© 2019 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 – 054/19 Haushaltsrechtliche Aspekte der Einführung einer Bagatellgrenze in § 44 SBG II Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende , geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig . Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 054/19 Seite 2 Haushaltsrechtliche Aspekte der Einführung einer Bagatellgrenze in § 44 SBG II Aktenzeichen: WD 4 - 3000 – 054/19 Abschluss der Arbeit: 12. April 2019 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 054/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Haushaltsrechtliche Bewertung 4 2.1. Regelung gemäß § 44 SGB II 4 2.2. Ergänzungsregelung zu § 44 SGB II 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 054/19 Seite 4 1. Fragestellung Vorliegender Auftrag zielt auf die haushaltsrechtliche Bewertung einer Ergänzungsregelung zu § 44 SGB II ab, nach der es den Leistungsträgern erlaubt sein soll, durch Einführung einer Bagatellgrenze auf die Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen zu verzichten. 2. Haushaltsrechtliche Bewertung 2.1. Regelung gemäß § 44 SGB II Nach § 44 SGB II dürfen Träger von Leistungen nach diesem Buch Ansprüche erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Diese Vorschrift regelt damit für den Bereich des SGB II die Veränderung von Ansprüchen, indem sie den Leistungsträgern erlaubt, im Wege einer Ermessensentscheidung auf eine Einnahme in Form einer fälligen Forderung zu verzichten.1 Aus haushaltsrechtlicher Sicht entspricht die Regelung in § 44 SGB II den Regel-Ausnahme-Vorschriften der §§ 34, 59 Bundeshaushaltsordnung (BHO)2. Gemäß § 34 Abs. 1 BHO sind bei Fälligkeit die dem Bund zustehenden Einnahmen vollständig zu erheben. Von diesem Grundsatz lässt § 59 BHO Ausnahmen zu und legt in Übereinstimmung mit § 31 Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG)3 die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen fest, unter denen auf Gesetz, Vertrag oder sonstigem Rechtsgrund beruhende fällige Ansprüche des Bundes gestundet, niedergeschlagen oder erlassen werden dürfen. Nach § 59 Abs. 1 BHO darf das zuständige Bundesministerium Ansprüche nur (1) stunden, wenn die sofortige Einziehung mit erheblichen Härten für den Anspruchsgegner verbunden wäre, und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet wird, (2) niederschlagen, wenn feststeht, dass die Einziehung keinen Erfolg haben wird, oder wenn die Kosten der Einziehung außer Verhältnis zur Höhe des Anspruchs stehen, (3) erlassen, wenn die Einziehung nach Lage des einzelnen Falles für den Anspruchsgegner eine besondere Härte bedeuten würde. Die Bedeutung der vorstehenden Vorschrift erschöpft sich nicht in der gesetzlichen Ermächtigung der Exekutive, in Ausnahmefällen von dem Grundsatz des § 34 BHO abzuweichen. Ihr liegt zugleich die Verpflichtung zugrunde, solche Ausnahmen nach einheitlichen Maßstäben zu 1 § 44 SGB II schließt die milderen Maßnahmen der Stundung und Niederschlagung mit ein. Vgl. Beck OK SozR/Merten SGB II § 44 Rn 12. 2 Vom 19.8.1969, BGBl. I S. 1273, zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes vom 14.8.2017, BGBl. I S. 3122. 3 Vom 19.8.1969, BGBl. I S. 1273, zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes vom 14.8.2017, BGBl. I S. 3127. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 054/19 Seite 5 behandeln. Damit soll im Sinne des Gleichbehandlungsgrundsatzes und im Interesse des Haushalts vermieden werden, dass individuelle Vorteile durch Anwendung der genannten Instrumente zu Lasten der Allgemeinheit gehen.4 Soweit anderweitige Rechtsvorschriften über Stundung, Niederschlagung und Erlass von Ansprüchen des Bundes bestehen, sind gem. § 59 Abs. 3 BHO die Vorschriften der BHO nicht anwendbar .5 Für die Sozialversicherung einschließlich des Rechts der Arbeitsförderung haben die o.g. Regel-Ausnahme-Vorschriften der BHO in der Vorschrift des § 76 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB IV Niederschlag gefunden. Da die Grundsicherung für Arbeitssuchende als steuerfinanzierte Leistung nicht der Sozialversicherung unterliegt, hat der Gesetzgeber für den Bereich des SGB II in § 44 eine eigene Regelung getroffen, um den „Gleichklang“ mit dem Sozialversicherungsrecht herzustellen.6 2.2. Ergänzungsregelung zu § 44 SGB II Die vorgeschlagene Ergänzungsregelung zu § 44 SGB II betrifft nicht fällige Ansprüche (Einnahmen ), sondern zielt vielmehr darauf ab, durch Verzicht auf die Geltendmachung die Fälligkeit eines Anspruchs erst gar nicht herbeizuführen. Damit bewegt sich diese Regelung mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsaspekts außerhalb des Anwendungsbereichs der BHO und der haushaltsrechtlichen Bewertung. Sie stellt insbesondere eine Verfahrensvorschrift dar, die dem in SGB X angesiedelten gemeinsamen Verfahrensrecht der Sozialversicherung und des Bereichs des SGB II zuzuordnen und nach diesem in erster Linie zu beurteilen ist.7 Letztes gilt insbesondere hinsichtlich der rechtssystematischen Einordnung dieser Vorschrift, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung im Sinne des vorstehend erwähnten Gleichklangs der Vorschriften betreffend die Veränderung fälliger Ansprüche in den Bereichen der Sozialversicherung und des SGB II. Nach den Verfassungsgrundsätzen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sind die zuständigen Stellen grundsätzlich verpflichtet, die der öffentlichen Hand entstandenen Geldleistungsansprüche geltend zu machen.8 Ausnahmen hiervon bedürfen einer gesetzlichen Ermächtigung.9 Durch den Beschluss des Gesetzgebers, die vorgeschlagene Regelung einzuführen, würde dem Wirtschaftlichkeitsaspekt aus haushaltsrechtlicher Sicht Rechnung getragen werden. **** 4 Vgl. Rohrer, in: Scheller (Hrsg.), Kommentar zum Haushaltsrecht, Dezember 2018, § 59 BHO Rn 12. 5 Vgl. Nebel, in: Pieduch, Bundeshaushaltsrecht, 49. Erg.-Lfg. Februar 2018, § 59 BHO Rn 7. 6 Vgl. Begründung in: BT-Drs. 15/1516, S. 63. 7 Vgl. Nebel, a.a.O., Rn 1. 8 BVerfGE 30, 292, 332; BVerwG NVwZ 1999, 779, 783. 9 BVerfGE 30, 292, 332.