu die Ausführungen des Fachbereichs WD 9 „Zur Frage der Zulässigkeit von Beitragserleichterungen in der Pflegeversicherung für Beschäftigte in Pflegeberufen“ , Sachstand 033/18 vom 6. Juni 2018. 4 Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fortschrittsbericht 2017 zum Fachkräftekonzept der Bundesregierung , Bundestags-Drucksache 18/13480, Seite 14. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 070/18 Seite 6 Bundesagentur für Arbeit5: „Vor dem Hintergrund des demografischen und digitalen Wandels sind es weiterhin hauptsächlich Gesundheits- und Pflegeberufe sowie technische Berufe, in denen akademische und nicht akademische Fachkräfte knapp sind. Allerdings bestehen innerhalb dieser Berufsgruppen teilweise deutliche regionale Unterschiede, …“. Es besteht also nicht nur in dieser einen Berufsgruppe ein Mangel, der es rechtfertigte, nur diese Berufsgruppe steuerlich anders zu behandeln als andere Berufsgruppen. Zudem sind regionale Unterschiede mit einer bundeseinheitlich geltenden Steuer wie der Einkommensteuer nicht abbildbar und nicht behebbar. Eine allgemeingültige Definition für das Gemeinwohl, dessen Wahrung eine Steuervergünstigung (oder Belastung) rechtfertigen würde, liefert das BVerfG nicht, sondern geht im Einzelfall darauf ein. So stellt zum Beispiel insbesondere die Zurverfügungstellung ausreichenden Wohnraums einen überragenden Gemeinwohlbelang dar, weil damit ein existenzielles Grundbedürfnis angesprochen werde. In einem anderen Urteil hat das BVerfG namentlich mittelständische Unternehmen als in besonderer Weise gemeinwohlgebunden und gemeinwohlverpflichtet bezeichnet: Sie unterlägen als Garant von Produktivität und Arbeitsplätzen insbesondere durch Verpflichtungen gegenüber den Arbeitnehmern, das Betriebsverfassungsrecht, das Wirtschaftsverwaltungsrecht und durch die langfristigen Investitionen einer gesteigerten rechtlichen Bindung.6 Als dem BVerfG zur Prüfung vorgelegt wurde, ob dem Produzierenden Gewerbe nach Einführung der Stromsteuer beziehungsweise der Erhöhung der Mineralölsteuer Vergünstigungen gewährt werden durfte, stellte es fest: „Es ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt, das Produzierende Gewerbe im Interesse der Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland durch Vergünstigungstatbestände vor Wettbewerbsnachteilen zu schützen, die durch die Stromsteuer und die Erhöhung der Mineralölsteuer auf Heizstoffe seit dem 1. April 1999 bewirkt werden können.“7 Derart gewichtige Argumente für das Gemeinwohl lassen sich aber nicht finden, um steuerliche Erleichterungen zur Erhöhung der Anzahl der Arbeitskräfte in den Altenpflegeberufen zu rechtfertigen. * * * 5 Bundesagentur für Arbeit: Engpassanalyse - Fachkräftesituation in Deutschland, unter: https://statistik.arbeitsagentur .de/Navigation/Footer/Top-Produkte/Fachkraefteengpassanalyse-Nav.html, abgerufen am 7. Juni 2018. 6 Beschluss des BVerfG vom 22. Juni 1995 – 2 BvR 552/91, Einheitsbewertung, Erbschaftsteuer. 7 Urteil des BVerfG vom 20. April 2004 - 1 BvR 905/00, Ökosteuer.