© 2016 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 068/16 Öffentliche Country-by-Country Reports über Besteuerungsgrundlagen von Unternehmen Welche rechtlichen Grenzen setzen das Steuer- und Geschäftsgeheimnis ? Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 068/16 Seite 2 Öffentliche Country-by-Country Reports über Besteuerungsgrundlagen von Unternehmen Welche rechtlichen Grenzen setzen das Steuer- und Geschäftsgeheimnis? Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 068/16 Abschluss der Arbeit: 23.06.2016 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 068/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Geplante Gesetzesänderungen zur Einführung von Country-by-Country-Reports 4 3. Verfassungsrechtliche Prüfung eines öffentlichen CbCR 6 3.1. Vereinbarkeit eines öffentlichen Reports über Besteuerungsgrundlagen mit dem Steuergeheimnis im Rahmen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 1 Abs. 1 GG 6 3.1.1. Das Steuergeheimnis des § 30 Abgabenordnung (AO) 6 3.1.2. Das Steuergeheimnis und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung 7 3.1.2.1. Schutzbereich der informationellen Selbstbestimmung 7 3.1.2.2. Eingriff in den Schutzbereich 7 3.1.2.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs (Verhältnismäßigkeitsprüfung) 8 3.2. Grundrechtlicher Schutz der Geschäftsgeheimnisse als Bestandteil der Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG 9 3.2.1. Geschäftsgeheimnis im Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG 9 3.2.2. Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG 10 3.2.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung (Verhältnismäßigkeitsprüfung) 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 068/16 Seite 4 1. Fragestellung Der Auftraggeber möchte wissen, welche rechtlichen Grenzen sich aus dem Steuer- und dem Geschäftsgeheimnis für eine von der EU-Kommission geplante öffentliche Berichtspflicht über Wirtschafts - und Steuerdaten multinationaler Konzerne (Country-by-Country Reports, CbCR) ergeben können. 2. Geplante Gesetzesänderungen zur Einführung von Country-by-Country-Reports Das CbCR ist ein Bestandteil des von der OECD vorgelegten Aktionsplans gegen Steuergestaltung durch multinationale Unternehmen. Mit der Initiative, die unter dem Stichwort BEPS (Base Erosion and Profit Shifting) bekannt ist, sollen steuerplanerische Gewinnverlagerungen entgegen gewirkt werden. Ziel des CbCR ist es, mehr Transparenz über die regionale Verteilung von Produktionsfaktoren , Gewinnen und Steuerzahlungen von multinationalen Unternehmen zu schaffen und so Steuervermeidungsstrategien aufzudecken. Bisher berichten Unternehmen in ihren Jahres- bzw. Konzernabschlüsse in der Regel über das weltweite Konzernergebnis und den weltweiten Steueraufwand es gesamten Unternehmens, nicht aber über nach Ländern getrennte Ergebnisse und Steuerzahlungen. Im Rahmen des CbCR sollen multinationale Unternehmen nun verpflichtet werden, zusätzlich zu den Jahres- bzw. Konzernabschlüssen, bestimmte länderspezifische Informationen detailliert offen zu legen. Neben der Veröffentlichung von Ergebnissen vor Steuern sowie die Höhe der abgeführten Steuern je Land, sieht das CbCR auch eine standardisierte Dokumentationsanforderung der unternehmensinternen Verrechnungspreise vor. Diese dienen als Wertschöpfungsindikatoren und geben Auskunft über die geografische Verteilung der Wirtschaftstätigkeit des Unternehmens auf die verschiedenen Staaten. Die jeweiligen Steuerverwaltungen sollen so erfahren, ob die gezahlten Steuern in einem angemessenen Verhältnis zu der Höhe der erwirtschafteten Gewinne der einzelnen Tochterfirmen stehen. In der Vergangenheit wurden manipulierte Verrechnungspreise bei Geschäften zwischen Konzerntöchtern häufig zur Gewinnverschiebung eingesetzt. Das Konzept der OECD sieht die Steuerverwaltungen als einzige Adressaten der im Rahmen des CbCR gewonnenen Daten vor und setzt auf einen automatischen Informationsaustausch zwischen den Steuerverwaltungen der einzelnen Staaten. Eine Veröffentlichung der Informationen, wie sie von unterschiedlicher Seite gefordert wird, ist demnach ausdrücklich nicht vorgesehen. Die EU-Kommission hat laut Presseberichten1 parallel zwei Richtlinienentwürfe zur Umsetzung des CbCR vorgelegt. „Der eine hält sich an die OECD-Vorgaben. Der andere geht darüber hinaus und verlangt statt eines Reportings gegenüber den Finanzbehörden eine Veröffentlichung der Unternehmensdaten .“2 1 Wider den Steuerpranger, Gastkommentar v. Middelberg, Mathias und Harbarth, Stephan im Handelsblatt v. 15.06.2016, S. 15 2 Handelsblatt a.a.O. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 068/16 Seite 5 Das Bundesfinanzministerium hat unterdessen das Gesetzgebungsverfahren für Deutschland mittels eines Referentenentwurfes3 konkretisiert: Der Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und –verlagerungen sieht auch die Schaffung eines neuen § 138a AO vor. Darin sollen die Mitteilungspflichten multinationaler Unternehmen geregelt werden. § 138 a Abs. 2 AO-E sieht für den von den mitteilungspflichtigen Unternehmen zu erstellenden länderbezogenen Bericht folgende Inhalte vor: 1. eine nach Steuerhoheitsgebieten gegliederte Übersicht, wie sich die Geschäftstätigkeit des Konzerns auf die Steuerhoheitsgebiete verteilt, in denen der Konzern durch Unternehmen oder Betriebsstätten tätig ist; zu diesem Zweck sind in der Übersicht folgende Positionen, ausgehend vom Konzernabschluss des Konzerns, auszuweisen: a) die Umsatzerlöse und sonstigen Erträge, b) die im Wirtschaftsjahr gezahlten Ertragsteuern, c) die im Wirtschaftsjahr für dieses Wirtschaftsjahr gezahlten und zurückgestellten Ertragsteuern, d) das Jahresergebnis vor Ertragsteuern, e) das Eigenkapital, f) der einbehaltene Gewinn, g) die Zahl der Beschäftigten und h) die materiellen Vermögenswerte, 2. eine nach Steuerhoheitsgebieten gegliederte Auflistung aller Unternehmen und Betriebsstätten, zu denen Angaben in der Übersicht nach Nummer 1 erfasst sind, unter Angabe der wichtigsten Geschäftstätigkeiten jeweils des betreffenden Unternehmens oder der betreffenden Betriebsstätte sowie 3. zusätzliche Informationen, die nach Ansicht der inländischen Konzernobergesellschaft 3 http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Gesetze/2016-06-01-G-Umsetzung-EU-Amtshilferichtlinie -Massnahmen-Gewinnkuerzungen-verlagerungen.html Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 068/16 Seite 6 zum Verständnis der Übersicht nach Nummer 1 und der Auflistung nach Nummer 2 erforderlich sind. § 138 a Abs. 6 AO-E sieht vor, dass die zur Abgabe eines länderbezogenen Berichts verpflichteten multinationalen Unternehmen den Bericht an das Bundeszentralamt für Steuern übermitteln. Eine Veröffentlichung dieser Berichte ist im Referentenentwurf nicht vorgesehen. Die Opposition im Deutschen Bundestag spricht sich für eine verbindliche Veröffentlichungspflicht für Country-by-Country-Reports aus. So fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in einem Antrag aus dem Jahr 2014, dass alle Unternehmen/Unternehmensgruppen, die gemäß § 267 Abs. 3 Handelsgesetzbuch (HGB) als große Kapitalgesellschaften gelten oder dem Publizitätsgesetz unterliegen, verpflichtet werden sollen ihre Steuerzahlungen, Gewinne, Umsätze, Beschäftigten und Kapitalbestände nach Ländern und wesentlichen Geschäftsbereichen aufzuschlüsseln und dass diese Berichte veröffentlicht werden sollen. 3. Verfassungsrechtliche Prüfung eines öffentlichen CbCR 3.1. Vereinbarkeit eines öffentlichen Reports über Besteuerungsgrundlagen mit dem Steuergeheimnis im Rahmen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 1 Abs. 1 GG 3.1.1. Das Steuergeheimnis des § 30 Abgabenordnung (AO) In Deutschland stellt das Steuergeheimnis im Sinne des § 30 AO grundsätzlich alle Verhältnisse des Steuerpflichtigen, die der Finanzbehörde in einem der in § 30 Abs. 2 Nr. 1a bis 1c AO genannten Verfahren über den Steuerpflichtigen bekannt geworden sind, unter Schutz. Die Amtsträger und die in § 30 Abs. 3 AO genannten Personen haben das Steuergeheimnis nach § 30 Abs. 1 AO zu wahren, sodass alle persönlichen, betrieblichen, unternehmerischen oder sonstigen wirtschaftlichen Verhältnisse, die der Steuerpflichtige im Rahmen des Besteuerungsverfahren gegenüber der Finanzverwaltung offenbaren muss, geschützt werden. Das Steuergeheimnis verhindert somit die zweckentfremdete Weitergabe der im Steuerverfahren erlangten Kenntnisse und bildet ein Gegenstück zu den weitgehenden Offenbarungspflichten des Steuerrechts. Das Steuergeheimnis schützt aber nicht grenzenlos. § 30 Abs. 4 AO sieht unter bestimmten Voraussetzungen die Durchbrechung des Steuergeheimnisses vor. Eine Offenbarung ist dann zulässig , wenn sie einem Verfahren in Steuersachen (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 AO) oder einem außersteuerlichen Strafverfahren dient (§ 30 Abs. 4 Nr. 4 AO) oder ein zwingendes öffentliches Interesse besteht (§ 30 Abs. 4 Nr. 5 AO). Darüber hinaus ist eine Offenbarung der erlangten Kenntnisse zulässig , soweit sie durch Gesetz ausdrücklich zugelassen ist (§ 30 Abs. 4 Nr. 2 AO) oder der Betroffene zustimmt (§ 30 Abs. 4 Nr. 3 AO). In den Absätzen 4 und 5 des § 30 AO finden sich ergänzende Offenbarungsgründe mit Sonderregelungen in Bezug auf vorsätzlich falsche Angaben des Betroffenen (Abs. 5) und die Zulässigkeit des automatisierten Abrufs von Daten (Abs. 6). Für den Fall, dass der Gesetzgeber sich für die Einführung einer gesetzlichen Veröffentlichungspflicht von Country-by-Country-Reports für große Unternehmen entscheiden sollte, müsste er Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 068/16 Seite 7 eine Norm aufnehmen, die die Offenbarung der steuerlichen Verhältnisse in den Reports als Ausnahme zum Steuergeheimnis des § 30 Abs. 1 AO explizit vorsehen würde. Dies ist bislang im Referentenentwurf 4 nicht enthalten. 3.1.2. Das Steuergeheimnis und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung 3.1.2.1. Schutzbereich der informationellen Selbstbestimmung Dieses Recht verbürgt einen Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der individualisierten oder individualisierbaren Daten.5 Der Einzelne hat die Befugnis , selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen.6 Diese Verbürgung darf nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Die Einschränkung darf dabei nicht weiter gehen als es zum Schutze öffentlicher Interessen unerlässlich ist.7 3.1.2.2. Eingriff in den Schutzbereich Durch die Veröffentlichung von CbCR - die Angaben enthalten, die durch das Steuergeheimnis geschützt sind - liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vor. Zwar ist das Recht auf Wahrung des in § 30 AO gesetzlich umschriebenen Steuergeheimnisses als solches kein Grundrecht.8 Jedoch kann die Geheimhaltung bestimmter steuerlicher Angaben und Verhältnisse durch das grundrechtlich verbürgte Recht auf informationelle Selbstbestimmung geboten sein. Die im Referentenentwurf in § 138 a Abs. 2 AO-E vorgesehenen Angaben für den CbCR9 umfassen auch Informationen, die für die steuerlichen Verhältnisse des mitteilungspflichtigen Unternehmens relevant sind. So sollen die Umsatzerlöse, die gezahlten Ertragsteuern, das Eigenkapital und der einbehaltene Gewinn mitgeteilt werden. Würden die Unternehmen verpflichtet, diese 4 http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Gesetze/2016-06-01-G-Umsetzung-EU-Amtshilferichtlinie -Massnahmen-Gewinnkuerzungen-verlagerungen.html 5 BVerfGE 65, 1 (43) 6 BVerfGE 113, 29 (46) 7 BVerfGE 67, 100 (143) 8 BVerfGE 67, 100 (142) 9 Siehe soeben unter 2. dieser Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 068/16 Seite 8 Daten nicht nur den Finanzbehörden sondern auch der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, so würde dies in die grundrechtlich garantierte Freiheit der Unternehmen auf selbstbestimmten Umgang mit ihren Daten eingreifen. Zwar ist der Grundrechtsschutz für juristische Personen nicht identisch mit demjenigen von natürlichen Personen. Art. 19 Abs. 3 GG sieht vor, dass die Grundrechte auch für inländische juristische Personen gelten, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. „In Bezug auf das Recht auf einen selbstbestimmten Umgang mit Daten meint das BVerfG, ein Grundrechtsschutz von Organisationen sei möglich, wenn beispielweise durch staatliche Datenabfragen die betroffene Organisation „einer Gefährdung hinsichtlich ihrer spezifischen Freiheitsausübung“ ausgesetzt sei.“10 „Für das allgemeine Persönlichkeitsrecht lässt sich nicht allgemein angeben, ob es seinem Wesen nach auf juristische Personen anwendbar ist. Dies ist vielmehr für die verschiedenen Ausprägungen differenziert zu beurteilen.“11 In Bezug auf durch das Steuergeheimnis geschützte Daten ist jedoch davon auszugehen, dass das Recht auf einen selbstbestimmten Umgang mit den Daten auch juristischen Personen zusteht, sofern die Daten – wie vorliegend der Fall – Aussagen über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens im Ganzen treffen und nicht einzelnen natürlichen Personen zugerechnet werden können. Es ist somit von einem Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG durch eine mögliche Veröffentlichung der CbCR zulasten des auskunftspflichtigen Unternehmens auszugehen. 3.1.2.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs (Verhältnismäßigkeitsprüfung) Der Eingriff wäre gerechtfertigt, wenn er verhältnismäßig ist. Dies ist der Fall, wenn der Eingriff zur Erreichung eines legitimen Zwecks erforderlich wäre und für sich genommen einen angemessen Ausgleich zwischen der gesetzgeberischen Zielerreichung und dem betroffenen Schutzbereichs des Grundrechts vornehmen würde. Der Gesetzgeber könnte als Gesetzeszweck zunächst die Verbesserung des Steuervollzugs, ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit über die Steuerzahlungen der größten Konzerne sowie die allgemeine Stärkung der Steuerehrlichkeit in der Gesellschaft anführen. Bezüglich der Verbesserung des Steuervollzugs sind jedoch bereits bei der Erforderlichkeit des Mittels zur Zweckerreichung Zweifel angebracht. Die Veröffentlichung der Unternehmensdaten in CbCR ist gerade nicht für die Verbesserung des Steuervollzugs erforderlich. Der Steuervollzug 10 Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rn. 103; zuletzt abgerufen unter www.beck-online.de am 22.06.2016; BVerfGE 118, 168 (204) 11 BVerfGE 118, 168 (203) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 068/16 Seite 9 wird bereits durch die Datenerhebung und –weitergabe an die Finanzbehörden sichergestellt. Von der Veröffentlichung der Daten für Jedermann erlangen die Finanzbehörden keinen Mehrwert . Insofern können nur das Informationsinteresse und die Steuerehrlichkeit der Gesellschaft als Ziele genannt werden, für die die Veröffentlichung der CbCR geeignet und erforderlich wäre. Fraglich bleibt sodann die Angemessenheit des Grundrechtseingriffs mittels Veröffentlichung des CbCR für den Schutz der betroffenen Unternehmen in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Bei der Abwägung des vom Gesetzgeber verfolgten Zwecks mit der Belastungswirkung des Grundrechtseingriffs für die betroffenen Unternehmen ist ein schonender Ausgleich zu finden. Es erscheint fraglich, ob tatsächlich alle Daten die an die Finanzbehörden übermittelt werden, auch 1:1 veröffentlicht werden müssen. Im Hinblick auf das Steuergeheimnis erscheint es nicht zwingend erforderlich alle länderspezifischen Unternehmenskennzahlen eindeutig zuordenbar der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Denkbar wäre als milderes Mittel hier bspw. auch eine abgestufte Veröffentlichungspflicht. So werden bereits gegenwärtig die Daten, die im CbCR veröffentlicht werden sollen, gemäß § 275 HGB mit den Jahresabschlüssen der publizitätspflichtigen Unternehmen im Bundesanzeiger veröffentlicht . Die neue Grundrechtsbetroffenheit ergibt sich somit primär aus den länderspezifischen Berichtspflichten. Mit einer teilanonymisierten Veröffentlichung bspw. nach Branchen könnte der Gesetzgeber die Intensität des Grundrechtseingriffs verringern und somit Bedenken bezüglich der Angemessenheit des Eingriffs begegnen. Eine ähnliche Regelung existiert für den Bankenbereich bereits in § 60b Abs. 4 Kreditwesengesetz (KWG), der mit dem CRD-IV-Umsetzungsgesetz zum 1. 1. 2014 in Kraft trat. Zwischenergebnis: Da es derzeit keinen Gesetzentwurf mit Veröffentlichungspflicht für CbCR gibt, kann nur eine abstrakte Aussage zur Verfassungsmäßigkeit der Veröffentlichung von CbCR- Reports getroffen werden. Insoweit erscheint im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG eine verfassungskonforme Gesetzesfassung mit Veröffentlichungspflicht der CbCR möglich zu sein; insbesondere wenn teilanonymisierte Daten veröffentlicht würden. 3.2. Grundrechtlicher Schutz der Geschäftsgeheimnisse als Bestandteil der Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG 3.2.1. Geschäftsgeheimnis im Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG Die Veröffentlichung der Besteuerungsgrundlagen multinationaler Unternehmen könnte einen Eingriff in das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit darstellen, Art. 12 Abs. 1 GG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 068/16 Seite 10 Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG sichert u.a. die Teilhabe am Wettbewerb nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen.12 Ein Bestandteil des Schutzbereichs bilden auch die Betriebsund Geschäftsgeheimnisse von im wirtschaftlichen Wettbewerb stehenden Unternehmen. Als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse werden alle auf ein Unternehmen bezogene Tatsachen, Umstände und Vorgänge verstanden, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Betriebsgeheimnisse umfassen im Wesentlichen technisches Wissen im weitesten Sinne; Geschäftsgeheimnisse betreffen vornehmlich kaufmännisches Wissen. Zu derartigen geheimnissen werden etwa Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit, Kalkulationsunterlagen, Patentanmeldungen und sonstige Entwicklungs- und Forschungsprojekte gezählt, durch welche die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Betriebs maßgeblich bestimmt werden können.13 3.2.2. Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG § 138 a AO-E enthält u.a. die Verpflichtung zur Angabe der Umsatzerlöse und sonstigen Erträge im CbCR. Würde diese Angabe mit einer Veröffentlichungspflicht verknüpft, so wäre ein Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit gegeben. Dem BVerfG genügte in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2006 bereits die bloße Kenntnisnahmemöglichkeit nur für die Verfahrensbeteiligten Wettbewerber in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren, um von einer Preisgabe von Geschäftsgeheimnissen auszugehen. Es bejahte auf dieser Grundlage einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG. Grundsätzlich ist bei den CbCR-Informationen, die übermittelt werden müssen zwischen Angaben zu unterscheiden, die erstmalig zur Veröffentlichung vorgeschrieben werden sollen und die bereits jetzt im Jahresabschluss des Unternehmens veröffentlicht werden. Auf Grund der Vorschriften des Publizitätsgesetzes (§ 9 Publizitätsgesetz) und der Offenlegungspflichten in §§ 325, 328 HGB sind die Unternehmen bereits jetzt verpflichtet, ihren Jahresabschluss öffentlich über den Bundesanzeiger zur Verfügung zu stellen. Bezüglich dieser Angaben kann nicht von einem Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ausgegangen werden, da bspw. allgemeine Angaben über den Gewinn und das zur Verfügung stehende Eigenkapital keine direkten Rückschlüsse auf die Preisbildung und Markstrategie des betroffenen Unternehmens zulassen. Die veröffentlichungspflichtigen Angaben gem. § 138 a Abs. 2 AO-E könnten aber einen Eingriff in den Schutzbereich der Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG darstellen. Eine Veröffentlichungspflicht für Verrechnungspreise würde den Eingriffscharakter sicherlich erfüllen, da mittels dieser nur firmenintern bekannten Preise Rückschlüsse auf die Preis- und Gewinnkalkulation des Unternehmens gezogen werden könnten und somit wesentliche Teilbereiche der 12 BVerfGE 105, 252 (265) zit. nach BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 – 1 BvR 2087/03, 1 BvR 2111/03 -, BVerf GE 115, 205-259 13 BVerfG Beschluss vom 14. März 2006 – 1 BvR 2087/03, 1 BvR 2111/03 -, Rn. 87 (abrufbar in der Datenbank juris ) mwN. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 068/16 Seite 11 Marktstrategie des Unternehmens auf einzelne Länder bezogen für Wettbewerber einsehbar wären . Der Eingriff in den grundrechtlichen Schutzbereich wäre gerechtfertigt und führte nicht zu einem Grundrechtsverstoß, wenn er verhältnismäßig wäre. 3.2.3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung (Verhältnismäßigkeitsprüfung) Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung eines öffentlichen CbCR gilt es, das Informationsinteresse der Öffentlichkeit mit den potenziellen betriebswirtschaftlichen Nachteilen für die Unternehmen abzuwägen. Ein öffentliches CbCR könnte die Offenlegung sensibler Geschäftsdaten beinhalten und für die veröffentlichungspflichtigen Unternehmen Wettbewerbsnachteile bedeuten, wenn Konkurrenten Rückschlüsse auf die Geschäftsstrategien erlangen können. Aus einer detaillierten Veröffentlichung der Konzerngewinne in den einzelnen Ländern sowie der länderspezifischen Faktoreinsätze können Wettbewerber überdies Erkenntnisse über die geografische Aufstellung eines multinationalen Unternehmens und damit einhergehende Markterschließungspotenziale erlangen. Zusätzlich bestehen für Unternehmen mit niedrigen Steuerquoten erhebliche Reputationsrisiken . Diese können sich auch aus einer Fehlinterpretation der veröffentlichten Informationen ergeben, wenn die veröffentlichten Kennzahlen aufgrund der Komplexität der Besteuerung nicht richtig eingeordnet werden. Beispielsweise könnte verkannt werden, dass eine niedrige Steuerquote nicht zwangsläufig durch eine Gewinnverschiebung sondern z. B. auch durch Abschreibungen für getätigte Investitionen entstehen kann. Die Reputationsverluste beinhalten die Gefahr, weiteren Wettbewerbsnachteilen zu unterliegen. Diese können sich für multinationale Unternehmen auch dann ergeben, wenn sie einer Veröffentlichungsplicht unterliegen, während für kleinere Unternehmen der Branche eine Ausnahme greift. Es ist jedoch zu beachten, dass für das Geheimhaltungsinteresse des Unternehmens der Grundrechtsschutz des Art. 12 Abs. 1 GG angeführt werden kann, während für das Veröffentlichungsinteresse zwar ein allgemeines Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht. Diesem Informationsinteresse kommt jedoch kein verfassungsrechtlich geschützter Rang zu. Ein Anspruch auf öffentliche Information und Akteneinsicht besteht zwar einfachgesetzlich im Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Den Grundrechten, Staatsstrukturprinzipien und Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes ist er jedoch nicht zu entnehmen. Bereits in seinem Beschluss aus dem Jahr 200614 stellte das BVerfG fest, dass ein Zurückstellen des Geheimhaltungsinteresses nicht allein mit dem Hinweis auf eine besondere Sozialpflichtigkeit des Eigentums gerechtfertigt werden könne. So kann in dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit zwar ein legitimes Ziel für gesetzgeberisches Handeln gesehen werden. Die Veröffentlichung der Besteuerungsgrundlagen bildet hierfür auch ein geeignetes Mittel. 14 BVerfG Beschluss vom 14. März 2006, a.a.O., Rn. 120 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 068/16 Seite 12 Bei der Angemessenheit des Grundrechtseingriffs wäre sodann aber nach der Eingriffsintensität in die Geschäftsgeheimnisse der betroffenen Unternehmen zu differenzieren: Der Referentenentwurf des BMF sieht als neues Element der CbCR die nach einzelnen Ländern aufgegliederte Darstellung der eingesetzten Arbeitskräfte, unternehmerischen Erträge und Steuerzahlungen vor. Damit soll eine Vergleichbarkeit zwischen unternehmerischer Aktivität und jeweiliger Steuerzahlung zu den einzelnen Unternehmensstandorten ermöglicht werden. Zwar sind die Angaben, die für die CbCR vorgesehen sind, gemäß § 275 HGB schon gegenwärtig Bestandteil der veröffentlichungspflichtigen Jahresabschlüsse. Die neue Qualität der öffentlichen Information ergäbe sich jedoch aus den landesspezifischen Berichts- und Dokumentationspflichten . Würde die Veröffentlichungspflicht im Umfang der Pflichten des § 138 a Abs. 2 AO-E hinzugefügt , so würde die Öffentlichkeit nicht nur die wirtschaftlichen Ergebnisse des Gesamtkonzerns einsehen können, sondern auch regionale Unternehmensaktivitäten samt ihrer Rentabilität und der gezahlten Steuern nachvollziehen können. Gleichzeitig ist bei der Prüfung der Angemessenheit zu bedenken, dass der eigentliche Regelungszweck der CbCR, den Steuervollzug zu verbessern und eine doppelte Nichtbesteuerung von Firmenumsätzen innerhalb der OECD-Staaten zu vermeiden, auch mit einem bloßen verwaltungsinternen Datenaustausch zwischen den nationalen Steuerverwaltungen erreichbar wäre. Die Gleichmäßigkeit und Effektivität der Steuererhebung kann somit mangels Erforderlichkeit nicht als verfassungsrechtlich geschütztes Interesse gegen die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG angeführt werden. Für die Verfassungsmäßigkeit der Publizitätspflichten in den §§ 325 ff. HGB hat die Rechtsprechung durchaus auf das Informationsinteresse derjenigen abgestellt, die in Rechtsbeziehungen zur betroffenen Gesellschaft stehen.15 Ferner wurde der Gläubigerschutz infolge der Haftungsbegrenzung bei Kapitalgesellschaften genannt.16 Diese Argumente sind jedoch für die verfassungsrechtliche Legitimation öffentlicher Publikationspflichten bei CbCR nur bedingt übertragbar. Sinn und Zweck des Gläubigerschutzes ist es, dass sich der potentielle Anleger oder Geschäftspartner einen Überblick über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens verschaffen können soll. Hierfür sind differenzierte Darstellungen nach landesspezifischen Unternehmenskennzahlen nicht zwingend erforderlich. Generell kann jedoch davon ausgegangen werden, dass das Informationsinteresse von Investoren und potentiellen Geschäftspartnern an regionalen Besonderheiten innerhalb komplexer multinationaler Konzerne gestiegen ist. In Zeiten eines globalisierten Geschäftsverkehrs haben sich insoweit auch die Informationsbedürfnisse verändert und erweitert, was sich auch in öffentlich zu publizierenden Berichten niederschlagen kann. Gäbe es eine EU-Richtlinie, die eine Umsetzung von CbCR mit einer Veröffentlichungspflicht verbindlich zur Umsetzung in nationales Recht vor- 15 OLG Köln DStR 1991, 1356 16 BayObLG DStR 1995, 895 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 068/16 Seite 13 schreiben würde, so wäre zunächst das Rangverhältnis der EU-Grundrechtecharta zum nationalen Grundrechtekatalog des GG als Prüfungsmaßstab zu klären.17 Sodann müsste eine Differenzierung in der Veröffentlichungspflicht nach der Unternehmensgröße im Gesetz zum Ausdruck kommen. Dies ist im derzeitigen Referentenentwurf des BMF der Fall: Die Mitteilungspflicht für CbCR soll demnach nur für die Unternehmen bestehen, deren Konzernabschluss mindestens ein ausländisches Unternehmen enthält und deren im Konzernabschluss ausgewiesene, konsolidierte Umsatzerlöse im vorangegangenen Wirtschaftsjahr mindestens 750 Millionen Euro betragen haben (§ 138 a Abs. 1 Satz 1 AO-E). Erheblichere Bedenken als beim derzeitigen Referentenentwurf bezüglich der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs würde die Veröffentlichung von Verrechnungspreisen auslösen. Dies ergibt sich aus der internen Kalkulationsbedeutung, die Verrechnungspreise in Großunternehmen haben. Eine Veröffentlichung von derartig umfassenden internen Datenmaterial der Unternehmen würde diese in ihrer Preis- und Gewinnkalkulation für Wettbewerber berechenbar werden lassen und in ihrer unternehmerischer Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit erheblich einschränken. Bedenkt man, dass eine derartig umfangreiche Veröffentlichungspflicht für die effiziente Steuervollziehung nicht erforderlich ist, kann hier keine Verfassungsmäßigkeit mehr angenommen werden. Ergebnis: Trotz verfassungsrechtlicher Bedenken bezüglich der Verhältnismäßigkeit eines öffentlichen CbCR dürfte dieses, im Umfang der derzeit dafür im Referentenentwurf vorgesehenen Inhalte , verfassungskonform umsetzbar sein. Im Falle der Veröffentlichung von Verrechnungspreisen ist von einem verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Eingriff in die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Geschäftsgeheimnisse auszugehen. Ende der Bearbeitung 17 Siehe zu den europarechtlichen Fragestellungen die separate Ausarbeitung des Fachbereichs PE 6