© 2021 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 048/21 Vorschlag zur Integrierung eines Grundeinkommens in das Einkommensteuersystem Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 048/21 Seite 2 Vorschlag zur Integrierung eines Grundeinkommens in das Einkommensteuersystem Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 048/21 Abschluss der Arbeit: 4. Mai 2021 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 048/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Vorgehen 4 3. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Grundfreibetrag von 1992 5 4. Der Familienleistungsausgleich im Einkommensteuergesetz 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 048/21 Seite 4 1. Fragestellung Der Auftraggeber regt an, jenseits der großen Debatten um steuerfinanzierte Modelle eines Grundeinkommens und vor dem Hintergrund der Corona-Krise im bestehenden Einkommensteuersystem Reformen vorzunehmen, die eine Wirkung in Richtung eines Grundeinkommen entfalten. Ähnlich dem heutigen Kindergeld solle anstelle des Grundfreibetrags ein (partielles) Grundeinkommen in Höhe von ca. 300 Euro an alle Bürger monatlich direkt ausgezahlt werden. Im Gegenzug werde der Grundfreibetrag von aktuell 9.744 Euro gestrichen und die gesamte Einkommensteuerkurve nach links verschoben, sodass die Einkommensteuer in ansonsten unveränderter Art und Weise ab dem ersten Euro anfalle. In diesem Zusammenhang wird um die Beantwortung folgender Fragen gebeten: 1. Bei welcher Höhe des Zahlbetrags wäre die Leistung aufkommensneutral, also wann wären die Einsparungen im Sozialsystem und die Steuer-Mehreinnahmen durch den Wegfall des Freibetrags genauso hoch wie die Ausgaben durch die Auszahlung - ungeachtet der Verwaltungskosten? 2. Ab welcher Höhe des Zahlbetrags wäre die verfassungsmäßige Forderung, das Existenzminimum einkommenssteuerfrei zu stellen, erfüllt, also ab wann könnte der Steuerbonus den Grundfreibetrag tatsächlich ersetzen, ohne verfassungsrechtliche Schwierigkeiten zu bekommen? 3. Ab welchem Betrag wäre keine Günstigerprüfung (Kindergeld versus Kinderfreibetrag) mehr erforderlich? 2. Vorgehen Dem Fachbereich der Wissenschaftlichen Dienste ist es technisch und wegen der Komplexität nicht möglich, eigene Berechnungen zum Steueraufkommen oder zu Steuertarifen anzustellen. Selbst das Bundesministerium der Finanzen beauftragt bei notwendigen Schätzungen und Berechnungen Externe, wie zum Beispiel das Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT).1 In der Fachliteratur sind Untersuchungen, die die unterbreitete Fragestellung betreffen nicht veröffentlicht wurden. Im Folgenden können deshalb nur grundsätzliche Überlegungen zum Vorschlag der Integration eines Grundeinkommens in das bestehende Einkommensteuersystem angestellt werden. Grundlage der Darstellungen ist der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom September 1992 zur Verfassungswidrigkeit der damals geltenden steuerlichen Regelungen des Grundfreibetrags .2 Das BVerfG hatte über die Höhe des Grundfreibetrags zu urteilen und nahm dabei auch 1 Vgl. zum Beispiel "Entlastungswirkung durch Kindergeld und Freibeträge für Kinder 2019" in: Bundesministerium der Finanzen: Datensammlung zur Steuerpolitik 2019, Seite 54f., unter: https://www.bundesfinanzministerium .de/Content/DE/Downloads/Broschueren_Bestellservice/2020-01-30-datensammlung-zur-steuerpolitik- 2019.pdf?__blob=publicationFile&v=6, abgerufen am 29. April 2021. 2 Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25. September 1992, Aktenzeichen 2 BvL 5/91. Die Randnummern beziehen sich auf die Fassung in juris. Soweit in diesem Text nur Randnummern genannt sind, beziehen sie sich auf diesen Beschluss. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 048/21 Seite 5 die Aufgabe und die Grenzen der Steuerpolitik, die Funktion des Grundfreibetrags bei der Einkommensbesteuerung und das Zusammenspiel von Bemessungsgrundlage und Tarif in den Blick. 3. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Grundfreibetrag von 1992 Gegenstand der in der Diskussion stehenden Einkommensteuer ist das Einkommen von natürlichen Personen. Der Einkommensteuer unterliegen nur Einkünfte, die einer der in § 2 Einkommensteuergesetz (EStG) genannten Einkunftsart zuzuordnen sind. Kann die Vermehrung eines Vermögens keiner dieser sieben Einkunftsarten zugeordnet werden (zum Beispiel eine Schenkung , die Veräußerung von Gegenständen des täglichen Gebrauchs oder ein Lottogewinn), ist sie nicht einkommensteuerpflichtig.3 Auch das BVerfG geht in seinem Beschluss auf den Kern der Steuergesetze ein: Sie setzen bei etwas Erworbenem, einer Vermehrung des Vermögens an, das steuerpflichtig ist. Erst dann kann eine Verschonung stattfinden. So gesehen ist ein Grundfreibetrag kein Recht an sich, der durch einen anderen Betrag ersetzt werden kann. Es wird jedoch auch die Meinung vertreten, dass das Existenzminimum (fälschlicherweise) zunächst als zu versteuerndes Einkommen definiert wird, obwohl es aus verfassungsrechtlichen Gründen gerade nicht versteuert werden darf.4 Die Argumentation wird auch bei der Kritik am bestehenden Familienleistungsausgleich vorgebracht.5 Zur Höhe der Steuer äußert sich das BVerfG wie folgt: " … Dies bedeutet, daß ein Steuergesetz keine "erdrosselnde Wirkung" haben darf: Das geschützte Freiheitsrecht darf nur so weit beschränkt werden, daß dem Grundrechtsträger (Steuerpflichtigen ) ein Kernbestand des Erfolges eigener Betätigung im wirtschaftlichen Bereich in Gestalt der grundsätzlichen Privatnützigkeit des Erworbenen und der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis über die geschaffenen vermögenswerten Rechtspositionen erhalten bleibt. Hieraus folgt, daß dem der Einkommensteuer unterworfenen Steuerpflichtigen nach Erfüllung seiner Einkommensteuerschuld von seinem Erworbenen soviel verbleiben muß, als er zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts und - unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG - desjenigen seiner Familie bedarf ("Existenzminimum")." (Randziffer 64) 3 Bundesministerium der Finanzen: Steuern von A bis Z, Stand: 30. Juni 2019, Seite 43f., unter: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Broschueren_Bestellservice/2018-03-26- steuern-von-a-z.pdf?__blob=publicationFile&v=7, abgerufen am 29. April 2021. 4 Schlick, Gregor: Grundfreibetrag und Einkommensteuertarif – eine Trennung ist möglich, in: Wirtschaftsdienst, 93. Jahrgang, 2013, Heft 12, Seite 841 bis 845, unter: https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt /jahr/2013/heft/12/beitrag/grundfreibetrag-und-einkommensteuertarif.html, abgerufen am 30. April 2021. 5 Hey, Johanna, Randziffer 8.95, in: Tipke, Klaus; Lang, Joachim: Steuerrecht, 24. neu bearbeitete Auflage 2021, Köln. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 048/21 Seite 6 Dem Gesetzgeber steht die Art der Umsetzung der verfassungsmäßig garantierten Verschonung frei. Dazu führt das BVerfG aus: "Der existenznotwendige Bedarf bildet von Verfassungs wegen die Untergrenze für den Zugriff durch die Einkommensteuer. Das bedeutet allerdings nicht, daß jeder Steuerpflichtige vorweg in Höhe eines nach dem Existenzminimum bemessenen Freibetrags verschont werden muß. In welcher Weise der Gesetzgeber dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe Rechnung trägt, ist ihm überlassen." (Randnummer 65) So stammt von 2013 der Vorschlag, den Grundfreibetrag nicht mit Hilfe der Tarifformel des Einkommensteuertarifs abzusetzen, sondern wie andere Freibeträge „einfach“ von den Einkünften abzuziehen, ohne zu einem anderen Ergebnis zu kommen.6 In erster Linie erinnert die gewählte Formulierung des BVerfG an seinem Beschluss zum Kindergeld nach Bundeskindergeldgesetz aus dem Jahre 1990, dem der heutige Familienleistungsausgleich nach dem EStG zugrunde legt. Allerdings hat sich das BVerfG seinerzeit zum einen detaillierter geäußert, wie eine verfassungskonforme Lösung des Gesetzgebers aussehen könnte, während er sich beim Beschluss zum Grundfreibetrag kürzer fasst. Zum anderen prüft das BVerfG auch beim Beschluss zum Kindergeld die Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen und nicht eine sonstige Leistung des Staates (vgl. Kapitel 4). Das BVerfG ist in seinem damaligen Beschluss zum Grundfreibetrag auch auf die Folgen eingegangen , wenn der Gesetzgeber die steuerliche Freistellung des Existenzminimums durch einen Grundfreibetrag im Tarifverlauf gewährt, wie es ja auch heute noch der Fall ist (§ 32a EStG):7 "Wenn der Gesetzgeber einen Grundfreibetrag im Tarif vorsieht und der mit wachsendem Einkommen steigenden Belastbarkeit des Steuerpflichtigen durch die Gestaltung des Tarifs Rechnung trägt …, ist es ihm unbenommen, in folgerichtig gestalteten Übergängen … den Tarifverlauf so zu gestalten, daß die Entlastungswirkung des angemessen quantifizierten Existenzminimums , das zunächst bei allen Steuerpflichtigen berücksichtigt wird, schrittweise kompensiert wird. Ein dementsprechender Hinweis findet sich bereits im Gutachten der Steuerreformkommission 1971 (Band I Rdnr. 653 Fn. 1). …" (Randnummer 67) 6 Schlick, Gregor: Grundfreibetrag und Einkommensteuertarif – eine Trennung ist möglich, in: Wirtschaftsdienst, 93. Jahrgang, 2013, Heft 12, Seite 841 bis 845, unter: https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt /jahr/2013/heft/12/beitrag/grundfreibetrag-und-einkommensteuertarif.html, abgerufen am 29. April 2021. 7 Zur aufwändigen Berechnung des Tarifverlaufs, auch wegen der von BVerfG verbotenen „Sprünge“ bei der Besteuerung von Einkommen zwischen zwei Tarifstufen vgl. Pfeifer, Andreas: Einkommensteuertarif - Herleitung der Zahlenwerte, Februar 2015, unter: http://www.fbmn.h-da.de/~pfeifer/Einkommensteuertarif.pdf, abgerufen am 30. April 2021. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 048/21 Seite 7 Eine Streichung des Grundfreibetrags, die Auszahlung eines Betrags und die Verschiebung der Tarifkurve um den betreffenden Betrag nach links könnten bedeuten, dass der freizustellende Betrag auch bei niedrigen Einkommen überkompensiert würde. Es sei allerdings davon auszugehen, dass der Gesetzgeber diesen Mangel durch Änderung des Tarifs sofort beheben würde.8 Im weiteren Verlauf seines Beschlusses zum Grundfreibetrag bestimmt das BVerfG die Höhe des einkommensteuerlichen Existenzminimums und erlaubt dazu die Zugrundelegung einer bereits in einem anderen Politikfeld, in diesem Fall der Sozialpolitik, verwendeten Größe, also nicht deren Gleichsetzung. Dabei formuliert das BVerfG die Aufgabe der Sozialpolitik in Abgrenzung zur Steuerpolitik: "Die Höhe des steuerlich zu verschonenden Existenzminimums hängt von den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen und dem in der Rechtsgemeinschaft anerkannten Mindestbedarf ab. Diesen einzuschätzen ist Aufgabe des Gesetzgebers. Soweit der Gesetzgeber jedoch im Sozialhilferecht den Mindestbedarf bestimmt hat, den der Staat bei einem mittellosen Bürger im Rahmen sozialstaatlicher Fürsorge durch Staatsleistungen zu decken hat …, darf das von der Einkommensteuer zu verschonende Existenzminimum diesen Betrag jedenfalls nicht unterschreiten . Der Steuergesetzgeber muß dem Einkommensbezieher von seinen Erwerbsbezügen zumindest das belassen, was er dem Bedürftigen zur Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung stellt." (Randnummer 68) Bei der Einschätzung der Maßgröße kommt das BVerfG zu dem Schluss, dass das einkommensteuerliche Existenzminimum wegen des notwendigen Massenverfahrens nicht genau mit dem individuell zu bestimmenden Bedarf im Sozialrecht übereinstimmt. Die Bundesregierung veröffentlicht die Abweichungen der beiden Existenzminima im alle zwei Jahre erscheinenden Existenzminimumbericht .9 "Das Sozialrecht anerkennt den individuellen Bedarf des einzelnen Bedürftigen nach den Verhältnissen des Einzelfalls. … Für das Einkommensteuergesetz hingegen regelt der Gesetzgeber den existenzsichernden - anders als den erwerbssichernden - Aufwand in einem für alle Einkommensteuerpflichtigen einheitlichen Betrag. Die vergröbernde, die Abwicklung von Massenverfahren erleichternde Typisierung ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden …;" (Randnummer 70) Durch diese Formulierung wird der Grundfreibetrag speziell für die Funktion des Steuerrechts konzipiert und ist eher nicht darauf angelegt, durch einen zur Verfügung gestellten Betrag ersetzt zu werden. 8 Homburg, Stefan: Zur Steuerfreiheit des Existenzminimums, Finanzarchiv N.F. Tübingen, 1995, Seite 184ff., unter: https://www.econstor.eu/bitstream/10419/92901/1/Homburg1995Existenzminimum.pdf, abgerufen am 30. April 2021. 9 Aktuell: Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Höhe des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern für das Jahr 2022 (13. Existenzminimumbericht), Bundestags-Drucksache 19/22800 vom 26. Oktober 2020. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 048/21 Seite 8 4. Der Familienleistungsausgleich im Einkommensteuergesetz Der in der Fragestellung wiedergegebene Vorschlag beabsichtigt, ein Grundeinkommen, vergleichbar dem Kindergeld, als Steuervergütung auszuzahlen. Der heute geltende Familienleistungsausgleich beruht auf den Vorgaben des BVerfG von 1990. Das Gericht hatte die Höhe des damaligen Kindergelds nach Kindergeldgesetz zu prüfen und kam zu dem Ergebnis, das die Kürzung des Kindergelds verfassungsrechtlich unbedenklich ist, soweit sie das Kindergeld als Sozialleistung betrifft. Die Kürzung ist jedoch verfassungsrechtlich zu beanstanden , weil das gekürzte Kindergeld nicht mehr seiner Funktion gerecht geworden ist, der Minderung der Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen, die durch den Unterhalt ihrer Kinder bedingt ist, Rechnung zu tragen.10 Die Ausgestaltung der erforderlichen Neuregelung hat das BVerfG dem Gesetzgeber freigestellt: „Dem Gesetzgeber steht es frei, die kindesbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit entweder im Steuerrecht zu berücksichtigen oder ihr statt dessen im Sozialrecht durch die Gewährung eines dafür ausreichenden Kindergeldes Rechnung zu tragen oder auch eine Entlastung im Steuerrecht und eine solche durch das Kindergeld miteinander zu kombinieren … Er könnte sie danach ausschließlich im Steuerrecht berücksichtigen. Schlüge er diesen Weg bei der Behebung des verfassungsrechtlichen Mangels ein, dann könnte die zur Prüfung gestellte Regelung über die Kürzung des Kindergeldes bestehen bleiben, weil das Kindergeld dann nur noch die Funktion einer allgemeinen Sozialleistung hätte und die Kürzungsregelung insoweit verfassungsrechtlich unbedenklich wäre.“11 Nach § 31 EStG wird die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes entweder durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch Kindergeld nach Abschnitt X EStG bewirkt. Im laufenden Kalenderjahr wird Kindergeld als Steuervergütung monatlich gezahlt. Bei der Veranlagung erfolgt eine Günstigerprüfung: Bewirkt der Anspruch auf Kindergeld die gebotene steuerliche Freistellung nicht vollständig und werden deshalb bei der Veranlagung zur Einkommensteuer die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG vom Einkommen abgezogen, muss das Kindergeld erstattet werden. Soweit das Kindergeld für die Freistellung nicht erforderlich ist, dient es der Förderung der Familie. Das Kindergeld erfüllt somit eine Doppelfunktion. Für 2019 gibt das Bundesministerium der Finanzen die Grenzen des zu versteuernden Einkommens , ab denen der Kinderfreibetrag günstiger als das Kindergeld ist, bei Alleinerziehenden mit 10 Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 29. Mai 1990, Aktenzeichen 1 BvL 20/84, Orientierungssätze 1 und2. 11 Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 29. Mai 1990, Aktenzeichen 1 BvL 20/84, Randnummer 96, Fassung juris. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 048/21 Seite 9 35.135 Euro (1 Kind) und 42.755 Euro (2 Kinder) an. Bei Ehegatten mit einem Alleinverdiener lauten die Beträge 66.508 Euro und 74.128 Euro.12 Die Vermengung von Steuer- und Sozialrecht wird bei der jetzigen Ausgestaltung des Familienleistungsausgleichs zum Teil kritisch gesehen. Sie bewirke erhebliche verfassungsrechtliche, rechtssystematische und sozialpolitische Mängel, die sich nur durch die normative Trennung von Steuerrecht und Sozialrecht beseitigen ließen. "Das Kindergeldrecht gehört nicht in das EStG, sondern in das Bundeskindergeldgesetz!"13 Auch das BVerfG kam 2003 zu dem Ergebnis, dass das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) dem Gesetzgeber gebietet, „bei der von ihm gewählten Ausgestaltung eines Familienleistungsausgleichs Normen zu schaffen, die auch in ihrem Zusammenwirken dem Grundsatz der Normenklarheit entsprechen . Dem genügen die das Kindergeld betreffenden Regelungen in ihrer sozial-, steuer- und familienrechtlichen Verflechtung immer weniger.“14 Allerdings hat das BVerfG diese Bedenken später wieder zurückgestellt.15 In beiden Fällen ging es zudem um Anrechnungen im Unterhaltsrecht, nicht primär um das Steuerrecht. * * * 12 Bundesministerium der Finanzen: Datensammlung zur Steuerpolitik 2019, Seite 56, unter: https://www.bundesfinanzministerium .de/Content/DE/Downloads/Broschueren_Bestellservice/2020-01-30-datensammlung-zursteuerpolitik -2019.pdf?__blob=publicationFile&v=6, abgerufen am 30. April 2021 13 Hey, Johanna, Randziffer 8.96, in: Tipke, Klaus; Lang, Joachim: Steuerrecht, 24. neu bearbeitete Auflage 2021, Köln. 14 Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 9. April 2003, Aktenzeichen 1 BvL 1/01, 2. Leitsatz. 15 Selder, Johannes: EStG § 31 Familienleistungsausgleich, in: Blümich EStG, KStG, GewStG, beck-online-Kommentar , Werkstand: 155. Ergänzungslieferung November 2020, Randnummer 22 mit Verweis auf Bundesverfassungsgericht , Nichtannahmebeschluss vom 17. Juli 2011, Aktenzeichen 1 BvR 932/10.