© 2019 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 033/19 Gesetzgebungskompetenz der Länder für eine Grundsteuerreform Handlungsoptionen nach erfolglosem Verstreichen der Frist zum 31. Dezember 2019 Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Fragestellung Die Auftraggeber erkundigen sich nach der Möglichkeit für die Länder, im Falle eines erfolglosen Verstreichens der vom BVerfG gesetzten Frist zum 31.12.2019 für eine Grundsteuerreform selbst gesetzgeberisch aktiv zu werden. 2. Gesetzgebungskompetenz der Länder nach erfolglosem Verstreichen der Frist zum 31.12.2019 Fraglich ist, ob nach Ablauf der Übergangsfrist am 31.12.2019 eine Gesetzgebungskompetenz für die Länder tatsächlich besteht und von diesen ausgeübt werden könnte. Das Urteil des BVerfG enthält bezüglich der Rechtslage ab dem 1.1.2020 keine ausdrückliche Regelung. Die Nichtigkeit der für verfassungswidrig erklärten Normen wurde nicht ausdrücklich angeordnet. „Das bisherige Bewertungsrecht des Bundes könnte entweder nichtig werden oder weiterhin Geltung beanspruchen . Das Urteil des BVerfG lässt insoweit eine eindeutige Aussage vermissen.“1 „Für ein automatisches Nichtigwerden der für verfassungswidrig erklärten Bestimmungen des Bewertungsgesetzes könnte der Umkehrschluss zu der Anwendbarkeitsregelung des BVerfG sprechen . Wenn die verfassungswidrigen Vorschriften ohne Neuregelung nur bis zum 31.12.2019 anwendbar bleiben, dann könnten sie danach ohne Neuregelung auch nichtig werden. Anderenfalls verbliebe ein verfassungswidriges und auch nicht mehr anwendbares Bundesgesetz, das nur noch eine leere Hülle darstellte und eine notwendige Neuregelung durch die Länder sperrte. Eine solche Nichtigkeitsfolge baute auch hinreichenden Druck auf den Bundesgesetzgeber auf, fristgerecht eine Neuregelung vorzunehmen oder die Materie zur Regelung durch die Länder freizugeben . Andererseits ist darauf hinzuweisen, dass das BVerfG die Möglichkeit gehabt hätte, nach Fristablauf ausdrücklich die Nichtigkeit der verfassungswidrigen Bestimmungen vorzusehen, davon aber – anders als etwa in der Entscheidung zur Kernbrennstoffsteuer – keinen Gebrauch gemacht hat. Sofern man einen Umkehrschluss zu der Übergangsvorschrift der Anwendbarkeit bis zum 31.12.2019 ziehen will, ergibt sich daraus lediglich, dass bei fehlender Neuregelung die bisherigen Bestimmungen nicht mehr anwendbar sind, nicht aber deren Nichtigkeit. Insofern sind die Fragen nach der Nichtigkeit einer verfassungswidrigen Norm und der Anwendbarkeit einer verfassungswidrigen , aber nicht nichtigen Norm, strikt zu trennen. So sprechen die besseren Gesichtspunkte dafür, auch nach erfolglosem Fristablauf keine Nichtigkeit der verfassungswidrigen bundesrechtlichen Bestimmungen anzunehmen.“2 Schmidt schlägt als Ausweg aus dem „Dilemma“ für die Ausübung der Gesetzgebungskompetenz durch die Länder entweder ein Freigabegesetz des Bundes (5.1.) oder ein Normenkontrollverfahren auf Feststellung der Nichtigkeit des Gesetzes vor dem BVerfG (5.2.) vor. Eine weitere Option 1 Schmidt, Thorsten Ingo: „Gesetzgebungskompetenz zur Neuregelung der Grundsteuer“ in: NVwZ 2019, S. 103- 109 (107), beck.online 2 Schmidt: ebenda, S. 107 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 033/19 Seite 5 wäre zudem, dass das BVerfG seine (vorläufige) Regelungskompetenz für die verfassungswidrigen Rechtsnormen (5.3.) nutzt, wie es bereits im Zusammenhang mit der letzten Erbschaftsteuer- Entscheidung des Verfassungsgerichts in der Literatur diskutiert wurde. 2.1. Freigabegesetz des Bundes „Das Auseinanderfallen von formeller Gestaltungsmacht des Bundes und materieller der Länder ließe sich durch den Erlass eines Freigabegesetzes durch den Bund gem. Art. 125 a II 2 GG auflösen . Darin könnte der Bund die Länder zum Ersetzen der bisherigen bundesrechtlichen Bestimmungen zur Immobilienbewertung zwecks Grundsteuererhebung durch Landesgesetze ermächtigen . Der Wortlaut des Art. 125 a II 2 GG „kann“ weist darauf hin, dass die Entscheidung im staatspolitischen Ermessen des Bundes liegt. Dies hat wenigstens bis zum Ablauf der Übergangsfrist am 31.12.2019 zu gelten, weil für den Bund immer noch die – wenngleich nach den obigen Ausführungen eher theoretische – Möglichkeit einer eigenständigen verfassungskonformen Neufassung der Bewertungsregeln bestände. Nach erfolglosem Ablauf der Übergangsfrist dürfte dieses staatspolitische Ermessen des Bundes aber auf Null schrumpfen, weil nur die Länder dann noch eine dem Grundgesetz entsprechende umfassende Neuregelung werden treffen können. Verfahrensrechtlich hätte eine Landesregierung gem. Art. 93 II 3 Var. 3 GG zunächst den Entwurf eines Freigabegesetzes in den Bundesrat einzubringen. Lehnte der Bundesrat den Gesetzentwurf ab, würde im Bundestag nicht binnen Jahresfrist beraten und Beschluss gefasst oder der Entwurf abgelehnt , könnte die Landesregierung oder ein Landesparlament bzw. bei Scheitern im Bundestag auch der Bundesrat gem. Art. 93 II 1 GG; §§ 13 Nr. 6 b, 96 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) einen Antrag auf Feststellung an das BVerfG richten, dass das bisherige Bundesrecht nicht mehr erlassen werden könnte. Sollte das BVerfG gleichfalls zu dem Schluss kommen, dass das Freigabeermessen des Bundes sich auf Null reduziert haben sollte, träte seine Entscheidung gem. Art. 93 II 2 GG an die Stelle eines entsprechenden Freigabegesetzes. In der Folge könnten die Länder ihrerseits Grundsteuer- bzw. Bewertungsgesetze erlassen und dabei eigene Akzente setzen, etwa hinsichtlich des Steuergegenstandes, zu verfolgender ökonomischer oder sozialer Lenkungsziele wie der Eigenheimförderung oder des sozialen Wohnungsbaus oder eines zonierten gemeindlichen Hebesatzrechts. Sollten die Länder eine gewisse Vereinheitlichung ihrer Regelungen anstreben, könnten parallele Landesgesetze erlassen werden.“3 2.2. Normenkontrollverfahren auf Feststellung der Nichtigkeit des Gesetzes „Erlässt der Bund kein Freigabegesetz und wird er vom BVerfG dazu auch nicht gezwungen, muss gleichwohl die Möglichkeit gegeben sein, selbst bereits für verfassungswidrig erklärte Normen endgültig zu beseitigen. Dies kann durch Erhebung einer abstrakten Normenkontrolle durch eine Landesregierung gem. Art. 93 I Nr. 2 GG; §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG gerichtet auf Nichtigerklärung der verfassungswidrigen bundesgesetzlichen Vorschriften durch das BVerfG erfolgen. Die Landesregierung müsste gem. § 76 I Nr. 1 BVerfGG geltend machen, sie halte die verfassungswidrigen Bestimmungen der Immobilienbewertung zwecks Grundsteuererhebung mittlerweile für nichtig. Einer solchen abstrakten Normenkontrolle fehlte trotz der bereits ergangenen Grundsteuerentscheidung des BVerfG nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, weil die Nichtigkeit einer Norm in ihren Rechtswirkungen über deren bloße Verfassungswidrigkeit hinausgeht: Wird 3 Schmidt: aaO., S. 108 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 033/19 Seite 6 eine Norm für verfassungswidrig erklärt, bleibt sie bestehen und kann die Ausübung einer Gesetzgebungskompetenz durch die Länder blockieren, wird die Norm für nichtig erklärt, ist sie nicht mehr existent und hindert die Länder auch nicht mehr an der Ausübung der ihnen zukommenden Kompetenzen. Was die Begründetheit dieser abstrakten Normenkontrolle angeht, so reichen vom Ansatz her die Gründe aus, die zur Verfassungswidrigkeit der bisherigen Grundsteuerregelungen geführt haben, um auch die Nichtigkeit der Normen zu begründen. Denn die Nichtigkeit ist die regelmäßige Folge einer verfassungswidrigen Norm. Angesichts der Vorentscheidung vom April 2018 müssen aber ergänzend weitere Gesichtspunkte gegeben sein, die zum Zeitpunkt der neuen Entscheidung ein Festhalten an der bloßen Verfassungswidrigkeit als nicht mehr hinnehmbar erscheinen lassen. Dafür ist anzuführen, dass bei dieser Fallgestaltung der Bund bis zum Ablauf der Übergangsfrist weder fähig noch willens war, selbst eine grundgesetzkonforme Neuregelung zu treffen oder den Ländern die Kompetenz zu überantworten, so dass wegen dieser Untätigkeit den Gemeinden erhebliche Steuerausfälle drohen.“4 2.3. Ersetzungsbefugnis des BVerfG? Dem BVerfG steht es gemäß § 35 BVerfGG zu, im Einzelfall die Art und Weise der Vollstreckung zu regeln. Diese Norm wird vom BVerfG weit interpretiert. “Gestützt auf diese Kompetenz trifft das Gericht von Amts wegen […] alle Anordnungen, die erforderlich sind, um seinen ein Verfahren abschließenden Sachentscheidungen Geltung zu verschaffen. Der Vollstreckung […] sind auch Feststellungsurteile zugänglich […]. Aus dem umfassenden Gehalt der Vorschrift […] folgt aber, dass jene Anordnungen, wenn sich ihre Notwendigkeit erst nachträglich herausstellt, auch in einem selbstständigen Beschluss des Gerichts getroffen werden können.“5 Hoppe6 hielt bereits bei der Diskussion um das BVerfG-Urteil vom 7.11.2006 zur Erbschaftsteuer bei Nichthandeln des Gesetzgebers Vollstreckungsanordnungen des BVerfG für zulässig, die eine (Nach-)Frist für die Neuregelung setzen, die Aufhebung der Weitergeltung verfassungswidrigen Rechts zu einem bestimmten Zeitpunkt festlegen oder den Erlass einer normvertretenden Übergangsregelung für denkbar. “§ 35 BVerfGG dient dem Vollzug der Sachentscheidung. Die Vollstreckung ist akzessorisch. Sie steht im Dienst der Sachentscheidung. Die Übergangsregelungen und Rechtsfolgeanordnungen, die ergehen, um der Sachentscheidung Geltung zu verschaffen und das vom Bundesverfassungsgericht gefundene Recht zu verwirklichen, wirken nur in den Grenzen des Tenors und der ihn tragenden Entscheidungsgründe. Der Vollstreckungsbeschluss kann die Sachentscheidung nicht erweitern.“7 Das heißt, dass das BVerfG nur die für verfassungswidrig erklärten Normen mittels einer eigenen Übergangsregelung ersetzen könnte. Wollte das BVerfG eine eigene Übergangsregelung erlassen, müsste es sich um Regelungen handeln, die in das bestehende BewG einfügbar wären und mit 4 Schmidt: aaO., S. 108 5 BVerfG – Urteil v. 21.3.1957 – BVerfGE 6, 300 (304) 6 Hoppe DVBl. 2009, 628-629 7 Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge: Bundesverfassungsgerichtsgesetz, a.a.O., § 35 Rn. 47 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 033/19 Seite 7 den weiterhin geltenden Normen harmonieren würden. Denn ersetzbar wären nicht das gesamte BewG, sondern nur die für verfassungswidrig erklärten Teilregelungen. Es könnte somit eigene vorläufige Regelungen zur Bewertung des Grundvermögens für die Grundsteuer nach Maßgabe der BVerfG-Entscheidung entwickeln. Die Übergangsregelungen des BVerfG würden solange in Kraft bleiben, wie der Gesetzgeber keine Änderung an den für verfassungswidrig erklärten Regelungen vorgenommen hat. Sobald es ein parlamentarisch beschlossenes Gesetz zur Neufassung der steuerlichen Bemessungsgrundlage der Grundsteuer gäbe, träten die Übergangsregelungen des BVerfG außer Kraft. Das BVerfG greift mit dem Erlass von Übergangsregelungen in die Kompetenz des Gesetzgebers ein. Im Bewusstsein um diesen sensiblen Regelungsbereich hat das BVerfG das Prinzip der schonendsten Regelung8 entworfen . Es bleibt jedoch fraglich, ob sich das BVerfG für eine vorläufige Übergangsregelung für eines der bislang in der Literatur diskutierten Bewertungsmodelle entscheiden und dieses in das Bewertungsgesetz implementieren würde. *** 8 BVerfGE 84, 9 (23); 91, 186 (207); 93, 37 (85); 103, 111 (141)