© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 068/20 Fragen zu fehlender Gemeinnützigkeit der tatsächlichen Geschäftsführung sowie zum parlamentarischen Auskunftsrecht Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 068/20 Seite 2 Fragen zu fehlender Gemeinnützigkeit der tatsächlichen Geschäftsführung sowie zum parlamentarischen Auskunftsrecht Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 068/20 Abschluss der Arbeit: 2. Juli 2020 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 068/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Untersuchungspflicht der zuständigen Finanzämter nach Hinweis auf entfallene Gemeinnützigkeit 4 2. Entscheidungsspielraum des zuständigen Finanzamtes bei entfallener Gemeinnützigkeit 4 3. Anspruch Dritter auf behördliches Tätigwerden 5 4. Parlamentarisches Auskunftsrecht 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 068/20 Seite 4 1. Untersuchungspflicht der zuständigen Finanzämter nach Hinweis auf entfallene Gemeinnützigkeit Als Ausfluss der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung nach § 85 Abgabenordnung (AO) normiert § 88 AO den Untersuchungs- bzw. Amtsermittlungsgrundsatz. Danach muss das zuständige Finanzamt von Amts wegen den die Rechtsfolge auslösenden Sachverhalt zweifelsfrei in Erfahrung bringen.1 Die Finanzbehörde kann jedoch Art und Umfang der Ermittlungen gemäß § 88 Abs. 2 AO nach den Umständen des Einzelfalls bestimmen, wobei sie alle notwendigen Maßnahmen ergreifen muss, um die entscheidungserheblichen Tatsachen aufzuklären. Lässt sie Tatsachen oder Beweismittel außer Acht und geht offenkundigen Zweifelsfragen nicht nach, die sich ihr den Umständen nach ohne weiteres aufdrängen mussten, verletzt sie ihre Aufklärungspflicht (Anwendungserlass zu § 88 AO, Nr. 7). Im Falle von nachträglichen Änderungen von Steuerbescheiden nach § 173 Abs. 1 AO zulasten des Steuerpflichtigen dürfen Erkenntnisse, die bereits bei Erlass des Steuerbescheids hätten festgestellt werden können bzw. müssen, nicht berücksichtigt werden.2 2. Entscheidungsspielraum des zuständigen Finanzamtes bei entfallener Gemeinnützigkeit Grundsätzlich richtet sich die Gewährung von Steuerbegünstigungen wegen Gemeinnützigkeit gemäß § 63 Abs. 1 AO danach, ob die tatsächliche Geschäftsführung den Vorgaben der Satzung entspricht. Ob diese wiederum den formalen Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit entspricht, wird in einem gesonderten Verfahren nach §§ 51, 59 ff. AO festgestellt. Die Steuerbegünstigungen werden von dem zuständigen Finanzamt dann für einen bestimmten Veranlagungszeitraum gewährt, wobei es keine einheitliche Bindungswirkung zwischen den Entscheidungen für die einzelnen Steuerarten gibt.3 Die Kontrolle durch das zuständige Finanzamt erschöpft sich in tatsächlicher Hinsicht somit darauf , ob die Handlungen und Tätigkeiten der Körperschaft auf die ausschließliche und unmittelbare Erfüllung der satzungsmäßigen Zwecke ausgerichtet ist.4 Eine eigentliche Kontrolle, ob die tatsächliche Geschäftsführung gemeinnützig ist, findet demnach nicht unmittelbar statt. In zeitlicher Hinsicht muss die Geschäftsführung gemäß § 63 Abs. 2 i.V.m. § 60 Abs. 2 AO bei der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer während des gesamten Veranlagungs- oder Bemessungszeitraums , bei anderen Steuern im Zeitpunkt der Entstehung der Steuer, satzungsgemäß sein. 1 Volquardsen in Schwarz/Pahlke (Hrsg.), Abgabenordnung Stand 31.03.2017, § 88, Rn. 5a. 2 Siehe 2.; Vgl. Wünsch in Koenig (Hrsg.), Abgabenordnung 3. Auflage 2014, § 88, Rn. 43. 3 Krüger in Schwarz/Pahlke (Hrsg.), Abgabenordnung Stand 20.11.2015, § 51, Rn. 17. 4 Krüger in Schwarz/Pahlke (Hrsg.), Abgabenordnung Stand 20.11.2015, § 63, Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 068/20 Seite 5 Grundsätzlich erfolgt die Anerkennung von Steuervergünstigungen durch den Erlass von entsprechenden Steuerbescheiden, ein besonderes Anerkennungsverfahren ist nicht vorgesehen (Anwendungserlass zu § 59 AO, Nr. 3 S. 1). Ob die Voraussetzungen der Steuerbegünstigung vorliegen , ermittelt das Finanzamt eigenständig im regulären Veranlagungsverfahren. Eine besondere Form des Entzugs der Steuerbegünstigung ist ebenso nicht geregelt. Die Prüfung satzungsmäßiger Geschäftsführung während des Veranlagungszeitraumes findet über die Möglichkeit der Änderung von Steuerbescheiden nach § 173 Abs. 1 AO statt. Nach dem Wortlaut der Norm („Steuerbescheide sind (…) aufzuheben oder zu ändern“) handelt es sich hierbei um eine gebundene Entscheidung. Der Finanzbehörde hat grundsätzlich keinen Ermessensspielraum im Sinne des § 5 AO.5 Bei der Aufhebung von begünstigenden Steuerbescheiden sind aber die Gebote von Treu und Glauben dahingehend zu beachten, dass keine Tatsachen oder Beweismittel berücksichtigt werden dürfen, die bei gehöriger Ermittlungstätigkeit der Finanzbehörden bereits vor der erstmaligen Steuerfestsetzung hätten festgestellt werden können bzw. müssen.6 Die Frage, ab wann ein Verstoß gegen die satzungsmäßige Geschäftsführung vorliegt, kann aber mittelbar dem behördlichen Ermessen unterliegen. Hinsichtlich der zeitnahen Mittelverwendung sieht § 63 Abs. 4 AO die Möglichkeit einer angemessen Fristsetzung durch das zuständige Finanzamt vor. Wird gegen das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung verstoßen, liegt eine satzungswidrige Geschäftsführung vor. Nur wenn die Mittel innerhalb der Frist zweckmäßig verwendet werden, gilt die tatsächliche Geschäftsführung gem. § 63 Abs. 4 S. 2 AO als ordnungsgemäß .7 Ob und in welchem Umfang eine Frist durch das zuständige Finanzamt gewährt wird, liegt in dessen Ermessen. Hier wird also ein Ermessensspielraum eingeräumt, der sich unter Umständen darauf auswirkt, ob die Voraussetzungen der gebundenen behördlichen Entscheidung vorliegen. Dieses Ermessen führt aber nicht zu behördlichem Ermessen im Rahmen des Erlasses oder Änderungen von Steuerbescheiden . Hierbei bleibt es bei einer gebundenen Entscheidung. 3. Anspruch Dritter auf behördliches Tätigwerden Ein Anspruch Dritter gegen das zuständige Finanzamt auf Erlass oder Änderung von Steuerbescheiden wegen fehlender Satzungsmäßigkeit der tatsächlichen Geschäftsführung besteht nicht. 5 Rüsken in Klein (Hrsg.), Abgabenordnung 15. Auflage 2020, § 173, Rn. 16. 6 Wünsch in Koenig (Hrsg.), Abgabenordnung 3. Auflage 2014, § 88, Rn. 43. 7 Vgl. Kümpel/Kerpen, Anforderungen an die tatsächliche Geschäftsführung bei steuerbegünstigten (gemeinnützigen ) Körperschaften, DStR 2001, 152, 153. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 068/20 Seite 6 Schon in einem Urteil vom 15.10.1997 hat der BFH klargestellt, dass die Vorschriften zu Steuerbegünstigungen wegen gemeinnütziger Zwecke keinen drittschützenden Charakter haben.8 Geschützt werden sollen die Interessen der Allgemeinheit und nicht darüber hinaus die Interessen Einzelner. Somit kann der Dritte lediglich die Behörde auf eine nicht der Satzung entsprechende tatsächliche Geschäftsführung hinweisen, die Verletzung eigener Rechte können jedoch nicht geltend gemacht werden. Auch wenn die tatsächliche Geschäftsführung nicht satzungsgemäß wäre, besteht kein Rechtsanspruch des Dritten auf behördliche Maßnahmen. Insbesondere könnte das zuständige Finanzamt durch den Dritten nicht zur Abänderung des Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 AO verpflichtet werden. Eine Klage wäre wegen fehlender Klagebefugnis unzulässig.9 4. Parlamentarisches Auskunftsrecht Zur Fragestellung, ob es ein parlamentarisches Auskunftsrecht über die Gewährung von Steuerbegünstigungen für juristische Personen gibt, existiert bereits eine Arbeit der wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, die unter folgendem Link gefunden werden kann: https://www.bundestag.de/resource/blob/560026/880edc4671e45a2a447b6f0f07ae13c4/WD-4- 072-18-pdf-data.pdf Nachfolgend werden die Kernaussagen wiedergegeben. Die Angaben zur Gewährung von Steuerbegünstigungen für Vereine und andere juristische Personen unterfallen grundsätzlich dem Steuergeheimnis des § 30 AO. Das Steuergeheimnis besitzt keinen Verfassungsrang. Auf verfassungsrechtlicher Ebene kann das Steuergeheimnis jedoch durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützt sein. Ausländische juristische Personen verfügen nicht über einen derartigen Grundrechtsschutz , Art. 19 Abs. 3 GG. Soll die Bundesregierung Auskunft über die Gewährung von Steuerbegünstigungen für juristische Personen auf eine parlamentarische Anfrage hin geben, kann der Offenbarungsgrund des § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchstabe c) AO einschlägig sein, wonach Offenbarungen der unter das Steuergeheimnis fallenden Angaben zulässig sind, wenn für sie ein zwingendes öffentliches Interesse besteht. Bei der verfassungsrechtlichen Entscheidung, ob eine Auskunftspflicht für die Bundesregierung besteht, sind das parlamentarische Frage- und Auskunftsrecht einerseits und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des vom Auskunftsinhalt Betroffenen andererseits in einen schonenden Ausgleich zu bringen. „Aber auch der Umstand, dass der Exekutive bei der Vergabe von Subventionen oft weitrei- 8 BFH, Urteil vom 15. 10. 1997 - I R 10/92, DStRE 1998, 110; Später bestätigt in BFH v. 18.9.2007, I R 30/06, BStBl II 2009, 126; BFH v. 26.1.2012, VII R 4/11, BStBl II 2012, 541. 9 Vgl. Krüger in Schwarz/Pahlke (Hrsg.), Abgabenordnung Stand 20.11.2015, § 51, Rn. 19-20. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 068/20 Seite 7 chende Entscheidungsbefugnisse eingeräumt sind, macht gerade in diesem Bereich eine parlamentarische Kontrolle des Verwaltungshandelns sinnvoll und notwendig. Dies gilt zumal dann, wenn es sich um Entscheidungen handelt, deren politische Dimension sich ohne weiteres aus den ihnen zugrundeliegenden Rechtsnormen ergibt.“10 Vor der Ablehnung einer Auskunftserteilung hat die Bundesregierung die Möglichkeiten der Geheimhaltung im Informationsaustausch mit dem Deutschen Bundestag gemäß der Geheimschutzordnung in Betracht zu ziehen. Die Begründung der Bundesregierung zur Versagung der Auskunftserteilung unterliegt im vollen Umfang der verfassungsgerichtlichen Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht. *** 10 BVerfG, Urteil vom 17. Juli 1984 – 2 BvE 11/83 ; BVerfGE 67, 100-146, Rn. 132 (juris)