© 2017 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 065/17 Finanzielle Unterstützung der Türkei durch die EU und Deutschland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 065/17 Seite 2 Finanzielle Unterstützung der Türkei durch die EU und Deutschland Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 065/17 Abschluss der Arbeit: 10. August 2017 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 065/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Finanzielle Unterstützung durch die EU 4 1.1. Heranführungshilfe der EU an die Türkei (IPA II) 4 1.2. Flüchtlingsfazilität für die Türkei (FRT) 5 2. Konditionalität 5 2.1. IPA II-Heranführungshilfe 5 2.2. Flüchtlingsfazilität 7 3. Finanzielle Leistungen Deutschlands an die Türkei 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 065/17 Seite 4 1. Finanzielle Unterstützung durch die EU Frage 1: Welche finanzielle Unterstützung erhält die Türkei durch die Europäische Union im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen? Wie hoch ist diese finanzielle Unterstützung? Frage 2: Erhält die Türkei darüber hinaus finanzielle Mittel der Europäischen Union, welche nicht im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen gewährt werden? Wenn ja, wie hoch sind diese Mittel? 1.1. Heranführungshilfe der EU an die Türkei (IPA II) Die Heranführungshilfe IPA II für die Beitrittskandidaten ist mit 11,69 Mrd. Euro (indikativ) ausgestattet . Im laufenden Förderzeitraum 2014 – 2020 sind daraus für die Türkei Mittel in Höhe von 4,45 Mrd. Euro (indikativ) vorgesehen.1 Die EU-Kommission hat auf Nachfrage den folgenden Stand der Zahlungen aus IPA II-Mitteln für die Türkei übermittelt: - Von den bisher insgesamt für die Türkei festgelegten 1,65 Mrd. Euro sind bislang 215,3 Mio. Euro vertraglich gebunden und 203,5 Mio. Euro ausgezahlt. - Für den Sektor Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind 780,5 Mio. Euro festgelegt. Von diesen festgelegten Mitteln wurden 190,4 Mio. Euro vertraglich gebunden und 193,6 Mio. Euro ausgezahlt. - Für den Sektor Wettbewerb und Wachstum sind 79 Mio. Euro festgelegt. Davon wurden bisher keine Mittel vertraglich gebunden oder ausgezahlt. - Darüber hinaus sind mehrjährige sektorspezifische Programme für die Türkei aus IPA II- Mitteln festgelegt: für Transport – 315,2 Mio. Euro festgelegt, bislang keine vertragliche Bindung und keine Auszahlung Umwelt und Klima – 181,9 Mio. Euro festgelegt, davon 25 Mio. Euro vertraglich gebunden und 10 Mio. Euro ausgezahlt. Für Wettbewerb und Innovation - 129,8 Mio. Euro festgelegt, bislang keine vertragliche Bindung und keine Auszahlung. Für Erziehung und Beschäftigung – 166,2 Mio. Euro festgelegt, bisher keine vertragliche Bindung und keine Auszahlung. - 167,3 Mio. Euro an IPA II-Mitteln wurden eingesetzt zur Beteiligung der Türkei an EU- Programmen und EU-Agenturen, namentlich für Erasmus+, Horizon 2020, Customs 2020, Fiscalis 2020, COSME, EaSI, Civil Protection Mechanism, the Environment Agency and the European Monitoring Centre for Drug and Drug Addiction. 1 Die jährlichen Mittel werden vom Europäischen Parlament und vom Rat in den Grenzen des MFR 2014-2020 bewilligt. Die bewilligten Mittel werden in Programmen festgelegt, die sich nach Sektoren gliedern (Art. 7 und 15 Verordnung (EU) Nr. 231/2014). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 065/17 Seite 5 1.2. Flüchtlingsfazilität für die Türkei (FRT) Am 15.10.2015 hat die EU-Kommission mit der Türkei eine Vereinbarung über einen gemeinsamen Aktionsplan zur Zusammenarbeit bei der Migrationssteuerung und der Bewältigung der Flüchtlingskrise abgeschlossen. Im Rahmen dieses vom Europäischen Rat gebilligten Aktionsplanes hat die EU-Kommission mit Beschluss vom 24.11.2015 die Flüchtlingsfazilität für die Türkei in Höhe von 3 Mrd. Euro für den Zeitraum 2016-2017 eingerichtet.2 Davon entfallen 1 Mrd. Euro auf den EU-Haushalt und 2 Mrd. Euro auf die Beiträge der EU-Mitgliedstaaten. Der deutsche Anteil beträgt 427,5 Mio. Euro. Die FRT zielt darauf ab, die Türkei bei der Bewältigung der unmittelbaren humanitären und entwicklungsbezogenen Bedürfnisse der Flüchtlinge und die nationalen und lokalen Behörden beim Umgang mit dem Flüchtlingszustrom und bei der Bewältigung seiner Folgen zu unterstützen.3 Von den bisher insgesamt bereitgestellten Mitteln in Höhe von 2,9 Mrd. Euro wurden 1,6 Mrd. Euro für 48 Projekte vertraglich gebunden und 811 Mio. Euro ausgezahlt.4 2. Konditionalität Frage 3: Können diese Mittel (bezugnehmend auf Frage 1 und 2) aufgrund der innenpolitischen Entwicklungen der Türkei von Seiten der EU oder Deutschlands gekürzt werden? Wenn ja, in welchem Umfang können diese Mittel gekürzt werden? 2.1. IPA II-Heranführungshilfe Den Rechtsrahmen für die Gewährung der Heranführungshilfe der EU an die Türkei im Zeitraum vom 1.1.2014 bis zum 31.12.2020 bilden die Verordnungen des Europäischen Parlaments und des Rates (EU) Nr. 231/2014 vom 11.03.2014 zur Schaffung eines Instruments für Heranführungshilfe (IPA II)5, (EU) Nr. 236/2014 vom 11.3.2014 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften und Verfahren für die Anwendung der Instrumente der Union für die Finanzierung des auswärtigen Handelns6, die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 447/2014 der Kommission vom 2.5.2014 mit 2 Beschluss der Kommission vom 24.11.2015, C(2015) 9500 final. 3 Vgl. Art. 1, Beschluss der Kommission vom 24.11.2015, C(2015) 9500 final. 4 Vgl. Vertretung der EU-Kommission, EU-Fazilität für Flüchtlinge, abgerufen am 10.08.2017, https://ec.europa .eu/germany/news/eu-fazilit%C3%A4t-f%C3%BCr-fl%C3%BCchtlinge-der-t%C3%BCrkei-erreicht-hunderttausende _de. 5 ABl. L 77/11 vom 15.3.2014. 6 ABl. L 77/95 vom 15.3.2014. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 065/17 Seite 6 spezifischen Vorschriften für die Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 231/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Instruments für Heranführungshilfe (IPA II)7 und die gemäß Artikel 8 der Verordnung (EU) Nr. 231/2014 abgeschlossene Rahmenvereinbarung 8 zwischen der Türkei und der Kommission über die Durchführung der Heranführungshilfe (IPA II). Die vorgenannten Verordnungen sind im Hinblick auf die Gewährung und Durchführung der Heranführungshilfe an die Türkei Bestandteil der Rahmenvereinbarung geworden. Die Verordnung (EG) Nr. 1085/2006 des Rates vom 17.7.2006 zur Schaffung eines Instruments für Heranführungshilfe (IPA)9 für den Zeitraum 2006 – 2013 enthielt in Artikel 21 eine Klausel über die Aussetzung der Heranführungshilfe. Nach dieser Klausel war die Wahrung der demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätze, der Menschenrechte, der Rechte der Minderheiten und der Grundfreiheiten ein wesentliches Element für die Anwendung dieser Verordnung sowie eine Voraussetzung für die Gewährung der Hilfe. Bei Nichteinhaltung dieser Grundsätze oder der in der Beitrittspartnerschaft mit der EU verankerten Verpflichtungen oder Erzielung keiner befriedigenden Fortschritte bei der Erfüllung der Beitrittskriterien durch ein Empfängerland konnte der Rat auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit geeignete Maßnahmen in Bezug auf die Gewährung der Heranführungshilfe beschließen. Hierzu gehörte auch die Aussetzung dieser Hilfe. Die aktuell für den Zeitraum 2014 – 2020 geltende Verordnung (EU) Nr. 231/2014 sieht eine derartige Konditionalität hinsichtlich der Gewährung der Heranführungshilfe nicht vor.10 In Ermangelung der Klausel über die Aussetzung der Heranführungshilfe in dieser Verordnung und damit auch in der Rahmenvereinbarung über die Gewährung und Durchführung der Hilfe zwischen der Türkei und der Kommission ist eine Suspendierung der Hilfe nicht möglich, solange das Beitrittsverfahren der Türkei andauert und damit die Türkei im Anwendungsbereich des Instruments der Heranführungshilfe verbleibt.11 7 ABl. L 132/32 vom 3.5.2014. 8 Framework Agreement between the Republic of Turkey and the European Commission on the Arrangements for Implementation of Union Financial Assistance to the Republic of Turkey under the Instrument for Pre-Accession Assistance (IPA II), abgerufen am 8.8.2017 unter: http://www.ab.gov.tr/files/ipaii_framework_agreement _original.pdf 9 ABl. L 210/82 vom 31.7.2006. 10 Vgl. zum Wegfall der Ausschlussklausel auch die Erklärung des Europäischen Parlaments zur Aussetzung der Unterstützung im Rahmen der Finanzierungsinstrumente, ABl. L 77/11 vom 15.3.2014, S. 25. Begründet wird der Wegfall der Ausschlussklausel von der Bundesregierung mit der fehlenden Mehrheit unter den Mitgliedstaaten in der Ratsarbeitsgruppe Erweiterung (COELA), vgl. BReg., Anlage 8 zu BT-Prot. vom 26.4.2017, S. 23167B-23167C. 11 Das bedeutet allerdings nicht, dass die Heranführungshilfe konditionslos gewährt würde. Die Durchführung der finanziellen Hilfe erfolgt im Rahmen ein- und mehrjähriger Programme, die mit dem vereinbarten Strategiepapier für die Türkei für den Zeitraum 2014 – 2020 im Einklang stehen und von der Kommission angenommen werden müssen (Artikel 6 der VO (EU) Nr. 231/2014). Diese Konditionalität erschöpft sich allerdings auf der Verfahrensebene und vermag daher nicht, der Türkei den Zugang zu dem Instrument der Heranführungshilfe zu versperren. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 065/17 Seite 7 Die IPA II-Verordnung sieht allerdings in Artikel 15 Absatz 3 die Möglichkeit vor, bei entscheidenden politischen Veränderungen die Zuweisungen gemäß den politischen Prioritäten für das auswärtige Handeln der Union anzupassen. Das bedeutet, dass die mit der Durchführung der Hilfe beauftragte EU-Kommission Einzelprojekte innerhalb der einzelnen Programme suspendieren kann.12 Allerdings sind dabei die für die jeweiligen Projekte bereits eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen einzuhalten. Anpassungsmaßnahmen der EU-Kommission auf der Projektebene stellen insoweit Einzelfallentscheidungen dar, die dem tatsächlichen Rechtsstatus und den eventuellen Umsetzungsdefiziten der einzelnen Projekte Rechnung tragen müssen.13 2.2. Flüchtlingsfazilität Auch die Flüchtlingsfazilität für die Türkei weist keine Konditionalität im Hinblick auf die in der Fragestellung angesprochene innenpolitische Entwicklung in der Türkei auf. Sie basiert vielmehr auf einer Zusammenarbeit, die gemäß dem gemeinsamen Aktionsplan mit der Türkei von geteilter Verantwortung, gegenseitigen Verpflichtungen und deren Erfüllung geprägt ist.14 Für die Durchführung der FRT ist der Lenkungsausschuss zuständig, der sich aus zwei Vertretern der Kommission und einem Vertreter pro Mitgliedstaat zusammensetzt.15 Entscheidungen des Lenkungsausschusses über einzelne Maßnahmen und Projekte schließen die Bewertung hinsichtlich der von der Türkei im Rahmen der FRT zu erfüllenden Verpflichtungen mit ein. 3. Finanzielle Leistungen Deutschlands an die Türkei Frage 4: Gibt es darüber hinaus bilaterale Zahlungen der Bundesrepublik Deutschland an die Türkei) Wenn ja, welche Mittel sind dies und wie hoch sind diese? Finanzielle Leistungen Deutschlands zugunsten der Türkei auf der Grundlage bilateraler Abkommen gibt es soweit ersichtlich nicht. Aus dem Bundeshaushalt werden lediglich Projekte in der Türkei bzw. Projekte zur Unterstützung türkischer Zielgruppen finanziert.16 12 Vgl. BReg., Anlage 8 zu BT-Prot. vom 26.4.2017, S. 23167B-23167C. 13 So auch der Vorschlag des EU-Kommissars Hahn, einzelne Projekte im Rechtsstaatsbereich wegen Umsetzungsdefiziten einzustellen. Vgl. BReg., Anlage 9 zu BT-Prot. vom 29.3.2017, S. 22832B. 14 Vgl. Beschluss der Kommission vom 24.11.2015, C(2015) 9500 final, Nr. 3 der Erwägungsgründe. 15 Vgl. Art. 5, Beschluss der Kommission vom 24.11.2015, C(2015) 9500 final, Nr. 3 der Erwägungsgründe. 16 Einzelheiten dazu vgl. BT-Drs. 18/8564 vom 26.05.2016, S. 5 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 065/17 Seite 8 ***