Deutscher Bundestag Zulässigkeit von Finanzhilfen des Internationalen Währungsfonds zugunsten eines Mitgliedstaates, der an der dritten Stufe der Wirtschaftsund Währungsunion teilnimmt Sachstand Wissenschaftliche Dienste WD 4 – 3000 - 050/10 WD 11 – 3000 - 041/10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 – 3000 – 050/10 WD 11 – 3000 - 041/10 Seite 2 Zulässigkeit von Finanzhilfen des Internationalen Währungsfonds zugunsten eines Mitgliedstaates , der an der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion teilnimmt Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 11 – 3000 - 041/10 WD 4 – 3000 – 050/10 Abschluss der Arbeit: 24. Februar 2010 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen WD 11: Europa Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 – 3000 – 050/10 WD 11 – 3000 - 041/10 Seite 3 1. Finanzhilfen des Internationalen Währungsfonds Ein Kernmandat des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist die Bereitstellung von Mitteln an Mitgliedsländer mit Zahlungsbilanzproblemen. Wenn ein Mitgliedsland einen Antrag stellt, werden die Mittel durch den IWF in der Regel im Rahmen einer „Vereinbarung“ bereitgestellt. Darin werden die spezifischen Politiken und Maßnahmen festgelegt, zu denen das Land sich verpflichtet, um seine Finanzprobleme zu lösen. Sobald eine Vereinbarung vom Exekutivdirektorium des IWF gebilligt wird, wird der Kredit meist in Raten ausbezahlt, die mit der Umsetzung des Regierungsprogramms einhergehen. Der IWF hat in den vergangenen Monaten vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzkrise u. a. auch mit den drei EU-Staaten Ungarn, Lettland und Rumänien Vereinbarungen über sogenannte Bereitschaftskredite abgeschlossen. Gebilligt wurden sie nach dem Verfahren des IWF für Notfälle . Die Kredite haben eine Laufzeit zwischen 17 und 27 Monaten. Sie sind mit spezifischen Auflagen verbunden, die die besondere Situation der Länder berücksichtigen. Das Programm für Lettland enthält z. B. folgende Elemente: • immediate measures to stem the loss of bank deposits and international reserves; • steps to restore confidence in the banking system in the medium-term and to support private debt restructuring; • fiscal measures to limit the substantial widening in the budget deficit, and prepare for early fulfillment of the Maastricht criteria; and • incomes policies and structural reforms that will rebuild competitiveness under the fixed exchange rate regime.1 Die Bereitschaftskredite des IWF sind jeweils Teil eines multilateralen Hilfspaketes an dem sich auch die Europäische Union2 (EU) und die Weltbank beteiligt haben. Dementsprechend werden die einzelnen Raten auch erst nach Absprache mit diesen Institutionen ausgezahlt. 1 Vgl. IMF Executive Board Approves € 1.68 Billion (US$2.35 Billion) Stand-By Arrangement for Latvia. Press Release No. 08/345 December 23, 2008. abrufbar unter: http://www.imf.org/external/np/sec/pr/2008/pr08345.htm (24. Februar 2010). 2 Die EU hat Lettland mit Entscheidung 2009/290/EG des Rates vom 20. Januar 2009 auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 332/2002 des Rates vom 18. Februar 2002 zur Einführung einer Fazilität des mittelfristigen finanziel-len Beistands zur Stützung der Zahlungsbilanzen der Mitgliedstaaten ein Zahlungsbilanzdarlehen in Höhe von insgesamt 3,1 Mrd. Euro gewährt. Eine solche Unterstützung kommt für EU-Mitgliedstaaten, die an der dritten Stufe der Wirtschafts - und Währungsunion (WWU) teilnehmen, nicht in Betracht. Sie wurden mit dem Zeitpunkt ihrer Teilnahme an der dritten Stufe der WWU vom Kreis der Adressaten des gemeinschaftlichen Systems des mittelfristigen finanziellen Beistands ausgeschlossen (Art. 119 Abs. 4 EGV sowie Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 332/2002 des Rates). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 – 3000 – 050/10 WD 11 – 3000 - 041/10 Seite 4 2. Zulässigkeit nach den grundlegenden Verträgen der Europäischen Union Mit dem Eintritt in die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) geht die Verantwortung für die Geld- und Wechselkurspolitik der beteiligten Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft über. Durch die Übertragung ihrer geld- und währungspolitischen Souveränität auf die Gemeinschaft verlieren diese Staaten ihre traditionellen makroökonomischen Steuerungsinstrumente. Bei ihnen verbleiben aber weiterhin die umfangreichen Entscheidungsspielräume in der Haushalts- und Wirtschaftspolitik , die wiederum die in die Zuständigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) fallende Geld- und Währungspolitik beeinflussen. Um dieses Spannungsverhältnis zu bewältigen, unterliegen die Mitgliedstaaten den in den Artikeln 120 bis 126 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) (zuvor Artikel 98 bis 104 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft [EGV]) kodifizierten Gemeinschaftsdisziplinen. So sind sie z.B. verpflichtet, ihre nationale Haushalts- und Wirtschaftspolitik zu koordinieren (Art. 121 Abs. 1 AEUV, zuvor Art. 99 Abs. 1 EGV) und übermäßige öffentliche Defizite zu vermeiden (Art. 126 Abs. 1 AEUV, zuvor Art. 104 Abs. 1 EGV). Sowohl die Koordinierung als auch das Gebot der Haushaltsdisziplin sind grundlegende Voraussetzungen für das Funktionieren einer Währungsunion, sie gehören folglich zu den integralen Bestandteilen der Errichtung der WWU und werden durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt garantiert. Die mit der Errichtung der dritten Stufe der WWU einhergehende Übertragung weitgehender nationaler Hoheitsrechte auf die Gemeinschaft führt nicht zu einem umfassenden Souveränitätsverlust der Mitgliedstaaten in diesem Bereich auf internationaler Ebene. Sie verfügen auch nach dem Eintritt in die dritte Stufe der WWU über Handlungsmöglichkeiten, die sich aus dem Fortbestehen nationaler Kompetenzen, z.B. in der Haushalts- und Wirtschaftspolitik ergeben. Art. 219 Abs. 4 AEUV (zuvor Art. 111 Abs. 5 EGV) stellt dies für den internationalen Bereich klar und bestimmt, dass die Mitgliedstaaten , die an der dritten Stufe der WWU teilnehmen, in internationalen Gremien verhandeln dürfen und neue Verpflichtungen eingehen können. Sie sind nicht grundsätzlich gehindert, weiterhin in internationalen Organisationen aktiv mitzuwirken, ihre dortigen Rechte in Anspruch zu nehmen und, sofern ihnen die Zuständigkeit dafür verblieben ist, neue Vereinbarungen einzugehen. Dies unterliegt jedoch dem Vorbehalt der Einhaltung des Rechts der EU, womit insbesondere die ausschließliche Zuständigkeit der Union für den Bereich der Währungspolitik zu beachten und die in den Artikeln 120 bis 126 AEUV festgelegten Unionsdisziplinen zu befolgen sind.3 Der IWF ist die wichtigste internationale Organisation im Bereich der Wirtschafts- und Währungspolitik , deren Beziehungen zur EU und ihren Mitgliedstaaten aufgrund des Übergangs zur dritten Stufe der WWU in besonderer Weise charakterisiert sind.4 Auf die Mitgliedschaft der an der dritten Stufe der WWU teilnehmenden Staaten im IWF findet die Vorschrift des Art. 219 Abs. 4 AEUV Anwendung. Danach sind diese Staaten nicht gehindert, ihre IWF-Mitgliedschaft fortzusetzen und aktiv in den Gremien des IWF mitzuwirken sowie ihre Rechte in Anspruch zu nehmen. Dies wird jedoch ausgeschlossen für jedwede im Rahmen von IWF-Aktivitäten vorgesehene Anwendung währungspolitischer Instrumente, für die die EU die ausschließliche Zuständigkeit besitzt. Dies wird darüber hinaus begrenzt durch die sich aus dem Recht der EU ergebenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Bereich der Haushalts- und Wirtschaftspolitik. 3 Vgl. Bandilla, Rüdiger in: Grabitz, Eberhard/Hilf, Meinhard: Das Recht der Europäischen Union, München, 2009, Art. 111, Rn. 68 ff. 4 Zu den besonderen Problemen dieser Beziehung vgl. im Detail Bandilla, Rüdiger in: Grabitz, Eberhard/Hilf, Meinhard: Das Recht der Europäischen Union, München, 2009, Art. 111, Rn. 75. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 – 3000 – 050/10 WD 11 – 3000 - 041/10 Seite 5 Die Inanspruchnahme von Finanzhilfen des IWF durch einen an der dritten Stufe der WWU teilnehmenden Staat als Form der Wahrnehmung der sich aus der IWF-Mitgliedschaft dieses Staates ergebenden Rechte ist somit nach Art. 219 Abs. 4 AEUV grundsätzlich möglich. Grenzen für diese Wahrnehmung mitgliedschaftlicher Rechte könnten sich insbesondere aus den Verbotsbestimmungen der Artikel 123 bis 125 AEUV ergeben. Zur Stärkung der Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten schließen sie den Zugang der öffentlichen Hand zu Überziehungs- und Kreditfazilitäten bei der EZB oder bei nationalen Zentralbanken (Art. 123 AEUV) aus und verwehren der öffentlichen Hand auch einen bevorrechtigten Zugang zu den Leistungen von Finanzinstituten (Art. 124 AEUV). Die Bestimmungen sind insbesondere darauf gerichtet, den öffentlichen Sektor bei seinen Finanzierungsgeschäften der Disziplin der Marktmechanismen zu unterwerfen. Die sog. No-Bail-Out- Klausel des Art. 125 Abs. 1 AEUV bestimmt, dass weder die EU noch ein Mitgliedstaat für die Verbindlichkeiten eines Mitgliedstaates haftet oder eintritt. Die Verbotsbestimmungen der Artikel 123 bis 125 AEUV erfassen nicht mögliche Finanzhilfen des IWF. Der IWF zählt nach den Bestimmungen der Verordnung (EG) 3603/935 sowie der Verordnung (EG) 3604/936 nicht zu den Regelungsadressaten der Vorgängernormen der heutigen Artikel 123 bis 125 AEUV. 5 Verordnung (EG) Nr. 3603/93 des Rates vom 13. Dezember 1993 zur Festlegung der Begriffsbestimmungen für die Anwendung der in Artikel 104 und Artikel 104b Absatz 1 des Vertrages vorgesehenen Verbote, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31993R3603:DE:HTML (24. Februar 2010). 6 Verordnung (EG) Nr. 3604/93 des Rates vom 13. Dezember 1993 zur Festlegung der Begriffsbestimmungen für die Anwendung des Verbots des bevorrechtigten Zugangs gemäß Artikel 104a des Vertrages, abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31993R3604:DE:HTML (24. Februar 2010).