© 2019 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 068/19 Einzelfragen zur Grundsteuerreform Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 068/19 Seite 2 Einzelfragen zur Grundsteuerreform Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 068/19 Abschluss der Arbeit: 21. Mai 2019 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 068/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellungen 4 2. Weshalb fällt die gesetzliche Umsetzung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts nicht unter die Bürokratiebremse? 4 3. Welches Modell bringt nach der Diskussion in der einschlägigen Literatur für die jeweiligen Normadressaten gemäß § 2 Abs. 1 NNKRG einen geringeren bürokratischen Verwaltungsaufwand mit sich (Flächenmodell oder der aktuelle Entwurf der Bundesregierung)? 4 4. Fällt eine gesetzliche Umsetzung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts auch dann unter die Bürokratiebremse, wenn es in wesentlichen Punkten von den Vorgaben des Urteils abweicht bzw. diese Vorgaben übertrifft? Kann die gesetzliche Umsetzung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts auch nur teilweise unter die Bürokratiebremse fallen, etwa in ausschließlich jenen Punkten, die eindeutig dem Urteil zuzuordnen sind? Wodurch wird der Gestaltungsspielraum einer gesetzlichen Umsetzung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes begrenzt, damit nicht jede Anpassung, die in das Gesetz aufgenommen wird, die aber nicht notwendiger Weise im Bezug zum Gerichtsurteil steht, von der Bürokratiebremse ausgenommen wird? 5 5. In welchem Verhältnis steht vor dem Hintergrund der Bürokratiebremse die Länderöffnungsklausel zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. April 2018 zur Reform der Grundsteuer? 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 068/19 Seite 4 1. Fragestellungen Der Auftraggeber bittet um Beantwortung diverser Einzelfragen zur Reform der Grundsteuer. Fokussiert werden dabei die Bürokratiekosten. 2. Weshalb fällt die gesetzliche Umsetzung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts nicht unter die Bürokratiebremse? Die Bundesregierung hat mit dem Kabinettsbeschluss vom 11. Dezember 2014 Eckpunkte zur weiteren Entlastung der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie beschlossen. Auf untergesetzlicher Ebene werden diese gesetzlichen Maßnahmen u.a. durch die zum 01. Juli 2015 in Kraft getretene „One in, one out“- Regelung flankiert.1 Die „One in, one out“ – Regel wird grundsätzlich für alle Regelungsvorhaben der Bundesregierung angewendet, die sich auf den laufenden Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft auswirken. Ausgenommen sind Vorhaben, soweit sie EU-Vorgaben, internationale Verträge, Rechtsprechung des BVerfG sowie des EuGH jeweils 1:1 umsetzen oder der Abwehr erheblicher Gefahren dienen oder zeitlich begrenzte Wirkung (max. 1 Jahr) haben.2 Im Regelfall sollen Entlastungsmaßnahmen binnen eines Jahres vorgelegt werden. Bei der „One in, one out“ – Regel handelt es sich um eine Selbstverpflichtung der Bundesregierung .3 Die Selbstverpflichtung hat dabei den Charakter einer verwaltungsinternen Verpflichtung im Sinne einer Verwaltungsvorschrift. Diese dient dazu, Organisation und Handeln der Verwaltung näher zu bestimmen (z.B. durch eine Richtlinie).4 Die Verwaltungsvorschrift entwickelt keine Außenwirkung und leitet für Dritte keine einklagbaren Rechte ab. 3. Welches Modell bringt nach der Diskussion in der einschlägigen Literatur für die jeweiligen Normadressaten gemäß § 2 Abs. 1 NNKRG einen geringeren bürokratischen Verwaltungsaufwand mit sich (Flächenmodell oder der aktuelle Entwurf der Bundesregierung)? Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hat in seinem Positionspapier aus Juli 2018 die Bürokratiekosten für unterschiedliche Reformmodelle untersucht. Demnach würde sich bei einem reinen Bodenwertmodell der bürokratische Aufwand gegenüber dem Status quo spürbar verringern.5 Als bürokratiearm wird ein reines Flächenmodell eingeschätzt.6 Das Deutsche Steuerzahlerinstitut des Bundes der Steuerzahler e.V. rechnet mit immensen Bürokratiekosten 1 BT-Drs. 18/4948, S. 1. 2 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/B/buerokratieabbau-one-in-one-out.pdf?__blob=publication- File&v=3 [23.10.18], S. 1. 3 BT-Drs. 18/9949, S. 1. 4 Vgl. Reimer, Philipp: Grundfragen der Verwaltungsvorschriften, in: Juristische Ausbildung 2014 (7), S. 679. 5 DIHK: Grundsteuer ohne weitere Belastung der Unternehmen reformieren, Juli 2018, S. 6. 6 DIHK: Grundsteuer ohne weitere Belastung der Unternehmen reformieren, Juli 2018, S. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 068/19 Seite 5 bei einer wertbasierten Grundsteuer. In diesem Zusammenhang wird auf eine Studie des Landes Bremen aus dem Jahr 2010 verwiesen (Machbarkeitsstudie für das Nordmodell). „Danach würde eine deutschlandweite Ersterhebung von Verkehrswerten mehr als 1,8 Mrd. Euro und jährliche Aktualisierungen dann jeweils 200 Mio. Euro kosten.“7 Das Institut kommt weiterhin zu der Einschätzung , dass eine flächenbezogene Grundsteuer die Möglichkeit bietet, „zu einer bürokratiearmen Steuerbemessungsgrundlage zu kommen.“8 Das Bundesministerium der Finanzen teilt in seinem Schreiben an die Vorsitzende des Finanzausschusses vom 15. Januar 2019 mit, dass beim wertabhängigen Modell (WAM) auch von einer Reduzierung der Bürokratiekosten auszugehen ist.9 Bis zum Abschluss dieser Arbeit lag noch kein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor. 4. Fällt eine gesetzliche Umsetzung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts auch dann unter die Bürokratiebremse, wenn es in wesentlichen Punkten von den Vorgaben des Urteils abweicht bzw. diese Vorgaben übertrifft? Kann die gesetzliche Umsetzung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts auch nur teilweise unter die Bürokratiebremse fallen, etwa in ausschließlich jenen Punkten, die eindeutig dem Urteil zuzuordnen sind? Wodurch wird der Gestaltungsspielraum einer gesetzlichen Umsetzung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes begrenzt, damit nicht jede Anpassung, die in das Gesetz aufgenommen wird, die aber nicht notwendiger Weise im Bezug zum Gerichtsurteil steht, von der Bürokratiebremse ausgenommen wird? Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich in seinem jüngsten Urteil10 mit Vorgaben für den Gesetzgeber zur Neuregelung der Grundsteuer zurückgehalten. Weder präferiert das BVerfG ein konkretes Modell noch schließt es einzelne Modelle per se aus. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil betont, dass dem Gesetzgeber vielfältige Möglichkeiten zur Schaffung eines verfassungsgemäßen Zustandes zur Verfügung stehen, die von der Reparatur der beanstandeten Regelungen zur Einheitsbewertung bis zur völligen Neugestaltung der Bewertungsvorschriften für eine im Grundgesetz als solcher vorgesehenen Grundsteuer (Art. 106 Abs. 6 GG) reichen.11 „Ausgehend von diesen Vorgaben hat der Gesetzgeber für die Wahl der Bemessungsgrundlage und die Ausgestaltung der Regeln ihrer Ermittlung einen großen Spielraum, solange sie nur prinzipiell geeignet sind, den Belastungsgrund der Steuer zu erfassen. Dabei ist er von Verfassungs wegen auch nicht verpflichtet, sich auf die Wahl nur eines Maßstabs zur Bemessung der Besteue- 7 Deutsches Steuerzahlerinstitut des Bundes der Steuerzahler e.V.: Argumente für eine Einfach-Grundsteuer, DSi kompakt, Nr. 33, 24. Mai 2018, S. 3. 8 Deutsches Steuerzahlerinstitut des Bundes der Steuerzahler e.V.: Argumente für eine Einfach-Grundsteuer, DSi kompakt, Nr. 33, 24. Mai 2018, S. 5. 9 Ausschuss-Drs. 19 (7) – 158. 10 BVerfG, Urteil vom 10. April 2018 – 1 BvL 11/14 – 11 BVerfG, Urteil vom 10. April 2018 – 1 BvL 11/14 –, Rn. 166, juris Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 068/19 Seite 6 rungsgrundlage festzulegen. Je nach Art und Vielfalt der von der Steuer erfassten Wirtschaftsgüter wird eine gleichheitsgerechte Bemessung der Erhebungsgrundlage ohnehin oft nur durch die Verwendung mehrerer Maßstäbe möglich sein. Bei der Wahl des geeigneten Maßstabs darf sich der Gesetzgeber auch von Praktikabilitätserwägungen leiten lassen, die je nach Zahl der zu erfassenden Bewertungsvorgänge an Bedeutung gewinnen und so auch in größerem Umfang Typisierungen und Pauschalierungen rechtfertigen können, dabei aber deren verfassungsrechtliche Grenzen wahren müssen. Jedenfalls muss das so gewählte und ausgestaltete Bemessungssystem, um eine lastengleiche Besteuerung zu gewährleisten, in der Gesamtsicht eine in der Relation realitäts - und damit gleichheitsgerechte Bemessung des steuerlichen Belastungsgrundes sicherstellen .“12 5. In welchem Verhältnis steht vor dem Hintergrund der Bürokratiebremse die Länderöffnungsklausel zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. April 2018 zur Reform der Grundsteuer? Dem politischen Diskurs ist nur schwer zu entnehmen, was unter einer Länderöffnungsklausel genau zu subsumieren ist. Nach Leisner-Egensperger lassen sich drei Gruppen einteilen: kleine Öffnungsklausel, große Öffnungsklausel und die Länderzuständigkeit. Unter der kleinen Öffnungsklausel versteht man die Öffnung der bisher bundeseinheitlichen festgelegten Steuermesszahl . Bei einer großen Öffnungsklausel würde den Ländern eröffnet, zwischen einer wertabhängigen und einer wertunabhängigen Bestimmung des Grundstückwerts zu wählen. „Die dritte Form der Öffnung wäre eine vollständige Föderalisierung der Grundsteuer, d.h. ihre Überantwortung in die Zuständigkeit der Länder.“13 Die wissenschaftliche Auseinandersetzung in diesem Zusammenhang konzentriert sich auf die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen der Gesetzgebung . Die Frage der Kompatibilität mit der „One in, one out“-Regel spielt dabei keine Rolle. Eine mögliche Länderöffnungsklausel wurde zudem auch nicht im Rahmen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) erörtert. Grundsätzlich gelten für die Reform der Grundsteuer die bereits dargestellten Maßstäbe des BVerfG. *** 12 BVerfG, Urteil vom 10. April 2018 – 1 BvL 11/14 –, Rn. 96 ff. 13 Leisner-Egensperger: Die Länderöffnungsklausel bei der Grundsteuer – ein Zauberwort in der Verhandlungsarena des Föderalismus, 13. April 2019, im Internet unter: https://verfassungsblog.de/die-laender-oeffnungsklausel -bei-der-grundsteuer-ein-zauberwort-in-der-verhandlungsarena-des-foederalismus/ [21.05.19].