© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 – 055/20 Zum Erfordernis eines qualifizierten Mehrheitsbeschlusses des Bundestages hinsichtlich des Zustimmungsgesetzes zum Eigenmittelbeschluss der EU Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 055/20 Seite 2 Zum Erfordernis eines qualifizierten Mehrheitsbeschlusses des Bundestages hinsichtlich des Zustimmungsgesetzes zum Eigenmittelbeschluss der EU Aktenzeichen: WD 4 - 3000 – 055/20 Abschluss der Arbeit: 16.06.2020 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 055/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis Einleitung 4 Prüfungsmaßstab des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG in Hinblick auf ein Zustimmungsgesetz zu einem Eigenmittelbeschluss 4 2.1. Begründung der Europäischen Union, Änderung ihrer vertraglichen Grundlagen oder vergleichbare Regelung 5 2.2. Verfassungsändernde Bedeutung 5 Anwendung auf den konkreten Vorschlag der Kommission 6 3.1. Eigenmittel durch Kreditaufnahme im Namen der EU 6 3.2. Erhöhung der Eigenmittelobergrenze 7 Fazit 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 055/20 Seite 4 Einleitung Mit Vorschlägen für eine Verordnung des Rates zur Festlegung des Mehrjährigen Finanzrahmens für die Jahre 2021 bis 2027,1 einen Beschluss des Rates über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union2 und eine Verordnung des Rates zur Schaffung eines Aufbauinstruments der Europäischen Union zur Unterstützung der Erholung nach der COVID-19-Pandemie3 hat die Europäische Kommission ein Wiederaufbauprogramm für die europäische Wirtschaft vorgestellt. Zentrales Instrument hierfür ist die Einrichtung des Fonds ‚Next Generation EU‘ als neues Eigenmittel im Sinne des Art. 311 Abs. 3 S. 2 AEUV mit einem Volumen von 750 Mrd. Euro. Aus diesem Fond sollen von der Coronakrise besonders betroffene Mitgliedstaaten unterstützt werden. 500 Mrd. Euro sollen dabei als nicht rückzahlbare Zuschüsse und 250 Mrd. Euro als Kredite zur Verfügung gestellt werden.4 Die Refinanzierung dieser Kredite soll durch vorübergehende Anhebung der Obergrenzen des Eigenmittelbeschlusses auf 2,0% (Mittel für Zahlungen) bzw. 2,06% (Mittel für Verpflichtungen) des Bruttonationaleinkommens der EU erfolgen, bis alle Verbindlichkeiten erfüllt worden sind. Die Anhebung endet spätestens zum 31. Dezember 2058.5 Prüfungsmaßstab des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG in Hinblick auf ein Zustimmungsgesetz zu einem Eigenmittelbeschluss Es stellt sich aus Perspektive des deutschen Bundestages, dessen Mitwirkung in Form eines Bundesgesetzes zur Zustimmung zu dem Eigenmittelbeschluss notwendige Voraussetzung ist, die Frage, inwiefern nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG ein qualifiziertes Zustimmungserfordernis besteht. Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG sieht vor, dass „für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden“ Art. 79 Abs. 2 und Abs. 3 GG gelten. Damit wird für jedes Ermächtigungsgesetz im Sinne von Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG zum einen das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit, 1 Europäische Kommission, Geänderter Vorschlag für eine VERORDNUNG DES RATES zur Festlegung des Mehrjährigen Finanzrahmens für die Jahre 2021 bis 2027, COM(2020) 443 final. 2 Europäische Kommission, Geänderter Vorschlag für einen BESCHLUSS DES RATES über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union, COM(2020) 445 final. 3 Europäische Kommission, Vorschlag für eine VERORDNUNG DES RATES zur Schaffung eines Aufbauinstruments der Europäischen Union zur Unterstützung der Erholung nach der COVID-19-Pandemie, COM(2020) 441 final. 4 Europäische Kommission, Geänderter Vorschlag für einen BESCHLUSS DES RATES über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union, COM(2020) 445 final. S. 3, 7. 5 Europäische Kommission, Geänderter Vorschlag für einen BESCHLUSS DES RATES über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union, COM(2020) 445 final, S. 4, 8. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 055/20 Seite 5 soweit der Integrationsakt eine „materiell verfassungsändernde Wirkung“6 hat, konstituiert und zum anderen die Sperre der Ewigkeitsklausel nach Art. 79 Abs. 3 GG für anwendbar erklärt. Für die Anwendbarkeit von Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG lassen sich zwei erforderliche Tatbestandsmerkmale herauslesen. Zum einen muss es sich um die Begründung der Europäischen Union, um Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen oder vergleichbare Regelungen handeln. Zum anderen bedarf es einer verfassungsändernden Bedeutung. 2.1. Begründung der Europäischen Union, Änderung ihrer vertraglichen Grundlagen oder vergleichbare Regelung In der Literatur besteht Einigkeit dahingehend, dass es sich bei sogenannten Evolutivklauseln von EUV und AEUV, also solche, die eine Ergänzung des primären Unionsrechts durch einstimmigen Ratsbeschluss mit anschließender Annahme nach den Verfassungsvorschriften der Mitgliedstaaten zulassen, um „vergleichbare Regelungen“ im Sinne des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG handelt .7 Auch das Bundesverfassungsgericht erklärt Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG auf Zustimmungsgesetze zum Eigenmittelbeschluss nach Art. 311 Abs. 3 AEUV gegebenenfalls für anwendbar.8 Das erste Tatbestandsmerkmal bereitet im Falle eines Eigenmittelbeschlusses keine Probleme. 2.2. Verfassungsändernde Bedeutung Schwierigkeiten ergeben sich hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der verfassungsändernden Bedeutung, weil Art. 23 Abs. 1 S.3 GG gezielt keine Bezugnahme auf das Textänderungsgebot nach Art. 79 Abs. 1 GG beinhaltet.9 Der Integrationsakt muss somit materiell die verfassungsmäßige Ordnung betreffen, wobei nach dem Willen des verfassungsmäßigen Gesetzgebers ausdrücklich auch mittelbare Verfassungsänderungen erfasst sind.10 Ab wann eine verfassungsändernde Bedeutung vorliegt, lässt sich dem Wortlaut der Norm nicht unmittelbar entnehmen und ist bislang auch nicht durch Rechtsprechung konkretisiert worden. Es besteht Einstimmigkeit in der Literatur, dass wenn ein Integrationsakt Rechtsetzungs- oder Entscheidungsbefugnisse auf die EU überträgt, die Anwendungsvorrang vor entgegenstehenden Normen des Grundgesetzes haben, 6 Uerpmann-Wittzack in: von Münch/Kunig (Hrsg.), GG-Kommentar, 6. Auflage 2012, Art. 23 GG, Rn. 51. 7 Streinz in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, 8. Aufl., 2018, Art. 23 GG, Rn. 84. 8 BVerfGE 123, 267 (434 ff.). 9 Wollenschläger in: Dreier (Hrsg), GG-Kommentar, 3. Aufl., 2015, Bd. II, Art. 23 Rn. 60; Bundesregierung, Begründung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Grundgesetzes, BT-Drucks. 12/3338, S. 7. 10 Gemeinsame Verfassungskommission, Bericht, BT-Drucks. 12/6000, S. 21; Scholz in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG- Kommentar, 90. EL Februar 2020, Art. 23 GG, Rn. 117. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 055/20 Seite 6 eine verfassungsändernde Bedeutung anzunehmen ist.11 Außerdem soll eine Kompetenzverlagerung von einem von dem Grundgesetz vorgesehen Organ zur EU den Tatbestand erfüllen.12 Anders formuliert liegt eine verfassungsändernde Bedeutung dann vor, wenn eine mit dem Integrationsakt vergleichbare Regelung nationalen Rechts einer Verfassungsänderung bedurft hätte.13 Aus dem Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes lässt sich außerdem das Merkmal der „demokratischen Selbstgestaltungfähigkeit“ entnehmen, welches wegen des Demokratieprinzips und des in Art. 23 Abs. 1 S.1 GG angelegten Subsidiaritätsprinzips auf nationalstaatlicher Ebene bestehen bleiben muss.14 Als „besonders sensibel für die demokratische Selbstgestaltungsfähigkeit eines Verfassungsstaates“ nennt das Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil unter anderem „die fiskalischen Grundentscheidungen über Einnahmen und - gerade auch sozialpolitisch motivierte - Ausgaben der öffentlichen Hand.“15 Je stärker nationale Gestaltungsmöglichkeiten durch die nationalen, demokratischen Prozesse von unionsrechtlichen Vorgaben beeinflusst werden , desto eher ist eine verfassungsändernde Bedeutung anzunehmen. Durch die ausdrückliche Einbeziehung der Ewigkeitsklausel in Art. 23 Abs.1 S.3 GG, welche den „unantastbaren Kerngehalt der Verfassungsidentität des Grundgesetzes“16 schützt, wird deutlich, dass an das Tatbestandsmerkmal der verfassungsändernden Bedeutung weniger hohe Anforderungen gestellt werden müssen. Anwendung auf den konkreten Vorschlag der Kommission Sowohl hinsichtlich der geplanten Ermächtigung zur Kreditaufnahme der Kommission im Namen der Union als auch hinsichtlich der geplanten Anhebung der Eigenmittelobergrenze stellt sich die Frage nach einer verfassungsändernden Bedeutung. 3.1. Eigenmittel durch Kreditaufnahme im Namen der EU Zunächst könnte die Ermächtigung der Kommission zur Kreditaufnahme die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes ändern. Artikel 115 Abs. 1 GG regelt für die Kreditbeschaffung auf nationaler Ebene, dass es grundsätzlich eines Bundesgesetzes für die Ermächtigung zur Kreditaufnahme bedarf, welche wiederum der Höhe nach bestimmt oder bestimmbar ist. Außerdem sieht auch der nationale Verfassungsgesetzgeber die Möglichkeit der Überschreitung der durch Bundesgesetz festgelegten Kreditobergrenze in Fällen von Naturkatastrophen oder vergleichbaren Notsituationen, die sich der staatlichen Kontrolle entziehen und erhebliche Auswirkungen auf die staatliche Finanzlage haben, vor. 11 Streinz in: Sachs (Fußn. 5), Art. 23 Rn. 72; Scholz in Maunz/Dürig (Fußn. 8), Art. 23 Rn. 118. 12 Ketterer, Zustimmungserfordernis beim Europäischen Stabilitätsmechanismus: Zugleich ein Beitrag zur Dogmatik der besonderen Gesetzesvorbehalte des Art. 23 Abs. 1 GG, S. 193. 13 Heintschel von Heinegg/Frau, in: BeckOK GG, Art. 23 Rn. 27. 14 BVerfGE 123, 267 (359); 129, 124 (177). 15 BVerfGE 123, 267 (359). 16 BVerfGE 113, 273 (296). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 055/20 Seite 7 Hierfür bedarf es jedoch eines Beschlusses mit qualifizierter Mehrheit der Mitglieder des Bundestages , was sich wiederum nach Art. 121 GG richtet. Der unmittelbare Anwendungsbereich von Art. 115 GG ist zweifellos nicht eröffnet. Es handelt sich bei der geplanten Ermächtigung der Kommission schon nicht um eine Kreditaufnahme im Namen des Bundes, sondern der Europäischen Union. Nach Art. 125 AEUV haften die Mitgliedsstaaten nicht für die Verbindlichkeiten der EU. Die Kreditgeber könnten nach der von der Kommission geplanten Konstruktion lediglich die Union selbst in Haftung nehmen. Eine direkte Inanspruchnahme der Mitgliedstaaten selbst durch die Gläubiger wäre nicht möglich. Für eine Durchgriffshaftung auf die Mitgliedstaaten wäre somit eine Vertragsänderung erforderlich, diese wiederum erfordert die Beteiligung der nationalen Parlamente nach Art. 48 EUV. Eine derartige Vertragsänderung würde dann aller Voraussicht nach die finanzverfassungsrechtliche Ordnung des Grundgesetzes betreffen und einer qualifizierten Mehrheit nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG bedürfen. Die derzeit angedachte Konstruktion ist davon aber zu unterscheiden. Wegen der derzeitig bestehenden Trennung der Haushalte von EU und Mitgliedsstaaten wirkt sich eine Verschuldung durch die Kommission zulasten der Union unmittelbar nicht auf das verfassungsmäßige Gefüge des Grundgesetzes aus. 3.2. Erhöhung der Eigenmittelobergrenze Die Deckung des Unionshaushaltes soll wiederum durch eine Erhöhung der Obergrenze der Eigenmittel gewährleistet werden. Zusätzlich zu der Erhöhung der Obergrenze zur Deckung der jährlichen Mittel für Zahlungen auf 1,40 % des Bruttonationaleinkommens der EU und der Obergrenze zur Deckung der jährlichen Mittel für Verpflichtungen auf 1,46 % des Bruttonationaleinkommens der EU ist eine außerordentliche und vorübergehende Erhöhung um 0,6 Prozent geplant . Sie endet mit der Erfüllung der Verbindlichkeiten und spätestens am 31. Dezember 2058. Die Erhöhung der Eigenmittelobergrenze stellt somit eine potenziell signifikant höhere Belastung für den Bundeshaushalt dar. Fraglich ist somit, ob diese erhöhte Haushaltsbelastung der finanzverfassungsrechtlichen Ordnung des Grundgesetzes, insbesondere im Hinblick auf Budgethoheit, Wahlrechtsgarantie und das Erfordernis parlamentarischer Rückkoppelung, entspricht, oder ob das Grundgesetz eine quantitative Grenze vorgibt, ab der es sich entweder um eine materielle Verfassungsänderung oder sogar einen Verstoß gegen den unantastbaren Kerngehalt der Verfassungsidentität des Grundgesetzes handelt. Den Maßstab der absoluten Grenze des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Maastricht-Entscheidung von 199317 und dem Lissabon-Urteil von 200918 ausgeformt. Eingekleidet in das subjektive Recht der Wahlrechtsgarantie nach Art. 38 Abs. 1 GG wurde bereits 1993 klargestellt, dass das Demokratieprinzip als Element der Identi- 17 BVerfGE 89, 155. 18 BVerfGE 123, 267. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 055/20 Seite 8 tätsgarantie nach Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG verlangt, dass dem Bundestag „Aufgaben und Befugnisse von substantiellem Gewicht verbleiben müssen“.19 Im Lissabon-Urteil wurde diese Maßgabe zur „demokratischen Selbstgestaltungsfähigkeit eines Verfassungsstaates“20 verdichtet . So würden eine Verletzung des Demokratieprinzips und des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag vorliegen, „wenn die Festlegung über Art und Höhe der den Bürger treffenden Abgaben in wesentlichem Umfang supranationalisiert würde. (…) Die Hoheit über den Haushalt ist der Ort konzeptioneller politischer Entscheidungen über den Zusammenhang von wirtschaftlichen Belastungen und staatlich gewährten Vergünstigungen. (…) Nicht jede haushaltswirksame europäische oder internationale Verpflichtung gefährdet die Gestaltungsfähigkeit des Bundestages als Haushaltsgesetzgeber. (…) Entscheidend ist aber“, nach Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts , „dass die Gesamtverantwortung mit ausreichenden politischen Freiräumen für Einnahmen und Ausgaben noch im Deutschen Bundestag getroffen werden kann“.21 Für die Sperre des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG i.V.m. Art.79 Abs. 3 GG hinsichtlich des Demokratieprinzips müsste eine Erhöhung der Eigenmittelobergrenze auf 2,0% bzw. 2,06% die finanzielle Tragfähigkeit derzeitiger und künftiger Bundeshaushalte soweit belasten, dass die Haushaltsautonomie effektiv nicht mehr bestehen würde. Der überwiegende Anteil des bundesdeutschen Haushaltes muss auch nach der angedachten Erhöhung der Eigenmittelobergrenze nicht als Eigenmittel zur Verfügung gestellt werden, sondern verbleibt weiterhin in nationaler Entscheidungsgewalt . Darüber hinaus liegt angesichts des Umstandes, dass es sich lediglich um eine Änderung in quantitativer und nicht in qualitativer Hinsicht handelt, eine völlige Entleerung der Budgethoheit eher fern. Für die Erforderlichkeit einer Zweidrittelmehrheit nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG i.V.m. 79 Abs. 3 GG muss aber nicht eine völlige Entleerung der Budgethoheit des Bundestages angenommen werden . Legt man ein Stufenverhältnis von Art. 79 Abs. 2 und Abs. 3 GG zugrunde, genügt für eine verfassungsändernde Bedeutung bereits, dass die Haushaltsautonomie nicht leerläuft, aber zumindest in nicht unwesentlichen Teilen abgegeben wird. Je stärker Unionsrecht die demokratische Selbstgestaltung determiniert, desto eher kann von einer verfassungsändernden Dimension ausgegangen werden.22 Ob die Erhöhung der Eigenmittelobergrenze hierfür genügt, kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden. Aufgrund der wenig trennscharfen Abgrenzungsvorgaben durch das Bundesverfassungsgericht kann lediglich eine tendenzielle Bewertung abgegeben werden. Hierfür ist auch die substanzielle Höhe der Kreditaufnahme von 750 Mrd. Euro zu berücksichtigen, die das Ausreizen der Obergrenze als nicht unwahrscheinlich erscheinen lässt. Mit der geplanten Erhöhung 19 BVerfGE 123, 267 (359); BVerfGE 89, 155 (186). 20 BVerfGE 123, 267 (359). 21 BVerfGE 123, 267 (361 f.). 22 Siehe auch Huber, Bewahrung und Veränderung rechtsstaatlicher und demokratischer Verfassungsstrukturen in den internationalen Gemeinschaften – 50 Jahre danach, AöR 141 (2016), S. 117 (123). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 055/20 Seite 9 der Eigenmittelobergrenze würde ein zumindest nicht unwesentlicher Teil des Bundeshaushaltes der Union zur Verfügung stehen. Es besteht jedoch, insbesondere im Rahmen des parlamentarischen Budgetrechts, eine Entscheidungs - und Einschätzungsprärogative des Bundestages.23 Dieser Spielraum könnte insofern für einen einfachen Gesetzesvorbehalt sprechen, dass auch die Einschätzung, inwiefern das Budgetrecht durch einen Eigenmittelbeschluss entleert werden würde, vorrangig dem parlamentarischen Gesetzgeber selbst vorbehalten bleibt. Die Eigenmittel, die der Union zugeführt werden müssen, bleiben auch im Rahmen des neuen Eigenmittelbeschlusses aus nationaler Sicht bloße Ausgaben, dem nationalen Haushalt werden keine Einnahmen entzogen.24 Daran ändern grundsätzlich auch Volumen, Dauer und der Verwendung der Eigenmittel durch die Union nichts. Dieser vom Bundesverfassungsgericht zugestandene Einschätzungsspielraum könnte durch eine zu weite Auslegung des Merkmals der verfassungsändernden Bedeutung ausgehöhlt werden, es droht bei zu hohen Hürden insbesondere die Einschränkung parlamentarischer Handlungsfähigkeit . Diese Sichtweise spricht für eine restriktive Auslegung des Merkmals der verfassungsändernden Bedeutung und gegen die Annahme des Erfordernisses einer Zweidrittelmehrheit. Allerdings geht es bei der Frage nach der verfassungsändernden Bedeutung durch unionsrechtliche Determination gerade darum, ob und wie der parlamentarische Gesetzgeber Kompetenzen seinem eigenen Machtbereich durch supranationale Übertragung entziehen darf. Wäre die Beurteilung , ob eine verfassungsändernde Bedeutung im Rahmen von Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG vorliegt, allein der parlamentarischen Einschätzung unterworfen und damit letztlich auch der richterlichen Kontrolle entzogen, würde das qualifizierte Mehrheitserfordernis effektiv leer laufen. Die Einschätzungsprärogative des Parlaments bezieht sich auf Entscheidungen innerhalb der Kompetenz des Bundestages, weniger aber auf Entscheidungen über die Kompetenz des Bundestages. Anders ausgedrückt, mit Worten des Bundesverfassungsgerichts: „Dieses Verbot, sich der Budgetverantwortung zu entäußern, beschränkt nicht etwa unzulässig die Haushaltskompetenz des Gesetzgebers , sondern zielt gerade auf deren Bewahrung.“25 Somit dürfte die Entscheidung über eine verfassungsändernde Bedeutung nicht vom Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers selbst gedeckt sein, zumindest nicht in einfacher Mehrheit. Die nach Art. 110 Abs.1 GG vorgeschriebene Feststellung des Haushaltsplans durch Gesetz lässt zwar Entscheidungen in einfacher Mehrheit mit Vorbelastungen zukünftiger Haushalte als Ausprägung des parlamentarischen Budgetrechts zu.26 Mit der Übertragung der Entscheidungsgewalt über die Eigenmittel an die Union werden aber langfristig haushaltsplanerische Entscheidungen durch den europäischen Gesetzgeber mitbestimmt. Die Bindung zukünftiger Haushalte durch diese Entscheidungen des europäischen Haushaltsgesetzgebers, würde für eine mögliche Annahme einer verfassungsändernden Dimen- 23 BVerfGE 129, 124 (177); 130, 318 (342 ff.). 24 Heintzen in von Münch/Kunig (Fußn. 7), Art. 106, Rn. 14. 25 BVerfG, Erfolglosigkeit des Verfahrens gegen ESM und Fiskalpakt, NJW 2014, 1505, 1514; vgl. BVerfGE 129, 124 (179); BVerfGE 132, 195 (240). 26 Heintzen in von Münch/Kunig (Fußn. 7), Art. 110, Rn. 31. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 055/20 Seite 10 sion. Damit ist jedoch noch keine Aussage darüber getroffen, ob die Anhebung der Eigenmittelobergrenze auf 2,0% der Höhe nach genügt, um bereits eine Determinierung des nationalen Haushaltes durch Unionsrecht anzunehmen. Zu berücksichtigen ist zudem die Wertung des Art. 115 Abs. 2 Nr. 6 GG, wonach die Kreditaufnahme zur Bewältigung von Naturkatastrophen und vergleichbaren Notsituationen der parlamentarischen Kontrolle unterstellt ist. Hiernach soll die Entscheidung über eine außerordentliche Finanzierung der Bewältigung einer Krisensituation beim Bundestag liegen. Die supranationale Übertragung von Entscheidungen über das Ob und Wie kreditbasierter Krisenbewältigung sieht das Grundgesetz nicht vor. Durch die Anhebung der Eigenmittelobergrenze wird eine solche Maßnahme auf Unionsebene erst ermöglicht, da ansonsten der EU die Mittel zur Refinanzierung fehlen würden. Insofern liegt eine mittelbare Einwirkung der Zweckbindung der außerordentlichen Anhebung der Eigenmittelobergrenze auf deren finanzverfassungsrechtliche Zulässigkeit nicht fern. Ob sich deshalb der Maßstab für die Wesentlichkeit einer Kompetenzübertragung ändert , lässt sich lediglich vermuten, wäre aber grundsätzlich im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nicht ausgeschlossen. Fazit Die Beantwortung der Frage, ob eine Zweidrittelmehrheit nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 i.V.m. Art. 79 Abs.2 GG erforderlich ist, hängt davon ab, ob eine verfassungsändernde Bedeutung angenommen werden kann. Das wiederum ist davon abhängig, ob in die Budgethoheit derartig eingegriffen wird, dass eine wesentliche Kompetenzverschiebung auf die EU angenommen werden kann. Diese Frage lässt sich derzeit nicht mit Gewissheit beantworten. Tendenziell scheint das Grundgesetz die Kompetenz zur Entscheidung über die Refinanzierung einer Kreditaufnahme in größerem Umfang, insbesondere wenn die Kreditmittel zur Bewältigung von unbeeinflussbaren Krisensituationen eingesetzt werden sollen, dem Bundestag zuzuordnen. Allerdings muss für eine Kompetenzverschiebung mit verfassungsändernder Bedeutung nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes auch eine Übertragung von „wesentlichem Umfang“ stattfinden. Ob diese Wesentlichkeitsschwelle mit dem Eigenmittelbeschluss überschritten wird, kann nicht abschließend beurteilt werden. ***