© 2018 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 056/18 Familiensplitting Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 056/18 Seite 2 Familiensplitting Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 056/18 Abschluss der Arbeit: 03. April 2018 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 056/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Vorbemerkungen 4 3. Familiensplitting: Argumente dafür und dagegen 5 4. Wie ist das französische Familiensplitting-Modell ausgestaltet? Ist es effektiv (Förderung Mehrkindfamilie)? Inwieweit ist es auf Deutschland übertragbar? Wie hoch wären die Aufkommens- und Verteilungswirkungen in Deutschland? 6 5. Wie ist das geplante österreichische Familienbonus- Modell ausgestaltet? Ist es effektiv (Förderung Mehrkindfamilie)? Inwieweit ist es auf Deutschland übertragbar? Wie hoch wären die Aufkommens- und Verteilungswirkungen in Deutschland? 9 6. Welche Modelle eines Familiensplittings bzw. einer steuerlichen Förderung von Familien existieren unabhängig von Ehegattensplitting, Kinderfreibetrag und Kindergeld? Welche waren davon schon für Deutschland im Gespräch? Wie unterscheiden sich diese Modelle hinsichtlich ihrer Aufkommens- und Verteilungswirkung? 11 7. In einer Kleinen Anfrage von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Bundestags-Drucksache 18/7212) werden die finanziellen Auswirkungen von Vorschlägen zur Reformen des Ehegattensplittings erfragt. In Anlehnung daran: Welche steuerlichen Belastungen bzw. Entlastungen entstehen bezogen auf die unterschiedlichen Splittingversionen für Familien mit einem Einkommen von 20.000 Euro, 40.000 Euro und 80.000 Euro? Wie verändern sich die steuerlichen Belastungen bzw. Entlastungen bei einem, zwei, drei oder vier Kindern? Welche Unterschiede ergäben sich für Alleinerziehende und Ehen? Bitte graphische Darstellung. Wie sind die Wechselwirkungen mit dem Kinderfreibetrag und dem Kindergeld? 12 8. Warum wurde das Projekt Familiensplitting von der CDU/CSU nicht weiter verfolgt? 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 056/18 Seite 4 1. Fragestellung Im Folgenden werden, wie vom Auftraggeber erbeten, verschiedene Fragen zum Thema Familiensplitting beantwortet. Ein Schwerpunkt der Fragen des Auftraggebers bildet die Anwendbarkeit eines solchen Modells beziehungsweise die Übertragung bestehender Modelle, zum Beispiel des französischen Familiensplitting, auf Deutschland. Die Wirksamkeit des Familiensplittings soll an der effektiven Förderung der Mehrkindfamilie festgemacht werden. 2. Vorbemerkungen Das Familiensplitting bezeichnet ein Verfahren der einkommensteuerlichen Veranlagung von Familien mit Kindern. Ähnlich dem Ehegattensplitting erfolgt beim Familientarifsplitting eine steuerliche Zusammenveranlagung von Ehepartnern, allerdings werden zusätzlich kindergeldberechtigte Kinder berücksichtigt. Das zu versteuernde Einkommen wird also nicht durch zwei geteilt, sondern durch einen Divisor, der größer ist als zwei und sich nach der Anzahl der Kinder richtet .1 Bei Überlegungen der Übertragbarkeit solcher Modelle in Deutschland müssen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) eine zentrale Rolle spielen: Bei der Besteuerung der Familie muss das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben. Die Untergrenze für das steuerrechtliche Existenzminimum bilden die sozialrechtlich festgelegten Mindestbedarfe . Zusätzlich sind die „vertikale“ und die „horizontale“ Steuergerechtigkeit zu erfüllen. In vertikaler Richtung muss die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen. In horizontaler Richtung muss darauf abgezielt werden, dass Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch besteuert werden.2 Im Folgenden wird zur Beurteilung der Wirksamkeit nur eine eventuelle steuerliche Entlastung von Mehrkindfamilien herangezogen.3 1 Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Glossar: Familiensplitting, unter: https://www.diw.de/de/diw_01.c.433515.de/presse/glossar/familiensplitting.html, abgerufen am 20. März 2018. 2 BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990, 1 BvL 20/84, Randnummern 99 und 112 in der Fassung von juris. 3 Zu nicht steuerlichen Förderungen vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Zukunftsrat Familie: Mehrkindfamilien in Deutschland, 15. Juli 2014, unter: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service /publikationen/mehrkindfamilien-in-deutschland/75482. Anger, Christina; Geis, Wido; Plünnecke, Axel (Institut der deutschen Wirtschaft): Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Mehrkindfamilien in Deutschland. Gutachten im Auftrag des Verbands Kinderreicher Familien Deutschland e.V., 7. September 2017, unter: https://www.iwkoeln.de/studien/gutachten/beitrag/christina-anger-wido-geis-axel-pluennecke-die-volkswirtschaftliche -bedeutung-der-mehrkindfamilien-in-deutschland-360395.html, beides abgerufen am 26. März 2018. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 056/18 Seite 5 3. Familiensplitting: Argumente dafür und dagegen Bezüglich des Familiensplittings findet keine umfassende wissenschaftliche Diskussion statt, stattdessen existieren Stellungnahmen von verschiedenen Fachrichtungen (Finanzen, Familie, oder Soziales), die jedoch unterschiedliche Ziele eines Familiensplittings begutachten. Aus diesen Gründen können sich die nachfolgend zusammengestellten Vor- und Nachteile auch durchaus widersprechen: – Durch die progressive Einkommensteuer entsteht beim Teilen des Einkommens ein steuerlicher Vorteil (Splittingvorteil), der umso größer ist, je höher der Divisor ist.4 – Die Steuerausfälle wären deshalb hoch, ein Familienvollsplitting wäre nicht zu finanzieren .5 – Ein Familienvollsplitting, bei dem alle Personen im Haushalt mit dem Faktor 1 gewichtet würden, das das aktuelle System aus Zusammenveranlagung, Ehegattensplitting, Kindergeld und Kinderfreibetrag ersetzt und zusätzlich auch Alleinerziehenden gewährt würde, führe zu Steuermehreinnahmen in Höhe von 3.190 Mio. Euro.6 – Einkommensschwache Familien, die aufgrund ihres geringen Einkommens keine Steuern zahlen, können nicht vom Familiensplitting profitieren.7 – Das (französische) Familiensplitting ist oft Spielball von politischen Entscheidungen und kann zu jährlichen Schwankungen des Kindervorteils führen.8 – Einkommenssplitting (generell) überlässt den Ehepartner die Entscheidungsfreiheit über die Verteilung der Erwerbsarbeit.9 4 Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Glossar: Familiensplitting, unter: https://www.diw.de/de/diw_01.c.433515.de/presse/glossar/familiensplitting.html, abgerufen am 20. März 2018. 5 Kirchhof, Gregor: Vom Kind aus denken – zur notwendig mittelbaren Familienpolitik, dem Familiensplitting und der sog. Grundsicherung für Kinder, in: Stimme der Familie 64 (2017) 6, Seite9ff, hier Seite 12. 6 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 07. Januar 2016, Bundestags-Drucksache 18/7812. 7 Ahner, Romy; Possinger, Johanna: Ehegattensplitting, Familiensplitting, faktisches Familiensplitting?, in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge (NDV), Oktober 2013, Seite 433ff., hier Seite 437. 8 O. V.: Familiensplitting à la français?, in: Der Steuerzahler 04/13, Seite 96. 9 Warneke, Matthias: Wie berechtigt ist die Kritik am Ehegattensplitting? Deutsches Steuerzahlerinstitut des Bundes der Steuerzahler, in: DSi kompakt Nr. 22, 29. Februar 2016. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 056/18 Seite 6 – Generell haben alle Splittingmodelle den Nachteil, dass sie dem familienpolitischen Ziel der Vereinbarkeit von Beruf und Familie entgegenwirken.10 – Die Steuerberechnung (Teilung des Einkommens durch mehrere Teile, Ermittlung des Tarifs , Vervielfachung der Steuer) wird verkompliziert. Gegebenenfalls müsste noch eine Günstigerprüfung zwischen dem neuen Familienvollsplitting und dem bisherigen Ehegattensplitting inklusive Kindergeld beziehungsweise Kinderfreibetrag durchgeführt werden.11 – Familiensplitting kann zu einer Gleichheit vor dem Einkommensteuergesetz (EStG) führen, weil Familien in den Regeltatbeständen des EStG in ähnlicher Weise entlastet werden wie Familiengesellschaften.12 4. Wie ist das französische Familiensplitting-Modell ausgestaltet? Ist es effektiv (Förderung Mehrkindfamilie)? Inwieweit ist es auf Deutschland übertragbar? Wie hoch wären die Aufkommens- und Verteilungswirkungen in Deutschland? Das Familiensplitting in Frankreich ist in Artikel 194ff. Code général des impôts (Allgemeines Abgabengesetz)13 geregelt. Danach wird das zu versteuernde Einkommen einer Familie zur Berechnung der Einkommensteuer mithilfe eines Quotienten in gleich große Teile zerlegt. Der Quotient ist die Summe der Anteile („parts“), die sich, wie aus folgender Tabelle ersichtlich, aus der Familiensituation und der Anzahl der unterhaltsberechtigten14 Kinder ergeben. Anzahl der berücksichtigungsfähigen Kinder Zahl der zu berücksichtigen „parts“ bei Nichtverheirateten Zahl der zu berücksichtigen „parts“ bei Verheirateten 0 1 2 1 1,5 2,5 2 2 3 3 3 4 4 4 5 5 5 6 6 6 und so weiter, sprich 1 „part“ zusätzlich pro zusätzlichem Kind 10 Ochmann, Richard; Wrohlich, Katharina: Familiensplitting der CDU/CSU: Hohe Kosten bei geringer Entlastung für einkommensschwache Familien, in: DIW Wochenbericht Nr. 36.2013, unter: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.426851.de/13-36-1.pdf, abgerufen am 27. März 2018. 11 O. V.: Familiensplitting? in: Der Steuerzahler 04/16, Seite 82. 12 Kirchhof, Paul: Familiensplitting: Ein zukunftsweisendes Signal, in: Der Betrieb Nr. 09, 04. März 2016, Seite 51. 13 Abrufbar unter https://www.legifrance.gouv.fr/affichCodeArticle.do?cidTexte=LEGITEXT000006069577&idArticle =LEGIARTI000006308281&dateTexte=&categorieLien=cid 14 Der Quotient verringert sich, wenn die Kinder einem anderen Haushalt zugerechnet werden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 056/18 Seite 7 Nichtverheiratete erhalten zusätzlich einen halben „part“ für das erste Kind, wenn sie tatsächlich allein mit dem Kind leben und dessen Unterhalt sicherstellen. Der durch den Quotienten ermittelte Teil des zu versteuernden Einkommens wird dem Tarif in Artikel 197 des Code général des impôts unterworfen. Auf jeden Anteil, der 9.807 Euro übersteigt , werden nachstehende Prozentsätze angewandt: zu versteuerndes Einkommen in Euro Tarif ≤9.807 0 % > 9.807 ≤ 27.086 14 % > 27.068 ≤ 72.617 30 % > 72.617 ≤ 153.783 41 % > 153.783 45 % Die so ermittelte Steuer pro Anteil des zu versteuernden Einkommens wird mit dem Quotienten multipliziert und ergibt die gesamte zu zahlenden Steuer. Der Steuervorteil durch das Familiensplitting ist begrenzt: Die Steuerermäßigung, die sich aus der Anwendung des Familienquotienten ergibt, darf 1.527 Euro je halbem „part“ nicht übersteigen . In Frankreich gibt es als Sozialleistung ab dem 2. Kind Kindergeld. Es beträgt monatlich für zwei Kinder 129,86 Euro, für drei Kinder 296,23 Euro und für jedes weitere Kind 166,38 Euro. Seit dem 1. Juli 2015 ist das Kindergeld nach Einkommen des Haushalts oder der Person, welche für den Unterhalt des Kindes aufkommt, gestaffelt. Die angegebenen Beträge beziehen sich auf Familien, deren Jahreseinkünfte folgende Beträge nicht übersteigen: Familiengröße Einkommensgrenze für den Bezug von Kindergeld für eine Familie mit 2 Kindern 67.542 Euro für eine Familie mit 3 Kindern 73.170 Euro für eine Familie mit 4 Kindern 78.798 Euro für eine Familie mit mehr als 4 Kindern jeweils 5.628 Euro bei jedem weiteren Kind Für die „Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Maßnahmen und Leistungen in Deutschland“ im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) das französische Modell des Familiensplittings mit dem Rechtsstand 2010 in das deutsche System der Ehe- und Familien Leistungen integriert. 2010 galt im französischen Recht für die ersten beiden Kinder eine Deckelung des Splittingvorteils von 2.000 Euro, ab dem dritten Kind erhöhte sich die Deckelung auf 4.000 Euro. Das Kindergeld war nach Alter der Kinder gestaffelt. Der fiskalische Gesamteffekt in dieser Konstellation ergab eine Entlastung des Staatshaushalts um ca. 4,5 Mrd. Euro, wobei die Einsparungen der monetären Transfers (insbesondere des Kindergeldes ) höher ausfallen als die Steuermindereinnahmen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 056/18 Seite 8 Bezogen auf die Verteilungswirkung zeigen die Simulationen, dass das mit der Einführung eines Familiensplittings nach französischem Vorbild verbundene politische Ziel der steuerlichen Entlastung von Familien mit Kindern nicht erfüllt wird. Insbesondere kinderreiche Familien in den höheren Einkommensbereichen profitierten vom Familiensplitting, während ärmere Familien hiervon kaum profitieren könnten. Dahingegen treffe die Abschaffung des Kindergeldes insbesondere Haushalte in den unteren Einkommensquartilen.15 Im Jahr 2013 hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Zusammenhang mit der Diskussion um den Wahlkampfvorschlag der CDU/CSU (vgl. Kapitel 8) mit dem Rechtsstand 2014 eine Verteilungsrechnung vorgenommen. Alle Eltern mit einem beziehungsweise mit zwei Kindern profitieren vom deutschen System mehr als von der Einführung eines Familiensplittings nach französischem Vorbild. Bei Familien mit drei Kindern gibt es einen Korridor mit einem zu versteuernden Einkommen zwischen 75.000 Euro und 100.000 Euro, in dem Eltern von der Einführung des französischen Familiensplittings profitierten, wie nachfolgende Grafik zeigt:16 15 Prognos: Endbericht - Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Maßnahmen und Leistungen in Deutschland, im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums für Familie, Senioren , Frauen und Jugend, Seite 131, unter: https://www.bmfsfj.de/blob/93954/25490622c47497e47acbcfa797748cfb/gesamtevaluation-der-ehe-und-familienbezogenen -massnahmen-und-leistungen-data.pdf. Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW): Evaluation zentraler ehe- und familienbezogener Leistungen in Deutschland, Endbericht 20. Juni 2013, Seite 250ff., unter: ftp://ftp.zew.de/pub/zew-docs/gutachten/ZEW_Endbericht_Zentrale_Leistungen2013.pdf, beides abgerufen am 26. März 2018. 16 Ochmann, Richard; Wrohlich, Katharina: Familiensplitting der CDU/CSU: Hohe Kosten bei geringer Entlastung für einkommensschwache Familien, in: DIW Wochenbericht Nr. 36.2013, Seite 6, unter: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.426851.de/13-36-1.pdf, abgerufen am 27. März 2018. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 056/18 Seite 9 Bei einer Berechnung mit heutigen Rechtsstand wäre zu bedenken, dass sowohl der Kinderfreibetrag als auch das Kindergeld in Deutschland17 angehoben wurden, während in Frankreich die Deckelung des Splittingvorteils für 0,5 „parts“ (siehe oben) auf 1.527 Euro gesenkt wurde. 5. Wie ist das geplante österreichische Familienbonus-Modell ausgestaltet? Ist es effektiv (Förderung Mehrkindfamilie)? Inwieweit ist es auf Deutschland übertragbar? Wie hoch wären die Aufkommens- und Verteilungswirkungen in Deutschland? Die Regierung Österreichs hat einen Gesetzentwurf zur Änderung des Einkommensteuergesetzes vorgelegt, mit dem der „Familienbonus Plus“ eingeführt werden soll. Der Gesetzentwurf befindet sich zur Zeit in der sogenannten Begutachtungsphase, in der Institutionen Stellung nehmen kön- 17 Im Veranlagungszeitraum 2018 beträgt der Kinderfreibetrag bei zusammenveranlagten Eltern 7.428 Euro. Ab 2018 werden für das erste und zweite Kind 194 Euro Kindergeld, für das dritte 200 Euro und für das vierte und alle weiteren Kinder 225 Euro Kindergeld im Monat gezahlt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 056/18 Seite 10 nen bevor der Entwurf in den Nationalrat eingebracht wird. Begutachtungsende ist der 13. April 2018. Die folgenden Ausführungen sind dem Gesetzentwurf, den Erläuterungen sowie den aktuellen Informationen des österreichischen Bundesfinanzministeriums entnommen:18 – Der Familienbonus Plus ist als erster Absetzbetrag von der auf Grund des Einkommensteuertarifs errechneten Steuer abzuziehen. Er kann jedoch maximal bis zum Betrag der tarifmäßigen Steuer in Ansatz gebracht werden, es kann sich durch den Familienbonus Plus keine Negativsteuer ergeben. Durch andere Absetzbeträge – etwa den Verkehrsabsetzbetrag – kann es allerdings in Zusammenhang mit dem Familienbonus Plus zu einer Einkommensteuer unter null und in Folge - bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen - zu einer Rückerstattung kommen. Voll ausgeschöpft werden der Familienbonus Plus ab einem monatlichen Bruttoeinkommen von ca. 1.700 Euro (bei einem Kind). – Nach Einführung des Familienbonus Plus entfallen der Kinderfreibetrag und die steuerliche Abzugsfähigkeit der Kinderbetreuungskosten bis zum 10. Lebensjahr. – Anspruchsvoraussetzung für den Familienbonus Plus ist, dass für das Kind Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 gewährt wird. – Die Höhe des Familienbonus Plus bestimmt sich nach dem Alter des Kindes: – Bis zum 18. Geburtstag stehen 125 Euro monatlich (1.500 Euro/Jahr) zu. – Nach Ablauf des Monats, in den der 18. Geburtstag fällt, stehen 41,68 Euro monatlich (500,16 Euro/Jahr) so lange zu, so lange für das Kind Familienbeihilfe gewährt wird. – Der Familienbeihilfenberechtigte und/oder dessen (Ehe-)Partner kann den vollen Familienbonus Plus in Höhe von 1.500 Euro beantragen oder der Betrag wird zwischen den (Ehe)Partnern je zur Hälfte aufgeteilt. – Bei getrennt lebenden Partnern ist grundsätzlich eine hälftige Aufteilung vorgesehen, es sei denn, nur einer der Eltern trägt die überwiegenden Kinderbetreuungskosten. In diesem Fall kann derjenige 90 Prozent des Familienbonus Plus in Anspruch nehmen. Dies erfolgt vor dem Hintergrund, dass bisher die Kinderbetreuungskosten die Steuerbemessungsgrundlage um bis zu 2.300 Euro pro Kind im Kalenderjahr reduzieren konnten. – Besteht Anspruch auf den Alleinverdiener- oder Alleinerzieherabsetzbetrag und beträgt die Einkommensteuer vor Berücksichtigung aller zustehenden Absetzbeträge unter 250 Euro, steht eine Steuererstattung (Kindermehrbetrag) zu. 18 Österreichisches Bundesministerium für Finanzen: „Bundesgesetz, mit dem das Einkommensteuergesetz 1988 geändert wird“ und „Erläuterungen“, unter: https://www.bmf.gv.at/steuern/Neue-Gesetze.html, sowie Fragen und Antworten zum "Familienbonus Plus", unter: https://www.bmf.gv.at/top-themen/familienbonus-plusfaq .html, beides abgerufen am 22. März 2018. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 056/18 Seite 11 – Da bei Mindestsicherungsempfängern keine Einkommensteuer anfällt, profitieren diese grundsätzlich nicht vom Familienbonus Plus. Erfüllt ein Empfänger allerdings die Voraussetzungen für den Alleinverdiener- oder Alleinerzieherabsetzbetrag, steht entsprechend ein erhöhter AVAB/AEAB zu. – Der Anspruch kann wahlweise über die Lohnverrechnung 2019 (also durch den Arbeitgeber ) oder die Steuererklärung bzw. Arbeitnehmerveranlagung 2019 mit Auszahlung 2020 geltend gemacht werden. In Deutschland gibt es direkte Abzüge von der tariflichen Einkommensteuer im Rahmen von § 35a EStG (Ermäßigung bei Aufwendungen für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse, haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwerkerleistungen). In den haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnissen 19 und in den haushaltsnahen Dienstleistungen20 können auch Aufwendungen für die Betreuung von Kindern enthalten sein. Der aktuelle Subventionsbericht weist als erwartete Steuermindereinnahmen im Jahr 2018 für die Inanspruchnahme haushaltsnaher Beschäftigungsverhältnisse 90 Mio. Euro aus (2015 betrug die Fallzahl ca. 285.000). Für die haushaltsnahen Dienstleistungen belaufen sich die erwarteten Steuermindereinnahmen auf 490 Mio. Euro (Fallzahl 2015 ca. 3,1 Millionen).21 6. Welche Modelle eines Familiensplittings bzw. einer steuerlichen Förderung von Familien existieren unabhängig von Ehegattensplitting, Kinderfreibetrag und Kindergeld? Welche waren davon schon für Deutschland im Gespräch? Wie unterscheiden sich diese Modelle hinsichtlich ihrer Aufkommens- und Verteilungswirkung? Als weiteres Modell einer steuerlichen Entlastung von Familien wird gelegentlich auch die Einführung von Kindergrundfreibeträgen - analog zu den Grundfreibeträgen für Erwachsene - diskutiert . Damit werde im Gegensatz zu den Kinderfreibeträgen eine maximale steuerliche Entlastungswirkung unabhängig von der Höhe des Einkommens erreicht. Außerdem steige die Entlastungswirkung in Folge der Progression mit der Zahl der Kinder. Die maximale Entlastung sei allerdings auf die Höhe der Steuerschuld begrenzt. Bei der Berechnung müsse man außer Acht lassen , dass geringe Einkommen in Folge dieser Begrenzung teilweise nicht in vollem Umfang von der Entlastungswirkung profitierten. Darüber hinaus hätten die Modellrechnungen ergeben, dass 19 § 35a Abs. 1 EStG: Ermäßigung der tariflichen Einkommensteuer um 20 Prozent, höchstens 510 Euro, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen. 20 § 35a Abs. 2 EStG: Ermäßigung der tariflichen Einkommensteuer um 20 Prozent, höchstens 4.000 Euro, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen. 21 Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 2015 bis 2018 (26. Subventionsbericht), Bundestags-Drucksache 18/13456, Seite 94. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 056/18 Seite 12 es bei Zuschlagsteuern wie dem Solidaritätszuschlag schon bei mittleren und niedrigen Einkommen zu Mehrbelastungen komme. Diese könnten jedoch durch erhöhtes Kindergeld ausgeglichen werden.22 Der Vorschlag des Kindergrundfreibetrags wurde auch 2011 aufgegriffen. Auch hier wird als Vorteil herausgestellt, dass der absolute Entlastungsbetrag nicht mit dem Einkommen, sondern mit der Zahl der Kinder steige. Ein Kindergrundfreibetrag von rund 10.500 Euro könnte die geltenden Kinderfreibetragsregelung nahezu aufkommensneutral ersetzen.23 Diesem Vorschlag wurde aber aus dem Grund der Verletzung der horizontalen Steuergerechtigkeit (vgl. Kapitel 2) widersprochen. Der geltende Kinderfreibetrag soll für horizontale Steuergerechtigkeit zwischen Eltern und Kinderlosen sorgen, die ansonsten über das gleiche Einkommen verfügen. Das Existenzminimum der Kinder würde nur für Eltern freigestellt, die gerade ein insgesamt existenzminimales und somit steuerfreies Einkommen beziehen.24 7. In einer Kleinen Anfrage von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Bundestags-Drucksache 18/7212) werden die finanziellen Auswirkungen von Vorschlägen zur Reformen des Ehegattensplittings erfragt. In Anlehnung daran: Welche steuerlichen Belastungen bzw. Entlastungen entstehen bezogen auf die unterschiedlichen Splittingversionen für Familien mit einem Einkommen von 20.000 Euro, 40.000 Euro und 80.000 Euro? Wie verändern sich die steuerlichen Belastungen bzw. Entlastungen bei einem, zwei, drei oder vier Kindern? Welche Unterschiede ergäben sich für Alleinerziehende und Ehen? Bitte graphische Darstellung . Wie sind die Wechselwirkungen mit dem Kinderfreibetrag und dem Kindergeld? Den Wissenschaftlichen Diensten stehen keine Simulationsmodelle zur Verfügung, sie können auch selbst keine erstellen. Sofern jedoch zu den beschriebenen Modellen Aufkommens- und Verteilungsberechnungen erstellt wurden, sind sie in den entsprechenden Kapiteln dieser Ausarbeitung erläutert. 22 Stöwhase, Sven: Kindergrundfreibetrag als Alternative zum geltenden Recht?, in: Wirtschaftsdienst 2008,11, Seite 749ff. 23 O. V. Ein Modell, das Eltern entlastet, in Institut der deutschen Wirtschaft, iw-dienst Nr. 26, 30. Juni 2011, Seite 3. 24 Scherf, Wolfgang: Der Kindergrundfreibetrag, Justus-Liebig-Universität Gießen, Finanzwissenschaftliche Arbeitspapiere Nr. 85-2011, unter: http://www.uni-giessen.de/fbz/fb02/fb/professuren/vwl/scherf/ap-reihe, abgerufen am 29. März 2018. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 056/18 Seite 13 8. Warum wurde das Projekt Familiensplitting von der CDU/CSU nicht weiter verfolgt? Im Bundestagswahlkampf 2013 hatte die CDU/CSU angekündigt, nach der Wahl das Ehegattensplitting zu einer Art Familiensplitting weiterzuentwickeln. Das Ziel von Familienpolitik solle werden, nicht Reichtum zu belohnen, sondern Kinderreichtum.25 Es handelt sich jedoch bei diesem Vorschlag nicht um ein Familiensplitting zum Beispiel nach französischem Vorbild. Geplant war vielmehr, die Steuerfreibeträge für Kinder auf die Höhe des Grundfreibetrags für Erwachsene zu erhöhen. Gleichzeitig sollte das Kindergeld angehoben werden . Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat den Vorschlag in einem Beitrag mit dem Titel „Hohe Kosten bei geringer Entlastung für einkommensschwache Familien“ bewertet. Familien mit Kindern würden durchschnittlich um rund 700 Euro pro Jahr entlastet. Allerdings stiege die Entlastung mit dem Einkommen. Im untersten Zehntel der Einkommensverteilung betrage die durchschnittliche Entlastung der Familien knapp 300 Euro pro Jahr, während sie im obersten Zehntel rund 840 Euro ausmache. Nach Berechnungen des DIW kostete dieses Vorhaben der CDU/CSU mehr als 7 Mrd. Euro pro Jahr.26 Der Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung stellte in seinem Jahresgutachten 2013/14 deshalb die Frage ist, ob angesichts des weiterhin hohen Konsolidierungsbedarfs der öffentlichen Haushalte eine solche Reform gerade Priorität genießen sollte.27 * * * 25 O. V.: Union will Kindergeld und Steuerfreibeträge erhöhen, ZEIT Online, 20. Juni 2013, unter: http://www.zeit.de/gesellschaft/familie/2013-06/union-familiensplitting-kindergeld, abgerufen am 27. März 2018. 26 Ochmann, Richard; Wrohlich, Katharina: Familiensplitting der CDU/CSU: Hohe Kosten bei geringer Entlastung für einkommensschwache Familien, in: DIW Wochenbericht Nr. 36.2013, unter: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.426851.de/13-36-1.pdf, abgerufen am 27. März 2018. 27 Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 2013/14, Ziffer 664.