© 2021 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 044/21 Gleichförmigkeit der Steuerrechtsanwendung Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Steuerbeamtenausbildung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 044/21 Seite 2 Gleichförmigkeit der Steuerrechtsanwendung Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Steuerbeamtenausbildung Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 044/21 Abschluss der Arbeit: 13. April 2021 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 044/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Der Grundsatz der Gleichförmigkeit der Steuerrechtsanwendung 4 3. Die Implikationen für das Steuerbeamtenausbildungsrecht 5 3.1. Das verfassungsrechtliche Gebot der Einheitlichkeit der Steuerbeamtenausbildung 5 3.2. Grenzen 6 4. Fazit 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 044/21 Seite 4 1. Einleitung In Deutschland ist die Ausbildung der Steuerbeamten1 unter dem Grundgesetz (GG) erstmals Gegenstand verfassungsrechtlicher Regelung geworden:2 Art. 108 Abs. 2 S. 2 GG weist dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für eine einheitliche Ausgestaltung zu. Von dieser Kompetenz hat der Bund mit dem Erlass des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes (StBAG) im Jahr 1961 Gebrauch gemacht. Darin werden die Laufbahnen und Einstiegsvoraussetzungen der Steuerbeamtenschaft in Grundsätzen einheitlich festgelegt und die Bundesfinanzakademie als zuständige Stelle für bestimmte Aus- und Fortbildungsanteile, insbesondere der Führungskräfte, geschaffen. Aufgrund der Ermächtigung in § 8 StBAG regelt die vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) erlassene Steuerbeamtenausbildungs- und -prüfungsordnung (StBAPO) zudem die Anforderungen an Ausbildung, Prüfungen und Aufstiegseinführungen in den verschiedenen Laufbahnen . Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Gesetzentwurf3 zur Öffnung der bestehenden vereinheitlichenden Regelungen für gewisse Anpassungen durch die Länder aufgrund der durch die Covid-10-Pandemie geschaffenen unterschiedlichen Ausbildungsbedingungen stellt sich die Frage nach dem verfassungsrechtlichen Rahmen der gesetzgeberischen Gestaltung der Steuerbeamtenausbildung . Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind diesbezüglich die aus dem Grundsatz der Gleichförmigkeit der Anwendung des Steuerrechts folgenden Anforderungen. 2. Der Grundsatz der Gleichförmigkeit der Steuerrechtsanwendung Das aus dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gebot der Steuergerechtigkeit stellt als verfassungsrechtliche Schranke den obersten Grundsatz des Steuerrechts dar.4 Als Teil dieser Gewährleistung verpflichtet das Gebot der Lastengleichheit nicht nur zu materiell gleicher Besteuerung vergleichbarer Gruppen, sondern enthält auch ein prozedurales Gebot: Die Verwaltung hat die Steuergesetze hinsichtlich aller dadurch verpflichteten Personen tatsächlich einheitlich zu vollziehen, sodass eine gleichmäßige Belastung der Steuerpflichtigen auch im Ergebnis der Steuerpraxis gewährleistet ist.5 Dieses zunächst an die Verwaltung gerichtete Gebot 1 Ausschließlich zum Zwecke der besseren Lesbarkeit wird auf eine genderspezifische Schreibweise verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen in diesem Sachstand sind somit geschlechtsneutral zu verstehen; die gewählte Form bezieht sich jeweils auf weibliche, männliche und diverse Personen. 2 Vogelgesang, Fortbildung der Führungskräfte der Steuerverwaltung – ein Beitrag zur Einheitlichkeit der Steuerrechtsanwendung , in: Kirchhof/Jakob/Beermann (Hrsg.), Steuerrechtsprechung, Steuergesetz, Steuerreform: Festschrift für Klaus Offerhaus, 1999, 877 (879). 3 Vgl. BT Drs. 19/28167 v. 31. März 2021. 4 Heun in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 1: Art. 1-19 GG, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 75. 5 BMF, Monatsbericht des BMF: Februar 2021, 70 Jahre Bundesfinanzakademie, abrufbar unter (abgerufen am 13. April 2021), 76 (76); Heun in: Dreier (Hrsg.), Band 1, Art. 3 Rn. 80; Wollenschläger in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Band 1: Präambel, Art. 1-19 GG, 7. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 287. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 044/21 Seite 5 korrespondiert mit einer Verpflichtung des Gesetzgebers zur Schaffung eines „normativen Umfelds “, das ebendiese einheitliche Anwendung gewährleistet und „strukturelle Erhebungsmängel “ verhindert.6 3. Die Implikationen für das Steuerbeamtenausbildungsrecht 3.1. Das verfassungsrechtliche Gebot der Einheitlichkeit der Steuerbeamtenausbildung Gerade die steuerrechtliche Gesetzgebung und Verwaltungspraxis steht hinsichtlich der Gewährleistung einer einheitlichen Normanwendung vor Herausforderungen, die sich insbesondere aus der föderalen Kompetenzverteilung ergeben: Während die materiellen Steuergesetze ganz überwiegend Bundesgesetze sind, werden sie durch Bundes- und Landesfinanzbehörden vollzogen, im Falle der den größten Anteil am Steueraufkommen ausmachenden sog. Gemeinschaftsteuern durch die Länder im Auftrag des Bundes (Art. 108 Abs. 3 GG). Das verfassungsrechtliche Gebot der Gleichförmigkeit der Steuerrechtsanwendung fordert in diesem Kontext dennoch die gesetzliche Sicherstellung, dass die Bundessteuergesetze „in Hamburg nicht anders als in München oder in Saarbrücken angewendet werden.“7 Diese grundgesetzliche Verpflichtung aus Art. 3 Abs. 1 GG und auch der aus Art. 72 Abs. 2 GG folgende Rechtsgedanke der Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse sowie der Rechts- und Wirtschaftseinheit im Bundesgebiet stehen vor diesem Hintergrund in untrennbarem Zusammenhang mit der Kompetenz des Bundes zur Regelung der Steuerbeamtenausbildung nach Art. 108 Abs. 2 S. 2 GG.8 Denn Grundlage dieser Kompetenzzuweisung ist nach einhelliger Ansicht die in Verfassungsrecht ausgedrückte Überzeugung, dass die Einheitlichkeit der Besteuerung auch bei Erlass einheitlicher Steuergesetze und Verwaltungsvorschriften letztlich nur durch die Verwaltung selbst hergestellt werden kann, und dass dazu einheitlich aus- und fortgebildete Steuerbeamte und insbesondere Führungskräfte in allen Steuerbehörden erforderlich sind.9 Diese Auffassung führte im Parlamentarischen Rat zur Einführung von Art. 108 Abs. 2 S. 2 GG, nachdem die 6 Nußberger in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 143; Wollenschläger in: v. Mangoldt /Klein/Starck (Hrsg.), Band 1, Art. 3 Rn. 287. 7 Apel, Geleitwort, in: BMF (Hrsg.), Im Dienste der Gleichmäßigkeit der Besteuerung: 25 Jahre Bundesfinanzakademie , Schriftenreihe des BMF, Heft 21, 1976, 7 (7). 8 BMF, Monatsbericht des BMF: Februar 2021, 70 Jahre Bundesfinanzakademie, 76 (77 f.). 9 Vgl. nur Heintzen in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 2: Art. 70-146 GG, 7. Aufl. 2021, Art. 108 Rn. 27; Heller, Die Bundesfinanzakademie im 66. Jahr der einheitlichen Ausbildung für die Führungskräfte der Finanzbehörden, Deutsches Steuerrecht (DStR) 2016, 154 (154); Pausch, 250 Jahre Fachausbildung für den höheren Finanzdienst, in: BMF (Hrsg.), Im Dienste der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, 19 (150). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 044/21 Seite 6 ursprünglich noch weitergehende Ambition zur Schaffung einer zentralen Bundesfinanzverwaltung am Widerstand der Westalliierten gescheitert war,10 und sie lag auch dem Erlass des StBAG und der Gründung der Bundesfinanzakademie zugrunde.11 Aus Art. 108 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich somit ein verfassungsrechtlicher Auftrag zur bundesgesetzlichen Sicherstellung einer einheitlichen Ausbildung der Steuerbeamten als „formelle Absicherung“12 des Gebots der Gleichförmigkeit der Anwendung der Steuergesetze.13 Innerhalb seines Gestaltungsspielraums hat der Bundesgesetzgeber danach Prinzipien, Inhalt und Niveau der Ausbildung einheitlich zu regeln.14 3.2. Grenzen Gleichwohl ist aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 108 Abs. 2 S. 2 GG nicht zu folgern, dass der Bundesgesetzgeber von Verfassungs wegen jedes Detail der Steuerbeamtenausbildung festlegen und dadurch vereinheitlichen muss. Das GG zeigt in mehrfacher Hinsicht Grenzen des daraus folgenden Regelungsauftrags an den Bundesgesetzgeber auf. Einerseits ist dieser Auftrag von vorneherein durch sein Ziel – die Sicherstellung der strukturellen Gleichmäßigkeit steuerlicher Belastung in der Praxis – begrenzt; in Bezug auf die Ausbildung der Steuerbeamten ist somit nur ein solches Maß an Vereinheitlichung verfassungsrechtlich geboten , das zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.15 Dieser Maßstab gilt auch für Veränderungen des bisherigen Vereinheitlichungskonzepts des StBAG, etwa hinsichtlich der Öffnung der Laufbahnen für Absolventen weiterer Ausbildungswege oder einer Ermöglichung von Schwerpunktsetzungen . Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit solcher Änderungen ist im Einzelfall anhand der fortbestehenden Gewährleistung einer ausreichend einheitlichen Struktur zu beurteilen . In diesem Zusammenhang ist der Grundsatz gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums und gesetzgeberischer Einschätzungsprärogative zu beachten: Es obliegt prinzipiell dem Gesetzgeber selbst zu entscheiden, welches Maß und welche Art des „normativem Umfelds“ er in Bezug auf 10 Vogelgesang, Die Fortbildung der Führungskräfte der Steuerverwaltung – ein Beitrag zur Einheitlichkeit der Steuerrechtsanwendung, 877 (879). 11 Pausch, 250 Jahre Fachausbildung für den höheren Finanzdienst, in: BMF (Hrsg.), Im Dienste der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, 19 (169). 12 Pausch, 250 Jahre Fachausbildung für den höheren Finanzdienst, in: BMF (Hrsg.), Im Dienste der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, 19 (171). 13 Oppermann, 100 Jahre Finanzämter – Ein historischer Überblick, Deutsche Steuerzeitung (DStZ) 2018, 686 (700); Vogelgesang, Die Fortbildung der Führungskräfte der Steuerverwaltung – ein Beitrag zur Einheitlichkeit der Steuerrechtsanwendung, 877 (878 f.). 14 Oppermann, 100 Jahre Finanzämter – Ein historischer Überblick, DStZ 2018, 686 (700); Pausch, 250 Jahre Fachausbildung für den höheren Finanzdienst, in: BMF (Hrsg.), Im Dienste der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, 19 (169). 15 Im Einklang mit dieser Begrenzung des Auftrags steht die Ausgestaltung von Art. 108 Abs. 2 S. 2 GG als Kompetenzzuweisung statt detailreicher und ausdrücklicher Verpflichtung des Bundesgesetzgebers, vgl. Heun/Thiele in: Dreier (Hrsg.), Band 3: Art. 83-146 GG, 3. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 17. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 044/21 Seite 7 die Steuerbeamtenausbildung für die Gewährleistung einer einheitlichen Steuerrechtsanwendung für erforderlich und ausreichend hält, solange nicht die Grenze „struktureller Erhebungsdefizite “ überschritten wird. Des Weiteren ist Art. 3 Abs. 1 GG auch in seiner Dimension als Gebot zur Herstellung von Einheitlichkeit im Gesetzesvollzug seinerseits durch das Föderalismusprinzip gemäß Art. 20 Abs. 1 GG begrenzt, das gewisse Rechts(anwendungs)unterschiede zwischen den Ländern gerade voraussetzt .16 Insbesondere im Bereich des Steuerwesens, in welchem das Finanzverfassungsrecht eine detaillierte Kompetenzverteilung zwischen den föderalen Ebenen vorsieht, ist eine teilweise unterschiedliche Wahrnehmung der verbleibenden Spielräume durch die Landesbehörden verfassungsrechtlich vorgesehen und geschützt.17 Ebenso wenig wie Art. 3 Abs. 1 GG als allgemeines „subjektiv-öffentliches Recht auf bundesweite Rechtseinheit“18 im Steuerrecht fungieren kann, kann es somit eine vollständige Vereinheitlichung der Steuerbeamtenausbildung gebieten. Und schließlich ist zu beachten, dass auch das Gleichbehandlungsgebot nach Art. 3 Abs. 1 GG nicht schrankenlos gilt und Ungleichbehandlungen aus sachlichem Grund im Rahmen der einschlägigen Verhältnismäßigkeitskriterien zulässig sind.19 4. Fazit Aus dem Gebot der Gleichförmigkeit der Steuerrechtsanwendung nach Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 18 Abs. 2 S. 2 GG folgt ein allgemeiner Auftrag an den Bundesgesetzgeber zur Schaffung des gesetzlichen Rahmens für eine in Grundsätzen, Inhalt und Niveau einheitliche Ausbildung der Steuerbeamten. Dieser Auftrag bezieht sich nicht auf alle Einzelheiten der Ausbildung . Art und Umfang seiner Erfüllung obliegen innerhalb der geschilderten allgemeinen Anforderungen letztlich dem Gesetzgeber. *** 16 Boysen, Gleichheit im Bundesstaat, 2005, S. 102. 17 Boysen, Gleichheit im Bundesstaat, 2005, S. 26 ff. Vgl. auch Boysen in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Art. 3 Rn. 73. 18 Boysen in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG Kommentar, Band 1: Präambel, Art. 1-69 GG, 7. Aufl. 2021, Art. 3 Rn. 71. 19 Vgl. Heun in: Dreier (Hrsg.), Band 1, Art. 3 Rn. 26 ff.