Deutscher Bundestag Fragen im Zusammenhang mit der Diskussion über die Rolle Griechenlands im Euro-Raum Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 4 – 3000-053/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000-053/10 Seite 2 Fragen in Zusammenhang mit der Diskussion über die Rolle Griechenlands im Euro-Raum Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 4 – 3000-053/10 Abschluss der Arbeit: 2. März 2010 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000-053/10 Seite 3 1. Wie hoch ist der Bestand an griechischen Staatsverschuldungstiteln in den Händen deutscher Wirtschaftssubjekte? Welcher Anteil hiervon ist nach Einführung des Euros begeben worden und valutiert in Euro? Zum 1. Januar 2001 erfolgte der Beitritt Griechenlands zur Europäischen Währungsunion. Die Entwicklung des Schuldenstands Griechenlands bei deutschen Banken vor und nach diesem Termin ist der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen. Über den Anteil der Valutierung in Euro waren keine Informationen zu ermitteln. Griechenlands Schulden bei deutschen Banken1 Zeitpunkt Mrd. US-$ Zeitpunkt Mrd. US-$ Dez. 1983 0,435 Dez. 1998 8,463 Dez. 1984 0,841 Dez. 1999 10,933 Dez. 1985 1,212 Dez. 2000 18,412 Dez. 1986 1,224 Dez. 2001 20,691 Dez. 1987 1,469 Dez. 2002 25,195 Dez. 1988 1,448 Dez. 2003 33,200 Dez. 1989 1,579 Dez. 2004 38,358 Dez. 1990 1,990 Dez. 2005 31,866 Dez. 1991 2,295 Dez. 2006 36,695 Dez. 1992 1,977 Dez. 2007 41,835 Dez. 1993 1,838 Dez. 2008 38,389 Dez. 1994 3,106 März 2009 38,308 Dez. 1995 3,783 Juni 2009 38,572 Dez. 1996 4,720 Sept. 2009 43,236 Dez. 1997 6,202 1 Datenbasis: Bank for International Settlements (BIS), Consolidated international claims of BIS reporting banks, Foreign claims by nationality of reporting banks - immediate borrower basis, Stand 3. Quartal 2009 [ abgerufen am 26.2.2010 unter: http://www.bis.org/statistics/consstats.htm ] Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000-053/10 Seite 4 2. Wie hoch (absolut und prozentual) waren die Verluste bzw. der Abschreibungsbedarfe deutscher Wirtschaftssubjekte bei früheren IWF-Interventionen, z. B. im Falle Russlands oder Argentiniens? Das Vorliegen einer Überschuldungs- oder Zahlungsunfähigkeitssituation mit der Konsequenz, dass ein Staat Auslandsschulden nicht mehr begleicht, ist in der Regel nicht ein allgemein anerkannter oder normierter Zeitpunkt, sondern ein über Jahre dauernder, von Umschuldungen, Moratorien und Teilverzichten begleiteter Prozess. Insofern sind im Folgenden auch die Begleitumstände der Zahlungsschwierigkeiten Argentiniens und Russlands dargestellt. 2.1 Russland, August 19982 Russland erlebte in Folge der Asienkrise (1997), die weltweit für Verwerfungen an den Kapitalund Kreditmärkten sorgte, eine schwere Finanzkrise. Russland befand sich bereits seit einigen Jahren in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage, da der Umwandlungsprozess von einer sozialistischen in eine moderne Marktwirtschaft nicht reibungslos vonstatten ging. Das russische Finanzsystem war zum Zeitpunkt der Asienkrise sehr fragil, da es direkt vom Kurs des Rubels abhängig war. Der russische Staat finanzierte sich seit 1995 vor allem mit in Rubel nominierten Schuldverschreibungen, welche größtenteils Laufzeiten unter einem Jahr aufwiesen. Diese Schuldverschreibungen waren für ausländische Investoren attraktiv, da sie hohe Renditen versprachen, solange der Kurs des Rubels stabil blieb. Weiterhin verschuldete sich der russische Staat auch massiv in Fremdschulden, zumal er die Staatsschulden der Sowjetunion übernahm, was zu einem hohen Schuldenstand in Auslandswährung führte. Eine Abwertung des Rubels hätte den Schuldendienst aufgrund des schlechteren Wechselkurses vervielfacht. Mit Ausbruch der Asienkrise setzte ein Umdenken bei den internationalen Investoren ein und die sogenannten „Emerging Markets“, zu denen auch Russland gehörte, wurde wesentlich kritischer betrachtet. Derart eingestufte Staaten wurden plötzlich als potentielle Krisenländer angesehen und es begann eine Flucht aus Finanztiteln entsprechender Staaten. Russland wurde von diesem Kapitalabfluss aufgrund der Instabilitäten des russischen Finanzsystems hart getroffen. Um die Tilgung seiner kurz- und mittelfristigen Schuldtitel begleichen zu können, musste Russland fortlaufend umschulden. Gleichzeitig musste Russland die Zinssätze seiner Rubelanleihen massiv erhöhen, um noch Abnehmer zu finden, was in die Schuldenfalle führte. Im Mai 1998 lag der Zinssatz bei 150 Prozent3. Des Weiteren brach ebenfalls in Folge der Asienkrise der zuvor boomende Aktienmarkt in Russland 1998 zusammen und verlor vier Fünftel seines Wertes. Ein weiterer Faktor lag in dem damaligen Preisverfall von Öl und anderen Rohstoffen, da Russland stark von dem Export 2 Ausführliche Darstellung bei Herr, Die Finanzkrise in Russland im Gefolge der Asienkrise, [abgerufen am 26. Februar 2010 unter: [http://www.bpb.de/publikationen/D0THIA,0,0,Die_Finanzkrise_in_Russland_im_Gefolge_der_Asienkrise.html] 3 Herr, Die Finanzkrise in Russland im Gefolge der Asienkrise [abgerufen am 1. März 2010 unter: http://www.bpb.de/publikationen/D0THIA,0,0,Die_Finanzkrise_in_Russland_im_Gefolge_der_Asienkrise.html# art0] Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000-053/10 Seite 5 dieser Güter abhängig war. Damit stieg der Druck auf den Rubel enorm an. Zwar unternahm Russland verschiedene Anstrengungen zur Stabilisierung des Rubels, unter anderem gewährte auch der IWF einen Kredit über 22,6 Mrd. US-Dollar, letztlich musste der Kurs des Rubel jedoch freigegeben werden (17. August 1998), was zu einer sofortigen massiven Abwertung führte (60 Prozent Wertverlust). Obwohl Russland noch über erhebliche Gold- und Devisenreserven verfügte , sah es sich zu diesem Zeitpunkt gezwungen, seine Zahlungsunfähigkeit und ein 90-Tages- Moratorium für die Bedienung fälliger privater Fremdwährungsschulden zu erklären. Zudem wurden kurzfristige Rubelanleihen nicht weiter bedient und in langfristige Rubelanleihen umgewandelt . Die Auslandsverschuldung Russlands belief sich zu diesem Zeitpunkt auf 156,7 Mrd. US-$. In der Folgezeit verhandelte die russische Regierung auf multilateraler Ebene mit den im „Club of London" organisierten privaten Kreditgebern (westliche Geschäftsbanken) und den im „Club of Paris“ zusammengeschlossenen Gläubigernationen. Die Restrukturierungsverhandlungen4 mit dem „Club of London“ wurden im Jahr 2000 abgeschlossen . Man einigte sich mit den Anleihegläubigern und etwa 400 Banken auf die Restrukturierung der Altschulden im Volumen von 31,8 Mrd. US-$, einen Schuldenerlass von 33 Prozent (10,6 Mrd. US-$ ) sowie die Umschuldung der übrigen Titel in Eurobonds mit Laufzeiten von 10 bis 30 Jahren und bis zu sieben tilgungsfreien Jahren. Die Verhandlungen mit dem „Club of Paris“ gestalteten sich schwieriger, insbesondere weil die Mitglieder der russischen Regierung statt „Zahlungsunfähigkeit“ eher „Zahlungsunwilligkeit“ unterstellten. Da sich die finanzielle Situation Russlands bereits zwischen 1998 und 2001 durch verschiedene Restrukturierungsprozesse und einen wirtschaftlichen Aufschwung verbessert hatte , betrugen die gesamten Auslandsschulden 2001 nur noch 130,1 Mrd. US-$, wovon auf Deutschland als größte Gläubigernation 21,1 Mrd. US-$ entfielen. Nach Differenzen in den Verhandlungen mit IWF, Weltbank und dem „Club of Paris“ nahm die russische Regierung Mitte 2001 den Schuldendienst wieder auf, so dass letztlich die verbleibende Auslandsverschuldung ohne einen Forderungsverzicht abgetragen wurde. 4 Müller-Eicker, Stephan, Restrukturierung der Auslandsverschuldung Russlands zwischen 1998 und 2002, in: Schwarze et al., Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikforschung im Wandel – Festschrift für Christof Helberger zum 65. Geburtstag Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000-053/10 Seite 6 2.2 Argentinien, Dezember 20016 Die Erklärung der Zahlungsunfähigkeit Argentiniens Ende Dezember 2001 durch den nur fünf Tage im Amt weilenden Interims-Präsidenten Saá stellte den bedeutendsten Fall eines Staatsbankrotts in der jüngeren Geschichte dar. In erster Linie, da die nicht weiter bedienten Auslandsschulden den Rekordbetrag von ca. 82 Mrd. US-Dollar erreichten. In zweiter Linie war Argentinien jedoch auch ein Beispiel dafür, dass ein einstmals reicher Staat – Argentiniens Wohlstand war Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem der mitteleuropäischen Mächte vergleichbar7 – durch politische Instabilität und Misswirtschaft innerhalb weniger Jahrzehnte den Großteil seines Wohlstandes verlieren kann. Auch wenn einige Ursprünge der Finanzkrise 1999 – 2001 teilweise bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts zurückreichen, soll hier nur auf die jüngere Geschichte Bezug genommen werden. Nach einer Hyperinflation 1989 wurde durch eine Dollarbindung der Landeswährung ein Rückgang der Inflation erreicht, die allerdings im ein- bis zweistelligen Bereich verblieb, was zu einer kontinuierlichen Verteuerung argentinischer Produkte auf dem Weltmarkt führte und eine negative Handelsbilanz zum Ergebnis hatte. Dies wurde regelmäßig durch Neuverschuldung ausgeglichen , so dass die Schulden Argentiniens anstiegen. Dieser Prozess wurde durch die Mexikokrise (1995) und vor allem durch die Brasilienkrise (1998) verschärft. Brasilien wertete 1998 seine Landeswährung Real um fast 50 Prozent ab, um den Export anzukurbeln. Dies war für Argentinien doppelt nachteilig: Zum einen verdrängten brasilianische Produkte die argentinischen auf dem Weltmarkt und zum anderen brach der Handel mit Brasilien als wichtigstem Handelspartner Argentiniens faktisch ein. So wurden zwar vermehrt brasilianische Produkte importiert, es konnten aber keine argentinischen Produkte aufgrund der Teuerung mehr exportiert werden. Zudem verlegten viele argentinische Unternehmen ihren Sitz nach Brasilien. Dadurch bedingt nahm die Neuverschuldung Argentiniens zwischen 1996 – 1999 rasant zu. Da die Dollarbindung des Peso aufrechterhalten wurde, kam es zu einer Überbewertung des Peso, zumal der Dollar Ende der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts sehr stark war. Weiterhin sanken die Agrarpreise stark, was Argentinien als Exporteur von Agrarprodukten hart traf. Dazu kamen weitere, ungünstige Faktoren . Infolge der Asienkrise setzte weltweit eine Kapitalflucht internationaler Investoren aus den Märkten der Schwellenländer ein, wovon auch Argentinien betroffen war. Aufgrund der schlechten Zukunftsprognosen für die Region fanden sich nur wenige Ausländer, die zu Investitionen bereit gewesen wären. Dazu kam nicht zuletzt aufgrund der wechselhaften Wirtschaftsituation in den letzten Jahren ein allgemeines Misstrauen gegenüber der Stabilität der argentinischen Wirtschaft . 1999 stürzte Argentinien schließlich in eine schwere Rezession. Es wurden in der Folge verschiedene Wirtschaftsmaßnahmen durchgeführt, diese blieben letztlich jedoch wirkungslos oder verschärften sogar die Situation. Endgültiger Auslöser der Zahlungsunfähigkeit war im November 2001 die Ankündigung des IWF, eine Kredittranche von 1,25 Mrd. US-Dollar nicht an Argentinien auszuzahlen, da Argentinien die vom IWF vorgegebenen Haushaltsziele nicht er- 6 Ausführliche Darstellung bei Jost, Umfang und Ursachen der Staatsverschuldung und Probleme der Umschuldung, 2003, abrufbar unter: http://www.kas.de/wf/doc/kas_3573-544-1-30.pdf. 7 Jost, Argentinien: Umfang und Ursachen der Staatsverschuldung und Probleme der Umschuldung, 2003, abrufbar unter: http://www.kas.de/wf/doc/kas_3573-544-1-30.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000-053/10 Seite 7 reicht hatte. Ein massiver Vertrauensverlust und Kapitalabfluss waren die Folgen. Auch letzte Rettungsmaßnahmen wie das „corralito“, nach dem Bürger und Unternehmen nur 250 Peso in bar pro Woche von ihren Girokonten abheben durften, entfalteten keine heilsame Wirkung. Stattdessen wurde der Volkszorn entfacht, es kam zu Aufständen und gewaltsamen Auseinandersetzungen . Schließlich wurde Ende Dezember 2001 die Zahlungsunfähigkeit bezogen auf bilaterale Auslandsschulden proklamiert, multilaterale Schulden (IWF, Weltbank) wurden jedoch weiterhin bedient. Nach Berechnung des argentinischen Finanzministeriums8 betrugen die zwischen 2001 und 2004 (inklusive Zinsrückstände) aufgelaufenen Auslandsschulden insgesamt 191,3 Mrd. US-$. 40,4 Prozent der Schulden waren von der Einstellung der Zahlungen nicht betroffen und 4,1 Prozent (Restschulden aus der Zahlungskrise des Jahres 1982) erklärte die Regierung als uneinbringlich. Von den verbleibenden 106,2 Mrd. US-$ Auslandsschulden wurden zwei Drittel von ausländischen Finanzinstituten und Investoren gehalten, auf deutsche Kreditgeber entfielen 5,1 Prozent. In der Folgezeit führte Argentinien sowohl mit dem IWF als auch mit verschiedenen nationalen und internationalen Gläubigervereinigungen9 intensive Verhandlungen. In den sich bis zum Jahr 2005 hinziehenden Umschuldungsverhandlungen forderte die argentinische Regierung für ihre Anleihen hohe Wertabschläge und den Verzicht auf Begleichung der aufgelaufenen Zinsrückstände , insgesamt Schuldabschläge zwischen 64 und 82 Prozent. Im Ergebnis akzeptierten drei Viertel der Schuldner schließlich eine Abwertung ihrer Forderungen um 43 Prozent, eine Umwandlung ihrer Anleihen in niedriger verzinsliche Papiere und zusätzlich den Verzicht auf die aufgelaufenen Zinsansprüche. Nach groben Schätzungen verloren die internationalen Kreditgeber insgesamt ca. 83,6 Mrd. US-$. Entsprechend des oben genannten Anteils von 5,1 Prozent war dies für deutsche Kapitalgeber ein Verlust von ca. 4,4 Mrd. US-$. 8 Shapiro, Robert J., Pham, Nam D., Discredited – The Impact of the Argentina’s Sovereign Debt Default and Debt Restructuring on U.S. Taxpayers and Investors, October 2006, S. 11 ff. 9 In Deutschland gründete z.B. die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DWS) die „Arbeitsgemeinschaft Argentinien-Anleihen“; daneben gab es auch das Global Committee of Argentina Bondholders, das die Interessen geschädigter Besitzer von Argentinien-Anleihen aus aller Welt vertrat.