© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 045/20 Steuerfreiheit auf einmalige Lohnzuschüsse im Rahmen der Covid19-Pandemie Verfassungsmäßigkeit einer untergesetzlichen Steuerbegünstigung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 045/20 Seite 2 Steuerfreiheit auf einmalige Lohnzuschüsse im Rahmen der Covid19-Pandemie Verfassungsmäßigkeit einer untergesetzlichen Steuerbegünstigung Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 045/20 Abschluss der Arbeit: 28. April 2020 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 045/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Steuerbefreiung für Lohnzuschüsse im Rahmen der Covid19-Pandemie 4 2.1. Steuerfreiheit von Unterstützungszahlungen an Arbeitnehmer bis zu 1.500 Euro 4 2.1.1. Regelungsgegenstand 4 2.1.2. Einordnung in die Normenhierarchie 4 2.1.3. Verfassungsrechtliche Aspekte 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 045/20 Seite 4 1. Fragestellung Der Auftraggeber bittet um eine rechtliche Einschätzung der Steuerbefreiung, die für Einmalzahlungen von bis zu 1.500 Euro von privaten Arbeitgebern an ihre Arbeitnehmer in einem BMF- Schreiben gewährt wird. Insbesondere soll das Erfordernis einer gesetzlichen Regelung für die Steuerbefreiung geprüft werden. 2. Steuerbefreiung für Lohnzuschüsse im Rahmen der Covid19-Pandemie 2.1. Steuerfreiheit von Unterstützungszahlungen an Arbeitnehmer bis zu 1.500 Euro 2.1.1. Regelungsgegenstand Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat mit BMF-Schreiben vom 9. April 20201 angeordnet , dass Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern in der Zeit vom 1. März bis zum 31. Dezember 2020 aufgrund der Corona-Krise Beihilfen und Unterstützungen bis zu einem Betrag von 1.500 Euro nach § 3 Nummer 11 Einkommensteuergesetz (EStG) steuerfrei in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewähren können. Das BMF-Schreiben trifft hierzu folgende Verwaltungsanweisungen: „Voraussetzung ist, dass diese zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn geleistet werden. Die in R 3.11 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 bis 3 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) genannten Voraussetzungen brauchen nicht vorzuliegen. Aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Betroffenheit durch die Corona-Krise kann allgemein unterstellt werden, dass ein die Beihilfe und Unterstützung rechtfertigender Anlass im Sinne des R 3.11 Absatz 2 Satz 1 LStR vorliegt. Arbeitgeberseitig geleistete Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld fallen nicht unter diese Steuerbefreiung. Auch Zuschüsse, die der Arbeitgeber als Ausgleich zum Kurzarbeitergeld wegen Überschreitens der Beitragsbemessungsgrenze leistet, fallen weder unter die vorstehende Steuerbefreiung noch unter § 3 Nummer 2 Buchstabe a EStG. Die steuerfreien Leistungen sind im Lohnkonto aufzuzeichnen. Andere Steuerbefreiungen, Bewertungsvergünstigungen oder Pauschalbesteuerungsmöglichkeiten (wie z. B. § 3 Nummer 34a, § 8 Absatz 2 Satz 11, § 8 Absatz 3 Satz 2 EStG) bleiben hiervon unberührt und können neben der hier aufgeführten Steuerfreiheit nach § 3 Nummer 11 EStG in Anspruch genommen werden .“2 2.1.2. Einordnung in die Normenhierarchie Das BMF geht mit seiner o.g. Regelung über den Wortlaut der Lohnsteuerrichtlinie und den Gesetzeswortlaut des § 3 Nr. 11 EStG hinaus. § 3 Nr. 11 EStG sieht lediglich eine Steuerfreiheit für Leistungen aus öffentlichen Mitteln oder Mitteln einer öffentlichen Stiftung vor. Hierzu rechnen 1 BMF-Schreiben vom 9. April 2020, IV C 5 - S 2342/20/10009; https://www.bundesfinanzministerium.de/Content /DE/Downloads/BMF_Schreiben/Steuerarten/Lohnsteuer/2020-04-09-steuerbefreiung-fuer-beihilfen-undunterstuetzungen .pdf?__blob=publicationFile&v=5 [zuletzt abgerufen am 14. April 2020] 2 ebenda Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 045/20 Seite 5 insbesondere solche des Bundes, der Länder oder der Gemeinden, und zwar unbeschadet der Herkunft dieser Mittel.3 Die Lohnsteuer-Richtlinie (LStR) 3.11 Abs. 2 stellt darüber hinaus Unterstützungsleistungen aus privaten Kassen steuerfrei, wenn die Zahlung – bis zu 600 € [bis 01: 1000 DM] – auf Grund des Anlasses, z. B. Krankheit oder Unglücksfall, gerechtfertigt ist. Bei höheren Beträgen muss ein besonderer Notfall vorliegen. Bereits diese Ausweitung des Anwendungsbereich des § 3 Nr. 11 EStG in der Lohnsteuerrichtlinie über den Gesetzeswortlaut wird in der Literatur kritisch4 gesehen . Betragsmäßig weitet das BMF-Schreiben vom 9. April 2020 den Anwendungsbereich LStR 3.11 Abs. 2 um mehr als das Doppelte auf 1.500 Euro aus. 2.1.3. Verfassungsrechtliche Aspekte Der Gesetzgeber hat die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 11 EStG ausschließlich für Bezüge aus öffentlichen Mitteln oder aus Mitteln einer öffentlichen Stiftung vorgesehen. Sonderzuwendungen eines privatrechtlich verfassten Arbeitgebers an seine Beschäftigten sind vom Wortlaut des § 3 Nr. 11 EStG nicht erfasst. Erst die obersten Finanzbehörden der Länder und das BMF haben in den LStR den Anwendungsbereich des § 3 Nr. 11 EStG für Einmalzahlungen von privaten Arbeitgebern in Ausnahmesituationen geöffnet. Da es sich um eine den Steuerpflichtigen begünstigende Regelung handelt, liegt in der Ausweitung des Anwendungsbereichs des gesetzlichen Tatbestands jedoch kein Grundrechtseingriff für die Steuerpflichtigen. Zwar kann eine steuerrechtliche Regelung, die nur auf der Ebene von Verwaltungsrichtlinien getroffen wird gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstoßen. Demnach dürfen untergesetzliche Normen und andere Maßnahmen der Verwaltung gesetzlichen Rechtsnormen nicht widersprechen. Ein Verstoß gegen dieses aus Art. 20 Abs. 3 GG folgende Verfassungsprinzip kommt entsprechend der Entscheidung des Großen Senats des BFH zum Sanierungserlass in Betracht, wenn eine der Verwaltungsmaßnahme entgegenstehende gesetzliche Vorschrift existiert.“5 Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung scheidet jedoch aus, wenn mit den gängigen Auslegungsmethoden die in den Verwaltungsrichtlinien getroffene Regelung als von der Intention des Gesetzgebers gedecktes Ergebnis ermittelt werden kann. Dass der Gesetzgeber mit § 3 EStG keine abschließende Regelung zu den Steuerbefreiungen im Einkommensteuerrecht treffen wollte und es tatsächlich auch nicht getan hat, ergibt sich sowohl aus der Literatur6 als auch aus der systematischen Auslegung im Kontext weiterer Steuerbefreiungen im EStG. „Das EStG selbst enthält in § 3b sowie in § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 weitere sachliche Befreiungen . Die Wirkung einer Steuerbefreiung haben ferner die Freibeträge und Freigrenzen in § 13 Abs. 3, § 14, § 14a Abs. 1, 4 und 5, § 16 Abs. 4, § 17 Abs. 3, § 18 Abs. 3, § 19a Abs. 1, § 20 3 Blümich/Erhard, 150. EL November 2019, EStG § 3 Nr. 11 Rn. 2; BFH VIII R 29/11 v. 5.11.14, BStBl II 2017, 432 4 Blümich/Erhard, 150. EL November 2019, EStG § 3 Nr. 11 Rn. 2 (beck-online); 5 BFH-Beschluss vom 28.11.2016 - GrS 1/15, BStBl II 2017, 393 ff (RN 90) 6 Blümich/Erhard, 150. EL November 2019, EStG § 3 Nr. 11 Rn. 11 (beck-online); Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 045/20 Seite 6 Abs. 9, § 22 Nr. 3, § 24a, § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i. V. m. § 70 EStDV sowie § 49 Abs. 4.“7 Der Anwendungsfall der LStR 3.11 Abs. 2 ist zudem auf außergewöhnliche Situationen wie Unglücksund Krankheitsfälle beschränkt. Die Regelung ist somit nur in Ausnahmesituationen anwendbar und wird in der Richtlinie selbst betragsmäßig begrenzt. Der verfassungsrechtliche Grundsatz des Gesetzesvorbehalts gibt für das Steuerrecht vor, dass als Ermächtigungsgrundlage hinsichtlich der Abgabenerhebung als Grundrechtseingriff ausschließlich ein vom Parlament erlassenes, formelles Gesetz in Betracht kommt (Parlamentsvorbehalt).8 „In den Grenzen des Art. 80 Abs. 1 GG ist auch im Steuerrecht eine Delegation an den Verordnungsgeber zulässig, soweit das Parlamentsgesetz den Steuergrund maßgeblich vorformt (insbesondere Steuerschuldner, Steuergegenstand, Bemessungsgrundlage und Steuersatz).“9Die ausschließlich auf der Ebene der Steuerrichtlinie und des BMF-Schreibens getroffene Ausweitung der Steuerbefreiung des § 3 Nr. 11 EStG verstößt somit nicht gegen den Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt , da die wesentliche Regelungsgenstände der Einkommensteuer gesetzlich geregelt und von den Sonderregelungen der Richtlinie und des BMF-Schreibens nicht konterkariert werden. Im Zuge einer möglichen Verringerung der Staatseinnahmen durch die neue Steuerbefreiung ist jedoch das Kriterium des Haushaltsvorbehalts des Parlamentes zu prüfen. Das Budgetrecht des Bundestages bezieht sich zunächst auf die Haushaltsaufstellung und, wenn ein Mehr an Haushaltsmitteln notwendig sein sollte, auf die Entscheidung über einen Nachtragsoder Ergänzungshaushalt.10 Die hier zu beurteilende Einnahmeverringerung fällt aber in den Bereich des Haushaltsvollzugs. „Die Bewirtschaftung des vom Parlament beschlossenen Haushaltsplans ist grundsätzlich Sache der Exekutive. Den Einwirkungsmöglichkeiten des Parlaments sind also verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt, die aber weit zu ziehen sind.“11 Die parlamentarischen Rechte im Bereich des Haushaltsvollzugs wie Sperrvermerke und Zustimmungsvorbehalte sind auf die Kontrolle von Ausgabenpositionen ausgerichtet. Regelungen und Maßnahmen, die zu Einnahmeminderungen führen können, bedürfen gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Bundeshaushaltsordnung (BHO) zwar der Zustimmung des Bundesministers der Finanzen; nicht jedoch des Deutschen Bundestages. Ergebnis: Die Abweichung des BMF-Schreibens vom Wortlaut der Lohnsteuer-Richtlinie ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Beide Regelungsformen sind auf der gleichen Stufe der Normenhierarchie als Verwaltungsanweisung angesiedelt. Der Unterschied zwischen den Steuerrichtlinien und den BMF-Schreiben besteht lediglich darin, dass die Steuerrichtlinien gemäß Art. 108 Abs. 7 GG für ihre Wirksamkeit der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. BMF- 7 siehe Fn 6 8 Kloepfer: Finanzverfassungsrecht, § 2 Rn. 56 9 ebenda 10 Kloepfer: Finanzverfassungsrecht, § 10 Rn. 64 11 Kloepfer: aaO., Rn. 75 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 045/20 Seite 7 Schreiben werden dagegen als allgemeine Weisung gemäß Art. 108 Abs. 3 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 85 Abs. 3 GG vom Bundesminister der Finanzen mit Zustimmung der obersten Finanzbehörden der Länder erlassen, § 21a Finanzverwaltungsgesetz (FVG). Der Richtliniengeber konnte bei der Festlegung der Betragsgrenze von 600 Euro einen außergewöhnlichen Pandemiefall mit Kurzarbeit für eine Vielzahl von Arbeitnehmern über einen längeren Zeitraum nicht mitbedenken . Bereits jetzt sieht LStR 3.11 Abs. 2 Satz 5 die Möglichkeit einer Überschreitung der 600 Euro-Grenze aus Anlass eines besonderen Notfalls vor. Es ist von daher sachgerecht die Beträge zunächst mittels eines BMF-Schreibens zu erhöhen. Die Regelungen in den Lohnsteuer- Richtlinien sollen laut Auskunft des BMF zeitnah angepasst werden. ***