© 2021 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 045/21 Folgen für die Besteuerung der Einkünfte in Deutschland bei Wohnsitzen im In- und Ausland Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Fragestellung Welche Auswirkungen haben mehrere Wohnsitze im In- und Ausland auf die Besteuerung der Einkünfte, wenn diese ganz oder teilweise in Deutschland bezogen werden? 2. Die Definition des Wohnsitzes in verschiedenen Rechtsgebieten Der Wohnsitz ist in Deutschland in Abhängigkeit vom Rechtsgebiet unterschiedlich definiert. So gilt der Wohnsitzbegriff nach § 7 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) für das gesamte Zivilrecht und für weite Teile des öffentlichen Rechts. Entscheidend für den Wohnsitz nach BGB ist der Willen einer Person zur Wohnsitzbegründung und –unterhaltung, der sogenannte Domizilwillen. Für melderechtliche Zwecke werden die Begriffe Haupt- und Nebenwohnung verwendet. § 21 Abs. 1 bis 3 Bundesmeldegesetz (BMG) bestimmt für den Fall, dass ein Einwohner mehrere Wohnungen im Inland hat, eine dieser Wohnungen als seine Hauptwohnung. Hauptwohnung ist die vorwiegend benutzte, Nebenwohnung jede weitere Wohnung des Einwohners im Inland.1 3. Die Definition des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts im deutschen Steuerrecht Das Steuerrecht bestimmt in § 8 Abgabenordnung (AO) eine eigene Wohnsitzdefinition. Anders als im BGB stellt der Gesetzgeber dabei nicht auf den Domizilwillen ab, sondern auf objektive Merkmale.2 § 8 AO lautet: „Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.“ Im Steuerrecht ist insbesondere das Vorhandensein einer Wohnung zur Beibehaltung und Nutzung von Bedeutung. Dies ist an der tatsächlichen Gestaltung hinsichtlich des Wohnens, zum Beispiel an der Ausstattung der Wohnung, erkennbar. Haupt- und Nebenwohnungen kennt das Steuerrecht nicht. Der polizeilichen Anmeldung kommt somit grundsätzlich keine Bedeutung zu, es sei denn, dass einzelsteuerliche Vorschriften, zum Beispiel zur Zweitwohnungsteuer, auf die Anmeldung abstellen.3 Wird eine Wohnung durchgehend für mehr als 6 Monate genutzt, ist der Rückgriff auf die 6-Monats -Frist des § 9 Satz 2 AO (siehe unten) als Anhaltspunkt für eine Beibehaltung und Nutzung der Wohnung gerechtfertigt.4 Wird eine Wohnung nicht ständig benutzt, ist entscheidend, ob die 1 Bamberger/Hau: BGB § 7 Wohnsitz; Begründung und Aufhebung, in: BeckOnline-Kommentar, hrsg. von Hau, Wolfgang; Poseck, Roman, 58. Edition, Stand: 01. Mai 2021. 2 Auch im Sozialrecht wird in § 30 Abs. 3 Sozialgesetzbuch (SGB) I eine eigene Wohnsitzdefinition bestimmt, die sich ebenfalls nach objektiven Merkmalen richtet. 3 Kratzsch, Alexander: AO § 8 Wohnsitz, Randziffer 2 und 4, in: Schwarz/Pahlke AO, Stand 18. November 2016. 4 Kratzsch, Alexander: AO § 8 Wohnsitz, Randziffer 8, in: Schwarz/Pahlke AO, Stand 18. November 2016. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 045/21 Seite 5 objektiven Gesamtumstände auf eine weitere Nutzung schließen lassen (Prognose). In welchem zeitlichen Umfang die Wohnung genutzt wird, ist unerheblich. Der Bundesfinanzhof (BFH) urteilte , dass auch unregelmäßige Aufenthalte in einer Wohnung zur Aufrechterhaltung des Wohnsitzes führen können. Es ist nicht entscheidend, dass der Steuerpflichtige an einem Wohnsitz den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen hat.5 Somit kann ein Steuerpflichtiger zwei oder mehr Wohnsitze der durch § 8 AO umschriebenen Art im Inland und im Ausland haben.6 Die Möglichkeit des mehrfachen Wohnsitzes im Inland spiegelt sich auch in § 19 Abs. 1 Satz 2 AO bei der Frage, welches Finanzamt zuständig ist, wider. Dort heißt es: „Bei mehrfachem Wohnsitz im Geltungsbereich des Gesetzes ist der Wohnsitz maßgebend, an dem sich der Steuerpflichtige vorwiegend aufhält; bei mehrfachem Wohnsitz eines verheirateten oder in Lebenspartnerschaft lebenden Steuerpflichtigen, der von seinem Ehegatten oder Lebenspartner nicht dauernd getrennt lebt, ist der Wohnsitz maßgebend, an dem sich die Familie vorwiegend aufhält.“ Das Steuerrecht kennt zudem noch den gewöhnlichen Aufenthalt nach § 9 AO: "Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt . Als gewöhnlicher Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes ist stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen ; kurzfristige Unterbrechungen bleiben unberücksichtigt. Satz 2 gilt nicht, wenn der Aufenthalt ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder ähnlichen privaten Zwecken genommen wird und nicht länger als ein Jahr dauert." Die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland ist auch ohne Innehaben eines Wohnsitzes unter Bezug einer Wohnung im abgabenrechtlichen Sinne gemäß Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) vor §§ 8, 9 möglich. Während eine natürliche Person mehrere Wohnsitze im Sinne des § 8 AO unterhalten kann, ist ein gewöhnlicher Aufenthalt an mehreren Orten zum einen wegen des im Singular verfassten Wortlauts der Norm „den“ ausgeschlossen. Zum anderen stellt § 9 AO ferner allein auf das reale körperliche Verweilen der natürlichen Person ab.7 4. Folgen des Wohnsitzes für die Einkommensteuerpflicht Aus dem Wohnsitz oder dem gewöhnlichen Aufenthalt einer natürlichen Person im Inland folgt nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) die unbeschränkte Steuerpflicht in 5 Bundesfinanzhof, Urteil vom 19. März 2002, Aktenzeichen I R 15/01. 6 Bundesfinanzhof, Urteil vom 23. November 2000, Aktenzeichen VI R 107/99, Randnummer 17 Ausgabe juris, mit weiteren Hinweisen. 7 Achsnich, Daniel: AO § 9 Gewöhnlicher Aufenthalt, Randnummer 134, in BeckOnline-Kommentar AO, hrsg. von Pfirrmann/Rosenke/Wagner, 16. Edition, Stand: 1. April 2021. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 045/21 Seite 6 Deutschland für alle inländischen und ausländischen Einkünfte, sogenanntes Welteinkommensprinzip . Andere Staaten knüpfen die unbeschränkte Steuerpflicht ebenfalls an das Vorhandensein einer Wohnung oder eines Wohnsitzes, zum Beispiel Österreich: "Unbeschränkt steuerpflichtig sind jene natürlichen Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich auf alle in- und ausländischen Einkünfte."8 In der Schweiz gilt: "Natürliche Personen sind aufgrund persönlicher Zugehörigkeit steuerpflichtig, wenn sie ihren steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt in der Schweiz haben."9 "Bei persönlicher Zugehörigkeit ist die Steuerpflicht unbeschränkt; sie erstreckt sich aber nicht auf Geschäftsbetriebe, Betriebsstätten und Grundstücke im Ausland."10 5. Vermeidung der Doppelbesteuerung und der doppelten Nichtbesteuerung Die im in- und ausländischen Steuerrecht verwendeten Wohnsitzdefinitionen und die als Folge eintretende unbeschränkte Einkommensteuerpflicht in zwei oder mehr Staaten können eine unzulässige doppelte oder mehrfache Besteuerung der Einkünfte bedeuten. Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, aber auch der doppelten Nichtbesteuerung hat Deutschland mit zahlreichen Staaten Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) abgeschlossen. Doppelbesteuerungsabkommen lassen keinen Steueranspruch entstehen, sondern weisen bei bestehenden konkurrierenden Steueransprüchen zwischen verschiedenen Staaten das Besteuerungsrecht nur einem der beteiligten Staaten zu.11 Die deutsche unbeschränkte Steuerpflicht besteht daher auch dann, wenn der Steuerpflichtige je eine Wohnung beziehungsweise einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und im 8 § 1 Abs. 2 Bundesgesetz vom 7. Juli 1988 über die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen (Einkommensteuergesetz 1988 – EStG 1988). 9 Art. 3 Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG) vom 14. Dezember 1990 (Stand am 1. Januar 2016). 10 Art. 6 Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG) vom 14. Dezember 1990 (Stand am 1. Januar 2016). 11 Bundesministerium der Finanzen: Doppelbesteuerungsabkommen und andere Abkommen im Steuerbereich, unter: https://www.bundesfinanzministerium.de/Web/DE/Themen/Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene _Informationen/staatenbezogene_info.html, abgerufen am 3. Juni 2021. Eine Übersicht der Doppelbesteuerungsabkommen (Stand 1. Januar 2019) ist auf der Internetseite des Bundeszentralamts für Steuern unter https://www.bzst.de/SharedDocs/Downloads/DE/Abzugsteuern/dba_Abkommen.html abrufbar, abgerufen am 3. Juni 2021. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 045/21 Seite 7 Ausland hat und nach dem anzuwendenden Doppelbesteuerungsabkommen im ausländischen Vertragsstaat ansässig12 ist.13 Besteht kein Doppelbesteuerungsabkommen, wird im deutschen Einkommensteuerrecht eine Steuerermäßigung bei ausländischen Einkünften gemäß § 34c EStG gewährt. Danach gilt: "Bei unbeschränkt Steuerpflichtigen, die mit ausländischen Einkünften in dem Staat, aus dem die Einkünfte stammen, zu einer der deutschen Einkommensteuer entsprechenden Steuer herangezogen werden, ist die festgesetzte und gezahlte und um einen entstandenen Ermäßigungsanspruch gekürzte ausländische Steuer auf die deutsche Einkommensteuer anzurechnen , die auf die Einkünfte aus diesem Staat entfällt; …" * * * 12 Die meisten Doppelbesteuerungsabkommen folgen den Empfehlungen der OECD, die in dem sogenannten Musterabkommen (OECD-MA) niedergelegt sind. Für die Zuweisung der Besteuerungsrechte spielt die abkommensrechtliche Ansässigkeit des Steuerpflichtigen eine entscheidende Rolle. Die Prüfung der Merkmale der Ansässigkeit erfolgt nach der in Art. 4 Abs. 2 OECD-MA vorgegebenen Rangfolge und kann auch zu dem Ergebnis führen , dass die betroffenen Staaten sich einigen müssen. 13 Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) vor §§ 8, 9 – Wohnsitz, gewöhnlicher Aufenthalt.