© 2016 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 060/16 Grundzüge des Konzepts der negativen Einkommensteuer Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 060/16 Seite 2 Grundzüge des Konzepts der negativen Einkommensteuer Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 060/16 Abschluss der Arbeit: 11. Mai 2016 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 060/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Ursprung und Hintergründe der negativen Einkommensteuer 4 3. Grundprinzip einer negativen Einkommensteuer 4 4. Mögliche Ausgestaltungen einer negativen Einkommensteuer 5 4.1. Ausgestaltung mit dem Grundfreibetrag 5 4.2. Ausgestaltung mit einem Abzug von der Steuerschuld 6 5. Erwartete Vorteile einer negativen Einkommensteuer 6 6. Kritik an einer negativen Einkommensteuer 6 7. Allgemeine Informationen 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 060/16 Seite 4 1. Fragestellung7 Es wird um eine grundlegende Erklärung der negativen Einkommensteuer gebeten. Was ist eine negative Einkommensteuer? Wie funktioniert eine negative Einkommensteuer? 2. Ursprung und Hintergründe der negativen Einkommensteuer Vereinzelt wird das Konzept der negativen Einkommensteuer als über 120 Jahre alt angesehen. Überwiegend wird der Ursprung der Idee einer negativen Einkommensteuer im Schrifttum in den 1940er Jahren datiert: 1943 hatte Lady Rhys-Williams einen Sozialdividenden-Plan für Großbritannien vorgeschlagen. In den USA hatte insbesondere Milton Friedmans Buch von 1962 „Capitalism and Freedom“ die Diskussion über die negative Einkommensteuer angeregt. Ausgangspunkt der negativen Einkommensteuer -Pläne in den USA waren das Armutsproblem und die offensichtlichen Mängel der traditionellen Sozial- und Redistributionspolitik, dieses Problem zu bewältigen. Die Kritik an den überkommenen sozialen Sicherungssystemen in den USA bezog sich bei Friedman vor allem darauf , dass die praktizierten Maßnahmen zum einen uneinheitlich waren – durch die regionale Differenzierung und starke Berufs- und Branchenbezogenheit, zum Beispiel Landarbeiter, Bergleute – und damit nicht die einkommensmäßig tatsächlich Bedürftigen erreichen und dass sie zum anderen – als unerwünschte Nebenwirkung – die Funktionsweise der Märkte beeinträchtigen . Letzteres galt insbesondere für die Mindestlohngesetze, die im Rahmen der sozialen Sicherungsmechanismen in den USA eine besondere Stellung einnahmen. Im deutschsprachigen Raum findet eine intensivere Diskussion über die Einführung einer negativen Einkommensteuer seit Beginn der achtziger Jahre statt. Einen erheblichen Auftrieb bekam die Diskussion durch den Beschluss des Bundeverfassungsgerichts (BVerfG) vom 25. September 19921, in dem es die einkommensteuerlichen Regelungen des Grundfreibetrags und des allgemeinen Tariffreibetrags für verfassungswidrig erklärte. Einer der Leitsätze des Urteils lautete, dass dem Steuerpflichtigen nach Erfüllung der Einkommensteuerschuld von seinem Erworbenen soviel verbleiben muss, als er zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts und desjenigen seiner Familie bedarf (Existenzminimum). Das BVerfG hat als steuerliches Existenzminimum den im Sozialhilferecht anerkannten Mindestbedarf definiert. Dieses Urteil „zwang“ deshalb zu einem ersten Schritt zur Verknüpfung der Einkommensteuer mit der Sozialhilfe. 3. Grundprinzip einer negativen Einkommensteuer Eine kompakte Definition einer negativen Einkommensteuer, auch Negativsteuer oder Bürgergeld , findet sich im Online-Lexikon Brockhaus Wirtschaft: Die negative Einkommensteuer ist das System einkommensabhängiger Geldtransfers an private Haushalte, das mit der Einkommensteuer derart abgestimmt ist, dass für die Transferzahlungen („negative“ Einkommensteuer) und die Steuerzahlungen („positive“ Einkommensteuer) eine einheitliche Bemessungsgrundlage (Einkommen) maßgeblich ist und mit steigendem Einkommen 1 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 060/16 Seite 5 die Transferzahlungen ab- und die Steuerzahlungen zunehmen („integriertes Steuer- und Transfersystem “). Die vielfältigen Vorschläge einer negativen Einkommensteuer lassen sich durch drei Größen charakterisieren : – Das „garantierte Mindesteinkommen“ stellt den maximalen Betrag dar, der als Grundbetrag ausgezahlt wird, wenn der Empfänger keine eigenen Bezüge hat. – Die „Transfergrenze“ kennzeichnet die Höhe der eigenen finanziellen Mittel, deren Unterschreiten eine staatliche Leistung auslöst beziehungsweise bei deren Überschreiten die Transferzahlung wegfällt. In der einfachsten Variante ist diese Einkommenshöhe identisch mit dem Beginn der (positiven) Steuerpflicht. – Der „Negativsteuersatz“ gibt an, mit welcher Rate die staatlichen Zahlungen bei steigendem Einkommen des Empfängers gekürzt werden. Im einfachsten Modell einer negativen Einkommensteuer ist dieser Satz identisch mit dem Satz der (positiven) Einkommensteuer. Eine negative Einkommensteuer ist damit eine Verlängerung des Einkommensteuertarifs „nach unten“. 4. Mögliche Ausgestaltungen einer negativen Einkommensteuer Eine negative Einkommensteuer kann mit dem Grundfreibetrag des geltenden Einkommensteuerrechts oder mit einem Abzug von der Steuerschuld (Tax Credit, Sozialdividende) eingeführt werden . 4.1. Ausgestaltung mit dem Grundfreibetrag Bei einer Ausgestaltung mit dem Grundfreitrag bildet dieser die Transfergrenze. Mit Überschreiten der Grenze beginnt die Besteuerung, bei Unterschreiten dieser Grenze wird ein einkommensabhängiger Transfer gewährt. Zur Ermittlung der Höhe des zu gewährenden Transfers wird die Differenz zwischen dem tatsächlichen Einkommen und der Transfergrenze gebildet und auf diese Differenz der Negativsteuersatz angewandt. Der Negativsteuersatz gibt an, zu welchem Prozentsatz die Differenz aufgefüllt wird (Konzept der Einkommenslücke oder poverty-gap-type). Ist der Negativsteuersatz kleiner als 100 Prozent, füllt die Transferleistung die Einkommenslücke nicht bis zum Grundfreibetrag aus. Die negative Einkommensteuer hätte in dieser Ausgestaltung nur eine Komplementärfunktion zum bestehenden System der sozialen Sicherung. Eine Anhebung des maximalen Transferbetrags, der zu zahlen ist, wenn der Transferberechtigte keinerlei eigenes Einkommen hat (garantiertes Mindesteinkommen), lässt sich durch eine Erhöhung des Grundfreibetrags oder durch eine Variation des Negativsteuersatz erreichen. Eine solche Anhebung kann zum Beispiel beabsichtigt sein, wenn die bisherigen sozialen Leistungen möglichst vollständig durch die negative Einkommensteuer ersetzt werden sollen. Eine Erhöhung des Grundfreibetrags ist mit deutlich höheren Einnahmeausfällen für den Staat verbunden als eine Variation des Negativsteuersatzes. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 060/16 Seite 6 4.2. Ausgestaltung mit einem Abzug von der Steuerschuld Kennzeichnend für eine negative Einkommensteuer mit einem Abzug von der Steuerschuld ist im Vergleich zur Lösung mit dem Grundfreibetrag, dass statt der Transfergrenze das garantierte Mindesteinkommen festgelegt wird. Das garantierte Mindesteinkommen kann entweder über alle Einkommen hinweg einheitlich oder eventuell nach persönlichen Merkmalen gestaffelt werden und wird jedem unabhängig vom eigenen erzielten Einkommen gewährt. Diese Transferleistung wird dann mit der auf das tatsächliche Einkommen zu zahlenden Steuer, die von Beginn an, also ohne Grundfreibetrag anfällt, verrechnet. 5. Erwartete Vorteile einer negativen Einkommensteuer Die negative Einkommensteuer könnte die beobachteten Mängel innerhalb des staatlichen Umverteilungssystems und bei der Abstimmung von Direktsteuer und Transferleistungen beseitigen, weil sie insbesondere folgende Vorteile hätte: – höhere Zielgenauigkeit bei der Gewährung von Unterstützungen, – mehr Verteilungsgerechtigkeit, – Kosteneinsparung und erhöhte Transparenz, – Erhaltung der Leistungsanreize, – Beitrag zum Abbau der Sockelarbeitslosigkeit, – positive Wirkung auf die Leistungsbereitschaft (durch die Beseitigung von Sprüngen im Steuerbelastungstarif und damit die Beseitigung hoher Grenzbelastungen). 6. Kritik an einer negativen Einkommensteuer Bei der Verbindung von Steuer und Transfersystem sehen Kritiker vor allem folgende Nachteile: – schwierige Definition der Bemessungsgrundlage (Einkommen im geltenden steuerlichen Sinne oder zum Beispiel auch Einbezug von Vermögen?), – schwierige Definition der Zurechnungseinheit (Individuum oder Haushalt?), – Probleme der Auszahlung und andere Verwaltungsprobleme, – hohe Kosten, – negative Wirkung auf die Leistungsbereitschaft (Anreiz zur Verminderung des Arbeitsangebots ). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 060/16 Seite 7 7. Allgemeine Informationen Das Konzept der negativen Einkommensteuer taucht in zahlreichen Vorschlägen auf. An dieser Stelle sollen die Ideen eines bedingungslosen Grundeinkommens oder eines Solidarischen Bürgergeldes erwähnt werden. Das bedingungslose Grundeinkommen soll jedem Bürger, unabhängig von Vermögen und seiner Bereitschaft zu Erwerbsarbeit, gezahlt werden.2 Im Konzept des Solidarischen Bürgergeldes erhält jeder Bürger ein existenzsicherndes Bürgergeld, das alle anderen steuerfinanzierten Transferleistungen – Arbeitslosengeld II, Wohngeld, Kindergeld, Sozialhilfe etc. – ablöst und für Arbeitnehmer den Wegfall aller Sozialversicherungsbeiträge bedeutet. Getragen wird das Solidarische Bürgergeld durch Steuern, wobei nur noch ein Steuersatz existiert, der deutlich unterhalb der heutigen nominalen Belastung liegt. Das Bürgergeld wird mit der Einkommensteuer institutionell verknüpft.3 Viele Modelle beziehungsweise in der Praxis vorkommende verbundene Elemente aus Steuerund Sozialsystemen haben vor allem das Ziel, geringe Lohneinkommen durch eine Berücksichtigung bei der Lohn- bzw. Einkommensteuer des Arbeitnehmers aufzubessern. Zu den ältesten und bekanntesten Systemen gehören der amerikanische Earned Income Tax Credit (EITC)4 und der britische Working Tax Credit (WTC).5 - Ende der Bearbeitung - 2 Haywood, Luke: Bedingungsloses Grundeinkommen: eine ökonomische Perspektive, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung roundup, 21. August 2014, unter: https://www.diw.de/de/diw_01.c.479869.de/presse/diw_roundup/bedingungsloses_grundeinkommen_eine_oekonomische _perspektive.html, abgerufen am 10. Mai 2016. 3 Borchard Michael (Hrsg.): Das Solidarische Bürgergeld – Analysen einer Reformidee, im Auftrag der Konrad- Adenauer-Stiftung, Stuttgart 2007, unter: http://www.wiwi.uni-frankfurt.de/~strengma/Althaus_Studie.pdf, abgerufen am 11. Mai 2016. 4 Internal Revenue Service: Earned Income Tax Credit (EITC), unter: https://www.irs.gov/Credits-&-Deductions /Individuals/Earned-Income-Tax-Credit, abgerufen am 11. Mai 2016. 5 GOV.UK: Working Tax Credit, unter: https://www.gov.uk/working-tax-credit, abgerufen am 11. Mai 2016.