© 2021 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 056/21 Überblick zum Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern Zur Struktur, Entwicklung und Bedeutung des Finanzausgleichs Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 056/21 Seite 2 Überblick zum Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern Zur Struktur, Entwicklung und Bedeutung des Finanzausgleichs Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 056/21 Abschluss der Arbeit: 27. Mai 2021 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 056/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Die Regelungen des bundestaatlichen Finanzausgleichs im Finanzausgleichsgesetz 4 2.1. Verteilung der Umsatzsteuer auf Bund, Länder und Gemeinden 4 2.2. Verteilung der Umsatzsteuer auf die Länder 5 2.3. Finanzkraftausgleich unter den Ländern 5 2.4. Bundesergänzungszuweisungen 6 3. Vorgaben des Grundgesetzes und des Maßstäbegesetzes 6 3.1. Vorgaben des Grundgesetzes 6 3.1.1. Verteilung der Gemeinschaftsteuern 6 3.1.2. Verteilung der Umsatzsteuer auf die Länder 7 3.2. Vorgaben des Maßstäbegesetzes 8 4. Einordnung des Finanzausgleichsgesetzes in das System des Finanzausgleichs 9 4.1. Das System des Finanzausgleichs 9 4.2. Primärer vertikaler Finanzausgleich (erste Stufe) 9 4.3. Primärer horizontaler Finanzausgleich (zweite Stufe) 10 4.4. Sekundärer horizontaler Finanzausgleich (dritte Stufe) 11 4.5. Sekundärer vertikaler Finanzausgleich (vierte Stufe) 11 5. Entstehung und Entwicklung des Finanzausgleichs 12 6. Verfassungsrechtliche Bewertung des Finanzausgleichsgesetzes 14 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 056/21 Seite 4 1. Fragestellung Gefragt wird nach der Entstehung, Begründung, Entwicklung, Berechtigung und Bedeutung des Finanzausgleichsgesetzes (FAG)1, insbesondere § 1 FAG. Dazu werden zunächst die wesentlichen Bestimmungen des FAG einschließlich ihrer finanziellen Bedeutung dargestellt (dazu nachfolgend 2.). Im Anschluss daran werden die relevanten Vorgaben des Grundgesetzes (GG) und des Maßstäbegesetzes (MaßstG) skizziert (dazu nachfolgend 3.). Zur Begründung des FAG wird dieses in das System des bundesstaatlichen Finanzausgleichs eingeordnet (dazu nachfolgend 4.). Im Folgenden wird auf die Entwicklung des FAG (dazu nachfolgend 5.) und seine verfassungsrechtliche Bewertung (dazu nachfolgend 6.) eingegangen. 2. Die Regelungen des bundestaatlichen Finanzausgleichs im Finanzausgleichsgesetz Kern des FAG ist die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens zwischen Bund, Ländern und Gemeinden einerseits (§ 1 FAG) sowie zwischen den Ländern andererseits (§ 2 FAG) und – an letztere anknüpfend – der Ausgleich der unterschiedlichen Finanzkraft der Länder (§§ 4 bis 10 FAG). Das FAG hat einen begrenzten zeitlichen Geltungsanspruch. Es tritt außer Kraft, wenn nach dem 31.12.2030 die Bundesregierung, der Bundestag oder gemeinsam mindestens drei Länder Verhandlungen über eine Neuordnung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen verlangt haben und mit Ablauf von fünf Jahren nach Notifikation des Verhandlungsverlangens beim Bundespräsidenten keine gesetzliche Neuordnung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen in Kraft getreten ist (Art. 143f Satz 1 GG). 2.1. Verteilung der Umsatzsteuer auf Bund, Länder und Gemeinden § 1 FAG regelt die Verteilung des Aufkommens der Umsatzsteuer. Nach § 1 Abs. 1 FAG wird das Aufkommen der Umsatzsteuer ab 2020 auf Bund, Länder und Gemeinden nach folgenden Prozentsätzen aufgeteilt: Bund (52,81398351 %), Länder (45,19007254 %) und Gemeinden (1,99594395 %). Nach § 1 Abs. 2 FAG werden die Anteile des Bundes, der Länder und Gemeinden nach Abs. 1 im Jahr 2021 um die folgenden Beträge verändert: Bund (minus 12.181.407.683 Euro), Länder (8.506.407.683 Euro) und Gemeinden (3.675.000.000 Euro). Für die Jahre 2020 bis 2026 legt § 1 Abs. 2 FAG jährliche, unterschiedliche Beträge fest. Für die Jahre ab 2027 gelten nach derzeitigem Stand gleiche Beträge. Nach § 1 Abs. 5 FAG verringern sich zum Ausgleich für Belastungen der Länder (aus dem KiTa-Qualitäts- und -Teilhabeverbesserungsgesetz und aus der Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch) die in § 1 Abs. 2 FAG genannten Beträge für den Bund in den Jahren 2021 und 2022 um jeweils 1.993 Millionen Euro und erhöhen sich die Beträge für die Länder entsprechend. Das Aufkommen der Umsatzsteuer (einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer) betrug im Jahr 2020 rund 219,4 Mrd. Euro bei einem Gesamtsteueraufkommen (ohne reine Gemeindesteuern) von 1 Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (Finanzausgleichsgesetz - FAG), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 3.12.2020, BGBl. I 2020, 2657. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 056/21 Seite 5 rund 682,3 Mrd. Euro.2 Im Vergleich zum Jahr 2019 sank das Aufkommen um 23,8 Mrd. Euro (dies entspricht einem Minus von 9,8 %). Vom Gesamtaufkommen der Umsatzsteuer erhielt der Bund aufgrund der Verteilung in § 1 FAG im Jahr 2020 im Ergebnis einen Anteil von 43 % (2019: 48,9 %), die Länder 52,9 % (2019: 47,7 %) und die Gemeinden 4,1 % (2019: 3,4 %).3 2.2. Verteilung der Umsatzsteuer auf die Länder Nach § 2 FAG wird der Länderanteil an der Umsatzsteuer – vorbehaltlich des gemäß § 4 FAG durchzuführenden Finanzkraftausgleichs (dazu 2.3.) – nach dem Verhältnis ihrer Einwohnerzahlen auf die Länder verteilt. Hierbei sind die Einwohnerzahlen zugrunde zu legen, die das Statistische Bundesamt zum 30. Juni des Kalenderjahres, für das der Ausgleich durchgeführt wird, festgestellt hat. Aufgrund dieser Verteilung erzielten die Länder Hamburg, Bayern, Hessen, Baden- Württemberg und Berlin in 2020 über dem Durchschnitt aller Länder liegende Pro-Kopf-Steuereinnahmen ; alle anderen Länder lagen unter dem Durchschnitt.4 2.3. Finanzkraftausgleich unter den Ländern §§ 4 bis 10 FAG regeln den Ausgleich der unterschiedlichen Finanzkraft der Länder. Dieser Länderfinanzausgleich erfolgt seit der ab 2020 geltenden Neuregelung (zur Entwicklung siehe 5.) durch Zu- und Abschläge für die einzelnen Länder bei der Verteilung der Umsatzsteuer. Nach § 4 FAG ist der Verteilung der Umsatzsteuer unter den Ländern ein angemessener Ausgleich der unterschiedlichen Finanzkraftverhältnisse hinzuzurechnen. Zu diesem Zweck erfolgt die Verteilung der Umsatzsteuer gemäß § 2 FAG nach der Hinzurechnung von Zuschlägen zu bzw. Abschlägen von der Finanzkraft. Abschläge werden von den Ländern erhoben, deren Finanzkraftmesszahl (dazu § 6 Abs. 1 FAG) im Ausgleichsjahr ihre Ausgleichsmesszahl (dazu § 6 Abs. 2 FAG) übersteigt (§ 5 Abs. 1 FAG).5 Zuschläge werden den Ländern gewährt, deren Finanzkraftmesszahl im Ausgleichsjahr ihre Ausgleichsmesszahl nicht erreicht (§ 5 Abs. 2 FAG). Bei der Berechnung der Finanzkraft eines Landes findet auch die kommunale Steuerkraft (ab 2020 zu 75 %) Berücksichtigung (§ 8 FAG). Der Ausgleich beträgt jeweils 63 % der Unterdeckung bzw. Überdeckung der Ausgleichsmesszahl eines Landes (§ 10 FAG). Das Volumen dieses Ausgleichs zwischen den Ländern betrug im Jahr 2020 14,8 Mrd. Euro (2019: 18,7 Mrd. Euro).6 Davon entfielen auf die ostdeutschen Flächenländer 8,2 Mrd. Euro 2 Bundesfinanzministerium, Steuereinnahmen Kalenderjahr 2020 (https://www.bundesfinanzministerium .de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Steuerschaetzungen_und_Steuereinnahmen/2021-01-29- steuereinnahmen-kalenderjahr-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=2). 3 Bundesministerium der Finanzen, Monatsbericht März 2021, S. 23. 4 Bundesministerium der Finanzen, Monatsbericht März 2021, S. 23. 5 Zur Bestimmung siehe Bundesministerium der Finanzen, Bund-Länder-Finanzbeziehungen auf der Grundlage der Finanzverfassung, 2020, S. 42; zum Finanzkraftausgleich siehe auch Tappe/Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht , 2. Aufl. 2019, Rn. 377 ff. 6 Bundesministerium der Finanzen, Monatsbericht März 2021, S. 22 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 056/21 Seite 6 (2019: 11,6 Mrd. Euro).7 Die Abschläge betrafen im Jahr 2020 die Länder Bayern (-7,8 Mrd. Euro; 2019: -9,2 Mrd. Euro), Baden-Württemberg (-3,7 Mrd. Euro; 2019: -4,5 Mrd. Euro), Hessen (-2,5 Mrd. Euro; 2019: -3,1 Mrd. Euro), Nordrhein-Westfalen (-0,6 Mrd. Euro; 2019: -1,5 Mrd. Euro) und Hamburg (-0,2 Mrd. Euro; 2019: -0,5 Mrd. Euro). Zuschläge erhielten die Länder Berlin (3,5 Mrd. Euro; 2019: 3,6 Mrd. Euro), Sachsen (2,7 Mrd. Euro; 2019: 3,8 Mrd. Euro), Sachsen-Anhalt (1,6 Mrd. Euro; 2019: 2,3 Mrd. Euro), Thüringen (1,6 Mrd. Euro; 2019: 2,2 Mrd. Euro), Niedersachsen (1,5 Mrd. Euro; 2019: 1,6 Mrd. Euro), Mecklenburg-Vorpommern (1,2 Mrd. Euro; 2019: 1,7 Mrd. Euro), Brandenburg (1,1 Mrd. Euro; 2019: 1,6 Mrd. Euro), Bremen (0,7 Mrd. Euro; 2019: 0,9 Mrd. Euro), das Saarland (0,4 Mrd. Euro; 2019: 0,6 Mrd. Euro), Rheinland-Pfalz (0,3 Mrd. Euro; 2019: 0,2 Mrd. Euro) und Schleswig-Holstein (0,2 Mrd. Euro; 2019: 0,3 Mrd. Euro).8 2.4. Bundesergänzungszuweisungen Nach § 11 Abs. 1 FAG gewährt der Bund aus seinen Mitteln leistungsschwachen Ländern Bundesergänzungszuweisungen zur ergänzenden Deckung ihres allgemeinen Finanzbedarfs sowie zum Ausgleich von Sonderlasten nach Maßgabe der Absätze 2 bis 6.9 Die Bundesergänzungszuweisungen beliefen sich im Jahr 2020 auf 8 Mrd. Euro, die Sonderbedarfs -Bundesergänzungszuweisungen betrugen rund 0,9 Mrd. Euro.10 Unter Berücksichtigung aller Ausgleiche und Zuweisungen erreichten oder überschritten einige Länder sogar ihre Ausgleichsmesszahlen (Sachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern ), ein Ergebnis, das nach dem bis 2019 geltenden Finanzausgleich nicht möglich war und auf die Bundesergänzungszuweisungen zurückgeht; dadurch kann sich auch die Finanzkraftreihenfolge unter den Ländern verändern.11 3. Vorgaben des Grundgesetzes und des Maßstäbegesetzes Das FAG setzt Vorgaben des GG und des MaßstG um. 3.1. Vorgaben des Grundgesetzes 3.1.1. Verteilung der Gemeinschaftsteuern Die Verteilung der aufkommensstarken Gemeinschaftsteuern ist in Art. 106 Abs. 3 GG geregelt. Dieser lautet auszugsweise (Hervorhebungen nur hier): 7 Bundesministerium der Finanzen, Monatsbericht März 2021, S. 23. 8 Bundesministerium der Finanzen, Monatsbericht März 2021, S. 23. 9 Dazu näher Bundesministerium der Finanzen, Bund-Länder-Finanzbeziehungen auf der Grundlage der Finanzverfassung , 2020, S. 43; Lenk/Glinka, ZöR 73 (2018), 831, 837 ff. 10 Bundesministerium der Finanzen, Monatsbericht März 2021, S. 20. 11 Bundesministerium der Finanzen, Monatsbericht März 2021, S. 24. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 056/21 Seite 7 Das Aufkommen der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer und der Umsatzsteuer steht dem Bund und den Ländern gemeinsam zu (Gemeinschaftsteuern), soweit das Aufkommen der Einkommensteuer nicht nach Absatz 5 und das Aufkommen der Umsatzsteuer nicht nach Absatz 5a den Gemeinden zugewiesen wird. […] Die Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer werden durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, festgesetzt . Bei der Festsetzung ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: 1. Im Rahmen der laufenden Einnahmen haben der Bund und die Länder gleichmäßig Anspruch auf Deckung ihrer notwendigen Ausgaben. Dabei ist der Umfang der Ausgaben unter Berücksichtigung einer mehrjährigen Finanzplanung zu ermitteln. 2. Die Deckungsbedürfnisse des Bundes und der Länder sind so aufeinander abzustimmen, daß ein billiger Ausgleich erzielt, eine Überbelastung der Steuerpflichtigen vermieden und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt wird. […] Art. 106 Abs. 4 GG lautet (Hervorhebungen nur hier): Die Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer sind neu festzusetzen, wenn sich das Verhältnis zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Bundes und der Länder wesentlich anders entwickelt; […]. Werden den Ländern durch Bundesgesetz zusätzliche Ausgaben auferlegt oder Einnahmen entzogen, so kann die Mehrbelastung durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, auch mit Finanzzuweisungen des Bundes ausgeglichen werden, wenn sie auf einen kurzen Zeitraum begrenzt ist. In dem Gesetz sind die Grundsätze für die Bemessung dieser Finanzzuweisungen und für ihre Verteilung auf die Länder zu bestimmen . Nach Art. 106 Abs. 5a GG erhalten die Gemeinden seit 1998 einen Anteil an dem Aufkommen der Umsatzsteuer. 3.1.2. Verteilung der Umsatzsteuer auf die Länder Die Aufteilung der Umsatzsteuer auf die Länder einschließlich eines Finanzkraftausgleichs zwischen den Ländern ist in Art. 107 GG geregelt. Nach Art. 107 Abs. 1 Satz 4 GG steht der Länderanteil am Aufkommen der Umsatzsteuer den einzelnen Ländern, vorbehaltlich der Regelungen nach Abs. 2, nach Maßgabe ihrer Einwohnerzahl zu. Art. 107 Abs. 2 GG lautet (Hervorhebung nur hier): Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, ist sicherzustellen, dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird; hierbei sind die Finanzkraft und der Finanzbedarf der Gemeinden (Gemeindeverbände) zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind in dem Gesetz Zuschläge zu und Abschläge von der jeweiligen Finanzkraft bei der Verteilung der Länderanteile am Aufkommen der Umsatzsteuer zu regeln. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Zuschlägen und für die Erhebung von Abschlägen sowie die Maßstäbe für die Höhe dieser Zuschläge und Abschläge sind in dem Gesetz zu bestimmen. […] Das Gesetz kann auch bestimmen, dass der Bund aus seinen Mitteln leistungsschwachen Ländern Zuweisungen zur ergänzenden Deckung ihres allgemeinen Finanz- Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 056/21 Seite 8 bedarfs (Ergänzungszuweisungen) gewährt. Zuweisungen können unabhängig von den Maßstäben nach den Sätzen 1 bis 3 auch solchen leistungsschwachen Ländern gewährt werden, deren Gemeinden (Gemeindeverbände) eine besonders geringe Steuerkraft aufweisen (Gemeindesteuerkraftzuweisungen ), sowie außerdem solchen leistungsschwachen Ländern, deren Anteile an den Fördermitteln nach Artikel 91b ihre Einwohneranteile unterschreiten. 3.2. Vorgaben des Maßstäbegesetzes Zwischen dem Grundgesetz und der Umsetzung im FAG steht das Maßstäbegesetz (MaßstG)12, das die verfassungsrechtlichen Vorgaben konkretisieren und Maßstäbe für die konkrete Steuerverteilung durch das FAG setzen soll. § 1 Abs. 1 MaßstG lautet (Hervorhebungen nur hier): Dieses Gesetz benennt Maßstäbe für die Festsetzung der Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer (vertikale Umsatzsteuerverteilung) nach Artikel 106 Absatz 3 Satz 4 und Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes, für die Festsetzung der Anteile der einzelnen Länder an dem den Ländern insgesamt zustehenden Anteil an der Umsatzsteuer und für den Finanzkraftausgleich (horizontale Umsatzsteuerverteilung) nach Artikel 107 Absatz 1 Satz 4 und Absatz 2 Satz 1 bis 4 des Grundgesetzes sowie für die Gewährung von Zuweisungen nach Artikel 107 Absatz 2 Satz 5 und 6 des Grundgesetzes. (Hervorhebung nur hier) Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 MaßstG konkretisieren die Maßstäbe die in Absatz 1 genannten Normen des Grundgesetzes und stellen sicher, dass Bund und Länder die verfassungsrechtlich vorgegebenen Ausgangstatbestände in gleicher Weise interpretieren. Nach § 2 Abs. 1 MaßstG dient das Finanzausgleichsgesetz der Ableitung der konkreten jährlichen Zuteilungsfolgen im Regelungsbereich des § 1 Abs. 1 MaßstG. Nach § 4 Abs. 1 MaßstG13 wird die vertikale Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern auf der Grundlage des Deckungsquotenprinzips festgesetzt. § 5 MaßStG legt Grundsätze für die horizontale Umsatzsteuerverteilung unter den Ländern fest. Nach § 5 Abs. 1 MaßStG ist der Länderanteil am Aufkommen der Umsatzsteuer grundsätzlich so auf die Länder zu verteilen, dass auf jeden Einwohner der gleiche Anteil entfällt. § 5 Abs. 2 MaßStG lautet (Hervorhebung nur hier): Abweichend hiervon ist durch einen angemessenen Ausgleich der Finanzkraft sicherzustellen , dass die unterschiedlichen Finanzkraftverhältnisse in den Ländern einander angenähert werden. Dabei sind die Eigenstaatlichkeit der Länder einerseits und ihre Einbindung in die bundesstaatliche Solidargemeinschaft andererseits zu berücksichtigen. Ländern mit unterdurchschnittlicher Finanzkraft werden Zuschläge gewährt, die ihre Finanzkraft erhöhen; von 12 Gesetz über verfassungskonkretisierende allgemeine Maßstäbe für die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens, für den Finanzkraftausgleich sowie für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen (Maßstäbegesetz - MaßstG), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 17.12.2018, BGBl. I 2018, 2522. 13 Zur Kritik daran siehe Seiler, in: Maunz/Dürig, 93. EL Oktober 2020, GG Art. 106 Rn. 155 („noch unbestimmter als der Verfassungstext“). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 056/21 Seite 9 Ländern mit überdurchschnittlicher Finanzkraft werden Abschläge erhoben, die ihre Finanzkraft verringern. 4. Einordnung des Finanzausgleichsgesetzes in das System des Finanzausgleichs Die Begründung des FAG ergibt sich aus seiner Funktion im System des bundesstaatlichen Finanzausgleichs . Die Frage, welche bundesstaatliche Ebene welche Geldmittel erhält (Einnahmenverteilung ) ist die dritte der finanzverteilungsrechtlichen Leitfragen im Anschluss an die Aufgabenverteilung und die Ausgabenverteilung.14 Die Steuerertragshoheit ist nach dem GG von der Steuergesetzgebungshoheit abgekoppelt.15 Das GG regelt die Verteilung der Steuereinnahmen nicht abschließend. Insbesondere bezüglich der Umsatzsteuer belässt es dem einfachen Gesetzgeber einen weiten Spielraum (dazu 3.1.). Das FAG ist ein – von Verfassungs wegen gefordertes – einfaches Bundesgesetz zur Ausgestaltung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern (vertikal) und zwischen den Ländern (horizontal). Ohne das FAG ist der bundesstaatliche Finanzausgleich nicht durchführbar. 4.1. Das System des Finanzausgleichs Die Bestimmungen über den Finanzausgleich wurden mit Wirkung ab 2020 grundlegend reformiert . Die entsprechenden Gesetzesänderungen wurden bereits im Jahr 2017 beschlossen.16 Dadurch wurden der Länderfinanzausgleich in seiner bisherigen Form und der Umsatzsteuervorwegausgleich abgeschafft (zur Entwicklung siehe 5.). Der bundesstaatliche Finanzausgleich vollzieht sich nach wie vor dieser Reform 2017 in vier Stufen .17 Für alle vier Stufen hat das FAG Bedeutung. Im Anschluss an die primäre vertikale (dazu nachfolgend 4.2.) und die primäre horizontale (dazu 4.3.) Verteilung des Steueraufkommens verlangt Art. 107 Abs. 2 GG einen sekundären Finanzausgleich, zum einen horizontal unter den Ländern (dazu 4.4.), zum anderen vertikal durch Zuweisungen des Bundes an die Länder (dazu 4.5.). 4.2. Primärer vertikaler Finanzausgleich (erste Stufe) In einem ersten Schritt erfolgt die grundlegende Zuteilung des Steueraufkommens an den Bund und an die Gesamtheit der Länder. Dabei sieht das GG keine proportionale Zuteilung des gesamten Steueraufkommens vor, sondern weist das Steueraufkommen getrennt nach Steuerarten zu. Die Bundes-, Landes- und Gemeindesteuern werden nach diesem Trennsystem den jeweiligen Ebenen zugeordnet. Für die Gemeinschaftsteuern (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und 14 Kempny, ZöR 73 (2018), 855, 859. 15 Dazu Kempny, ZöR 73 (2018), 855, 860. 16 BGBl. I 2017, 2347. 17 Siehe zu dem Folgenden Tappe/Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 2019, Rn. 324 ff. Bei formaler Betrachtung handelt es sich zwar nur noch um drei Stufen, in materieller Hinsicht jedoch nach wie vor um vier Stufen, a.a.O. Rn. 323. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 056/21 Seite 10 Umsatzsteuer) gilt dagegen das Verbundsystem, bei dem die Einnahmen mehreren Ebenen zufließen (zur Entwicklung siehe 5.). Die Aufteilung der Einkommen- und Körperschaftsteuer erfolgt dabei hälftig auf Bund und Länder (Art. 106 Abs. 3 Satz 2 GG). Die Aufteilung der Umsatzsteuer erfolgt durch Bundesgesetz und ist daher verfassungsrechtlich flexibel ausgestaltet. Infolgedessen verändern sich die Anteile von Bund, Ländern und Gemeinden an der Umsatzsteuer jährlich.18 Die Regeln über die Umsatzsteuerverteilung sind also von vornherein auf eine häufige Neufestsetzung angelegt und entsprechen damit dem Bedürfnis von Bund und Ländern nach einer beweglichen Stellschraube für die Verteilung des Steueraufkommens.19 Materiell hat die Umsatzsteueraufteilung nach dem Grundsatz der gleichmäßigen Deckung der notwendigen Ausgaben beim Bund und den Ländern zu erfolgen (Deckungsquotenprinzip). Die Deckungsquote ist das rechnerische Verhältnis von Einnahmen (ohne Einnahmen aus Krediten) zu den Ausgaben (ohne Ausgaben für Tilgungen), wobei auf Landesebene die Kommunen einbezogen werden.20 Dem primären vertikalen Finanzausgleich des Umsatzsteueraufkommens dient § 1 FAG (dazu 2.1.). Für die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer ist eine solche Regelung aufgrund der konkreten Vorgaben des GG nicht erforderlich. 4.3. Primärer horizontaler Finanzausgleich (zweite Stufe) Nach der Aufteilung des Steueraufkommens zwischen dem Bund und der Gesamtheit der Länder muss eine Aufteilung auf die einzelnen Länder erfolgen. Nach Art. 107 Abs. 1 Satz 1 GG richtet sich die Verteilung des Aufkommens der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer nach dem Ort der Vereinnahmung (örtliches Aufkommen). Die Aufteilung der Umsatzsteuer hingegen erfolgt über das Kriterium der Einwohnerzahl (Art. 107 Abs. 1 Satz 4 GG). Die Verteilung nach der Einwohnerzahl rechtfertigt sich auch aus der besonderen Erhebungstechnik der Umsatzsteuer , die vielfach nicht dort vereinnahmt wird, wo sie wirtschaftlich durch die Endverbraucher erbracht wird; zugleich wird damit ein abstrakter Bedarfsmaßstab (gleichmäßige Pro-Kopf-Versorgung ) in die Verteilung eingeführt.21 Dem primären horizontalen Finanzausgleich des Umsatzsteueraufkommens dient § 2 FAG (dazu 2.2.). 18 Siehe Überblick von 1995 bis 2019 bei Bundesministerium der Finanzen, Bund-Länder-Finanzbeziehungen auf der Grundlage der Finanzverfassung, 2020, S. 17. 19 Kempny/Reimer, Neuordnung der Finanzbeziehungen – Aufgabengerechte Finanzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen, Gutachten D zum 70. Deutschen Juristentag, 2014, S. 51. 20 Bundesministerium der Finanzen, Bund-Länder-Finanzbeziehungen auf der Grundlage der Finanzverfassung, 2020, S. 40, dort S. 41 zur Entwicklung der Deckungsquote von Bund und Ländern von 2005 bis 2019. 21 So BVerfG, Urteil vom 24.6.1986, 2 BvF 1/83 u.a., NJW 1986, 2629, 2630. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 056/21 Seite 11 4.4. Sekundärer horizontaler Finanzausgleich (dritte Stufe) Der durch Art. 107 Abs. 2 GG zwingende sekundäre Finanzausgleich dient der Korrektur der Ergebnisse der primären Steuerverteilung, soweit diese unter Berücksichtigung der Eigenstaatlichkeit der Länder aus dem Gedanken des bündischen Einstehens füreinander unangemessen erscheinen , insbesondere um die Erfüllung der verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben in allen Ländern zu gewährleisten.22 Er beruht auf dem Prinzip des bundesstaatlichen Einstehens füreinander und hat die angemessene Mitte zwischen bundesstaatlicher Autonomie und bundesstaatlicher Solidarität zu finden.23 Dem sekundären horizontalen Finanzausgleich dienen §§ 4 bis 10 FAG (dazu 2.3.). Nach der 2017 beschlossenen Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen erfolgt der sekundäre horizontale Finanzausgleich zur Angleichung der Finanzkraftunterschiede der Länder über Zu- und Abschläge bei der Umsatzsteuerverteilung. Materiell kommt es damit weiterhin zu einer Umverteilung des originären Steueraufkommens unter den Ländern.24 Art. 107 Abs. 2 GG und das konkretisierende Gesetzesrecht regeln den sekundären Finanzausgleich abschließend. Ergänzende Ausgleichsregelungen , auch in Gestalt freiwilliger Vereinbarungen zwischen den Ländern, sind unzulässig .25 4.5. Sekundärer vertikaler Finanzausgleich (vierte Stufe) Abschließend sieht Art. 107 Abs. 2 Satz 5 und 6 GG die Möglichkeit von Ergänzungszuweisungen des Bundes an leistungsschwache Länder vor. Ihre Zuteilung liegt im Ermessen des Bundesgesetzgebers , das sich zu einer Pflicht verdichten kann.26 Es lassen sich vier Arten von Bundesergänzungszuweisungen unterscheiden: allgemeine Bundesergänzungszuweisungen, Sonderbedarfs -Bundesergänzungszuweisungen, Gemeindesteuerkraftzuweisungen und Zuweisungen zum durchschnittsorientierten Forschungsförderausgleich.27 Mit den letzten beiden Arten wurden durch die Reform 2017 neue Kategorien von Bundesleistungen geschaffen, zum einen zum Ausgleich einer besonders ausgeprägten kommunalen Steuerkraftschwäche, zum anderen an der Verteilungsstruktur der Forschungsförderung nach Artikel 91b GG orientierte Bundesleistungen.28 Dem sekundären vertikalen Finanzausgleich dient § 11 FAG (dazu 2.4.). 22 So unter Hinweis auf das BVerfG Kube, in: BeckOK GG, 46. Ed. 15.2.2021, GG Art. 107 Rn. 11. 23 So unter Hinweis auf das BVerfG Kube, in: BeckOK GG, 46. Ed. 15.2.2021, GG Art. 107 Rn. 12. 24 Tappe/Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 2019, Rn. 328. 25 Kube, in: BeckOK GG, 46. Ed. 15.2.2021, GG Art. 107 Rn. 14. 26 Tappe/Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 2019, Rn. 393. 27 Dazu Tappe/Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 2019, Rn. 395 ff. 28 Siehe Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 13.2.2017, BT-Drs. 18/11131, S. 18. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 056/21 Seite 12 5. Entstehung und Entwicklung des Finanzausgleichs Das GG sah in seiner ursprünglichen Fassung von 1949 eine Aufteilung der Steuereinnahmen nach dem Trennsystem (dazu 4.2.) vor. Die Umsatzsteuer stand dem Bund, die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer standen den Ländern zu.29 Eine dem heutigen § 1 FAG entsprechende vertikale Aufteilung der Einnahmen aus einer Steuerart war daher nicht erforderlich. Durch die Reform 1955 wurde für die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer ein Verbundsystem geschaffen. Der Bund wurde zu einem Drittel (ab 1958 zu 35 %) daran beteiligt.30 Zudem wurde ein horizontaler Länderfinanzausgleich eingeführt, der zu direkten Zahlungen zwischen den Ländern führte, ein System, das bis 2019 fortgeführt wurde.31 Die Reform 1969 bezog die Umsatzsteuer in das Verbundsystem ein, so dass erstmals die Länder daran beteiligt wurden. Die Verteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern sollte ein flexibles Instrument sein, um auf unterschiedliche Lastenverteilungen zu reagieren (Scharnierfunktion ).32 Im Zuge der Reform 1969 wurden neben dieser Schaffung des „großen Steuerverbundes “ (unter Einschluss der Umsatzsteuer) detaillierte Regelungen der bis dahin nur grob bestimmten Steuerverteilung eingeführt, so Regelungen zur Zerlegung des Steueraufkommens auf die Länder, ein Umsatzsteuervorwegausgleich zwischen den Ländern im Rahmen der Umsatzsteuerzuordnung und zusätzliche Bestimmungen zu Bundesergänzungszuweisungen.33 Korioth bewertet die Reform 1969 als institutionelle Verfestigung des „kooperativen Föderalismus“ im Finanzverfassungsrecht.34 Die Regelungen der Reform 1969 dienten allesamt der Verminderung und Beseitigung bestimmter gesellschaftlicher oder regionaler Differenzen und Defizite.35 Die Struktur dieses Ausgleichssystems einschließlich des horizontalen Länderfinanzausgleichs blieb bis 2019 in „bemerkenswerter struktureller Konstanz“ bestehen und ermöglichte so auch die Integration der neuen Länder in das System ab 1995.36 Der bis 2019 durchgeführte Ausgleich der unterschiedlichen Finanzkraft der Länder (Länderfinanzausgleich ; sekundärer horizontaler Finanzausgleich) sah Ausgleichsverbindlichkeiten und Zahlungen der Geberländer und Ausgleichsansprüche und Einnahmen der Empfängerländer vor, 29 Seiler, in: Maunz/Dürig, 93. EL Oktober 2020, GG Art. 106 Rn. 25. 30 Lenk/Glinka, ZöR 73 (2018), 831, 834. 31 Vgl. Lenk/Glinka, ZöR 73 (2018), 831, 834. 32 Vgl. Lenk/Glinka, ZöR 73 (2018), 831, 834. 33 Vgl. Lenk/Glinka, ZöR 73 (2018), 831, 835 (Reform von „historischem Ausmaß“). 34 Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 430. 35 So Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 430. 36 Lenk/Glinka, ZöR 73 (2018), 831, 835. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 056/21 Seite 13 die in den jeweiligen Landeshaushalten auszuweisen waren.37 Damit mussten finanzkraftstarke Länder mit eigenen Mitteln für andere Länder unmittelbar und sichtbar einstehen.38 Durch die Reform 2017 mit Wirkung ab 202039 ist diese Art des Länderfinanzausgleichs (im engeren Sinne) entfallen. Während sich die Berechnung des Ausgleichs zwischen den Ländern nicht wesentlich geändert hat, wird der Länderfinanzausgleich seit 2020 technisch in die Umsatzsteuerverteilung einbezogen (dazu 2.3.). Das Bundesministerium der Finanzen spricht daher von einer „Umdeklarierung“.40 Folglich muss kein Land mehr direkte Zahlungen an die anderen Länder leisten und in seinem Haushalt ausweisen; vielmehr treten die zum Ausgleich bestimmten Mittel bereits nicht mehr als Einnahmen in Erscheinung.41 Der Finanzkraftausgleich zwischen den Ländern wird dadurch nicht abgeschafft, sondern verdeckt, so dass Kempny der Änderung „kosmetische Züge“ bescheinigt.42 Dennoch bezeichnen Lenk/Glinka die Reform 2017 als „vollständige Abkehr“ von dem bisherigen Ausgleichssystem und beziehen sich dabei vor allem auf die Abschaffung des direkten Länderfinanzausgleichs sowie des Umsatzsteuervorwegausgleichs ab 2020, also zwei Aspekte des horizontalen Finanzausgleichs.43 Demgegenüber ist der in § 1 FAG geregelte vertikale Finanzausgleich die Umsatzsteuereinnahmen betreffend durch die Reform 2017 zwar ebenfalls geändert worden, entspricht allerdings weiterhin der bisherigen Systematik der flexiblen prozentualen Verteilung des Aufkommens auf Bund, Länder und Gemeinden. Ein jährlich schwankendes Umsatzsteueraufkommen sowie die in § 1 Abs. 2 FAG vorgesehenen betragsmäßigen Anpassungen führen im Ergebnis dazu, dass sich der tatsächliche prozentuale Anteil von Bund, Ländern und Gemeinden am Umsatzsteueraufkommen in jedem Jahr anders darstellt. Insgesamt führt die Reform 2017 zu einem erheblichen Bedeutungsgewinn vertikaler Ausgleichsstufen zulasten der horizontalen Ausgleichsstufen.44 Dies betrifft vor allem die erweiterten Bundesergänzungszuweisungen (dazu 2.4.). 37 Vgl. Bundesministerium der Finanzen, Monatsbericht März 2021, S. 21. 38 So Lenk/Glinka, ZöR 73 (2018), 831, 836. 39 Vgl. dazu Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung „Vereinbarkeit der Bund-Länder -Finanzreform mit dem Bundesstaatsprinzip“, WD 4 – 3000 - 060/17, S. 5 ff. Zum Finanzausgleich in der Fassung bis 2019 siehe Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung „Einzelfragen zum Länderfinanzausgleich“, WD 4 – 3000 - 095/16, S. 4 ff. 40 Bundesministerium der Finanzen, Monatsbericht März 2021, S. 21. 41 Kempny, ZöR 73 (2018), 855, 865. 42 Kempny, ZöR 73 (2018), 855, 866. Von „technischer bzw. formeller Natur“ der Änderung sprechen Tappe/Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 2019, Rn. 367. 43 Lenk/Glinka, ZöR 73 (2018), 831, 836. 44 Dazu näher Lenk/Glinka, ZöR 73 (2018), 831, 837. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 056/21 Seite 14 6. Verfassungsrechtliche Bewertung des Finanzausgleichsgesetzes Für den bundesstaatlichen Finanzausgleich ergibt sich aus dem GG45 ein verfassungsrechtlich normiertes Gefüge, das in sich beweglich und anpassungsfähig ist, dessen einzelne Stufen aber nicht beliebig ausgewechselt oder übersprungen werden können.46 Die verfassungsrechtlichen Vorgaben belassen dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum und ermöglichen ihm mit der flexiblen Umsatzsteuerverteilung die Feinsteuerung des Finanzausgleichs.47 Allerdings sind bereits die in Art. 106 GG formulierten Maßstäbe für die Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern inhaltsleer .48 Leitlinien des Finanzausgleichs sind nach der Rechtsprechung des BVerfG, dass Bund und Länder in die Lage versetzt werden müssen, die ihnen zukommenden Aufgaben erfüllen zu können und dabei ein richtiges Verhältnis zwischen Selbständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Bewahrung der Individualität der Länder auf der einen und solidargemeinschaftlicher Mitverantwortung für die Existenz und Eigenständigkeit der Bundesgenossen auf der anderen Seite gefunden wird.49 Die Verpflichtung zum horizontalen Finanzausgleich folgt aus dem bündischen Prinzip des Einstehens füreinander, das nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten begründet, darunter dass die finanzstärkeren Länder den schwächeren Ländern in gewissen Grenzen Hilfe zu leisten haben. Aus dieser Pflichtbeziehung ergibt sich notwendigerweise eine gewisse Beschränkung der finanziellen Selbständigkeit der Länder.50 Das GG gibt dem Gesetzgeber auf, die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die bundesstaatliche Steueraufteilung soweit erforderlich zu konkretisieren und zu ergänzen. Dies gilt nach wie vor der Reform 2017 insbesondere für die Maßstäbe bei der Umsatzsteuerverteilung zwischen dem Bund und der Gesamtheit der Länder, für die Voraussetzungen und die Höhe des sekundären horizontalen Ausgleichs unter den Ländern sowie für die Benennung und Begründung der Bundesergänzungszuweisungen .51 Dazu muss der Gesetzgeber in einem ersten Schritt die verfassungsrechtlichen Grundsätze inhaltlich verdeutlichen und seine verfassungskonkretisierenden Maßstäbe der Zuteilung und des Ausgleichs tatbestandlich benennen. Sodann hat er aus diesen Maßstäben die konkreten finanzrechtlichen Folgerungen für die jeweilige Ertragshoheit, Zuweisungsbefugnis und Empfangsberechtigung, Ausgleichsberechtigung und Ausgleichsverpflichtung zu 45 Zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Finanzausgleich siehe auch Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung „Einzelfragen zum Länderfinanzausgleich“, WD 4 – 3000 - 095/16, S. 4 ff. 46 BVerfG, Urteil vom 11.11.1999, 2 BvF 2/98 u.a., BVerfGE 101, 158, 214. 47 Seiler, in: Maunz/Dürig, 93. EL Oktober 2020, GG Art. 106 Rn. 147. 48 Seiler, in: Maunz/Dürig, 93. EL Oktober 2020, GG Art. 106 Rn. 149. 49 BVerfG, Urteil vom 24.6.1986, 2 BvF 1/83 u.a., NJW 1986, 2629, 2630, 2633. 50 So BVerfG, Urteil vom 24.6.1986, 2 BvF 1/83 u.a., NJW 1986, 2629, 2630, 2633. 51 Vgl. BVerfG, Urteil vom 11.11.1999, 2 BvF 2/98 u.a., BVerfGE 101, 158, 214 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 056/21 Seite 15 ziehen.52 Daraus ergibt sich ein zweistufiges Gesetzgebungsverfahren. Im Anschluss an das Maßst G (dazu 3.2.) erfolgt die konkrete Ausgestaltung durch das FAG (dazu 2.). Aus dem MaßstG folgt nach der Rechtsprechung des BVerfG eine Bindungswirkung für zeitlich nachfolgende, gegenwartsnahe und detailorientierte Gesetze über die Aufteilung.53 Die praktische Relevanz des MaßstG ist allerdings gering, die Ableitung von Maßstäben daraus für das FAG gelingt nicht.54 Nach Auffassung von Seiler55 wird § 1 FAG dem verfassungsrechtlichen Anspruch in der Art und Weise seiner Bemessung nicht gerecht. Aus dem Gesetzeswortlaut oder der zugehörigen Begründung lasse sich die Ermittlung der in § 1 FAG enthaltenen Werte nicht nachvollziehen; das Deckungsquotenprinzip des § 4 Abs. 1 MaßstG werde nicht umgesetzt. Zwar erkennt Seiler in der festen Aufteilung einen „gewisse(n) Fortschritt“ gegenüber der zuvor bis 2019 geltenden unübersichtlichen Fassung, geht aber davon aus, der Gesetzgeber sei seinem Verfassungsauftrag zur Ermittlung der notwendigen Bedarfe von Bund und Ländern nach Maßgabe einer mehrjährigen Finanzplanung damit nicht hinreichend nachgekommen, so dass § 1 FAG verfassungswidrig sei. Dies schließe aber nicht aus, dass die aufgrund von § 1 FAG angeordnete Verteilung dem verfassungsrechtlichen Anspruch im zahlenmäßigen Ergebnis entspreche.56 * * * 52 So BVerfG, Urteil vom 11.11.1999, 2 BvF 2/98 u.a., BVerfGE 101, 158, 216. 53 Dazu Seiler, in: Maunz/Dürig, 93. EL Oktober 2020, GG Art. 106 Rn. 45, 49 (mehrstufiges legislatives Verfahren). 54 Tappe/Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 2019, Rn. 343 ff., die das Konzept der Maßstabsgesetzgebung auch verfassungsrechtlich für kaum begründbar halten. 55 Seiler, in: Maunz/Dürig, 93. EL Oktober 2020, GG Art. 106 Rn. 156 f. 56 Seiler, in: Maunz/Dürig, 93. EL Oktober 2020, GG Art. 106 Rn. 156.