© 2017 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 060/17 Vereinbarkeit der Bund-Länder-Finanzreform mit dem Bundesstaatsprinzip Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 060/17 Seite 2 Vereinbarkeit der Bund-Länder-Finanzreform mit dem Bundesstaatsprinzip Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 060/17 Abschluss der Arbeit: 25.07.2017 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 060/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Bundesstaatsprinzip und Finanzverfassung 4 3. Artikel 107 GG 5 3.1. Änderungen im Artikel 107 GG 5 3.2. Kriterien des Artikels 79 Absatz 3 GG an Artikel 107 GG 6 3.3. Verfassungsrechtliche Prüfung der Änderungen in Artikel 107 GG 7 3.3.1. Prüfungsmaßstab noch anwendbar? 7 3.3.2. Verfassungsrechtliche Beurteilung des Wegfalls des Umsatzsteuervorwegausgleichs 8 3.3.3. Verfassungsrechtliche Beurteilung der bergrechtlichen Förderabgabe in Artikel 107 Absatz 2 Satz 4 GG 12 3.3.4. Neuer Tatbestand für Bundesergänzungszuweisung, Artikel 107 Absatz 2 Satz 6 GG 13 4. Artikel 108 GG 14 5. Artikel 109a GG 15 6. Artikel 104b GG und Artikel 114 Absatz 2 S. 2 GG 15 7. Artikel 104c GG 17 8. Artikel 125c GG 17 9. Artikel 143d GG 18 10. Artikel 143f GG 19 11. Zusammenfassung 20 Literaturverzeichnis 21 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 060/17 Seite 4 1. Fragestellung Der Auftraggeber möchte das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 13.7.2017, mit dem die Bund-Länder Finanzbeziehungen für die Zeit nach dem 1.1.2020 neu geregelt werden, auf seine Verfassungsmäßigkeit hin überprüft wissen. Ergänzend zu dieser Ausarbeitung sind der Artikel 90 GG in einer gesonderten Ausarbeitung und Artikel 91c Absatz 5 GG in einem separaten Sachstand des Fachbereichs WD 3 bearbeitet worden. Der Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 3 Absatz 3 FStrBAG widmet sich eine weitere Ausarbeitung des Fachbereichs WD 3. 2. Bundesstaatsprinzip und Finanzverfassung Verfassungsändernde Gesetze sind an der materiellen Schranke des Artikels 79 Absatz 3 GG zu messen. Die sogenannte „Ewigkeitsgarantie“ schließt die Änderung bestimmter Institutionen und Grundsätze dauerhaft aus. Den geschützten Verfassungskern bilden die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung und die in den Artikeln 1 und 20 des Grundgesetzes niedergelegten Grundsätze. Zu den Grundsätzen des Artikels 20 GG zählen insbesondere das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip und das Bundesstaatsprinzip . Insbesondere dem Bundesstaatsprinzip kommt bei der Überprüfung von Änderungen der Finanzverfassung an Artikel 79 Absatz 3 GG eine große Bedeutung zu. „Die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Zentralstaat und den Gliedstaaten ist nur eine Seite der Kräfteverteilung im Bundesstaat. Ebenso wichtig wie die durch sie getroffene Entscheidung , auf welchen Sachgebieten jeder der beiden Teile handeln darf, ist es auch, dass entschieden wird, in welchem Umfang, mit welcher Nachhaltigkeit und insbesondere mit welchen Mitteln auf diesen Gebieten tatsächlich gehandelt werden kann. Diese Entscheidung zu fällen ist vor allem Sache der bundesstaatlichen Finanzverfassung. Nur wenn nach ihr jede Seite, sowohl der Zentralstaat als auch die Gliedstaaten, über hinreichende Geldmittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben verfügt, ist die Staatlichkeit des Bundes und der Länder sichergestellt, die Artikel 20 Absatz 1 voraussetzt, und die Artikel 79 Absatz 3 sogar für unantastbar erklärt.“1 „Artikel 106 steht daher – und zwar sowohl in seiner ursprünglichen wie auch in seiner gegenwärtig geltenden Fassung – in nahem Zusammenhang zu den Artikeln 20 und 79. Es ist heute unbestritten , dass sich die Staatlichkeit des Bundes und der Länder nur dann wirklich entfalten kann, wenn beide über selbständige Einnahmen verfügen und damit nicht von Zahlungen der anderen Seite (Bedarfszuweisungen des Bundes an die Länder, Matrikularbeiträge der Länder an den Bund) abhängig sind. Es wäre mit den Artikeln 20 und 79 unvereinbar, wenn die eine Seite ganz oder auch nur überwiegend zum Kostgänger der anderen würde.“2 1 Maunz/Dürig, GG, Art. 106 Rn. 4; Onlinekommentar unter beck-online.de [zuletzt abgerufen am 10.7.2017] 2 ebenda, Rn. 5 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 060/17 Seite 5 Mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 13.7.20173 wurden vielfältige Änderungen in der Finanzverfassung vorgenommen. Diese sollen nachfolgend einer ersten verfassungsrechtlichen Überprüfung an Hand des Artikels 79 Absatz 3 GG in Verbindung mit dem Bundesstaatsprinzip unterzogen werden. In Bezug auf die Bund-Länder-Finanzbeziehungen hat der verfassungsändernde Gesetzgeber zwar keine Änderung bei der sogenannten vertikalen Verteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden in Artikel 106 GG vorgenommen. Mit der Abschaffung des Umsatzsteuervorwegausgleichs in Artikel 107 Absatz 1 GG enthält das verfassungsändernde Gesetz jedoch weitreichende Änderungen bezüglich der Verteilung des Umsatzsteueraufkommens auf die Länder als auch neue Regelungen zum Länderfinanzausgleich in Artikel 107 Absatz 2 GG. 3. Artikel 107 GG 3.1. Änderungen im Artikel 107 GG Artikel 107 GG enthält die Regelungen zu der Verteilung der Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer unter den Ländern. Artikel 107 Absatz 1 Satz 4 GG lautete bislang: „Der Länderanteil am Aufkommen der Umsatzsteuer steht den einzelnen Ländern nach Maßgabe ihrer Einwohnerzahl zu; für einen Teil, höchstens jedoch für ein Viertel dieses Länderanteils, können durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, Ergänzungsanteile für die Länder vorgesehen werden, deren Einnahmen aus den Landessteuern, aus der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer und nach Artikel 106b je Einwohner unter dem Durchschnitt der Länder liegen ; bei der Grunderwerbsteuer ist die Steuerkraft einzubeziehen.“ Damit wurden die Grundprinzipien des Umsatzsteuervorwegausgleichs umschrieben. Die nun vom Deutschen Bundestag und Bundesrat verabschiedete Grundgesetzänderung enthält hier eine Neuregelung: „Der Länderanteil am Aufkommen der Umsatzsteuer steht den einzelnen Ländern, vorbehaltlich der Regelungen nach Absatz 2, nach Maßgabe ihrer Einwohnerzahl zu.“4 Artikel 107 Absatz 2 GG wurde ebenfalls neugefasst. Er lautet nunmehr: „Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, ist sicherzustellen, dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird; hierbei sind die Finanzkraft und der Finanzbedarf der Gemeinden (Gemeindeverbände) zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind in dem Gesetz Zuschläge zu und Abschläge von der jeweiligen Finanzkraft bei der Verteilung der Länderanteile am Aufkommen der Umsatzsteuer zu regeln. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Zuschlägen und für die Erhebung von Abschlägen sowie die Maßstäbe für die Höhe dieser Zuschläge und Abschläge sind in dem Gesetz zu bestimmen. Für Zwecke der Bemessung der Finanzkraft kann die bergrechtliche Förderabgabe mit nur einem Teil ihres Aufkommens berücksichtigt werden. Das Gesetz kann auch bestimmen, dass der Bund aus seinen Mitteln leistungsschwachen Ländern Zuweisungen zur ergänzenden Deckung ihres allgemeinen Finanzbedarfs (Ergänzungszuweisungen) gewährt. Zuweisungen können unabhängig von den Maßstäben nach 3 BGBl I 2017, Seite 2346 ff. 4 BT-Drs. 18/11131, Seite 8 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 060/17 Seite 6 den Sätzen 1 bis 3 auch solchen leistungsschwachen Ländern gewährt werden, deren Gemeinden (Gemeindeverbände) eine besonders geringe Steuerkraft aufweisen (Gemeindesteuerkraftzuweisungen ), sowie außerdem solchen leistungsschwachen Ländern, deren Anteile an den Fördermitteln nach Artikel 91b ihre Einwohneranteile unterschreiten.“5 Damit wird der bisherige Umsatzsteuervorwegausgleich abgeschafft. Bund und Länder stellen ihre Finanzbeziehungen auf eine neue Grundlage. „Der Umsatzsteuervorwegausgleich ist eigentlich Teil des Finanzausgleichs, wird aber bislang als Element der primären Finanzverteilung behandelt , bestimmt also mit, was eigene Mittel der Länder sind.“6 „An die Stelle des bisherigen Länderfinanzausgleichs wird zukünftig die Verteilung des Länderanteils an der Umsatzsteuer treten. Sie wird nur noch grundsätzlich nach Maßgabe der Einwohnerzahl erfolgen, jedoch durch Zu- und Abschläge entsprechend der Finanzkraft jedes Landes modifiziert werden. Umsatzsteuervorwegausgleich und Länderfinanzausgleich werden durch die Umsatzsteuerverteilung zwischen den Ländern ersetzt.“7 3.2. Kriterien des Artikels 79 Absatz 3 GG an Artikel 107 GG „Artikel 79 Absatz 3 GG sichert auch einen materiellen Kern autonomer Haushaltswirtschaft. Ein „angemessener Anteil am Gesamtsteueraufkommen“ ist dem Bundesstaatsprinzip immanent, ergibt sich aber schon aus der gesicherten Existenz der Länder als lebensfähige Glieder des Gesamtstaates . Die „angemessene“ Finanzausstattung bildet nur einen groben Maßstab, der im Lichte des mit der Ausgabenbelastung korrelierenden Aufgabenkreises der Länder und der staatlichen Finanzkraft zu konkretisieren ist. Ein Anspruch auf eine bestimmte Vermögensausstattung der Länder besteht nicht. Der horizontale und der vertikale Finanzausgleich sind in der gegenwärtigen Form (Artikel 107 GG) nicht vor Verfassungsänderungen geschützt. Wohl aber gehört zum unverzichtbaren Kern funktionsfähiger Bundesstaatlichkeit ein Minimum an bündischer Solidarität sowohl im Verhältnis der Länder untereinander wie des Bundes zu den Ländern. Die finanzielle Solidarpflicht endet nicht ohne weiteres bei konstantem Versagen der Landespolitik im Haushaltsnotstand. Andererseits schützt die Solidaritätspflicht von Bund und Ländern ein Land nicht davor, die Folgen eigener „Misswirtschaft“ und daraus erwachsene Erschütterungen der Lebensfähigkeit als Gliedstaat zu tragen. Dies ergibt sich schon daraus, dass weder die Gliederung in Länder noch das Bundesstaatsprinzip die Existenz eines konkreten Landes dauerhaft sichern .“8 5 BT-Drs. 18/11131, Seite 8 6 Stellungnahme von Prof. Wieland zur Vorbereitung der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages am 20. März 2017; im Internet abrufbar unter: http://www.bundestag .de/blob/498346/3dd43a0bc1255507616878edc69d86f2/prof--dr--joachim-wieland-data.pdf [zuletzt abgerufen am 17.7.2017], Seite 2 7 Prof. Wieland: Stellungnahme (s. Fn. 5), Seite 3 8 Maunz/Dürig/Herdegen GG Art. 79 Rn. 163, Kommentar auf www.beck-online.de [zuletzt abgerufen am 17.7.2017 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 060/17 Seite 7 „Auf der anderen Seite setzt das Bundesstaatsprinzip der finanziellen Solidarität im Bund eine grundsätzliche Schranke: Das sogenannte Nivellierungsverbot gebietet, dass bestehende, finanzpolitisch begründete Unterschiede auch nach dem solidarischen Finanzausgleich als Teil der politischen und wirtschaftlichen Realität deutlich sichtbar bleiben. Dieses Element föderaler Diversität setzt als Bedingung eigenverantwortlicher Gestaltung notwendige Leistungsanreize und belebt den Systemwettbewerb unter den Ländern. Es ist deshalb unverzichtbares Element einer lebendigen bundesstaatlichen Ordnung. Daher ist dem verfassungsändernden Gesetzgeber eine finanzielle Gleichstellung der beteiligten Länder im Wege des Finanzausgleichs verwehrt, die die Folgen unterschiedlicher Ausübung finanzieller Autonomie nicht mehr spüren lässt.“9 „Jedoch gebietet die nach Artikel 79 Absatz 3 GG unverzichtbare Solidarität im Bundesstaat, dass der Bund und die anderen Länder die Wahrnehmung elementarer Staatsfunktionen solange sichern , als ein Land existiert und seine eigenen Möglichkeiten zur Verschlankung des Staatsapparats und angebotener Leistungen sowie zum sonstigen Rückschritt finanzieller Lasten völlig ausgeschöpft hat.“10 3.3. Verfassungsrechtliche Prüfung der Änderungen in Artikel 107 GG 3.3.1. Prüfungsmaßstab noch anwendbar? Die soeben skizzierten verfassungsrechtlichen Vorgaben, die aus dem Bundesstaatsprinzip in Verbindung mit Artikel 79 Absatz 3 GG an die Struktur des Bund-Länder-Finanzausgleichs angelegt wurden, beruhen insbesondere auf drei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus den Jahren 198611, 199212 und 199913. Das Bundesverfassungsgericht bezog sich in allen drei Entscheidungen auf das bisherige vierstufige Finanzverteilungs- und Ausgleichssystem. Inwiefern diese Leitentscheidungen auf das neue Bund-Länder-Finanzsystem übertragbar sein werden, ist in der aktuellen Literatur zum neugefassten Artikel 107 GG umstritten. So geht Prof. Häde davon aus, dass bei einer bloßen Streichung der Umsatzsteuerergänzungsanteile und der Umsetzung aller weiteren Neuerungen auf einfachgesetzlicher Ebene, die bisherigen Grundprinzipien des Artikels 107 GG erhalten blieben. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Länderfinanzausgleich behielte sodann ihre enorme praktische Bedeutung .14 In seiner Stellungnahme zur Anhörung des Haushaltsausschusses ergänzte er, dass 9 Maunz/Dürig/Herdegen: ebenda, Rn.164 10 Maunz/Dürig/Herdegen: ebenda, Rn. 164 11 BVerfGE 72, 330-436 12 BVerfGE 86, 148-279 13 BVerfGE 101, 158-238 14 Häde: Abschied vom geschwisterlichen Finanzausgleich? Die Länder einigen sich – der Bund soll zahlen, Seite 111 – 119 (118 f.) in: Verhandlungen zum Finanzausgleich; Jahrbuch für öffentliche Finanzen 1-2016 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 060/17 Seite 8 eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Artikels 107 GG nur erforderlich sei, wenn der Länderfinanzausgleich durch seine Integration in die zweite Stufe nur noch als eine mehr oder weniger technische Einzelheit der Umsatzsteuerverteilung anzusehen wäre. Das sei aber nicht der Fall. Der umverteilende Ausgleich zwischen den Ländern solle seine Funktion als horizontal ausgleichendes Element behalten. Künftig solle er zwar nicht mehr durch Ausgleichsansprüche und Ausgleichsverbindlichkeiten, sondern durch Zuschläge und Abschläge im Rahmen der Umsatzsteuerverteilung zwischen den Ländern erfolgen. Diese Modifikation könne aber nicht bedeuten , dass der neue Länderfinanzausgleich die finanzstarken Länder entscheidend schwächen, die Finanzkraft der Länder nivellieren oder die Finanzkraftreihenfolge ändern dürfte. Auch die neue Verortung des maßgeblichen umverteilenden Elements des bundesstaatlichen Finanzausgleichs ändere deshalb nichts Grundsätzliches an der Geltung der aus dem Bundesstaatsprinzip abgeleiteten Rahmenbedingungen.15 Anders beurteilt dies bspw. Waldhoff16: Er geht davon aus, dass eine, auf einer so nicht mehr existenten Norm, beruhende Rechtsprechung des Verfassungsgerichts kaum auf eine novellierte Norm übertragen werden könne. Allenfalls die übergreifenden bundesstaatlichen obiter dicta der Karlsruher Urteile würden weiter Gültigkeit entfalten. Aus ähnlichem Grund könne man eine, auf einer novellierten Grundgesetzbestimmung beruhende, einfachgesetzliche Reform (neues Finanzausgleichsgesetz und Maßstäbegesetz17) nicht an Leitsätzen und Gründen von Entscheidungen zu einer nicht mehr existenten Norm prüfen. Die bisherige Rechtsprechung seit 1986, so Waldhoff, gehe von einem vierstufigen Ausgleich aus, wobei die Stufen folgerichtig aufeinander aufbauen sollten. Ein nur noch dreistufiges Modell müsse vermutlich verfassungsrechtlich vollständig neu bewertet werden.18 Letztlich kann diese Streitfrage jedoch für die hier zu beurteilenden verfassungsrechtlichen Aspekte dahin gestellt bleiben. Beide Auffassungen stimmen darin überein, dass die tragenden Prinzipien des Bundesstaatsprinzips auch jenseits der Novellierung des Finanzausgleichssystems Gültigkeit beanspruchen. Diese tragenden Prinzipien bilden den Prüfungsmaßstab des Artikels 79 Absatz 3 GG in Verbindung mit dem Bundesstaatsprinzip für die hier zu prüfenden konkreten Grundgesetzänderungen. 3.3.2. Verfassungsrechtliche Beurteilung des Wegfalls des Umsatzsteuervorwegausgleichs Die Abschaffung des Umsatzsteuervorwegausgleichs und die Einführung eines einfachgesetzlich geregelten Zu- und Abschlagsystems bei der Verteilung des Umsatzsteueraufkommens unter den 15 Häde: Stellungnahme zur Anhörung durch den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages am 20. März 2017; online unter: http://www.bundestag.de/blob/497698/c41a1eb288cb1674e120e4174ebe0268/prof--dr--ulrich -haede-data.pdf, Seite 3 [zuletzt abgerufen am 18.7.2017] 16 Waldhoff: Literaturbesprechung zu „Verhandlungen zum Finanzausgleich“ in der Zeitschrift für Gesetzgebung 2016, Seite 389-392 (391), 4/2016 17 BT-Drs. 18/11135, Seite 18 ff. 18 Waldhoff: ebenda Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 060/17 Seite 9 Ländern wäre verfassungsgemäß, wenn die Grundsätze der bündischen Solidarität einerseits und das Nivellierungsverbot anderseits gewahrt blieben. Das BVerfG hat hierzu bereits in seinem ersten Urteil zum Länderfinanzausgleich festgehalten: „Artikel 107 Absatz 2 Satz 1 GG verlangt, daß die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird. Der Begriff Finanzkraft ist umfassend zu verstehen und darf nicht allein auf die Steuerkraft reduziert werden. Das ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Vorschrift , sondern läßt sich auch ihrem Sinn und Zweck entnehmen. Die Verpflichtung zum horizontalen Finanzausgleich folgt aus dem bündischen Prinzip des Einstehens füreinander. Das bündische Prinzip begründet seinem Wesen nach nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Eine dieser Pflichten besteht nach dem Grundgesetz darin, daß die finanzstärkeren Länder den schwächeren Ländern in gewissen Grenzen Hilfe zu leisten haben. Diese Pflichtbeziehung führt notwendigerweise zu einer gewissen Beschränkung der finanziellen Selbständigkeit der Länder. Es würde indes gegen das bundesstaatliche Prinzip verstoßen, wenn der horizontale Finanzausgleich die Leistungsfähigkeit der gebenden Länder entscheidend schwächte oder zu einer Nivellierung der Länderfinanzen führte (BVerfGE 1, 117 (131)). Der Länderfinanzausgleich teilt die dem Bundesstaatsprinzip innewohnende Spannungslage, die richtige Mitte zu finden zwischen der Selbständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Bewahrung der Individualitäten der Länder auf der einen und der solidargemeinschaftlichen Mitverantwortung für die Existenz und Eigenständigkeit der Bundesgenossen auf der anderen Seite. Würden allein die Steuereinnahmen der Länder zur Grundlage und zum Maßstab des horizontalen Finanzausgleichs gemacht und sonstige Einnahmen außer Betracht gelassen, ließe sich der damit verbundene Eingriff in die Eigenständigkeit der ausgleichspflichtigen Länder nicht mehr mit dem bündischen Prinzip des Eintretens füreinander rechtfertigen. Grund für Solidarleistungen der Bundesländer aus ihrer eigenen Finanzausstattung kann nur eine allgemeine Finanzschwäche anderer Länder sein, nicht dagegen ein unzulängliches Steueraufkommen, das durch andere Einkünfte - beruhen sie auf landesautonomen Entscheidungen oder nicht - aufgestockt wird.“19 Diesen Anforderungen wird auch das neue, dreistufige Verteilungs- und Ausgleichssystem gerecht . Bezogen auf die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens ist die grundsätzliche Bezugnahme auf die Einwohnerzahl beibehalten worden. Der bisherige Umsatzsteuervorwegausgleich, der bis zu einem Viertel des Umsatzsteueraufkommens auf den Ausgleich der schwachen Finanzkraft einzelner Ländern verwendete, wird abgeschafft. Nunmehr soll ein Bundesgesetz die Verteilung von Zu- und Abschlägen bei der Verteilung der Länderanteile am Umsatzsteueraufkommen regeln, Artikel 107 Absatz 2 Satz 2 GG neue Fassung (n.F.). Bei der Finanzkraftbemessung der Länder soll auch die Finanzkraft der jeweiligen Gemeinden berücksichtigt werden, Artikel 107 Absatz 2 Satz 1 GG n.F.. Die Festlegung der gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Zuschlägen oder die Erhebung von Abschlägen werden der einfachgesetzlichen Entscheidung überantwortet. Das Grundgesetz selbst enthält hierzu keine Vorgaben. Bereits in seiner Entscheidung vom 24.6.1986 erkannte das BVerfG die Orientierung der Umsatzsteuerverteilung an der Einwohnerzahl als sachgerecht und verfassungskonform an: „Dagegen wird der Länderanteil an der Umsatzsteuer nach Maßgabe der Einwohnerzahl verteilt. Dies rechtfertigt sich nicht zuletzt aus der besonderen Erhebungstechnik dieser Steuer; sie wird vielfach 19 BVerfG, Urteil vom 24. Juni 1986 – 2 BvF 1/83 –, BVerfGE 72, 330-436, Rn. 176 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 060/17 Seite 10 nicht dort vereinnahmt, wo sie wirtschaftlich (durch die Endverbraucher) erbracht wird. Zugleich wird damit ein abstrakter Bedarfsmaßstab (gleichmäßige Pro-Kopf-Versorgung) in die Verteilung eingeführt.“20 Es ist daher davon auszugehen, dass diese grundsätzliche Ausrichtung der Steuerverteilung auch im neugefassten Artikel 107 GG unbeanstandet bleiben dürfte. Dieses Ergebnis wird von folgender Überlegung gestützt: In der Kommentierung zu Artikel 107 GG wurde auch bislang schon betont, dass dem Bundesstaatsprinzip in Artikel 20 Absatz 1 GG und der Ewigkeitsgarantie in Artikel 79 Absatz 3 GG keine Festlegung eines konkreten Verteilungssystems der Steuererträge entnommen werden könne. „Das Prinzip des örtlichen Aufkommens könnte auch ganz aufgegeben werden und eine Verteilung nach anderen Maßstäben erfolgen . Die dadurch zweifellos bewirkte Wandlung wäre mit Artikel 79 Absatz 3 nicht unvereinbar; denn diese Vorschrift legt nicht ein für alle Mal ein bestimmtes Bild vom Bundesstaat fest, sondern läßt auch Bedeutungs- und Gestaltswandlungen zu. Entsprechendes gilt auch für Artikel 107 Absatz 2. Das Bundesstaatsprinzip zwingt keinesfalls zur Einführung und Durchführung eines horizontalen Finanzausgleichs.“21 Die Abschaffung des Umsatzsteuervorwegausgleichs begegnet somit ebenfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, da er nicht zum unveräußerlichen Kernbestand des Bundesstaatsprinzips gehört. Das bisherige System des Umsatzsteuervorwegausgleichs basierte rechtstechnisch betrachtet auf zwei Stufen: (1) der verfassungsrechtlichen Vorgaben über die prozentuale Höhe des im Ausgleichsystem verfügbaren Umsatzsteueraufkommens sowie einer groben Skizzierung der Ausgleichskriterien sowie (2) umfangreichen einfachgesetzlichen Festlegungen zur Durchführung des Umsatzsteuerausgleichs inklusive der Festlegung der hierfür erforderlichen Berechnungsformeln im Finanzausgleichsgesetz (FAG). Durch die nunmehr festgeschriebene Abschaffung des Umsatzsteuervorwegausgleichs wurde die Nennung der Ausgleichskriterien nach dem Steueraufkommen der Länder in Artikel 107 Absatz 1 GG entbehrlich. Für das neue Ausgleichssystem mit Zu- und Abschlägen hat der verfassungsgebende Gesetzgeber einen einfachen Gesetzesvorbehalt in Artikel 107 Absatz 2 Sätze 2 und 3 GG eingefügt. Unmittelbare verfassungsrechtliche Vorgaben für das entsprechende Gesetz enthält der neue Artikel 107 Absatz 2 GG kaum. Insbesondere fehlt die Bezugnahme auf das Steueraufkommen der Länder. Vielmehr wird in Artikel 107 Absatz 2 Satz 3 GG direkt mitgeteilt, dass „die Voraussetzungen für die Gewährung von Zuschlägen und die Erhebung von Abschlägen sowie die Maßstäbe für die Höhe dieser Zuschläge und Abschläge in dem Gesetz zu bestimmen sind.“ Verfassungsrechtlich ist diese Formulierung nicht zu beanstanden, da das BVerfG auch die Unbestimmtheit der bisherigen finanzverfassungsrechtlichen Regelungen zum Umsatzsteuervorweg- 20 BVerfG, Urteil vom 24. Juni 1986 – 2 BvF 1/83 –, BVerfGE 72, 330-436, Rn. 146 21 Maunz/Dürig/Maunz GG Art. 107 Rn. 1-10, beck-online Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 060/17 Seite 11 ausgleich nicht beanstandet, sondern den Prüfungsschwerpunkt vielmehr auf das, die Verteilungsmechanismen konkretisierende, Finanzausgleichsgesetz (FAG) verlagert hatte. In seiner dritten Entscheidung zum Länderfinanzausgleich aus dem Jahre 1999 hielt das BVerfG die damaligen Regelungen im FAG für zu unkonkret, um die unbestimmten Rechtsbegriffe des Artikels 107 Absätze 1 und 2 GG hinreichend zu bestimmen. Als Anforderung an den Gesetzgeber eines Finanzausgleichsgesetzes hielt das Verfassungsgericht fest: „Die Verteilung des Finanzaufkommens im Bundesstaat wird durch die Finanzverfassung des Grundgesetzes in ihren Grundlinien festgelegt. Daraus ergibt sich ein verfassungsrechtlich normiertes Gefüge, das in sich durchaus beweglich und anpassungsfähig ist, dessen einzelne Stufen aber nicht beliebig ausgewechselt oder übersprungen werden können (BVerfGE 72, 330 <383>). Das Grundgesetz beauftragt den Gesetzgeber, die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zu konkretisieren und zu ergänzen. Dies gilt insbesondere für die Maßstäbe bei der vertikalen Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländergesamtheit (Artikel 106 Absatz 3 Satz 4 GG), die Kriterien für die Gewährung von Umsatzsteuerergänzungsanteilen (Artikel 107 Absatz 1 Satz 4, 2. Hs. GG), die Voraussetzungen für Ausgleichsansprüche und Ausgleichsverbindlichkeiten sowie die Maßstäbe für deren Höhe (Artikel 107 Absatz 2 Satz 2 GG) und schließlich für die Benennung und Begründung der Bundesergänzungszuweisungen (Artikel 107 Absatz 2 Satz 3 GG). Die Finanzverfassung enthält somit keine unmittelbar vollziehbaren Maßstäbe, sondern verpflichtet den Gesetzgeber, das verfassungsrechtlich nur in unbestimmten Begriffen festgelegte Steuerverteilungs- und Ausgleichssystem entsprechend den vorgefundenen finanzwirtschaftlichen Verhältnissen und finanzwissenschaftlichen Erkenntnissen durch anwendbare, allgemeine, ihn selbst bindende Maßstäbe gesetzlich zu konkretisieren und zu ergänzen. Der Gesetzgeber muss - unabhängig von wechselnden Ausgleichsbedürfnissen und von konkreten Zuteilungs- und Ausgleichssummen - langfristig anwendbare Maßstäbe bestimmen, aus denen dann die konkreten, in Zahlen gefaßten Zuteilungs- und Ausgleichsfolgen abgeleitet werden können.“22 Die nunmehr gewählten Ausgleichsmechanismen berücksichtigen zum einen grundsätzlich die Einwohnerzahl als entscheidendes Kriterium für die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens. Mit dem System der Zu- und Abschläge wird ein Korrekturmechanismus beibehalten, der den besonderen Finanzbedarf der Gemeinden der Länder als Kriterium in das Verteilungssystem mit einbezieht. Der Sachverständige Prof. Häde beurteilt die Neuregelung in Artikel 107 Absatz 2 Sätze 2 und 3 GG folgendermaßen: „Künftig soll er (der Länderfinanzausgleich) zwar nicht mehr durch Ausgleichsansprüche und Ausgleichsverbindlichkeiten, sondern durch Zuschläge und Abschläge im Rahmen der Umsatzsteuerverteilung zwischen den Ländern erfolgen. Diese Modifikation kann aber nicht bedeuten, dass der neue Länderfinanzausgleich die finanzstärkeren Länder entscheidend schwächen, die Finanzkraft der Länder nivellieren oder die Finanzkraftreihenfolge ändern dürfte. Auch die neue Verortung des maßgeblichen umverteilenden Elements des bundesstaatlichen Finanzausgleichs ändert deshalb nichts Grundsätzliches an der Geltung der aus dem Bundesstaatsprinzip abgeleiteten Rahmenbedingungen. Daher ist es zu begrüßen, dass sich der Entwurf darum bemüht, die bisherigen Begrifflichkeiten weitgehend beizubehalten. Soweit der Text des Grundgesetzes im Wesentlichen gleich bleibt, ist zu erwarten, dass die das Finanzausgleichs- 22 BVerfG, Urteil vom 11. November 1999 – 2 BvF 2/98 –, BVerfGE 101, 158-238, Rn. 263 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 060/17 Seite 12 recht beherrschenden Grundsätze aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Wesentlichen weiterhin gelten. Davon scheint auch die Bundesregierung auszugehen, die in ihren Entwurf für die einfachgesetzliche Umsetzung der Verfassungsänderung so weit wie möglich am bisherigen Recht festhalten will. Das gilt sowohl für die Trennung zwischen Maßstäbegesetz und Finanzausgleichsgesetz als auch für die maßgeblich von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägten Formulierungen dieser Gesetze.“23 3.3.3. Verfassungsrechtliche Beurteilung der bergrechtlichen Förderabgabe in Artikel 107 Absatz 2 Satz 4 GG Verfassungsrechtlich kritisch wird der neue Satz 4 in Artikel 107 Absatz 2 GG beurteilt. Er sieht vor, dass für Zwecke der Bemessung der Finanzkraft die bergrechtliche Förderabgabe mit nur einem Teil ihres Förderaufkommens berücksichtigt werden kann. Prof. Häde24 äußert in seiner schriftlichen Stellungnahme zur Anhörung des Haushaltsausschusses im Hinblick auf Artikel 79 Absatz 3 GG Zweifel an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der nur teilweisen Einbeziehung der bergrechtlichen Förderabgabe in das Ausgleichssystem des Artikels 107 GG. Er begründet dies vor allem mit der Entscheidung des BVerfG aus den Jahre 198625 zum Länderfinanzausgleich. Er zitiert aus dieser BVerfG-Entscheidung folgende Passage: „Der Länderfinanzausgleich teilt die dem Bundesstaatsprinzip innewohnende Spannungslage, die richtige Mitte zu finden zwischen der Selbständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Bewahrung der Individualität der Länder auf der einen und der solidargemeinschaftlichen Mitverantwortung für die Existenz und Eigenständigkeit der Bundesgenossen auf der anderen Seite. Würden allein die Steuereinnahmen der Länder zur Grundlage und zum Maßstab des horizontalen Finanzausgleichs gemacht und sonstige Einnahmen außer Betracht gelassen, ließe sich der damit verbundene Eingriff in die Eigenständigkeit der ausgleichspflichtigen Länder nicht mehr mit dem bündischen Prinzip des Eintretens füreinander rechtfertigen. Grund für Solidarleistungen der Bundesländer aus ihrer eigenen Finanzausstattung kann nur eine allgemeine Finanzschwäche anderer Länder sein, nicht dagegen ein unzulängliches Steueraufkommen, das durch andere Einkünfte - beruhen sie auf landesautonomen Entscheidungen oder nicht - aufgestockt wird.“26 „Das BVerfG hatte in seinem Urteil vom 24.6.1986 entschieden, dass die nicht vollständige Einbeziehung der bergrechtlichen Förderabgabe in den Länderfinanzausgleich mit Artikel 107 Absatz 2 Satz 1 GG unvereinbar wäre.“27 Das BVerfG habe zur Begründung seiner Entscheidung nicht nur mit dem Wortlaut des Artikels 107 GG argumentiert, sondern auch mit dem Bundes- 23 Siehe Fn. 14, S. 3 24 Häde, siehe Fn. 14, Seite 4 25 BVerfGE 72, 330-436 26 BVerfGE 72, 330 (398), Rn. 176 (juris) 27 Häde, siehe Fn. 14, Seite 3 unter Bezugnahme auf BVerfGE 72, 330 (410) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 060/17 Seite 13 staatsprinzip. Man müsse davon ausgehen, dass die Grundsätze aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts trotz der vorgesehenen Änderungen im Wesentlichen auch künftig gelten würden. Es sei nicht ausgeschlossen, dass das Außerachtlassen von zwei Dritteln des Aufkommens der bergrechtlichen Förderabgabe mit dem von Artikel 79 Absatz 3 GG geschützten Bundesstaatsprinzip in Konflikt geraten könnte. Der Gesetzentwurf geht im Begründungsteil jedoch ausdrücklich davon aus, dass mit der expliziten Nennung einer nur teilweisen Einbeziehung der bergrechtlichen Förderabgabe in den Finanzausgleich die Beanstandungen des BVerfG aus der Entscheidung von 1986 nicht mehr zu erheben seien.28 3.3.4. Neuer Tatbestand für Bundesergänzungszuweisung, Artikel 107 Absatz 2 Satz 6 GG Die Möglichkeit, leistungsschwachen Ländern Bundesergänzungszuweisungen zu gewähren, bleibt unverändert bestehen. Der bisherige Artikel 107 Absatz 2 Satz 3 GG entspricht nunmehr ohne Änderungen dem Absatz 2 Satz 5 GG n.F. Zusätzlich wurde ein Satz 6 eingefügt, der vorsieht, dass Zuweisungen unabhängig von den Maßstäben der Sätze 1 bis 3 auch solchen leistungsschwachen Ländern gewährt werden können, deren Gemeinden (Gemeindeverbände) eine besonders geringe Steuerkraft aufweisen (Gemeindesteuerkraftzuweisungen ), sowie außerdem solchen leistungsschwachen Ländern, deren Anteile an den Fördermitteln nach Artikel 91b ihre Einwohneranteile unterschreiten. Die Gesetzesbegründung enthält hierzu folgende Ausführungen: „Durch die in Absatz 2 Satz 6 eingeführte Regelung wird die verfassungsrechtliche Grundlage für die Gewährung einer neuen Kategorie von Bundesleistungen geschaffen, die neben die bisherigen allgemeinen und die Sonderbedarfs -Bundesergänzungszuweisungen tritt. Zum einen wird durch die neu eingeführte Regelung die Möglichkeit eines zusätzlichen Ausgleichs der unterschiedlichen gemeindlichen Steuerkraft geschaffen. Mit der Formulierung „besonders geringe Steuerkraft“ wird klargestellt, dass diese Gemeindesteuerkraftzuweisungen nur bei einer – gemessen an Einwohneranteilen – besonders ausgeprägten kommunalen Steuerkraftschwäche in Betracht kommen können. Des Weiteren wird mit Satz 6 eine Zuweisung eingeführt, die an der Verteilungsstruktur der Forschungsförderung nach Artikel 91b GG orientiert ist (Zuweisung zum durchschnittsorientierten Forschungsförderungsausgleich ). Leistungsschwachen Ländern, deren Anteil an den Fördermitteln nach Artikel 91b GG ihre Einwohneranteile unterschreiten, kann mit dieser Zuweisung ein kompensierender Ausgleich gewährt werden. Beiden Zuweisungen ist gemein, dass sie unabhängig von den Maßstäben des Finanzkraftausgleichs nach Absatz 2 Satz 1 bis 3 gewährt werden. Damit wird insbesondere klargestellt, dass insoweit das Nivellierungs- und Übernivellierungsverbot nicht gemessen an der Finanzkraft nach Absatz 2 Satz 1 bis 3 gelten.“29 An diesem neuen Tatbestand wurde von den Sachverständigen unter mehreren Aspekten Kritik geäußert. So konstatiert der Sachverständige Prof. Korioth, dass der Bund mit dieser Neuregelung in eine Garantenstellung für die Finanzausstattung der Gemeinden einrücken würde. Dies könne 28 BT-Drs. 18/11131, Seite 18 29 BT-Drs. 18/11131: ebenda Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 060/17 Seite 14 unabsehbare Folgen für den kommunalen Finanzausgleich in den Ländern haben. Bislang sei die Verantwortung für eine angemessene Finanzausstattung der Kommunen über die verfassungsrechtlich zugeteilten Steuereinnahmen hinaus ausschließlich Sache des jeweiligen Landes. „Ein weiteres Problem steckt darin, dass die Formulierung des Satz 6 nicht klar macht, in welchem Verhältnis das Merkmal der Leistungsschwäche eines Landes und die besonders geringe Steuerkraft ihrer Gemeinden stehen soll.“ Beurteilt man die Kritikpunkte unter dem Gesichtspunkt der Anforderungen, die die Ewigkeitsgarantie des Artikels 79 Absatz 3 GG in Verbindung mit dem Bundesstaatsprinzip vorgibt, so verdient insbesondere der Vorwurf des Aufgabenübergriffs des Bundes im Bereich der Gemeindefinanzierung auf originäre Finanzierungskompetenzen der Länder Beachtung. „Die bundesstaatliche Garantie des Artikels 79 Absatz 3 GG enthält für die Finanzverfassung zunächst zwei grundsätzlich unabdingbare Kriterien: Zum einen ist das die Verpflichtung, für eine aufgabenangemessene Finanzausstattung der bundesstaatlichen Glieder zu sorgen und zum anderen die Vorgabe, dass mit Instrumenten der Finanzverfassung allein keine Verschiebung oder Veränderung der allgemeinen Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern stattfinden darf. Das gilt naturgemäß für Länder- wie für Bundeskompetenzen!“30 Eine gesonderte Bundesergänzungszuweisung, die allein an die (geringe) Steuerkraft der Gemeinden anknüpft, suggeriert eine Finanzierungsverantwortung des Bundes für die Gemeinden, die vom Bundesstaatsprinzip nicht vorgesehen ist. Der Bund drängt sich damit in eine originäre Finanzierungskompetenz der Länder. Die Gesetzesbegründung verschärft die Problematik zusätzlich: Dies geschieht durch die Aussage, für den Tatbestand des Absatzes 2 Satz 6 gelte das Nivellierungsverbot gemessen an der Finanzkraft der Sätze 1 bis 3 nicht. Damit wird eine grundsätzliche Anforderung des Bundesstaatsprinzips an die bisherige Finanzverfassung relativiert. Es ist verfassungsrechtlich zweifelhaft, ob der verfassungsändernde Gesetzgeber einen Sondertatbestand an Ergänzungszuweisungen schaffen kann, für den das Nivellierungsverbot nicht zu beachten sein soll. 4. Artikel 108 GG In Artikel 108 GG sieht der Gesetzentwurf die Möglichkeit eines verbindlichen Zusammenwirkens von Bund und Ländern im Bereich der Informationstechnik der Steuerverwaltung vor. Dabei kann die Verbindlichkeit für alle Länder mit bloßem Mehrheitsbeschluss erreicht werden. Außerdem werden Kooperationen von Landesfinanzbehörden und länderübergreifende Zuständigkeitsübertragungen zum Zwecke der Erleichterung des Steuergesetzvollzugs ermöglicht. Der Prüfungsmaßstab des Artikels 79 Absatz 3 GG für Kompetenzverlagerungen der Länder an den Bund im Bereich der Steuerverwaltung wird in der Literatur folgendermaßen beschrieben: „Ein Subordinations- oder Hierarchieverhältnis zwischen Bund und Ländern verletzt die Eigenstaatlichkeit der Länder nicht, solange zentralstaatliche Hoheitsausübung für den Bestand der zentralen Ebene unabdingbar ist. Dementsprechend hat die Gestaltungsfreiheit der Länder dort 30 Kramer: Grenzen der Verfassungsänderung im Bereich der bundesstaatlichen Finanzverfassung, Seite 44 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 060/17 Seite 15 ihre Grenze, wo der Bestand des Gesamtstaates, zu dem auch ein zentralistisches Element gehört, der Disposition der bundesstaatlichen Glieder unterliege.“31 Insbesondere die IT stellt in einer weitgehend automatisierten Steuerverwaltung eine zentrale Infrastrukturkomponente dar. Insofern kann hier eine zentralstaatliche Entscheidungsbefugnis für den einheitlichen Steuervollzug durchaus als erforderlich angesehen werden. Gäbe es im IT- Bereich der Steuerverwaltungen kein einheitliches Handeln der Länder untereinander, so wäre mit fehlendem Datenaustausch und einer gezielten Ausnutzung der Wissenslücken der Steuerverwaltung bei bundesländerübergreifenden Besteuerungsvorgängen zu rechnen. Erhebliche Steuermindereinnahmen wären die Folge. Eine derartige negative Entwicklung hätte durchaus das Potential den Bestand des Gesamtstaates zu gefährden. Dieser neue Kompetenztitel des Bundes ist auch in der Anhörung des Haushaltsausschusses verfassungsrechtlich nicht in Zweifel gezogen worden. 5. Artikel 109a GG Bezüglich des Stabilitätsrates nimmt das grundgesetzändernde Gesetz eine Neujustierung der Aufgaben vor. So wird dem Stabilitätsrat in Artikel 109a Absatz 2 GG n.F. ab dem Jahr 2020 die Überwachung der Einhaltung der Schuldenbremse des Artikels 109 Absatz 3 GG überantwortet. Der Stabilitätsrat ist ein Gremium, das seine Berechtigung aus der Einführung der Schuldenbremse erhält. Da die Länder sich mit ihrer Bundesratszustimmung zur Einführung der Schuldenbremse selbst zu deren Einhaltung ab 2020 verpflichtet haben, erscheint die Ausweitung der Kompetenzen des Stabilitätsrates im Sinne eines effektiven Regelvollzugs nur folgerichtig. Die Schuldenbremse selbst schränkt zwar die Haushaltsautonomie der Länder nicht unwesentlich ein. Diese Einschränkung insbesondere der Verschuldungsmöglichkeiten der Länder, fußt jedoch nicht in der Etablierung des Stabilitätsrates in Artikel 109a GG, sondern hat ihre Ursache in der Schuldenbremse des Artikels 109 Absatz 3 GG selbst. Der neugefasste Artikel 109a GG ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. 6. Artikel 104b GG und Artikel 114 Absatz 2 S. 2 GG In Artikel 104b Absatz 2 Satz 1 GG sichert sich der Bund einen stärkeren Einfluss auf die Ausgestaltung der Länderprogramme, die mit Hilfe seiner Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen in den Ländern und Gemeinden durchgeführt werden. Bislang konnte der Bund in diesem Bereich der Mischfinanzierung nur die Arten der zu fördernden Investitionen festlegen. Nunmehr kann er darüber hinaus auch die Grundzüge der Ausgestaltung der Länderprogramme zur Verwendung der Finanzhilfen festlegen. 31 Kramer: Grenzen der Verfassungsänderung im Bereich der bundesstaatlichen Finanzverfassung, Seite 119 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 060/17 Seite 16 Mit Artikel 114 Absatz 2 Satz 1 GG wird dem Bundesrechnungshof (BRH) im Bereich der Mischfinanzierungstatbestände ein Prüfungsrecht auch für die mittelbewirtschaftende Landesverwaltung eingeräumt. Diese Prüfungskompetenz des BRH im Bereich der Landesverwaltung ist verfassungsrechtlich umstritten. Das BVerfG hatte mit Beschluss vom 7.9.201032 festgestellt, dass die bisherige Fassung des Artikels 114 GG dem Bund keine hinreichende Legitimationsgrundlage für eine Prüfungskompetenz des Bundesrechnungshofs bei Investitionshilfen verschaffe, für die die Verwaltung der Länder den Kompetenztitel innehabe. „Jedenfalls für die Finanzkontrolle hinsichtlich der Gewährung von Finanzhilfen ist die Befugnis des Bundesrechnungshofs zu Erhebungen im Länderbereich akzessorisch zur Kompetenz der Bundesverwaltung zu bestimmen.“33 Prof. Korioth34 stellt zum neugefassten Artikel 114 GG in seiner Stellungnahme für die Anhörung des Haushaltsausschusses fest, dass diese Ergänzung in diametralem Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 127, 165) stehe, wonach dem Bundesrechnungshof nach Etatisierung der gebundenen Investitionshilfen im Länderhaushalt eine Prüfung auf Landesebene (einschließlich der Gemeinden) nicht möglich sei, dies obliege vielmehr den Landesrechnungshöfen . Dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts solle die Grundlage entzogen werden. Das Ergebnis wäre eine weitere Stärkung der Zuständigkeit des Bundes. Allerdings muss bei der verfassungsrechtlichen Prüfung des Artikels 114 GG n.F. beachtet werden , dass der Prüfungsmaßstab für Verfassungsänderungen der Artikel 79 Absatz 3 GG in Verbindung mit den Staatsstrukturprinzipien ist. Dazu hatte sich das BVerfG in der soeben genannten Entscheidung aber nicht zu positionieren, da der alte Artikel 114 GG keine ausdrückliche Prüfungskompetenz des BRH für Mischfinanzierungstatbestände enthielt. Ob eine derartige Kompetenzerweiterung des BRH gegen das Bundesstaatsprinzip verstößt ist zweifelhaft. Dem Artikel 79 Absatz 3 GG lässt sich kein grundsätzliches Kooperationsverbot entnehmen . Kramer35 betont in seiner Arbeit zu den Grenzen der Verfassungsänderung im Bereich der Finanzverfassung vielmehr, dass es einen Zusammenhang zwischen restriktiver Ausgestaltung der Tatbestandsseite der Kooperationsnorm einerseits und dem Umfang der Mitwirkungsbefugnisse des Bundes andererseits gebe. „Je restriktiver allerdings die Tatbestandsseite einer Kooperationsnorm gefasst ist, desto größere Mitwirkungsbefugnisse sind auf der Rechtsfolgenseite möglich. Im Hinblick auf Artikel 104a Absatz 4 GG36 läßt sich damit festhalten, daß eine in Grenzen gehaltene Teilnahme an der Art und Weise der Aufgabenwahrnehmung zulässig sein kann.“ 32 BVerfGE 127, 165-224, Beschluss vom 7.9.2010-Az: 2 BvF 1/09 33 BVerfG, Beschluss vom 07. September 2010 – 2 BvF 1/09 –, BVerfGE 127, 165-224, Rn. 131 34 Korioth, Stellungnahme zur Anhörung des Haushaltsausschusses; im Internet unter: http://www.bundestag .de/blob/498212/f294e8b4b115ae2317473e9b0b19602f/prof--dr--stefan-korioth-data.pdf, Seite 5 f. [zuletzt abgerufen am 21.7.2017] 35 Kramer, siehe Fn. 27, Seite 214- 36 Vorgänger des heutigen Artikel 104b GG Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 060/17 Seite 17 Die Tatbestandsvoraussetzungen in Artikel 104b Absatz 1 GG sind mit der Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder dem Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder der Förderung des wirtschaftlichen Wachstums relativ eng formuliert. Insofern lässt sich eine weitgehende Einflussnahme und Kontrollbefugnis des Bundes durchaus vor Artikel 79 Absatz 3 GG rechtfertigen, zumal das Prüfungsrecht des BRH nunmehr in Verfassungsrang erhoben wird. 7. Artikel 104c GG Der neu geschaffene Artikel 104c GG ermöglicht dem Bund die Gewährung von Finanzhilfen an die Länder im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen finanzschwacher Gemeinden. An diesem neuen Kompetenztitel gibt es inhaltliche Kritik37. Gemessen an den soeben zu Artikel 104b GG dargelegten Maßstäben, die im Sinne des Bundesstaatsprinzips an eine Kooperationsnorm zu legen sind, ist für die hier zu beantwortende Frage der rechtmäßigen Verfassungsänderung allein die Restriktivität der Tatbestandsvoraussetzungen und die Reichweite der Mitwirkungsbefugnisse in den Blick zu nehmen. Auch der Tatbestand des Artikels 104c GG ist restriktiv ausgestaltet. Es werden nicht flächendeckend Finanzhilfen für die kommunale Bildungsinfrastruktur ermöglicht. Stattdessen ist die Gewährung der Finanzhilfen auf finanzschwache Gemeinden beschränkt. Es steht zu vermuten, dass das BVerfG dieses Tatbestandsmerkmal eng auslegen dürfte, um Finanzhilfen im Bildungsbereich , der in der föderalen Ordnung klassische Länderaufgabe ist, nicht überhand werden zu lassen. 8. Artikel 125c GG Mit der Änderung in Artikel 125c Absatz 2 GG sollen die Finanzhilfen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz und für die Seehafenlasten auch über das Jahr 2019 hinaus in ihrem Bestand gesichert werden. In der Gesetzesbegründung wird hierzu ausgeführt: „Die Änderung in Absatz 2 dient der Umsetzung des Beschlusses der Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern vom 14. Oktober 2016 zur dauerhaften Fortführung der Finanzhilfen des Bundes für Seehafenlasten und der Bundesprogramme nach dem § 6 Absatz 1 Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG). Die Finanzhilfen für die besonderen Programme nach § 6 Absatz 1 des GVFG sowie die Finanzhilfen nach dem Gesetz über Finanzhilfen des Bundes nach Artikel 104a Absatz 4 GG an die Länder Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen sowie Schleswig-Holstein für Seehäfen vom 20. Dezember 2001 […] gelten gemäß der Übergangsvorschrift des Artikels 125c GG befristet bis längstens zum Jahr 2019 fort. Eine Fortführung der Finanzhilfen für Seehafenlasten als Finanzhilfe nach dem geltenden Artikel 104b ist mangels Gesetzgebungsbefugnis des Bundes nicht möglich. Beim GVFG-Bundesprogramm besteht zwar 37 Stellvertretend: Korioth, siehe Fn. 30, Seite 6; Stellungnahme des Deutschen Landkreistages zur Anhörung des Haushaltsausschusses am 6.3.2017, im Internet unter: http://www.bundestag .de/blob/495396/89823d802616e80665548c9b91f2d643/deutscher-landkreistag-data.pdf [zuletzt abgerufen am 21.7.2017] Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 060/17 Seite 18 eine Gesetzgebungsbefugnis nach Artikel 74 Absatz 1 Nr. 23 GG, eine dauerhafte gesetzliche Fortführung ist jedoch wegen der Bestimmung über die degressive und befristete Ausgestaltung von Finanzhilfen in Artikel 104b Absatz 2 Satz 2 und 3 GG nicht möglich. In Absatz 2 Satz 2 wird daher nunmehr bestimmt, dass die Finanzhilfen bis zu ihrer Aufhebung fortgelten. Für die Regelungen im Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz sind Änderungen ab dem 1. Januar 2025 zulässig .“38 Zweifel an der verfassungsrechtlichen Vereinbarkeit dieser Neuregelung mit Artikel 79 Absatz 3 GG sind nicht ersichtlich. 9. Artikel 143d GG „Gemäß dem neuen Absatz 4 kann der Bund den Ländern Bremen und Saarland ab dem 1. Januar 2020 angesichts ihrer im Vergleich zu den übrigen Ländern besonders schwierigen Haushaltslage Sanierungshilfen gewähren. Sie sollen es den Ländern ermöglichen, die Vorgabe eines strukturell ausgeglichenen Haushalts gemäß Artikel 109 Absatz 3 einzuhalten und die Ursachen für die fehlende Fähigkeit zur eigenständigen Einhaltung dieser Vorgaben zu überwinden. Dafür sind unter anderem ein Abbau der übermäßigen Verschuldung sowie Maßnahmen zur Stärkung und Stabilisierung der Wirtschafts- und Finanzkraft erforderlich. Die Gewährung der Hilfen ist mit Blick auf den Grundsatz der föderalen Gleichbehandlung im Zeitablauf an das Fortbestehen der im Vergleich zu den übrigen Ländern besonders schwierigen Haushaltslage geknüpft. Das Nähere wird in einem Bundesgesetz geregelt, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.“39 Der Sachverständige Prof. Reimer beschreibt in seiner Stellungnahme für die Anhörung des Haushaltsausschusses die neuen Sanierungshilfen folgendermaßen: „Bei den neuen Sanierungshilfen handelt es sich – im Unterschied zu den bisherigen Konsolidierungshilfen – um reine Bundesleistungen an die beiden betroffenen Empfängerländer. Solange sie gewährt werden, entfällt – wie bisher nach Absatz 2 Satz 6 – jeder Anspruch der Empfängerländer auf Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage (Artikel 143d Absatz 4 Satz 4 GG n.F.). Demgegenüber können die 14 anderen Länder (mit Wegfall der Sperrwirkung aus Artikel 143d Absatz 2 Satz 6 GG also auch wieder Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein) unter den – allerdings extrem restriktiven – Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht entwickelt hat, Zugang zu verfassungsunmittelbaren Sanierungshilfen auf Grund einer extremen Haushaltsnotlage erhalten. Die Neuregelung zugunsten Bremens und des Saarlands ist nunmehr unbefristet. Sie ist aber im Verbund mit der Gesetzgebung zu Artikel 107 Absatz 2 GG n.F. nach Artikel 143f GG kündbar. Alternativ steht es dem Bundesgesetzgeber auch ohne Kündigung frei, mit Zustimmung des Bundesrates die Sanierungshilfen zu reduzieren oder sie sogar gänzlich auslaufen zu lassen. Dieser Optionen sollte sich der Haushaltsausschuss auch für die Zukunft bewusst sein.“40 38 BT-Drs. 18/11131, Seite 19 f. 39 BT-Drs. 18/11131, Seite 20 40 Stellungnahme von Prof. Reimer zur Anhörung des Haushaltsausschusses am 20.3.2017, online unter: http://www.bundestag.de/blob/498590/2cefe700a4ecf4cd6d8f3721e280cd60/prof--dr--ekkehart-reimer-data.pdf, Seite 4 Rn. 19-20 [zuletzt abgerufen am 23.7.2017] Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 060/17 Seite 19 Die Fortführung der Sanierungshilfen für das Saarland und die Freie und Hansestadt Bremen sind mit Artikel 79 Absatz 3 GG vereinbar, da nach derzeitigem Kenntnisstand die besondere Haushaltsnotlage beider Bundesländer auch noch über den 31.12.2019 hinaus bestehen wird. Der neugefasste Artikel 143d GG begrenzt die Sanierungshilfen darüber hinaus der Höhe nach auf 800 Millionen jährlich aus dem Bundeshaushalt. Den Ländern wird zugleich auferlegt, dass sie Maßnahmen zum Abbau der übermäßigen Verschuldung sowie zur Stärkung der Wirtschafts- und Finanzkraft ergreifen, Artikel 143d Absatz 4 Satz 2 GG n.F. Damit wird eine Nivellierung der unterschiedlichen Finanzkraft der Länder vermieden. Die beiden Sanierungsländer bleiben in der Konsolidierungsverantwortung. 10. Artikel 143f GG Mit Artikel 143f GG wird ein neuartiges Rechtsinstrument eingeführt. Die Norm enthält eine Option zum Außer-Kraft-Treten des Finanzausgleichsgesetzes, sonstiger auf der Grundlage von Artikel 107 Absatz 2 GG erlassenen einfachgesetzlichen Regelungen sowie des Artikels 143d GG. Die Option kann nach dem 31. Dezember 2030 von der Bundesregierung oder mindestens drei Bundesländern gemeinsam ausgeübt werden, indem diese eine Neuordnung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen verlangen. Es besteht sodann fünf Jahre Zeit eine gesetzliche Neuordnung der Finanzbeziehungen zu vereinbaren. Verstreichen diese fünf Jahre erfolglos, treten die jetzt beschlossenen Regelungen des FAG und des Artikels 143f GG außer Kraft. Diese rechtliche Konstruktion wird unterschiedlich bewertet. Während Prof. Korioth die Vorschrift als „hoch problematisch“41 bezeichnet, wird sie von Prof. Reimer als „innovativ und im Kern begrüßenswert“42 gelobt. Es fällt jedoch auf, dass die Kritik von Prof. Korioth eher staatspolitischer Natur ist. Eine Verletzung des Artikels 79 Absatz 3 GG nennt er in diesem Zusammenhang nicht. Prof. Reimer dagegen positioniert sich ausdrücklich positiv zur Verfassungsgemäßheit des Artikels 143f GG. „Innovativ und im Kern begrüßenswert ist die Regelung in § 143f GG n.F., nach der die dort genannten Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen (die der Sache nach auch die auf Artikel 107 Absatz 2 GG bezogenen Regelungen des MaßstG umfassen) nach dem Scheitern von Neuverhandlungen in den Jahren nach 2030 außer Kraft treten. Voraussetzung für Neuverhandlungen sind entsprechende Verhandlungsverlangen der Bundesregierung oder mindestens dreier Länder. Dieses Arrangement trägt dem Umstand Rechnung, dass die bundesstaatlichen Finanzbeziehungen und hier namentlich die Regelungen im Umfeld von Artikel 107 Absatz 2 und Artikel 143d GG auf politische Vereinbarungen der Ministerpräsidenten untereinander und mit der Bundeskanzlerin zurückgehen, die der Sache nach Vertragscharakter haben. Insofern anerkennt Artikel 143f GG die Handlungsform eines Vertrages in Gesetzesform und setzt wirksame Anreize v.a. dafür, dass die Zuschlagsländer (bislang: „Nehmerländer“) in ihren politischen Forderungen an die Bundesseite Maß halten. Gegen ein Außerkrafttreten einfacher Bundesgesetze einschließlich des Maßstäbegesetzes (soweit es auf Artikel 107 Absatz 2 GG aufbaut) rechtsstaatlich und insbeson- 41 Prof. Korioth: siehe Fn. 30, Seite 7 42 Prof. Reimer: siehe Fn. 39, Seite 5 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 060/17 Seite 20 dere mit Blick auf die Rechtssicherheit (Bekanntgabe des Außerkrafttretens die Regelung im Bundesgesetzblatt ) bestehen auch aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Bedenken. Im Ergebnis ist das in Artikel 143f GG angeordnete Außerkrafttreten auch des Artikels 143d GG ebenfalls verfassungsgemäß . In dieser Anordnung liegt allerdings eine Abweichung von dem Textänderungsgebot des Artikels 79 Absatz 1 Satz 1 GG. Dieses steht aber normhierarchisch nur auf derselben Stufe wie der neue Artikel 143f GG. Auch an anderer Stelle weicht das Grundgesetz von dem Textänderungsgebot ab (etwa Artikel 23 Absatz 1 Satz 3 GG). Darin liegt kein Verstoß gegen Artikel 79 Absatz 3 GG; entsprechend ist auch Artikel 143f GG mit der „Ewigkeitsgarantie“ vereinbar .“ Mit Artikel 143d Absatz 4 GG ist eine Verfassungsnorm von der Aufhebungsoption in Artikel 143f GG betroffen. Da damit auch die Sanierungshilfen für das Saarland und Bremen ab 2030 erneut zur Disposition gestellt werden könnten, dürften erhebliche finanzielle Interessen an einer bundesverfassungsgerichtlichen Überprüfung des Artikels 143f GG bestehen. 11. Zusammenfassung Letztlich müssen von den hier zu beurteilenden Regelungen der geänderten Finanzverfassung nur der neue Artikel 107 Absatz 2 Satz 6 und Satz 4 GG als verfassungsrechtlich problematisch angesehen werden. Der neue Tatbestand der Bundesergänzungszuweisungen für Länder mit Gemeinden mit geringer Steuerkraft greift in problematischer Art und Weise in die Finanzautonomie der Länder ein. Zwar werden die Zuweisungen an die Länder ausbezahlt, aber die Zuteilungskriterien des Artikels 107 Absatz 2 Satz 6 Variante 1 GG stellen allein auf die Steuerkraft der Gemeinden ab. Dies könnte eine Verletzung der Finanzautonomie der Länder in Beziehung zu ihren Gemeinden darstellen, denn die aufgabengerechte Finanzierung der Gemeinden obliegt ausschließlich den Ländern. Die Gewährung dieser zusätzlichen Ergänzungszuweisung an die Länder verletzt diese Aufgabenzuordnung zwar nicht unmittelbar, es integriert jedoch ein sachfremdes Zuteilungskriterium in die Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Ob die nur teilweise Einbeziehung der bergrechtlichen Förderabgabe in den Finanzausgleich nunmehr verfassungskonform gelöst wurde, muss an dieser Stelle offen bleiben. Der Wortlaut des Artikels 107 GG steht einer nur teilweisen Einbeziehung der Förderabgabe nicht mehr entgegen. *** Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 060/17 Seite 21 Literaturverzeichnis Häde, Ulrich: Schriftliche Stellungnahme zur Anhörung durch den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages am 20. März 2017 zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksache 18/11131) und zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichsystems ab dem Jahr 2020 und zur Änderung haushaltsrechtlicher Vorschriften (Drucksache 18/11135) im Internet abrufbar unter: http://www.bundestag .de/blob/497698/c41a1eb288cb1674e120e4174ebe0268/prof--dr--ulrich-haede-data.pdf Häde, Ulrich: Abschied vom geschwisterlichen Finanzausgleich? Die Länder einigen sich – der Bund soll zahlen in: Verhandlungen zum Finanzausgleich; Jahrbuch für öffentliche Finanzen 1- 2016, Seite 111 – 119 Korioth, Stefan: Stellungnahme zum Entwurf der Bundesregierung vom 13. Februar 2017 zu einem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes – Bundestags-Drucksache 18/11131 – im Internet abrufbar unter: http://www.bundestag .de/blob/498212/f294e8b4b115ae2317473e9b0b19602f/prof--dr--stefan-korioth-data.pdf Kramer, Johannes: Grenzen der Verfassungsänderung im Bereich der bundesstaatlichen Finanzverfassung , Göttingen 2000 [P 591087] Maunz, Theodor/Dürig, Günter: Grundgesetz. Kommentar; online-Version unter www.beck-online .de Reimer, Ekkehart: Reform der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen. Stellungnahme zu der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages im Internet abrufbar unter: http://www.bundestag .de/blob/498590/2cefe700a4ecf4cd6d8f3721e280cd60/prof--dr--ekkehart-reimer-data.pdf Waldhoff, Christian: Literaturbesprechung zu Verhandlungen zum Finanzausgleich in: Zeitschrift für Gesetzgebung (ZG) Jahrgang 2016, Heft 4, Seite 389-393 Wieland, Joachim: Schriftliche Stellungnahme zur Vorbereitung der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages am 20. März 2017 zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – BT-Drucksache 18/11131 im Internet abrufbar unter: http://www.bundestag .de/blob/498346/3dd43a0bc1255507616878edc69d86f2/prof--dr--joachim-wieland-data.pdf