© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 032/20 Die Kostentragung der Prozesskosten- und Beratungshilfe Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 032/20 Seite 2 Die Kostentragung der Prozesskosten- und Beratungshilfe Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 032/20 Abschluss der Arbeit: 10.03.2020 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 032/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Einleitung 4 3. Prozesskostenhilfe 4 4. Beratungshilfe 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 032/20 Seite 4 1. Fragestellung Die Antragstellerin bittet um eine rechtliche Einschätzung zu der Frage, ob die Leistungen für die Prozesskosten- und Beratungshilfe auch aus dem Bundeshaushalt und nicht aus den Länderhaushalten bestritten werden dürfen. 2. Einleitung Die Prozesskostenhilfe (PKH) und die Beratungshilfe sind ein zentrales Mittel, um Rechtschutzgleichheit zu erzeugen. Die Möglichkeit, von effektivem Rechtschutz Gebrauch zu machen, darf nicht von der Finanzkraft der Beteiligten abhängen. Das ergibt sich unmittelbar aus dem allgemeinen Gleichheitssatz in Verbindung mit dem Rechtstaatsprinzip (Art. 3, 20 Abs. 3 GG) und dem Sozialstaatprinzip (Art. 20 Abs.1 GG).1 Die Kosten, die daraus entstehen, sind von der Staatskasse zu tragen. 3. Prozesskostenhilfe Die PKH soll Personen mit niedrigem Einkommen und Vermögen den Zugang zu Gerichten und die Führung von Gerichtsverfahren ermöglichen, ohne dass das Verfahren von den finanziellen Möglichkeiten der Parteien abhängt.2 Gemäß dem Grundsatz nach Art. 104a Abs. 1 GG haben Bund und Länder die Kosten, die aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben entstehen, selber zu tragen. Es handelt sich bei diesem Konnexitätsprinzip um einen notwendigen Ausfluss des in Art. 20 Abs. 1 GG normierten Bundesstaatsprinzip , um die Finanzautonomie der Länder gegenüber dem Bund zu stärken. Sollten dem jedoch gesamtstaatliche Interessen entgegenstehen, ist eine Durchbrechung denkbar.3 Um festzustellen, wer die Kosten der PKH tragen muss, muss also zunächst festgestellt werden, wen die Aufgabenzuständigkeit trifft. Aus Art. 92 Hs. 2 aE GG ergibt sich eine spezielle Aufgabenzuordnung zur Organisation der allgemeinen Gerichte durch die Länder.4 Daraus folgt, dass die Länder die Gerichte der unteren Instanzen aufbauen und somit auch die Kosten tragen müssen . Da die PKH die Kosten der Gerichte und der Verfahren abdecken soll, ist insoweit also die Ausgabenzuständigkeit der Länder betroffen, sodass die PKH bei Verfahren vor diesen Gerichten aus dem Haushalt der Länder bedient werden muss. Nur, wenn für Verfahren vor einem der im Grundgesetz enumerativ genannten Bundesgerichte PKH gewährt wird, ist der Bund zuständig und muss damit nach dem Grundsatz der Konnexität die Kosten tragen. Zwar enthält Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG einen Kompetenztitel zur Regelung der Gerichtsverfassung, sodass der 1 BVerfGE 81, 347 (356); Wache in: Rauscher/Krüger, Münchener Kommentar zur ZPO (MüKoZPO), 5. Auflage 2016, § 114 Rn. 1, 3. 2 Fischer in: Musielak/Voit, ZPO, 16. Auflage 2019, § 114 Rn. 1. 3 Kloepfer, Finanzverfassungsrecht mit Haushaltsverfassungsrecht, 1. Auflage 2014, § 3 Rn. 1. 4 Schulze-Fielitz in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2018, Art. 92 Rn. 19; Detterbeck in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 92 Rn. 31. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 032/20 Seite 5 Bund wiederum die Verfahrenszuständigkeiten der Gerichte der unteren Instanzen regeln kann. Die konkrete Organisation der Gerichte verbleibt aber bei den Ländern, sodass sich daraus kein anderweitiges Ergebnis ergeben kann.5 Um dennoch eine ganze oder teilweise Kostentragung durch den Bund zu rechtfertigen, müsste also der Grundsatz der Konnexität durchbrochen werden. Dies setzt voraus, dass Bund und Länder auf dem konkreten Gebiet zusammenarbeiten dürfen. Neben einigen im Grundgesetz normierten Fällen der Zusammenarbeit, wären grundsätzlich auch ungeschriebene Zusammenarbeitsbefugnisse denkbar. Voraussetzung wäre aber zumindest ein besonderer sachlicher Grund und eine eng umgrenzte Verwaltungsmaterie.6 Als besonderer sachlicher Grund könnte hier zwar die grundrechtliche Verpflichtung des Staates zur Schaffung der PKH herangezogen werden, dies würde aber der in Art. 92 Hs. 2 GG ausdrücklich festgelegten Aufgabenzuordnung genau entgegenlaufen und ist somit nicht rechtmäßig.7 Eine Kostenteilung oder eine alleinige Kostentragung durch den Bund ist daher im Rahmen der PKH nicht möglich, soweit das Verfahren vor einem unteren Gericht stattfindet. Die eindeutige Kompetenzzuteilung verbietet dies. Sobald das Verfahren jedoch vor einem Bundesgericht geführt wird, muss der Bund alleine die Kosten der PKH tragen. 4. Beratungshilfe Im Unterschied zur PKH gewährt das Institut der Beratungshilfe finanzielle Unterstützung für außergerichtliche rechtliche Beratung.8 Diese kann sowohl durch Anwälte als auch durch andere zur rechtlichen Beratung befugte Personen erfolgen, § 3 Abs. 1 S. 1, 2 BerHG. Bei den anderen ermächtigen Personen handelt es sich beispielsweise um Steuerberater (§ 65a StBerG) oder Wirtschaftsprüfer (§ 51a WPO), die ihre Berechtigung zur rechtlichen Beratung in der Hauptsache aus dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) herleiten. Die Höhe des Vergütungsanspruchs richtet sich allerdings unabhängig vom Berufsstand immer nach dem RVG (§ 8 Abs. 1 BerHG) und ist gemäß § 44 S. 1 RVG in voller Höhe von den Landeskassen zu tragen.9 Der Bund hat damit das Institut der Beratungshilfe umfassend etabliert, überlässt das Verfahren aber grundsätzlich den Ländern. So gewähren § 3 Abs. 1 S. 3 BerHG und § 12 BerHG die Möglichkeit öffentliche Beratungsstellen einzurichten. Davon haben Hamburg, Bremen und Berlin in unterschiedlicher Form Gebrauch gemacht.10 Um festzustellen, ob die Regelung des § 44 S. 1 RVG zulässig ist oder ob auch eine abweichende Regelung rechtlich vertretbar wäre, ist gemäß dem Konnexitätsprinzip nach Art. 104a Abs. 1 GG 5 Classen in: v. Mangoldt/Klein/Strack, Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 92 Rn. 36 6 BVerfGE 119, 331 (370); Kloepfer, siehe Fußnote 3, § 3 Rn. 84. 7 Kloepfer, siehe Fußnote 1, § 3 Rn. 84. 8 Wache in: MüKoZPO, § 114 Rn. 13. 9 Pukall in: Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 7. Auflage 2018, § 44 Rn. 2, 60, 65. 10 Pukall in: Mayer/Kroiß, § 44 Rn. 59. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 032/20 Seite 6 festzustellen, ob der Bund oder die Länder von der Aufgabenzuständigkeit für die Errichtung und Unterhaltung der Beratungshilfe betroffen sind. Die Bundeskompetenz für die bisherige Gesetzgebung ergibt sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Der Kompetenztitel „Rechtsanwaltschaft“ ist dabei maßgeblich für die anwaltliche Beratungshilfe, während der Kompetenztitel „Rechtsberatung“ die Möglichkeit eröffnet, die Rechtsberatung durch Personen, die nicht Rechtsanwalt sind, zu regeln .11 Miterfasst ist jeweils die Kompetenz zur Regelung des Gebührenwesens.12 Allein aus dem Bestehen der Kompetenztitel kann aber noch keine Aufgabenzuständigkeit für die Länder oder den Bund hergeleitet werden. Die Kompetenztitel des Art. 74 GG sind Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 72 Abs. 1 GG. Der Bund kann also jederzeit ein Gesetz erlassen, das die Beratungshilfe anderweitig und vollumfänglich einschließlich des Verfahrens regelt, was zur Folge hätte, dass bestehende Landesregelungen unanwendbar wären. Auch eine abweichende Kostentragungsregel wäre allein nach Art. 72 Abs. 1, 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ohne weiteres möglich.13 Allein die kompetentielle Möglichkeit eine Beratungshilfe einzurichten vermag noch keine Aufgabenzuständigkeit im Sinne des Art. 104a Abs. 1 GG zu begründen. Es ist also zu überlegen, aus welcher grundgesetzlichen Bestimmung eine Pflicht zum Aufbau und Unterhalt der Beratungshilfe herzuleiten ist. Eine explizite Zuordnung ist nicht ersichtlich. Art. 92 Hs. 2 GG gilt erkennbar nur für die Gerichte der unteren Instanzen, die Beratungshilfe soll aber gerade die rechtliche Beratung außerhalb der Gerichte ermöglichen.14 Die Aufgabe, eine Beratungshilfe für einkommensschwache Menschen aufzubauen, ist aber unmittelbarer Ausfluss des Rechtstaatsprinzips und des Rechts auf Gleichheit im Verfahren nach Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 3 GG. Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG sind alle Gewalten unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Dadurch werden auch die Länder erfasst.15 Es ist somit auch die Aufgabe der Länder, eine wirksame Beratungshilfe aufzubauen und zu unterhalten. Nach dem Konnexitätsprinzip nach Art. 104a Abs. 1 GG sind somit grundsätzlich sowohl der Bund als auch die Länder aufgabenzuständig für die Errichtung und Unterhaltung einer Beratungshilfe. Daraus ergibt sich, dass zum einen die aktuelle Kostentragungsregel des § 44 S. 1 RVG rechtmäßig ist, zum anderen aber auch eine abweichende Regel unter Belastung des Bundeshaushaltes denkbar wäre. Anders als im Rahmen der PKH, wäre für die Beratungshilfe also auch eine geteilte Kostentragung rechtlich vertretbar, weil sowohl der Bund als auch die Länder von der Pflicht getroffen werden, eine wirksame Beratungshilfe aufzubauen. *** 11 Wittreck in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2015, Art. 74 Rn. 24 f.; Kunig in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 6. Auflage 2012, Art. 74 Rn. 20 f.; Maunz in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 88. Ergänzungslieferung 2019, Art. 74 Rn. 84, 86. 12 Wittreck in: Dreier, Art. 74 Rn. 24 f. 13 Dazu Wittreck in: Dreier, Art. 72 Rn. 14: „Parallelkompetenz von Bund und Ländern, die zu Lasten der Länder unter der auflösenden Bedingung des Gebrauchmachens von der Bundeskompetenz steht“. 14 Wache in: MüKoZPO, § 114 Rn. 13. 15 BVerfGE 103, 332 (347 f.); Dreier in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Auflage 2013, Art. 1 Abs. 3 Rn. 37.