© 2021 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 038/21 Verfahren bei der Nominierung von Kandidaten für Unionsorgane Parlamentarische Beteiligung bei der Auswahl des deutschen Mitglieds des Europäischen Rechnungshofs Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Parlamentsbeteiligung bei der Nominierung deutscher Mitglieder für andere Organe der Europäischen Union (Frage 3) 6 3.1. Nominierung für die Europäische Kommission 6 3.2. Nominierung für den Gerichtshofs der Europäischen Union 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 038/21 Seite 4 1. Einleitung Gemäß Art. 285 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) setzt sich der Europäische Rechnungshof (Rechnungshof) aus 27 Mitgliedern zusammen, von denen jeder Mitgliedstaat eines nominiert. Das aufgrund einer Nominierung durch die Bundesrepublik Deutschland ernannte Mitglied ist seit dem 1. März 2014 Klaus-Heiner Lehne, der zudem Präsident des Rechnungshofs ist.1 Die Auswahl, Ernennung und Rechtsstellung der Rechnungshofmitglieder findet ihre unionsrechtliche Regelung in Art. 286 AEUV: Demzufolge werden sie nach Anhörung des Europäischen Parlaments durch den Rat der Europäischen Union für eine Amtszeit von sechs Jahren ernannt; Grundlage ist die jeweils aus den Nominierungen der einzelnen Mitgliedstaaten zusammengestellte bindende Liste.2 Für die Nominierungen selbst trifft Art. 286 Abs. 1 AEUV indes nur insoweit eine Regelung, als die persönlichen und fachlichen Anforderungen an die Mitglieder des Rechnungshofs darlegt werden: Sie müssen (aufgrund ihrer einschlägigen beruflichen Erfahrung) für ihr Amt „besonders geeignet“ sein und „jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten.“ Das Verfahren bei der Auswahl des jeweiligen Kandidaten3 obliegt hingegen allein den Mitgliedstaaten, unionsrechtliche Vorgaben bestehen insoweit nicht.4 Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit für das deutsche Verfahren zur Nominierung des Kandidaten für den Europäischen Rechnungshof eine formelle Beteiligung von Bundestag, Bundesrat oder anderen Institutionen vorgesehen ist. Vergleichend wird das Verfahren bei der Nominierung der Kandidaten für die Posten des Mitglieds der Europäischen Kommission (Kommission) und des Gerichtshofs der Europäischen Union (Gerichtshof) dargestellt. 2. Parlamentsbeteiligung bei der Nominierung des deutschen Mitglieds des Europäischen Rechnungshofs (Frage 1 und 2 sowie 4 bis 9) Das Nominierungsverfahren in Bezug auf den Kandidaten für den Posten beim Rechnungshof ist in der Bundesrepublik Deutschland nicht gesetzlich geregelt. Insbesondere normiert § 5 Bundesrechnungshofgesetz (BRHG), der die Auswahl der Mitglieder des Bundesrechnungshofs unter Einbindung von Bundestag und Bundesrat regelt, keine Angleichung des Nominierungsverfahrens in Bezug auf den Europäischen Rechnungshof.5 Auch fällt die innerstaatliche Auswahl und Nominierung eines Rechnungshofkandidaten nicht unter die Vorschriften zur Beteiligung des 1 Eine tabellarische Darstellung aller Mitglieder des Europäischen Rechnungshofs seit 1977 ist abrufbar unter . Alle Internetlinks wurden zuletzt abgerufen am 25. März 2021. 2 Waldhoff in: Caliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 286 AEUV Rn. 5. 3 Ausschließlich zum Zwecke der besseren Lesbarkeit wird auf eine genderspezifische Schreibweise verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen in diesem Sachstand sind somit geschlechtsneutral zu verstehen; die männliche Form bezieht sich auf weibliche, männliche und diverse Personen. 4 Häde in: Pechstein/Nowak/Häde (Hrsg.), Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Aufl. 2017, Art. 286 AEUV Rn. 2. 5 Im Unterschied dazu werden Kandidaten für den Gerichtshof gemäß § 1 Abs. 3 RiWahlG wie Bundesrichter ausgewählt , vgl. dazu die Ausführungen unter Gliederungspunkt 3.2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 038/21 Seite 5 Bundestags nach dem Integrationsverantwortungsgesetz (IntVG)6 oder dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG)7, das sich auf „Angelegenheiten der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 GG“ (§ 1 Abs. 2 EUZBBG), mithin auf Vorgänge auf Unionsebene bezieht. Mangels spezieller Regelung greift somit die verfassungsrechtliche Grundregel in Bezug auf die Zuständigkeit für die Wahrnehmung mitgliedstaatlicher Aufgaben im Verhältnis zur Europäischen Union ein: Trotz der entscheidenden Rolle des Parlaments im Rahmen der Integration8 liegt diese nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung bei der Bundesregierung; jenseits gesetzlicher Anordnung bestehen demnach keine parlamentarischen Beteiligungs- und Informationsrechte .9 Weil eine entsprechende gesetzliche Anordnung insoweit nicht existiert, wird der deutsche Kandidat für den Rechnungshof in einem regierungsinternen Verfahren nominiert, in welchem das Vorschlagsrecht beim Bundesministerium der Finanzen liegt und das Kabinett die förmliche Aufstellungsentscheidung trifft. Eine formelle Mitwirkung von Bundestag, Bundesrat oder anderen Institutionen an der Benennung des Kandidaten für den Rechnungshof, etwa nach österreichischem Vorbild, existiert bisher nur in Forderungen der Literatur.10 Aufgrund einer entsprechenden Entschließung des Bundestags vom 28. Januar 200811 unterrichtet die Bundesregierung den Bundestag in einem „Bericht zur deutschen Personalpräsenz in internationalen Organisationen “ allerdings regelmäßig über die Präsenz deutscher Staatsbürger in Organen der Europäischen Union.12 6 Gesetz über die Wahrnehmung der Integrationsverantwortung des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union, abrufbar unter < http://www.gesetze-im-internet .de/intvg/BJNR302210009.html>. 7 Abrufbar unter . 8 Vgl. dazu Classen in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2018, Art. 23 Rn. 15. 9 Siehe dazu Scholz in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG-Kommentar, 92. EL August 2020, Art. 23 Rn. 131 ff., 154. 10 Vgl. Silberhorn, Konkrete Umsetzungs- und Partizipationsprobleme, in: Busek/Hummer (Hrsg.), Die Konstitutionalisierung der Verbandsgewalt in der (neuen) Europäischen Union, 2006, 171 (191); ders., Die Neugestaltung der Beteiligung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union, abrufbar unter , S. 18. 11 BT Drs. 16/7938. 12 Der 6. Bericht vom 7. Juni 2019 ist abrufbar unter . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 038/21 Seite 6 3. Parlamentsbeteiligung bei der Nominierung deutscher Mitglieder für andere Organe der Europäischen Union (Frage 3) 3.1. Nominierung für die Europäische Kommission Ebenso wie in Bezug auf die Auswahl des Rechnungshofmitglieds fehlt auch in Bezug auf den deutschen Kandidaten für die Kommission eine gesetzliche Regelung parlamentarischer Beteiligung . Auch insoweit verbleibt es somit bei der alleinigen Zuständigkeit der Bundesregierung. 3.2. Nominierung für den Gerichtshofs der Europäischen Union Auch die Nominierung des deutschen Richters und des Generalanwalts am Gerichtshof war zunächst nicht gesetzlich geregelt und erfolgte in einem regierungsinternen Verfahren, in welchem das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) einen Personalvorschlag vorbrachte und das Auswärtige Amt die entsprechende Kabinettsvorlage fertigte.13 Nach Änderung des RiWahlG14 erfolgt die Nominierung nunmehr nach denselben Verfahrensgrundsätzen wie die Auswahl von Bundesrichtern auf nationaler Ebene, also im Einvernehmen zwischen der Bundesregierung und dem Richterwahlausschuss, § 1 Abs. 3 RiWahlG. Der Richterwahlausschuss ist ein Gremium aus 32 Mitgliedern, das sich aus je einem Mitglied der 16 Landesregierungen sowie 16 vom Bundestag gewählten Mitgliedern zusammensetzt; letztere müssen hierbei nicht selbst dem Bundestag angehören.15 Nach Art. 95 Abs. 2 GG i.V.m. dem RiWahlG kommt dem Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz (Justizminister) sowie allen Mitgliedern des Ausschusses ein Vorschlagsrecht zu, § 10 RiWahlG. Nach Prüfung der Erfüllung aller persönlichen und fachlichen Voraussetzungen entscheidet der Ausschuss in geheimer Abstimmung mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen über den Vorschlag, §§ 11, 12 RiWahlG. Im Falle einer Abstimmung zugunsten eines Kandidaten muss der Justizminister seinerseits zustimmen , § 13 RiWahlG.16 Dem Richterwahlausschuss kommt somit im Auswahlverfahren ein faktisches Veto-Recht zu; ohne seine Zustimmung kann eine Nominierung nicht stattfinden.17 *** 13 Vgl. Balders/Hansalek, Die demokratische Legitimation deutscher Mitglieder des Europäischen Gerichtshofs - Überlegungen zu einer Reform des Auswahlverfahrens, ZRP 2006, 54 (55). Vgl. dazu auch BRat Drs. 915/05, S. 1. 14 Das Gesetz ist abrufbar unter . 15 Vgl. dazu die Erläuterung des Deutschen Bundestags zum Richterwahlausschuss unter . 16 Vgl. zum Ganzen bereits Sachstand PE 6 – 3000 – 150/18, abrufbar unter , S. 5. 17 Blum, Die Ernennung der Richter und Generalanwälte des EuGH im Vergleich ausgewählter Mitgliedsstaaten – Wie demokratisch ist die „Richterwahl“?, Berliner Online-Beiträge zum Europarecht Nr. 1 (2010), 1 (14 f.).