© 2021 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 – 058/21 Die Übertragbarkeit nicht ausgeschöpfter Ausgabeermächtigungen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 058/21 Seite 2 Die Übertragbarkeit nicht ausgeschöpfter Ausgabeermächtigungen Aktenzeichen: WD 4 - 3000 – 058/21 Abschluss der Arbeit: 27. Mai 2021 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 058/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Haushaltsverfassungsrechtlicher und einfachgesetzlicher Rahmen 4 2.1. Jährlichkeitsprinzip und Übertragbarkeit 4 2.2. Geborene Übertragbarkeit 5 2.3. Gekorene Übertragbarkeit 6 3. Verfahren der Übertragung 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 058/21 Seite 4 1. Fragestellung Der öffentliche Haushaltsplan ist grundsätzlich jährlich aufzustellen. Vor diesem Hintergrund ist die Frage gestellt worden, welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen, den nicht abgeflossenen Mittelansatz eines Haushaltstitels auf nachfolgende Jahre zu verlagern. 2. Haushaltsverfassungsrechtlicher und einfachgesetzlicher Rahmen Nach Art. 110 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz (GG) wird der Haushaltsplan für ein oder mehrere Rechnungsjahre - jeweils nach Jahren getrennt – im Vorhinein durch das Haushaltsgesetz festgestellt. Einfachgesetzlich setzt § 1 Abs. 1 Bundeshaushaltsordnung (BHO) die verfassungsrechtliche Vorgabe um. Danach muss für jedes Haushaltsjahr ein gesonderter Haushaltsplan auf- und festgestellt werden. Die auf ein Jahr bezogene Aufstellung des Haushalts wird als Jährlichkeitsprinzip bezeichnet. Es soll sicherstellen, dass das Parlament in jedem Jahr aufs Neue mit der Haushaltspolitik befasst wird und ihm auf diese Weise die Möglichkeit zur Steuerung und Kontrolle des staatlichen Finanzgebarens eröffnen wird.1 2.1. Jährlichkeitsprinzip und Übertragbarkeit Als wesentliche Folge des Jährlichkeitsprinzips ist im Vollzug des Haushalts der Grundsatz der zeitlichen Bindung zu beachten. Danach gelten die Ermächtigungen des Haushalts, Ausgaben zu leisten und ausgabewirksame Verpflichtungen einzugehen, grundsätzlich nur für dasjenige Jahr, für das der Haushaltsplan festgestellt worden ist (§ 45 Abs. 1 BHO).2 Der Haushaltsplan ist damit an das Haushaltsjahr gebunden und beansprucht seinem normativen Inhalt nach keine Geltung über die Grenzen des Haushaltsjahres hinweg.3 Grundsätzlich treten die Ermächtigungen des Haushaltsplans mit Ende des Haushaltsjahres automatisch außer Kraft, soweit nichts anderes explizit bestimmt ist.4 1 Gröpl in: Gröpl, Bundeshaushaltsordnung (BHO), 2. Auflage 2019, § 1 Rn. 28. 2 BMF, Das System der öffentlichen Haushalte, Stand August 2016 (https://www.bundesfinanzministerium .de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Oeffentliche_Finanzen/Bundeshaushalt/Haushaltsrecht _und_Haushaltssystematik/das-system-der-oeffentlichen-haushalte-anl.pdf?__blob=publicationFile&v=3) – Abruf 26.05.2021. 3 Tappe in: Gröpl, BHO, BHO, § 11 Rn. 11. 4 Tappe in: Gröpl, BHO, BHO, § 11 Rn. 12. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 058/21 Seite 5 Von diesem Grundsatz bestehen Ausnahmen, die eine Durchbrechung des Grundsatzes der zeitlichen Bindung darstellen,5 um einen wirtschaftlichen Haushaltsvollzug zu gewährleisten.6 Es handelt sich um – auf die Gesamtzahl der Haushaltstitel bezogen – Einzelfälle, in denen Ausgaben für einen längeren Zeitraum bewilligt und sog. Ausgabereste gebildet werden können. Nicht ausgeschöpfte Ausgabeermächtigungen, die nach § 45 Abs. 1 BHO am Ende des Haushaltsjahres verfallen würden, können nach § 19 Abs. 1 BHO auf das Folgejahr übertragen werden. Die nicht verausgabten Mittel werden als Ausgabereste für die jeweilige Zweckbestimmung über das Haushaltsjahr hinaus verfügbar gehalten. § 19 BHO richtet sich an die an der Aufstellung des Haushalts Beteiligten und bindet über § 15 Abs. 1 HGrG auch den Gesetzgeber.7 Die Übertragbarkeit ist für Investitionen und Ausgaben aus zweckgebundenen Einnahmen gesetzlich zugelassen (§ 19 Abs. 1 Satz 1 BHO - geborene Übertragbarkeit), kann aber auch durch das Haushaltsgesetz oder den Haushaltsplan angeordnet werden (§ 19 Abs. 1 Satz 2 BHO - gekorene Übertragbarkeit). 2.2. Geborene Übertragbarkeit Die „geborene Übertragbarkeit“ nimmt Investitionen einerseits sowie Ausgaben aus zweckgebundenen Einnahmen andererseits von der zeitlichen Bindung des Haushalts aus, weil sie anderen Terminlogiken folgen.8 Ausgaben aus zweckgebundenen Einnahmen sind solche, die aufgrund einer gesetzlichen Regelung oder eines besonderen Haushaltsvermerks für einen bestimmten Zweck verwendet werden müssen.9 Die Ausgaben für Investitionen werden in § 13 Abs. 3 Nr. 2 BHO legaldefiniert. Es sind diejenigen Ausgaben, die sich beziehen auf: „a) Baumaßnahmen, soweit sie nicht militärische Anlagen betreffen, b) den Erwerb von beweglichen Sachen, soweit sie nicht als sächliche Verwaltungsausgaben veranschlagt werden oder soweit es sich nicht um Ausgaben für militärische Beschaffungen handelt, c) den Erwerb von unbeweglichen Sachen, d) den Erwerb von Beteiligungen und sonstigem Kapitalvermögen, von Forderungen und Anteilsrechten an Unternehmen, von Wertpapieren sowie für die Heraufsetzung des Kapitals von Unternehmen, e) Darlehen, f) die Inanspruchnahme aus Gewährleistungen, g) Zuweisungen und Zuschüsse zur Finanzierung von Ausgaben für die in den Buchstaben a) bis f) genannten Zwecke.“ 5 von Lewinski/Burbat, BHO, 1. Aufl. 2013, § 19 Rn. 2. 6 Tappe in: Gröpl, BHO, § 11 Rn. 12. 7 Tappe in: Gröpl, BHO, § 19 Rn. 6. 8 von Lewinski/Burbat, BHO, 1. Aufl. 2013, § 19 Rn. 5. 9 von Lewinski/Burbat, BHO, 1. Aufl. 2013, § 19 Rn. 7 mwN. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 058/21 Seite 6 Für kameral geführte Haushalte legt § 13 Abs. 2 Satz 3 BHO die Einteilung der Titel nach dem Gruppierungsplan fest. Der Gruppierungsplan ist Teil der in Bund und Ländern übereinstimmend geltenden Verwaltungsvorschriften und bestimmt die Einnahmen und Ausgaben nach Arten .10 Er legt die Gruppierung der ersten drei Stellen verbindlich fest (sog. Gruppierungsnummer ), um dem haushaltsrechtlichen Transparenzgebot Rechnung zu tragen11, und lässt auf einfache Art die Identifizierung von Investitionsausgaben zu. In der dreistelligen Gruppierungsnummer steht die erste Stelle für die Hautgruppe, die zweite für die Obergruppe und die dritte für die Gruppe, so dass bspw. ein Titel mit der Gruppierungsnummer 892 folgende Bedeutung hat: Die Ziffer 8 kennzeichnet die Hauptgruppe, die Ziffer 89 die Obergruppe und die Ziffer 892 die Gruppe. Im Einzelnen bedeuten12 Hauptgruppe 8 = Sonstige Ausgaben für Investitionen und Investitionsförderungsmaßnahmen , Obergruppe 89 = Zuschüsse für Investitionen an sonstige Bereiche, Gruppe 892 = Zuschüsse für Investitionen an private Unternehmen. In den Erläuterungen zum Gruppierungsplan wird zur Obergruppe 89 ausgeführt, dass als Zuweisungen für Investitionen Ausgaben zu verstehen seien, die nach ihrer Zweckbestimmung zur Finanzierung folgender Investitionsausgaben bestimmt sind: Bauten, Erwerb von beweglichem und sonstigem unbeweglichem Vermögen und andere Investitionsausgaben im Sinne der Hauptgruppen 7 und 8. Mit Blick auf die zeitliche Bindung ist festzuhalten, dass bspw. ein Titel dieser Gruppe als Investitionsausgabe nach § 19 Abs. 1 S. 1 BHO kraft Gesetzes auf das folgende Haushaltsjahr übertragbar ist. 2.3. Gekorene Übertragbarkeit Für nicht gesetzlich als übertragbar geltende Ausgaben kann nach § 19 Abs. 1 S. 2 BHO die Übertragbarkeit auf das folgende Haushaltsjahr ausdrücklich bestimmt werden. Aufgrund der Notwendigkeit einer Übertragbarkeitserklärung wird diese Kategorie als gekorener Übertragbarkeit bezeichnet .13 Üblicherweise wird die Übertragbarkeit über einen Haushaltsvermerk festgelegt. Dabei 10 von Lewinski/Burbat, BHO § 13 Rn. 27 mit dem Hinweis auf BT-Drs. 5/3040, S. 49. 11 Häußer in: Gröpl, BHO, § 13 Rn. 47. 12 Vgl. BMF, Gruppierungsplan mit allgemeinen Vorschriften, Stand: 19. November 2020 (https://www.bundesfinanzministerium .de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Oeffentliche_Finanzen/Standards_fuer_Haushalte /gruppierungsplan.pdf?__blob=publicationFile&v=9) – Abruf 26.05.2020. 13 von Lewinski/Burbat, BHO, § 19 Rn. 8. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 058/21 Seite 7 steht die Übertragbarkeit, die auch durch Haushaltsgesetz erklärt werden kann14, unter der Bedingung , dass sie die wirtschaftliche und sparsame Bewirtschaftung fördert (§ 19 Abs. 1 S. 2 BHO). Nicht in das folgende Haushaltsjahr übertragbar sind dagegen Verpflichtungsermächtigungen, die vom Wortlaut des § 19 Abs. 1 BHO nicht erfasst werden.15 3. Verfahren der Übertragung Die Übertragung von Ausgaben setzt die Bildung von Ausgaberesten nach § 45 Abs. 2 BHO voraus. Hierfür müssen am Ende des Haushaltsjahres die Ist-Ausgaben die veranschlagten Ausgabeermächtigungen unterschreiten.16 Soweit ein positiver Saldo vorliegt, steht es im Ermessen der mittelbewirtschaftenden Stelle, ob ein Ausgaberest gebildet wird oder nicht.17 Die Inanspruchnahme der übertragenen Ausgabereste ist zeitlich bis zum Ende des auf die Bewilligung folgenden zweitnächsten Haushaltjahres begrenzt (§ 45 Abs. 2 S. 1 BHO). Sie bedarf ferner der Einwilligung des BMF, das nur zustimmt, wenn in demselben oder einem anderen Einzelplan Ausgaben in gleicher Höhe bis zum Ende des laufenden Haushaltsjahres nicht geleistet werden oder wenn Ausgabemittel zur Deckung der Ausgabereste veranschlagt worden sind (§ 45 Abs. 3 BHO). Grundsätzlich sind zur Deckung von Ausgaberesten Ausgabemittel zu veranschlagen, deren Höhe nach § 19 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 BHO so zu bemessen ist, dass sie zur Deckung der Ausgabereste ausreichen. In Kommentierungen zum Haushaltsrecht wird darauf hingewiesen, dass im Bundeshaushaltsplan regelmäßig vorsorglich ein Betrag von 250 Mio. Euro (seit 2021 von 125 Mio. Euro) bei Kapitel 6002 Titel 971 02 zur Deckung der Ausgabereste veranschlagt werde, zu dessen Inanspruchnahme es bisher nie gekommen sei18, weil regelmäßig diejenigen Ausgabereste bei der Veranschlagung nicht zu berücksichtigen sind, für die Mittel aus kassenmäßigen Minderausgaben im nächsten Haushaltsjahr voraussichtlich bereitgestellt werden können (§ 19 Abs. 2 Hs. 2 BHO). Damit sei die Ausnahme in der Haushaltspraxis letztlich die Regel, weil in jedem Haushaltsjahr typischerweise Reste verbleiben, die wiederum durch die ersparten Mittel aus früheren Resten finanziert werden können.19 * * * 14 von Lewinski/Burbat, BHO, § 19 Rn. 9. 15 Rossi in: Gröpl, BHO, § 16 Rn. 7. 16 Tappe in: Gröpl, BHO, § 45 Rn. 41. 17 von Lewinski/Burbat, BHO, § 19 Rn. 11. 18 Tappe in: Gröpl, BHO, § 19 Rn. 44. 19 Tappe in: Gröpl, BHO, § 19 Rn. 44.