© 2019 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 049/19 und PE 6 - 3000 - 37/19 Steuererhebungsrecht der Gemeinden für eine kommunale Einkommensteuer aus Art. 106 Abs. 5 GG Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Der Bestimmtheitsgrundsatz 6 2.3.2. Allgemeiner Gleichheitssatz 7 2.3.3. Sonstige Voraussetzungen verfassungsrechtlicher Art 7 3. Möglichkeit der nachträglichen Verrechnung im Ausland gezahlter Steuern 8 4. Welche rechtlichen Folgewirkungen durch ein solches Steuererhebungsrecht der Gemeinden müssten im Rahmen des Finanzausgleichsgesetzes und möglicherweise auch anderer Gesetze berücksichtigt werden? 9 5. Kommunale Einkommensteuer und Unionsrecht (Fachbereich PE 6) 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 049/19 und PE 6 - 3000 - 37/19 Seite 4 1. Einleitung Aktuell bestehen in der Politik und in der juristischen Literatur Überlegungen zur Reform der Grundsteuer. Teilweise wird erwogen, die Grundsteuer gänzlich abzuschaffen. Als Ausgleich hierfür soll den Gemeinden das Recht zur Seite gestellt werden, Hebesätze festzulegen. Hebesätze sind – abstrakt betrachtet – Größen, die auf nach gesetzlichen Vorschriften zu ermittelnde Steuermessbeträge angewendet werden, um die Steuerschuld zu bestimmen. Sie entsprechen damit als letztes Element der Berechnung der konkreten Steuer – nach Steuersubjekt, Steuerobjekt, Bemessungsgrundlage und Steuereinheit – faktisch dem Steuersatz.1 Ein Hebesatz ist grundsätzlich ein von der Gemeindevertretung jährlich festzulegender Prozentsatz. Die Multiplikation dieses Prozentsatzes mit den vom Finanzamt festgestellten Steuermessbeträgen ergibt die Steuerschuld des Steuerpflichtigen.2 Das vom Auftraggeber zur Prüfung gestellte Modell sieht vor, dass basierend auf dem zu versteuernden Einkommen von beschränkt und unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen zunächst eine 1% -ige Einwohnersteuer als kommunale Einkommensteuer erhoben werden könnte. Darauf hätte die jeweilige Wohnsitzgemeinde ein Hebesatzrecht von 0% bis 200%, sie könnte also 0% bis zu 2% der Einkommensteuerbemessungsgrundlage als Steuer erheben, wobei Erhebungswege und –prozesse dieselben wie bei der herkömmlichen Einkommensteuer wären. Bei nichtselbstständiger Arbeit sollen die Zuschlagsätze mit der Lohnsteuer über das Finanzamt an die Wohnsitzgemeinde weitergeleitet werden. Bei Quellensteuern soll ein pauschalierter Zuschlagsatz erhoben werden. Ausländische Einkünfte sollen unter Anrechnung der im Ausland gezahlten Steuern in die Bemessungsgrundlage eingerechnet werden. 2. Artikel 106 Abs. 5 GG als Grundlage eines kommunalen Hebesatzrechts (Artikel 106 Abs. 5 S 1 bis 2 GG) Fraglich ist, woraus sich im Einzelnen ein solches Steuererhebungsrecht in Form eines Hebesatzes der Gemeinden herleiten lässt. In Betracht kommt dabei Art. 106 Abs. 5 des Grundgesetzes. Hier heißt es: (5) Die Gemeinden erhalten einen Anteil an dem Aufkommen der Einkommensteuer, der von den Ländern an ihre Gemeinden auf der Grundlage der Einkommensteuerleistungen ihrer Einwohner weiterzuleiten ist. Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Es kann bestimmen, dass die Gemeinden Hebesätze für den Gemeindeanteil festsetzen. Im Grundgesetz finden sich in Art. 106 Abs. 5 bis 7 die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen zur Sicherung der Selbständigkeit der Kommunen, die ihnen eigene Steuerquellen überlassen und ihre Stellung im bundesstaatlichen Finanzausgleich regeln. 1 Schulte, Bernd: Kommunale Einkommensbesteuerung, S. 118, cc). 2 Birk: Steuerrecht, Rn. 1423. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 049/19 und PE 6 - 3000 - 37/19 Seite 5 2.1. Gesetzlich festzulegender Anteil und aktuelle Rechtslage Die Vorschrift garantiert den Gemeinden zunächst einen bundesrechtlich festzusetzenden Anteil an der Einkommensteuer. Die Gemeinden erhalten gemäß Art. 106 Abs. 3 S. 1 in Verbindung mit Abs. 5 GG einen bundesgesetzlich (mit Zustimmung des Bundesrates) zu definierenden Anteil des gesamtstaatlichen Aufkommens der Einkommensteuer (Abs. 5 S. 1-2). 3 Diese Verfassungsnorm stellt dabei eine Konkretisierung des Art. 28 Abs. 2 GG dar. Die in ihr vorgesehene, aber nicht näher bezifferte kommunale Steuerbeteiligung darf dabei in ihrer Ausgestaltung nicht zu einer Unterschreitung des durch Art. 28 Abs. 2 GG garantierten Gesamtumfangs der gemeindlichen Finanzausstattung führen. Dieser muss, auch wenn seine Höhe verfassungsrechtlich nicht vorbestimmt ist, eine eigenständige Säule der gemeindlichen Finanzausstattung darstellen.4 Technisch wird er vor der Aufteilung zwischen Bund und Ländern aus der Aufteilungsmasse dieser Gemeinschaftsteuer abgesondert und dann von den Ländern nach Maßgabe der Einkommensteuerleistungen ihrer Einwohner an die Gemeinden weitergeleitet. Gemäß dem Gemeindefinanzreformgesetz (GemFinRefG) werden den Gemeinden derzeit 15% des Aufkommens an Lohnund veranlagter Einkommensteuer zugesprochen (§ 1 GemFinRefG), sowie 12% des Ertrags bestimmter Unterfälle der Kapitalertragsteuer. 2.2. Möglichkeit einer kommunalen Einkommensteuer (Hebesatzrecht) (Artikel 106 Abs. 5 S. 3 GG) Den Rahmen einer bloßen Aufteilung des erhobenen Steuervolumens übersteigt die in Abs. 5 S. 3 vorgesehene Möglichkeit, den Gemeinden ein Hebesatzrecht auf ihren Anteil an der Einkommensteuer einzuräumen. 5 Demnach sieht das Grundgesetz in der Vorschrift ein entsprechendes Hebesatzrecht der Gemeinden in Form einer „Kannbestimmung“ vor.6 Ein Hebesatzrecht für den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer steht den Gemeinden aber nur nach Einräumung durch den Bundesgesetzgeber zu, vgl. Art. 106 Abs. 5 S. 3 GG.7 Nach der Gesetzesbegründung zu Art. 106 Abs. 5 S. 3 GG bedeutet das Hebesatzrecht, dass die Gemeinden das Recht erhalten, den Tarif für den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer ihrer Einwohner in gesetzlichen Grenzen nach oben oder unten zu verändern.8 Artikel 106 Abs. 5 S. 3 GG ermächtigt demnach den Bundesgesetzgeber , den Gemeinden ein Hebesatzrecht auf die Gemeindeanteile an der Einkommensteuer einzuräumen.9 Hierfür spricht auch der Wortlaut des Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG. Den Gemeinden wird hier das Bestehen zumindest einer mit Hebesatzrecht ausgestatteten wirtschaftsbezoge- 3 Maunz/Dürig/Seiler: Grundgesetz-Kommentar, Rn. 164 (beck-online). 4 BVerfG, Beschluss v. 15.10.1985, Az. 2 BvR 1808,1809,1810/82. 5 Maunz/Dürig/Seiler: Grundgesetz-Kommentar, Rn. 164 (beck-online). 6 Münch/Kunig: Grundgesetz-Kommentar, Art. 106, Rn. 47. 7 Andel, Norbert: Finanzwissenschaft, S. 519. 8 BT-Drs. V/2861 Tz. 338. 9 Dreier: Grundgesetz Kommentar, Art. 105 Rn. 34. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 049/19 und PE 6 - 3000 - 37/19 Seite 6 nen Steuerquelle garantiert. Wenn Art. 28 Abs. 2 S. 3 2. Hs. GG das Bestehen einer an die Wirtschaftskraft anknüpfenden mit Hebesatzrecht ausgestatteten Steuerquelle vorsieht, dann kann das neben der Gewerbeertragssteuer nur noch die Einkommensteuer meinen, weil alle anderen nach derzeitigem Verfassungsrecht den Gemeinden zumindest mit-zustehenden Steuern tatbestandlich nicht in Betracht kommen.10 Auch in der amtlichen Begründung zu Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG heißt es, die verfassungsrechtliche Ergänzung sei „erforderlich, um kommunale Finanzautonomie durch den Bestand der Gewerbeertragsteuer oder eine andere an der Wirtschaftskraft der am Wirtschaftsleben in der jeweiligen Gemeinde Beteiligten anknüpfende Steuer zu gewährleisten.“ Daraus lässt sich einerseits entnehmen, dass die Gewerbesteuer derzeit den verfassungsmäßigen Auftrag aus Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG erfüllt. Auf der anderen Seite ist jedoch bereits aus diesem Wortlaut der Gesetzesbegründung zu folgern, dass der Bestand der Gewerbesteuer durch diese Vorschrift nicht verfassungsrechtlich gesichert ist. Sie könnte vielmehr durch eine andere, vergleichbare Steuer ersetzt werden. Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG kommt über eine deklaratorische Bestärkung der kommunalen Finanzautonomie hinaus ebenso die Funktion zu, den Kommunen mit der Garantie einer wirtschaftskraftbezogenen Steuerquelle mit Hebesatzrecht auch ein Instrument der Standortpolitik zuzuweisen.11 Der Gesetzgeber hat von dieser Option bis dato allerdings noch keinen Gebrauch gemacht. 2.3. Verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstäbe Die grundsätzliche Möglichkeit eines solchen direkten und eigenen Steuererhebungsrechts für die Gemeinden besteht also. Eine entsprechende Regelung müsste indes mit dem Grundgesetz vereinbar sein. Mangels eines existierenden Gesetzesentwurfes gestaltet sich eine verfassungsrechtliche Überprüfung schwierig, da es dabei insbesondere auf die konkrete Ausgestaltung des Gesetzesvorhabens ankommt. Insofern können hier nur allgemeine verfassungsrechtliche Maßstäbe für die Prüfung von Steuergesetzen und in der Literatur diskutierte verfassungsrechtliche Probleme zum Hebesatzrecht der Gemeinden hinsichtlich der Einkommensteuer angesprochen werden.12 Im Einzelnen zu beachten sind in diesem Zusammenhang: 2.3.1. Der Bestimmtheitsgrundsatz Nach diesem müssen Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß derart bestimmt sein, so dass die Steuerlast messbar und für den Steuerbürger voraussehbar und berechenbar ist. 10 Weiß, Wolfgang: Finanzverfassung und kommunale Einnahmen in Zeitschrift für Kommunalfinanzen, 2001, S. 27. 11 Schulte: Kommunale Einkommensbesteuerung, S.105-106, a). 12 Wissenschaftliche Dienste: „Zulässigkeit eins kommunalen Hebesatzrechtes“, WD 4 – 3000 – 292/10, 22. November 2010 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 049/19 und PE 6 - 3000 - 37/19 Seite 7 2.3.2. Allgemeiner Gleichheitssatz Diesem Grundsatz nach sollen Steuerzahler je nach individueller wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit unterschiedlich besteuert werden. So muss die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich zur Steuerbelastung niedrigerer Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen (sogenannte vertikale Steuergerechtigkeit), während gleich leistungsfähige Subjekte auch gleich hoch besteuert werden müssen (sogenannte horizontale Steuergerechtigkeit). Im Falle der Gewährung eines kommunalen Hebesatzrechtes könnte dies zu unterschiedlichen Spitzensteuersätzen der Gemeinden führen, was unter Umständen den allgemeinen Gleichheitssatz verletzen könnte. Einziges Unterscheidungsmerkmal wäre hier bei gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit die Ansässigkeit in den unterschiedlichen Gemeinden. Wie dargestellt, ergibt sich jedoch aus Art. 28 Abs. 2 S. 3 in Verbindung mit Art. 106 Abs. 5 GG ein Hebesatzrecht der Kommunen. Art. 3 Abs. 1 GG bindet nur den jeweiligen Hoheitsträger im Rahmen seines eigenen Kompetenzbereichs, weshalb der Erlass unterschiedlicher Gesetze durch unterschiedliche Hoheitsträger nie gleichheitssatzwidrig sein kann. Eine Grenze in den Differenzierungsmöglichkeiten setzt jedoch Art. 72 Abs. 2 GG, da die Forderung nach gleichwertigen Lebensverhältnissen im Bundesgebiet auch auf der kommunalen Ebene zur Anwendung kommt.13 In diesem Zusammenhang warnen Teile der Literatur vor einer potentiellen Verletzung der Steuergerechtigkeit , wenn bei der Ausgestaltung von kommunalen Hebesatzrechten eine Veränderung der Tarifprogression erfolgen würde.14 Eine Beeinträchtigung wäre darin zu sehen, dass die Gemeinden von jenem Tarif abweichen würden, den der Steuergesetzgeber hinsichtlich der vertikalen Lastenverteilung für gerecht erachtet und beschlossen hat. Als Problemlösung wird eine gesetzgeberische Rahmenvorgabe zur Ausübung des Hebesatzrechtes der Gemeinden vorgeschlagen , um den Einfluss auf die Tarifprogression in einem überschaubaren Bereich halten zu können . Ferner könnten Progressionsverschärfungen eintreten, wenn das Hebesatzrecht bei einem progressiven Tarif am Steuersatz selbst oder am Steuerbetrag anknüpfe.15 Eine solche Verschärfung der Progression könne durch eine Begrenzung des Hebesatzrechtes und durch eine Absenkung der Steuersätze über den gesamten Tarifverlauf hinweg eingedämmt werden. 2.3.3. Sonstige Voraussetzungen verfassungsrechtlicher Art Neben dem allgemeinen Gleichheitssatz sind des Weiteren das Rückwirkungsverbot, das Gebot der Berücksichtigung des steuerlichen Existenzminimums und der allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Mangels einer konkreten Gesetzesausfertigung kann an dieser Stelle keine weitere Prüfung erfolgen. Grundsätzliche Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit einer kommunalen Einkommensteuer mit dem Grundgesetz bestehen hier diesbezüglich aber nicht. 13 Hey, Johanna: "Kommunale Einkommen- und Körperschaftsteuer" in Steuer und Wirtschaft 2002, S. 320. 14 vgl. insbesondere zu steuer- und finanzpolitischen Überlegungen hinsichtlich der Ausgestaltung eines Hebesatzrechtes der Gemeinden Schemmel, Kommunale Steuerautonomie und Gewerbesteuerabbau, Karl-Bräuer- Institut des Bundes der Steuerzahler e.V., 2002, S. 74, 78f. 15 vgl. Schemmel, a.a.O., S. 79. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 049/19 und PE 6 - 3000 - 37/19 Seite 8 3. Möglichkeit der nachträglichen Verrechnung im Ausland gezahlter Steuern Grundsätzlich kann der Staat auf ausländische Einkünfte, die gemäß einem Doppelbesteuerungsabkommen von der Steuer freigestellt sind, nicht zugreifen, § 34c Abs. 6 S. 1 EStG. Diese sind somit bei der „kommunalen Einkommensteuer“ außer Acht zu lassen. Zu klären ist jedoch, wie es sich mit den übrigen ausländischen Einkünften verhält. Diese werden grundsätzlich im Inland besteuert, die im Ausland gezahlte Steuer ist jedoch gemäß § 34c EStG anzurechnen. In diesem Zusammenhang gilt zu es erörtern, ob die ausländische Steuer auch teilweise auf die kommunale Einkommensteuer angerechnet werden muss, oder ob vielmehr eine Anrechnung nur auf die staatliche Steuer angemessen erscheint. Hinsichtlich der ersten Variante stellt sich dann die Frage, ob eine Anrechnung auf die kommunale Einkommensteuer „nachgelagert“ werden kann, ob also nach kompletter Verrechnung mit der Einkommensteuer im Anschluss eine Verrechnung mit der kommunalen Steuer erfolgen kann. Für den Steuerpflichtigen ist diese Frage nicht weiter relevant, da sie sich im Ergebnis auf seine absolute Steuerbelastung nicht auswirkt. Maßgeblich ist daher allein, ob neben Bund und Ländern auch die Gemeinden sich einen Teil der bereits im Ausland gezahlten Steuern anrechnen lassen sollten oder müssen. Dagegen könnte sprechen, dass die im Ausland gezahlten Steuern grundsätzlich in keinem Zusammenhang mit der kommunalen Besteuerung der Einwohner stehen. Entsprechend ließe sich begründen, die ausländischen Steuern vollständig von der staatlichen Einkommensteuer abzuziehen . Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass auch die ausländischen Einkünfte in keinem Zusammenhang mit den kommunalen Verhältnissen des Steuerpflichtigen stehen. Diese könnten jedoch nur mit großem administrativem Aufwand aus der Bemessungsgrundlage der kommunalen Steuer herausgerechnet werden. Daher ist es sachgerecht, dass - wenn ausländische Einkünfte in die Bemessung der kommunalen Steuer einfließen - auch ausländische Steuern auf kommunaler Ebene angerechnet werden sollten. Fraglich ist indes, wie dies im Einzelnen ausgestaltet werden sollte. Bei einer Anknüpfung der kommunalen Steuer an das zu versteuernde Einkommen müsste die gezahlte ausländische Steuer bei der kommunalen Einkommensteuer gesondert berücksichtigt werden. Eine nachträgliche Verrechnung mit der kommunalen Steuer nach kompletter Verrechnung mit der Einkommensteuer (demnach im Wege der Anrechnungsmethode gemäß § 34c Abs. 1 EStG) würde je nach der Höhe des Anrechnungshöchstbetrages und der im Ausland entrichteten Steuer zu ungleichen Gewichtungen hinsichtlich der reduzierten Steuereinnahmen der Kommunen einerseits und der des Bundes und der Länder andererseits führen. Daher müsste die Steuerermäßigung entsprechend des Verhältnisses der erhobenen kommunalen und staatlichen Einkommensteuer auf diese beiden Steuern angerechnet werden. Zur administrativen Vereinfachung könnte auch hier eine Berechnung anhand pauschalierter Steuer- bzw. Hebesätze oder gar eine pauschale Aufteilung in Betracht gezogen werden.16 16 Schulte: Kommunale Einkommensbesteuerung, S. 221 – 222, f). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 049/19 und PE 6 - 3000 - 37/19 Seite 9 4. Welche rechtlichen Folgewirkungen durch ein solches Steuererhebungsrecht der Gemeinden müssten im Rahmen des Finanzausgleichsgesetzes und möglicherweise auch anderer Gesetze berücksichtigt werden? Zu dem von dem Auftraggeber skizzierten Reformmodell liegen keine Modellberechnungen vor. Die Wissenschaftlichen Dienste führen selbst solche Berechnungen nicht durch. Die Ausführungen können sich demnach nur auf öffentlich zugängliche Untersuchungen stützen. Bisherige Studien haben sich mit den Auswirkungen der Grundsteuerreformmodelle auf den Finanzausgleich beschäftigt. Eine Abschaffung der Grundsteuer wurde bisher nicht in Betracht gezogen. Durch die beschlossene Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen erfolgt ab 2020 eine Angleichung der Finanzkraftunterschiede der Länder über Zu- und Abschläge bei der Umsatzsteuerverteilung und Sonderbedarfsergänzungszuweisungen des Bundes. Bei der Berechnung der Finanzkraft eines Landes findet auch die kommunale Steuerkraft (ab 2020 75%) Berücksichtigung. Die Abschaffung der Grundsteuer und die parallele Einführung eines kommunalen Hebesatzrechtes auf die Einkommensteuer haben Auswirkungen auf die kommunale Steuerkraft und folglich auch auf den Finanzausgleich. Detaillierte Quantifizierungen sind jedoch nicht darstellbar. Im Rahmen der Gemeindefinanzreformkommission, die im Jahr 2002 eingesetzt worden war, wurde als Ersatz für die Gewerbesteuer ein kommunaler Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer diskutiert. Untersuchungen, auch zu möglichen Auswirkungen im Finanzföderalismus , beziehen sich folglich auf diesen Reformvorschlag. Das Deutsche Wissenschaftliche Institut der Steuerberater e.V. geht von „Verschiebungen im Rahmen des Finanzausgleichs zwischen Bund, Ländern und Gemeinden“ aus.17 Jedoch werden diese nicht weiter beziffert. Auch Buettner geht in seinem Working Paper für das Institut für Wirtschaftsforschung von „erheblichen Problemen für die Gemeinden“ aus, die durch Anpassungen im Finanzausgleich abgemildert werden könnten.18 Folglich müssen neben möglichen Veränderungen im Länderfinanzausgleich auch die Auswirkungen auf die kommunalen Finanzausgleiche der Länder bei einem solchen Reformmodell berücksichtigt werden. 5. Kommunale Einkommensteuer und Unionsrecht (Fachbereich PE 6) In Bezug auf die europarechtliche Relevanz ist zunächst die Zuständigkeitsverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten für steuerrechtliche Regelungen zu klären. Was den hier betroffenen Bereich der sog. direkten Steuern angeht, kommt als Rechtsgrundlage nur Art. 115 AEUV in Betracht . Diese Vorschrift regelt den Erlass von Richtlinien, die der Angleichung derjenigen Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten dienen, die sich unmittelbar auf die Errichtung 17 Deutsches Wissenschaftliches Institut der Steuerberater e.V.: Vorschlag einer kommunalen Einkommen- und Körperschaftsteuer, Berlin, Juli 2010, S. 27. 18 Buettner: Reform der Gemeindefinanzen, Ifo-Working Paper No. 45, München, April 2007, S. 21ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 049/19 und PE 6 - 3000 - 37/19 Seite 10 oder das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken.19 Es handelt sich um eine zwischen der EU und den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit (vgl. Art. 2 Abs. 2, Art. 4 Abs. 2 Buchst. a AEUV). Soweit ersichtlich, hat die EU auf dieser Grundlage bisher keine hier relevanten einkommensteuerrechtlichen Vorschriften erlassen, so dass die Mitgliedstaaten ihre in diesem Bereich geteilte Zuständigkeit wahrnehmen können.20 Außerhalb der Reichweite des Art. 115 AEUV sind sie für den Erlass einkommensteuerrechtlicher Regelungen mangels EU-Kompetenz ausschließlich zuständig.21 Allerdings haben die Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeit in beiden Fällen nach ständiger Rechtsprechung des EuGH unter Wahrung des Unionsrechts auszuüben.22 Zu beachten sind dabei insbesondere die Grundfreiheiten,23 die nicht nur ungerechtfertigte Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbieten, sondern auch sonstige Maßnahmen, die die Aufnahme und Ausübung abhängiger (Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV) oder selbständiger Erwerbstätigkeiten (Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV) sowie der grenzüberschreitenden Investitionstätigkeit (Kapitalverkehrsfreiheit, Art. 63 Abs. 1 AEUV) weniger attraktiv machen, ohne dass dies gerechtfertigt ist.24 Vorliegend können grundfreiheitliche Vorgaben vor allem im Zusammenhang mit der Anrechnung von im EU-Ausland gezahlten Steuern eine Rolle spielen.25 So wurde etwa die frühere Fassung des § 34c EStG zur Steuerermäßigung bei ausländischen Einkünften vom EuGH als unvereinbar mit der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 AEUV eingestuft.26 Die ab den Verrechnungszeitraum 2015 geltende, neue Regelung des § 34c EStG zur Berechnung des Anrechnungshöchstbetrags wird in der Literatur hingegen als europarechtskonform angesehen.27 Die in diesem Kontext seitens der EuGH-Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe dürften auch bei der Ausgestaltung der Anrechnungsmodalitäten einer kommunalen Einkommensteuer zu beachten sein.28 19 Siehe hierzu Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 115 AEUV (65. EL August 2018), Rn. 1 (zur Anwendung auf direkte Steuern), Rn. 9 ff. (zu den tatbestandlichen Voraussetzungen), jeweils mit weiten Nachweisen aus dem Schrifttum. 20 Vgl. EuGH, Urteil v. 28.02.2013, Rs. C-168/11 (Beker), Rn. 32. 21 Siehe etwa EuGH, Urteil v. 19.12.2018, Rs. C-667/17 (Cadeddu), Rn. 15. 22 Siehe EuGH, Urteil v. 19.12.2018, Rs. C-667/17 (Cadeddu), Rn. 15, mit weiteren Verweisen auf die Rechtsprechung . 23 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 17.1.2008, Rs. C-105/07 (Lammers & Van Cleeff NV), Rn. 12 ff. 24 Siehe allgemein in Bezug auf die Einschlägigkeit der genannten Grundfreiheiten, die Prüfungs- und Rechtfertigungsmaßstäbe EuGH, Urt. v. 18.6.2015, Rs. C-9/14 (Kieback), Rn. 16 ff.; EuGH, Urt. v. 17.1.2008, Rs. C-105/07 (Lammers & Van Cleeff NV), Rn. 12 ff. 25 Siehe bspw. EuGH, Urteil v. 28.02.2013, Rs. C-168/11 (Beker), Rn. 32 ff. 26 EuGH, Urteil v. 28.02.2013, Rs. C-168/11 (Beker), Rn. 63. 27 Vgl. Wagner, in: Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 34 c EStG (143. EL August 2018), Rn. 52 f. 28 Siehe hierzu etwa Wagner, in: Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 34c EStG (143. EL August 2018), Rn. 13-14a. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 049/19 und PE 6 - 3000 - 37/19 Seite 11 Eine konkrete Beurteilung des Vorschlags zur Einführung einer kommunalen Einkommensteuer unter dem Gesichtspunkt der Anrechnung ausländischer Steuern oder anderer grenzüberschreitender und damit grundfreiheitlich relevanter Aspekte lässt an dieser Stelle mangels konkreter Vorgaben zur Ausgestaltung einer solchen nationalen Steuer nicht vornehmen. Im Grundsatz bestehen jedoch keine unionsrechtlichen Bedenken gegen deren Einführung. ***