© 2020 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 030/20 Einzelfragen zur steuerrechtlichen Zahlungsverjährung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 030/20 Seite 2 Einzelfragen zur steuerrechtlichen Zahlungsverjährung Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 030/20 Abschluss der Arbeit: 02.03.2020 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 030/20 Seite 3 1. Einleitung Zu dem Sachstand WD 4 – 023/20, der sich mit dem Verhältnis von strafrechtlicher Verfolgungsverjährung und steuerrechtlicher Festsetzungsverjährung sowie einem kurzen Überblick über die strafrechtliche Vermögensabschöpfung befasst hat, wurden drei Rückfragen gestellt. Diese sollen im Folgenden beantwortet werden. 2. Ist es zutreffend, dass die steuerliche Zahlungsverjährung immer der Festsetzungsverjährung folgt, oder sind auch Fälle denkbar in denen eine Festsetzung nach längerer Zeit noch möglich ist, aber die Zahlungsverjährung abgelaufen wäre? Wie wirkt sich hier die Neufassung des § 228 AO aus und gilt diese Neufassung auch rückwirkend? Der Beginn der Zahlungsverjährung richtet sich nach § 229 AO. Gemäß § 229 Abs. 1 S. 1 AO beginnt die Zahlungsverjährung grundsätzlich mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist. Dieser Grundsatz ist aber nur bei Ansprüchen anzuwenden, die keiner Festsetzung bedürfen.1 Da eine Steuerfestsetzung in der Regel aber erst dazu führt, dass der Anspruch fällig wird, folgt die Zahlungsverjährung grundsätzlich der Festsetzungsverjährung .2 Nach Steuerfestsetzung läuft also in Bezug auf die festgesetzte fällige Steuer die Zahlungsverjährung , während die Festsetzungsverjährung weiter parallel läuft.3 Eine Verwirkung der Ansprüche innerhalb noch laufender Frist ist nur unter sehr strengen Voraussetzungen möglich. Voraussetzung dafür wäre jedenfalls, dass die Finanzbehörde einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat und der Steuerschuldner auf diesen vertrauen durfte.4 Durch die Neueinführung von § 228 S. 2 AO wollte der Gesetzgeber eine Anpassung an § 169 Abs. 2 S. 2 AO bewirken.5 Die Übergangsvorschrift des Art. 97 § 14 Abs. 5 EGAO bewirkt, dass die Vorschrift des § 228 S. 2 AO auf Fälle anwendbar ist, deren Verjährungsfrist am 24.06.2017 noch nicht eingetreten ist. Der Gesetzgeber bezieht sich hier auf die Zahlungsverjährung, sodass eine Rückwirkung bis 2012 denkbar ist.6 Grundsätzlich sollte damit der Eintritt der Zahlungsverjährung vor Eintritt der Festsetzungsverjährung ausgeschlossen sein. Einzig denkbarer Fall, wo dies auftreten könnte, wäre eine Verlängerung der Festsetzungsverjährung nach § 171 Abs. 7 AO. Tritt im Rahmen der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung eine Unterbrechung ein, so könnte sich die Frist der Verfolgungsverjährung auf bis zu 20 Jahre verlängern, §§ 369 Abs. 2 AO, 78c Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 376 Abs. 1 AO. Somit kann sich wegen des Fehlens einer dem § 171 Abs. 7 AO entsprechenden Norm im Rahmen des Rechts zur Zahlungsverjährung eine Differenz ergeben. 1 Beispielsweise Säumniszuschläge Kögel in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 150. Lieferung Stand 2018, § 228 AO Rn. 3; Rüsken in: Klein, Abgabenordnung, 14. Auflage 2018, § 229 Rn. 3. 2 BFH BeckRS 2014, 94241 Rn. 14 f.; Fritsch in: Koenig, Abgabenordnung, 3. Auflage 2014, § 229 Rn. 3. 3 Kögel in: siehe Fußnote 1, § 228 AO Rn. 4. 4 Rüsken in: siehe Fußnote 1, § 228 Rn. 13. 5 BT-Drs. 18/11132 S. 29 f. 6 BT-Drs. 18/11132 S. 33. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 030/20 Seite 4 Dies führt im Rahmen der Kapitalertragsteuer zu Problemen. Gemäß § 8b KStG wird die Kapitalertragsteuer auf die bereits festgesetzte Steuer angerechnet.7 Sollte der Steuerpflichtige also über die Höhe der Kapitalertragsteuer getäuscht haben, so hat dies keine Auswirkungen auf die festgesetzte Steuerschuld, sondern lediglich auf die Höhe der Anrechnung. Diese unterliegt allerdings der Zahlungsverjährung, sodass insoweit eine Maximalfrist von zehn Jahren nach § 228 S. 2 AO und eine Rückwirkung nach der Übergangsvorschrift Art. 97 § 14 Abs. 5 EGAO bis zum 24.06.2017 gilt. Für Altfälle wäre es also denkbar, dass der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis wegen Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist erloschen ist, während die Festsetzungsverjährung wegen der strafrechtlich grundsätzlich weiterhin möglichen Verfolgung noch läuft. Diese Möglichkeit hatte der Gesetzgeber nicht im Blick. Der Gesetzgeber wollte die fünfjährige Zahlungsverjährungsfrist an die zehnjährige Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO anpassen . Auf die Möglichkeit der Verlängerung der Festsetzungsfrist wegen § 171 Abs. 7 AO durch die längere strafrechtliche Verjährung geht er nicht ein.8 3. Durch die Ablaufhemmung scheinen steuerliche Rückforderungen nach Ende des Strafverfahrens möglich. Werden diese beschränkt, wenn dieselben Vorteile bereits im Rahmen der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung eingezogen wurden? Steuerliche Rückforderungen nach Abschluss des Strafverfahrens wären nur möglich, wenn die Zahlungsverjährung noch nicht abgelaufen ist. Ist allerdings in den 1990er Jahren eine Festsetzung erfolgt, so war in diesem Zeitpunkt der Anspruch fällig, sodass mittlerweile Zahlungsverjährung eingetreten ist. Eine steuerliche Rückforderung kommt damit nur für Fälle in Betracht, die nach dem Jahr 2012 liegen. Sollte eine Rückforderung möglich sein, so wird diese durch eine erfolgte strafrechtliche Vermögensabschöpfung begrenzt. Würde man dies anders sehen, hätte die Vermögensabschöpfung Strafcharakter und eine Rückwirkung wäre wegen des Rückwirkungsverbotes strikt ausgeschlossen.9 Da die Vermögensabschöpfung ähnlichen Gedanken folgt wie der zivilrechtliche Bereicherungsausgleich, ist ein Anspruch insoweit ausgeschlossen, als dass das erlangte „Etwas“ nicht mehr im Vermögen des Täters vorhanden ist, es also bereits aus anderen Gründen an den Berechtigten gezahlt wurde. Entreicherung ist damit auch ausgeschlossen, weil der Täter nicht auf das Behaltendürfen vertrauen kann. Er ist nicht schutzwürdig.10 4. Aus dem Sachstand geht hervor, dass insbesondere durch § 171 Abs. 7 AO eine steuerrechtliche Festsetzungsverjährung durch das Strafrecht aufgehalten wird. Ergeben sich 7 Rüsken in: siehe Fußnote 1, § 228 Rn. 4. 8 BT-Drs. 18/11132 S. 29. 9 Siehe dazu auch BT-Drs. 18/11640, S. 84. 10 Heuchemer in: v. Heintschel-Heinegg, BeckOK StGB, 45. Edition 2020, § 73 Rn. 1 spricht von einer „quasi-kondiktionelle Ausgleichsmaßnahme“. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 030/20 Seite 5 aus der BGH-Entscheidung vom 24.10.2019 (I StR 173/19)11 in diesem Zusammenhang einschränkende Aspekte? § 171 Abs. 7 AO wird durch diesen Beschluss nicht eingegrenzt. Vielmehr hat der Beschluss Auswirkungen auf die strafrechtliche Vermögensabschöpfung. Gemäß § 73e StGB führt das Erlöschen des außerstrafrechtlichen Anspruchs auf das Erlangte auch zum Erlöschen des strafrechtlichen Anspruchs auf Vermögensabschöpfung. Für das Steuerrecht bedeutet dies, dass das Erlöschen des Steueranspruchs auch eine strafrechtliche Vermögensabschöpfung ausschließt. Gemäß § 47 AO kann im Steuerrecht ein Anspruch auch durch Verjährung ausgeschlossen sein. Für die Festsetzungsverjährung ist dies unproblematisch, weil § 171 Abs. 7 AO von „Verfolgung“ spricht und die strafrechtliche Vermögensabschöpfung ein Teil dieser Verfolgung ist. Problematisch ist allerdings das Verhältnis zur Zahlungsverjährung nach den §§ 228 ff. AO, weil es dort keine dem § 171 Abs. 7 AO entsprechende Vorschrift gibt. Ist also der fällige Steueranspruch verjährt, ist er erloschen und nicht bloß ausgeschlossen, wie dies im Zivilrecht der Fall wäre. Das führt dazu, dass die Regelungen der §§ 73 ff. StGB zur Vermögensabschöpfung in diesen Fällen nicht mehr zur Anwendung kommen können. Wie der BGH zwar anmerkt, war die Vorschrift eigentlich dazu gedacht den Täter vor doppelter Inanspruchnahme zu schützen, das Bestimmtheitsgebot verbietet es aber, das Wort „erloschen“ in § 73e StGB und § 47 AO unterschiedlich zu verstehen.12 Wichtig in Bezug auf den zugrundeliegenden Beschluss ist aber, dass der BGH das Urteil der Vorinstanz nicht vollständig aufhebt. Nur in Teilen war das Regelbeispiel des besonders schweren Falls objektiv erfüllt, sodass insoweit die längere Verjährungsfrist des § 376 Abs. 1 AO zur Anwendung kommen konnte. In einigen Teilen lag die Summe der hinterzogenen und verkürzten Steuern allerdings unter 50.000 €. Hier blieb es also bei der fünf-jährigen Regelverjährung nach §§ 369 Abs. 2 AO, 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB. Nur in Bezug auf die einfache Steuerhinterziehung musste also das Urteil aufgehoben werden, weil steuerrechtlich Verjährung auch unter Anwendung des § 171 Abs. 7 eingetreten war und der Steueranspruch somit erloschen war.13 Es bleibt also im Endeffekt bei einer uneingeschränkten Anwendung des § 171 Abs. 7 AO. Es kommt schlicht darauf an, ob die längere steuerstrafrechtliche Verfolgungsverjährung des § 376 Abs. 1 AO oder die strafrechtliche Regelverjährung Anwendung findet.14 Bezogen auf die Abschöpfung von Erträgen, die aus der unrichtigen Anrechnung der Kapitalertragsteuer resultieren, ist aber festzustellen, dass der Steueranspruch bei Altfällen, die vor dem 24.06.2012 liegen, wegen Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist erlöschen kann (siehe dazu auch Punkt 2 dieses Sachstandes). Dies führt dazu, dass der Ausschlussgrund des § 73e StGB greifen würde und eine Abschöpfung daher ausgeschlossen ist. *** 11 BGH, Beschluss vom 24.10.2019 – 1 StR 173/19, vollständig abgedruckt unter BGH, BeckRS 2019, 31577. 12 BT-Drs. 18/9525, hier wird ausdrücklich von § 362 Abs. 1 BGB gesprochen, was zeigt, dass der Gesetzgeber zivilrechtliche Erlöschensgründe vor Augen hatte. 13 BGH, BeckRS 2019, 31577, Rn. 2 f. 14 Instruktiv dazu auch die Entscheidungsbesprechung von Reinemer, FD-StrafR 2020, 424132.