© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 060/20 Aberkennung der Schweizer Börsenäquivalenz Wirtschaftliche Auswirkungen und politische Positionen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 060/20 Seite 2 Aberkennung der Schweizer Börsenäquivalenz Wirtschaftliche Auswirkungen und politische Positionen Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 060/20 Abschluss der Arbeit: 29. Mai 2020 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 060/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Welche Auswirkungen hat die unerfüllte Börsenäquivalenz für die Schweiz und die schweizerische (Finanz-)Wirtschaft? Welche Auswirkungen hat die unerfüllte Börsenäquivalenz für deutsche Anleger und die deutsche (Finanz-)Wirtschaft? 4 2. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu dieser Entwicklung, tritt sie vermittelnd ein und welche Maßnahmen hat sie bislang getroffen? Welche Kritik und welche für diese Entwicklung sprechende Aussagen gibt es in der einschlägigen Literatur? Wie positionieren sich die jeweiligen im Deutschen Bundestag vertretenden Parteien zu dieser Entwicklung? 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 060/20 Seite 4 1. Welche Auswirkungen hat die unerfüllte Börsenäquivalenz für die Schweiz und die schweizerische (Finanz-)Wirtschaft? Welche Auswirkungen hat die unerfüllte Börsenäquivalenz für deutsche Anleger und die deutsche (Finanz-)Wirtschaft? Im Juli 2019 veröffentlichte die Denkfabrik Bruegel einen Beitrag zu den Folgen des Verlustes der Börsenäquivalenz. Die Aktien der größten Schweizer Aktiengesellschaften werden sowohl in der Schweiz als auch an europäischen Börsen gehandelt. Die Aufhebung des Äquivalenzstatus hätte den EU-Wertpapierfirmen den Handel mit diesen Aktien an den Schweizer Börsen untersagt. Infolgedessen hätte die Teilnahme europäischer Investoren an der Schweizer Börse zusammenbrechen können. Um dies zu verhindern, untersagte die Schweizer Regierung den Handel mit Aktien von Schweizer Unternehmen, die an einer Schweizer Börse notiert oder gehandelt werden, an EU-Börsen.1 Folglich gilt die Beschränkung nach MiFIR2 nicht mehr für Schweizer Aktien, was bedeutet, dass EU-Wertpapierfirmen von der Verpflichtung befreit sind, sie an EU-Handelsplätzen zu handeln. Endergebnis dieser rechtlichen Manöver ist, dass Aktien von an der Schweizer Börse notierten Unternehmen seit dem 1. Juli 2019 nicht mehr an EU-Börsen gehandelt werden und EU-Investoren diese Aktien stattdessen über Anbieter an der Schweizer Börse oder an anderen Handelsplätzen außerhalb der EU kaufen und verkaufen. Aktien, die in der Schweiz und in der EU börsennotiert sind, können weiterhin an Schweizer und EU-Handelsplätzen gehandelt werden. Kurzfristig wirkten sich diese neuen Umstände nicht allzu stark auf die Schweizer Aktienmärkte aus. Die Neue Zürcher Zeitung berichtete am 1. Juli 2019, dass die Marktteilnehmer kaum Auswirkungen auf den Handel mit Schweizer Aktien erwarteten. Das Handelsvolumen des Swiss Market Index (SMI) hat seit Anfang Juli 2019 zugenommen und war im Vergleich zum Euronext 100-Index eher volatil, jedoch nicht außerhalb des Bereichs, der in den letzten 3 Monaten beobachtet wurde. Das Gesamtvolumen der an der SIX Swiss Exchange gehandelten Aktien sei im Bereich der Vormonate geblieben und nähere sich den an den Euronext-Börsen in Amsterdam und Paris beobachteten Trends an. Zusammenfassend lasse sich sagen, dass der Verlust der Äquivalenz die Schweizer Aktien und die Schweizer Börse vorerst weder schlechter noch besser gestellt habe.3 1 Eidgenössisches Finanzdepartement: Das EFD aktiviert Schutzmassnahme zum Schutz der Börseninfrastruktur, unter: https://www.efd.admin.ch/efd/de/home/dokumentation/nsb-news_list.msg-id-75633.html, abgerufen am 29. Mai 2020. 2 Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012. 3 Baltensperger, Michael (Bruegel): The consequences of Switzerland’s lost equivalence status, 25. Juli 2019, unter : https://www.bruegel.org/2019/07/the-consequences-of-switzerlands-lost-equivalence-status, abgerufen am 27. Mai 2020. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 060/20 Seite 5 Die Börsen-Zeitung kommt im August 2019 zu folgender Einschätzung der Aberkennung der Börsenäquivalenz : „Bisher mag dies als Petitesse erscheinen. Abgesehen davon, dass einige deutsche Privatanleger keinen Sparplan mehr auf Schweizer Aktien laufen lassen können, halten sich die Folgen daraus in engen Grenzen. So kann weiter in der EU außerbörslich (vulgo: „im Dunkeln") gehandelt werden, und wem diese Möglichkeit nicht offensteht, kann zu höheren Gebühren auch in der Schweiz seine Nestlé-Aktien kaufen und verkaufen. Zu den finanziellen Auswirkungen der Aberkennung der Schweizer Börsenäquivalenz für EU -Börsenbetreiber ist bisher nichts bekannt. Tradegate und CBOE Europe halten sich auf Anfrage dazu bedeckt, Deutsche Börse nennt keine Zahlen zu entgangenen Gebühren und verweist auf frühere Aussagen, wonach ein Handelsvolumen um rund 3,8 Mrd. Euro (Stand 2017) betroffen sein dürfte. Anders bei der Schweizer Börse Six, wo der Handelsumsatz im traditionell flauen Juli im Jahresvergleich um 26% gestiegen ist (Aktientransaktionen +74%). Profitiert haben auch Banken im Schweizer Aktienhandel wie Vontobel. Stand heute ist die Aberkennung der Äquivalenz für EU-Anbieter ein Verlustgeschäft.“4 Im September 2019 veröffentlichte die Financial Times ein Gutachten des US-amerikanisches Finanzdienstleistungsunternehmen Virtu Financial. Nach dessen Angaben reduziere der Verlust der regulatorischen Äquivalenz für Schweizer Aktien die Investitionsentscheidungen und führe zu Reibungsverlusten auf dem Markt. Es erhöhe die Kosten für den Kauf und Verkauf von Unternehmen mit einer kleinen oder mittleren Marktkapitalisierung.5 Drei Monate später, im Dezember 2019, stellt Börse ARD fest, dass Schweizer Börsenexperten den Verlust der Börsenäquivalenz für nicht dramatisch hielten. Sie zitiert den Anlagechefstrategen vom Bankhaus Julius Bär, Chistian Gattiker-Ericsson mit der Aussage, der Verlust habe kaum Auswirkungen auf den Handel mit Schweizer Aktien gehabt. „Leidtragende sind am ehesten die Privatanleger. Beim Handel über die Schweizer Börse müssen deutsche Anleger höhere Gebühren für eine Auslandsorder und eine Abrechnung in Schweizer Franken mit Währungstausch in Kauf nehmen. Alternativ können sie Schweizer Aktien über Makler auch außerbörslich von Deutschland aus handeln. Bei der Comdirect funktioniert das dank der Kooperation mit der Commerzbank und der Düsseldorfer Maklerfirma Lang & Schwarz. Auch bei der Comdirect-Konkurrentin 4 Müller, Dietegen: Wenn Regulierung zum politischen Pfand mutiert, Börsen-Zeitung, 6. August 2019, Seite 6. 5 Stafford, Philip: Trading costs rise after Switzerland’s loss of EU access rights, Financial Times, 24. September 2019, unter: https://www.ft.com/content/1aa1561a-dea5-11e9-9743-db5a370481bc, abgerufen am 27. Mai 2020. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 060/20 Seite 6 ING Deutschland können Anleger die meisten Schweizer Aktien nach Auskunft der Bank mittlerweile wieder kaufen und verkaufen. Der Handel erfolgt außerbörslich.“6 Prof. Dr. Christa Tobler von der Universität Basel und Rechtsanwalt Jacques Beglinger aktualisieren regelmäßig ein Brevier zum institutionellen Abkommen Schweiz – EU. Mit Stand 16. Februar 2020 stellen sie fest, dass der Aktienhandel trotz der veränderten Rahmenbedingungen weiterhin normal zu funktionieren scheine. In der Branche bestehe aber Einigkeit darüber, dass dies langfristig keine ideale Lösung sei, indem die Aktienmärkte künstlich getrennt würden und dadurch an Effizienz verlören.7 2. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu dieser Entwicklung, tritt sie vermittelnd ein und welche Maßnahmen hat sie bislang getroffen? Welche Kritik und welche für diese Entwicklung sprechende Aussagen gibt es in der einschlägigen Literatur? Wie positionieren sich die jeweiligen im Deutschen Bundestag vertretenden Parteien zu dieser Entwicklung? Abg. Gerhard Zickenheiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hat sich in zwei schriftlichen Fragen im Juli 2019 nach Reaktionen der Bundesregierung erkundigt. Zum einen geht es um die Position des EU-Ministerrats, ohne Abschluss des Rahmenabkommens zwischen der Schweiz und der EU keine Marktzugangsverträge mit der Schweiz zu verabschieden beziehungsweise zu aktualisieren, zum anderen um die Position der EU-Kommission, Nachverhandlungen zum Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU grundsätzlich abzulehnen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat wie folgt geantwortet: „In seinen Schlussfolgerungen vom 19. Februar 2019 hat der Rat der Europäischen Union betont , dass der Abschluss des Ende 2018 zwischen der EU und der Schweiz ausgehandelten Texts des Abkommens über einen institutionellen Rahmen für bestehende und künftige Abkommen für die EU eine Voraussetzung für den Abschluss künftiger Abkommen über die Teilnahme der Schweiz am EU-Binnenmarkt und auch ein wichtiger Aspekt bei der Entscheidung über weitere Fortschritte auf dem Weg zu einem für beide Seiten vorteilhaften Marktzugang ist. Dies entspricht weiter der Position der Bundesregierung. Dabei sind aus Sicht der Bundesregierung bestehende Abkommen und Übereinkünfte zwischen der EU und der Schweiz nicht betroffen. Allgemein unterstützt die Bundesregierung die Europäische Kom- 6 Blechner, Notker: Bald wieder Schweizer Aktien in der EU handelbar?, boerse.ARD.de, 6. Dezember 2019, unter : https://boerse.ard.de/anlagestrategie/regionen/schweizer-hochgefuehle100.html, abgerufen am 27. Mai. 2020. 7 Tobler, Christa; Beglinger, Jacques: Tobler/Beglinger-Brevier zum Institutionellen Abkommen Schweiz-EU, Ausgabe 2020-02.1, Stand 16. Februar 2020, Frage 144, unter: http://www.eur-charts.eu/wp-content/uploads /2020/02/Tobler-Beglinger-Brevier-Institutionelles-Abkommen_2020-02.1.pdf, abgerufen am 27. Mai 2020. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 060/20 Seite 7 mission weiter darin, das Rahmenabkommen zwischen der EU und der Schweiz unter Berücksichtigung des Abbaus der sog. Flankierenden Maßnahmen und eines belastbaren Streitschlichtungsmechanismus bald abzuschließen.“8 Die Bundesregierung (Bundesministerium der Finanzen) hat auf eine entsprechende Anfrage nach ihrer Position zum Börsenäquivalent im August 2019 wie folgt geantwortet: „Die Bundesregierung hat sich in Gesprächen mit den Verhandlungsführern beider Seiten und in den entsprechenden Brüsseler Gremien regelmäßig dafür eingesetzt, in der Frage des Institutionellen Rahmenabkommens eine für alle Beteiligten annehmbare Lösung zu finden. Daneben hat die Bundesregierung dafür geworben, etwaige negative Auswirkungen auf das Verhältnis der EU und ihrer Mitgliedstaaten zur Schweiz zu vermeiden (zuletzt in der Sitzung der Rats-Arbeitsgruppe EFTA im Juli 2019). In diesem Sinne sprach sich die Bundesregierung auf Basis eines von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) nach Artikel 25 Absatz 4 Richtlinie 2014/65/EU gestellten Antrags vom April 2019 für die dauerhafte Verlängerung der Anerkennung der Börsenäquivalenz zwischen der EU und der Schweiz aus.“9 Im November 2019 richtete Abg. Alexander Kulitz (FDP) die Frage an die Bundesregierung, was diese zur Unterstützung eines baldigen Abschlusses des institutionellen Rahmenabkommens zwischen der EU und der Schweiz unternähme. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie antwortete: „Die Verhandlungen über den Abschluss eines Institutionellen Rahmenabkommens zwischen der EU und der Schweiz werden von der EU-Kommission geführt. Die Bundesregierung bedauert , dass sich die Schweiz bislang nicht in der Lage sieht, dem Ende 2018 zwischen den Verhandlungsführern vereinbarten Textentwurf zuzustimmen. Aus Sicht der Bundesregierung wäre eine Fortsetzung der Gespräche mit dem Ziel einer baldigen Einigung zwischen der EU-Kommission und der Schweiz wünschenswert. In ihren Gesprächen und den entsprechenden Gremien setzt sich die Bundesregierung daher regelmäßig dafür ein, hinsichtlich des Institutionellen Rahmenabkommens eine für alle Beteiligten annehmbare Lösung zu finden .“10 In einem Brief vom 2. September 2019 wandten sich neun Nachbarregionen der Schweiz an die Europäische Kommission, die von einer Eskalation des Streits zwischen der Schweiz und der EU über das Rahmenabkommen unmittelbar betroffen wären. Von deutscher Seite ist der Brief von 8 Schriftliche Fragen mit den in der Woche vom 8. Juli 2019 eingegangenen Antworten der Bundesregierung, Bundestags-Drucksache 19/11515, Antwort zu Fragen 73 und 74. 9 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP: Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz über ein Partnerschaftsabkommen – Handel mit Schweizer Wertpapieren in Deutschland, Bundestags -Drucksache 19/12639 vom 21. August 2019, Antwort zu Frage 2. 10 Schriftliche Fragen mit den in der Woche vom 11. November 2019 eingegangenen Antworten der Bundesregierung , Bundestags-Drucksache 19/15250, Antwort Frage 59. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 060/20 Seite 8 den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Baden-Württemberg) und Markus Söder (Bayern ) unterzeichnet. Nach der Nichtverlängerung der Börsenäquivalenz drohe eine negative Dynamik , die die Schweiz und die EU weiter auseinandertreibe und die grenzüberschreitenden Kooperationen , zum Beispiel zwischen Forschungsinstituten, Universitäten und Unternehmen, gefährdet seien.11 * * * 11 Nuspliger, Niklaus: Nachbarregionen unterstützen Schweiz in Brüssel, Neue Zürcher Zeitung, 5. September 2019, Seite 27.