© 2021 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 028/21 Länderkompetenz zur Festlegung der Biersteuersätze Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 028/21 Seite 2 Länderkompetenz zur Festlegung der Biersteuersätze Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 028/21 Abschluss der Arbeit: 12. März 2021 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 028/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Unionsrechtliche Vorgaben für die Biersteuer 4 3. Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben im Biersteuergesetz 5 4. Mögliche Kompetenz der Länder zur Bestimmung der Biersteuersätze 6 4.1. Sperrwirkung der vom Bund ausgeübten Gesetzgebungskompetenz 6 4.1.1. Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG 6 4.1.2. Rechtsfolge: Sperrwirkung für biersteuerliche Regelungen der Länder 8 4.2. Mögliche Teilregelung der Biersteuer durch den Bund 8 4.3. Weitere Möglichkeiten zur Übertragung biersteuerlicher Kompetenzen auf die Länder 9 5. Zusammenfassung 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 028/21 Seite 4 1. Fragestellung Gefragt wird, ob es mit Unionsrecht vereinbar ist, den Ländern die Möglichkeit einzuräumen, die Höhe der Biersteuer in eigener Verantwortung festzulegen oder diese auszusetzen. Die Biersteuer ist eine bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuer, die auf der Grundlage des Biersteuergesetzes erhoben wird. Sie gehört zu den durch die EU harmonisierten Steuern. Das Steueraufkommen betrug im Jahr 2020 rund 566 Mio. Euro1 und steht den Ländern zu. 2. Unionsrechtliche Vorgaben für die Biersteuer Die unionsrechtlichen Vorgaben für die Besteuerung von Alkohol ergeben sich aus mehreren Richtlinien.2 Nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16.12.2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG3 (Verbrauchsteuersystemrichtlinie ) wird eine Verbrauchsteuer auf Alkohol und alkoholische Getränke erhoben. Die Richtlinie 92/83/EWG des Rates vom 19.10.1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke4 (Alkoholstrukturrichtlinie) definiert die Steuergegenstände (Bier sowie weitere Erzeugnisse). Die Richtlinie 92/84/EWG des Rates vom 19.10.1992 über die Annäherung der Verbrauchsteuersätze auf Alkohol und alkoholische Getränke5 (Alkoholsteuersatzrichtlinie) legt Mindeststeuersätze für die Mitgliedstaaten fest. Art. 2 Alkoholstrukturrichtlinie (92/83/EWG) definiert, welche Getränke unter den Begriff „Bier“ fallen. Dazu ist ein Alkoholgehalt von mehr als 0,5 % vol. erforderlich. Erfasst werden auch Biermischgetränke aus Bier und einem anderen nichtalkoholischen Getränk, wenn der Alkoholgehalt 0,5 % vol. übersteigt. Andererseits wird alkoholfreies Bier (bis zu einem Alkoholgehalt von 0,5 % vol.) nicht besteuert. Hinsichtlich der Höhe der Biersteuer bzw. der Steuersätze belässt Art. 6 der Alkoholsteuersatzrichtlinie (92/84/EWG) den Mitgliedstaaten einen Spielraum zur Festlegung der Biersteuersätze. 1 https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Steuerschaetzungen _und_Steuereinnahmen/2021-01-29-steuereinnahmen-kalenderjahr-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=2. 2 Siehe zu dem Folgenden Gröpl, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 51. EL Oktober 2020, Rn. J 579 ff.; Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. 2018, Rn. G 10. 3 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A02008L0118-20200101, in Kraft bis zum 12.2.2023; zur künftigen Neufassung siehe Richtlinie (EU) 2020/262 des Rates vom 19.12.2019 zur Festlegung des allgemeinen Verbrauchsteuersystems (Neufassung). 4 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A01992L0083-20070101. Zur Änderung durch die Richtlinie (EU) 2020/1151 des Rates vom 29. Juli 2020: https://eur-lex.europa.eu/eli/dir/2020/1151/oj?locale =de. 5 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A31992L0084. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 028/21 Seite 5 Diese müssen mindestens 0,748 ECU je hl/Grad Plato6 oder 1,87 ECU je hl/Grad Alkohol betragen . Die Bemessung kann also nach Grad Plato oder nach dem Alkoholgehalt erfolgen. Art. 4 Alkoholstrukturrichtlinie (92/83/EWG) ermöglicht den Mitgliedstaaten, ermäßigte Steuersätze für kleine unabhängige Brauereien anzuwenden, die jährlich bis zu 200.000 hl Bier herstellen . Diese ermäßigten Steuersätze dürfen den Mindeststeuersatz um nicht mehr als 50 % unterschreiten . Daneben ermöglicht Art. 5 Alkoholstrukturrichtlinie (92/83/EWG) den Mitgliedstaaten, ermäßigte Steuersätze für Bier mit einem Alkoholgehalt von bis zu 2,8 % vol. (ab dem 1.1.2022: bis zu 3,5 % vol.) einzuführen. 3. Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben im Biersteuergesetz Das deutsche Biersteuergesetz (BierStG)7 hat sich für eine Besteuerung nach Grad Plato und nicht nach dem Alkoholgehalt entschieden. Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 BierStG beträgt der Regelsteuersatz 0,787 Euro je Grad Plato pro Hektoliter Bier. Damit liegt der Regelsteuersatz um 0,039 Euro je Grad Plato pro Hektoliter über dem Mindeststeuersatz nach Art. 6 Alkoholsteuersatzrichtlinie (92/84/EWG). Ein Hektoliter eines durchschnittlich starken Bieres (Stammwürzegehalt von 12 Grad Plato) ist mit 9,44 Euro Biersteuer belastet.8 Zum Erhalt der deutschen Biervielfalt und zur Förderung der mittelständisch geprägten Brauindustrie 9 hat der Gesetzgeber von ermäßigten Steuersätzen für kleine unabhängige Brauereien Gebrauch gemacht. Nach § 2 Abs. 2 BierStG ermäßigt sich der Steuersatz für im Brauverfahren hergestelltes Bier aus unabhängigen Brauereien mit einer Gesamtjahreserzeugung von weniger als 200.000 hl Bier in Stufen von 1.000 hl zu 1.000 hl gleichmäßig auf bis zu 56 % bei einer Jahreserzeugung von 5.000 hl. Der niedrigste Steuersatz in Höhe von 56 % des Regelsteuersatzes gilt für Brauereien mit einer Jahreserzeugung von bis zu 5.000 hl. Von der Steuersatzermäßigung nach Art. 5 Alkoholstrukturrichtlinie (92/83/EWG) für Bier mit einem reduzierten Alkoholgehalt von bis zu 2,8 % vol. (bzw. künftig bis zu 3,5 % vol.) wurde im BierStG kein Gebrauch gemacht.10 In Übereinstimmung mit den unionsrechtlichen Vorgaben kann der Gesetzgeber die Höhe der Biersteuer im Biersteuergesetz also dahingehend senken, dass er den Regelsteuersatz auf 0,748 Euro je Grad Plato je Hektoliter senkt, den ermäßigten Steuersatz für kleine unabhängige Brauereien auf einen Mindestsatz von bis zu 50 % des Regelsteuersatzes weiter absenkt und zusätzlich 6 Grad Plato gibt den so genannten Stammwürzegehalt des Bieres in Gramm je 100 Gramm Bier an, der sich aus dem im Bier enthaltenen Alkohol- und Extraktgehalt ergibt, siehe Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht , 3. Aufl. 2018, Rn. G 287. 7 Zur aktuellen Fassung: https://www.gesetze-im-internet.de/bierstg_2009/BJNR190800009.html. 8 Bundesministerium der Finanzen, Steuern von A bis Z, 2019, S. 39. 9 Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. 2018, Rn. G 289. 10 Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. 2018, Rn. G 280. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 028/21 Seite 6 einen ermäßigten Steuersatz auf Biere mit einem Alkoholgehalt von bis zu 2,8 % vol. (bzw. künftig bis zu 3,5 % vol.) einführt. Bei der Ausgestaltung dieses Spielraums sind die allgemeinen unionsrechtlichen (insbesondere auch das Beihilfeverbot gemäß Art. 107 ff. AEUV)11 sowie verfassungsrechtlichen Anforderungen (insbesondere der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG) zu beachten. 4. Mögliche Kompetenz der Länder zur Bestimmung der Biersteuersätze Im Folgenden wird geprüft, ob eine Änderung des Steuersatzes der Biersteuer durch die Länder in Betracht kommt. Dabei sind die unionsrechtlichen Vorgaben über die Mindeststeuersätze zu berücksichtigen. 4.1. Sperrwirkung der vom Bund ausgeübten Gesetzgebungskompetenz Das Biersteuergesetz ist ein Bundesgesetz. Bei einer Steuer im verfassungsrechtlichen Sinne bestimmt sich die Gesetzgebungskompetenz nach Art. 105 GG, die Ertragskompetenz nach Art. 106 GG und die Verwaltungskompetenz nach Art. 108 GG.12 Die Ertragskompetenz liegt – anders als bei den überörtlichen Verbrauchsteuern üblich – nicht beim Bund, sondern bei den Ländern (Art. 106 Abs. 2 Nr. 4 GG). Nach Art. 105 Abs. 2 Satz 2 GG hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebung über die übrigen Steuern, wenn das Aufkommen dem Bund ganz oder zum Teil zusteht oder wenn die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt sind. Die Gesetzgebungskompetenz für die Biersteuer liegt daher nur unter der Bedingung beim Bund, dass die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen . Art. 72 Abs. 2 GG weist dem Bund das Gesetzgebungsrecht zu, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechtseinheit oder die Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Hier kommen die beiden letzten Alternativen in Betracht. 4.1.1. Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG Eine bundesgesetzliche Regelung ist zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich, wenn und soweit die mit ihr erzielbare Einheitlichkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen Voraussetzung für die Vermeidung einer Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen ist, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden kann. Zur Wahrung der Wirtschaftseinheit ist eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich, wenn und soweit sie Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik ist, wenn also unterschiedliche Landesregelungen oder das Untätigbleiben der Länder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich brächten.13 Die Wahrung der Rechtseinheit zielt vor allem auf die Vermeidung einer Rechtszersplitterung ab, die Wahrung der Wirtschaftseinheit darauf, Schranken 11 Dazu Schröer-Schallenberg, in: Summersberger u.a., Festschrift für Hans-Michael Wolffgang, 2018, S. 725 (729, 739). 12 Tappe/Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 2019, Rn. 212. 13 So BVerfG, Urt. v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, DStR 2015, 31, Rn. 109. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 028/21 Seite 7 und Hindernisse für den wirtschaftlichen Verkehr im Bundesgebiet zu beseitigen.14 Unter Hinweis auf das in Art. 72 Abs. 2 GG in Bezug genommene „gesamtstaatliche Interesse“ nimmt das BVerfG an, die bundesgesetzliche Regelung müsse nicht unerlässlich für die Rechts- oder Wirtschaftseinheit sein; es genüge stattdessen, dass der Bundesgesetzgeber andernfalls nicht unerheblich problematische Entwicklungen in Bezug auf die Rechts- und Wirtschaftseinheit erwarten dürfe.15 Eine bundeseinheitliche Regelung ist nicht bereits deshalb erforderlich, weil die Erhebung der Biersteuer auf unionsrechtlichen Vorgaben beruht. Denn unionsrechtliche Vorgaben zwingen nicht zu einer Regelung gerade durch den Bund gemäß Art. 72 Abs. 2 GG.16 Zwar könnten verschiedene Ländergesetze über die Biersteuer zu einer gewissen Zersplitterung der Rechtsmaterie führen. Diese würde jedoch bereits durch die unionsrechtlichen Vorgaben in Grenzen gehalten. Die möglichen Unterschiede dürften den Rechtsverkehr weder unzumutbar behindern noch zu einer erheblich gestörten Rechtssicherheit führen. Denn das Biersteuerrecht ist eine überschaubare Spezialmaterie, die nur wenige Verpflichtete betrifft. Unterschiedliche Biersteuergesetze mit unterschiedlich hohen Steuersätzen für die Brauereien könnten allerdings den Wettbewerb auf dem bundesweiten Biermarkt erheblich beeinträchtigen, da Bierprodukte häufig über die Grenzen des Bundeslandes hinaus und nicht nur auf regionalen Märkten abgesetzt bzw. konsumiert werden. Im Hinblick auf die Wahrung der Wirtschaftseinheit spricht einiges dafür, dass der Bundesgesetzgeber von nicht unerheblichen problematischen Entwicklungen ausgehen kann, so dass mit Blick auf das „gesamtstaatliche Interesse“ eine bundesweit einheitliche Regelung grundsätzlich erforderlich sein dürfte. Soweit im Schrifttum im Zusammenhang mit der Biersteuer überhaupt auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes eingegangen wird, wird die Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG für eine bundesweit einheitliche Biersteuer knapp bejaht, ohne auf die einzelnen Alternativen des Art. 72 Abs. 2 GG einzugehen.17 Vereinzelt findet sich die Gegenauffassung, die von einer Gesetzgebungskompetenz der Länder ausgeht, unter Hinweis auf eine „föderal ausgerichtete Interpretation des Art. 72 Abs. 2 GG“.18 Das BVerfG19 und der BFH20 hatten in Entscheidungen, die 14 So BVerfG, Urt. v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, DStR 2015, 31, Rn. 109. 15 BVerfG, Urt. v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, DStR 2015, 31, Rn. 110. 16 Uhle, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 72 Rn. 129; Seiler, in: BeckOK GG, 46. Ed. 15.2.2021, GG Art. 72 Rn. 13.1. 17 Vgl. Seiler, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 105 Rn. 159; Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht , 3. Aufl. 2018, Rn. G 280; so auch die Generalzolldirektion (https://www.zoll.de/DE/Fachthemen /Steuern/Verbrauchsteuern/Grundsaetzliche-Regelungen/Rechtsgrundlagen/rechtsgrundlagen .html?nn=294414#doc294418bodyText1). 18 Seer in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn.2.40, der zur Begründung nur knapp auf „regional unterschiedliches Trinkverhalten und örtliche Qualitätskontrolle“ verweist. 19 BVerfG, Beschl. v. 11.12.2018 – 2 BvL 4/11 u.a., NVwZ 2019, 875. 20 BFH, Beschl. v. 15.2.2011 – VII R 4/09, BeckRS 2011, 95367. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 028/21 Seite 8 die formelle Verfassungswidrigkeit einer biersteuerlichen Gesetzesänderung aus anderen Gründen betrafen (nämlich die Rolle des Vermittlungsausschusses im Gesetzgebungsverfahren), keinen Anlass, auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes einzugehen bzw. an dieser zu zweifeln. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die biersteuerlichen Regelungen im Kern aus der Zeit vor der Verschärfung des Art. 72 Abs. 2 GG durch Aufnahme der Erforderlichkeitsklausel in 1994 stammen21 und daher selbst dann als Bundesrecht fortgelten dürften, wenn sie aufgrund der verschärften Fassung des Art. 72 Abs. 2 GG nicht mehr erlassen werden könnten (Kompetenzprolongation gemäß Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG). Bestehende Regelungen gelten danach fort, solange sie nicht in wesentlichen Elementen geändert werden; auch nachfolgende Modifikationen bleiben möglich, soweit die Änderung die wesentlichen Elemente der in dem fortbestehenden Bundesgesetz enthaltenen Regelung beibehält und keine grundlegende Neukonzeption enthält.22 4.1.2. Rechtsfolge: Sperrwirkung für biersteuerliche Regelungen der Länder Die vom Bund ausgeübte konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zum Erlass des Biersteuergesetzes sperrt gleichartige biersteuerliche Regelungen der Länder.23 Gesperrt sind damit auch Teilfragen der Bierbesteuerung, also etwa die Änderung der Steuersätze, die Erhebung von Zuschlägen oder die Einführung von Hebesätzen durch die Länder.24 4.2. Mögliche Teilregelung der Biersteuer durch den Bund Im Rahmen seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz kann sich der Bund auch auf Teilregelungen einer Materie beschränken, seine Kompetenz also bewusst nur teilweise ausüben und den Ländern Spielräume für eigene Regelungen überlassen (partielle Nichtregelung).25 Eine solche partielle Nichtregelung zugunsten der Länder durch ein bloßes Rahmengesetz des Bundes kann sich gerade bei Steuern anbieten, die zwar bundesweit geregelt werden können, aber ganz den Ländern zustehen, zum Beispiel indem der Bund den Ländern die Bestimmung der Steuersätze überlässt.26 Eine solche partielle Nichtregelung mit Spielräumen für die Länder liegt aber 21 Zur Umsetzung der europäischen Richtlinien durch das Verbrauchsteuerbinnenmarktgesetz vom 21.12.1992 siehe Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 3. Aufl. 2018, Rn. G 10 ff. (keine wesentlichen Änderungen durch das Biersteuergesetz 2009). 22 BVerfG, Urt. v. 10.4.2018 – 1 BvL 11/14 u.a., DStR 2018, 791 Rn. 89. 23 Vgl. zur Sperrwirkung Jachmann-Michel/Vogel, in: von Mangoldt/Klein/Stark, 7. Aufl. 2018, GG Art. 105 Rn. 52; Kube, in: BeckOK GG, 46. Ed. 15.2.2021, GG Art. 105 Rn. 40. 24 Vgl. Heintzen, in: von Münch/Kunig, 7. Aufl. 2021, GG Art. 105 Rn. 52; Seiler, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 105 Rn. 143. 25 Kment, in: Jarass/Pieroth, 16. Aufl. 2020, GG Art. 72 Rn. 10; Seiler, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 105 Rn. 146 (Bundessteuergesetze dieser Art gibt es derzeit nicht). 26 So Seiler, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 105 Rn. 147, 158 (kritisch dagegen bei Steuern, die (auch) dem Bund zustehen). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 028/21 Seite 9 nicht schon darin, dass der Bund den Steuersatz lediglich absenkt oder die Bemessungsgrundlage schmälert.27 Danach kann der Bund das Biersteuergesetz dahingehend ändern, dass er einen bestimmten Teilbereich der biersteuerlichen Regelungen bewusst ungeregelt lässt und somit den Ländern zur eigenen Regelung überlässt. Diese partielle Nichtregelung kann sich – entsprechend der hier aufgeworfenen Fragestellung – zum Beispiel auf die Bestimmung der Steuersätze der Biersteuer erstrecken . Unabhängig davon, ob dies sinnvoll wäre, dürfte die partielle Nichtregelung auch zulässig sein, wenn für die zu regelnde Materie unionsrechtliche Vorgaben bestehen (siehe oben 4.1.1.). Die Länder sind bei der weiteren Ausgestaltung der Biersteuer allerdings an die unionsrechtlichen Vorgaben gebunden, insbesondere also an die dortigen Mindeststeuersätze (siehe oben 2.). Im Rahmen des oben skizzierten – bei derzeitiger Rechtslage dem Bund zustehenden – Spielraums hätten die Länder eigene Möglichkeiten zur Bestimmung der Höhe der Biersteuer (siehe oben 3.). Eine Aussetzung der Biersteuer durch die Länder kommt danach allerdings nicht in Betracht . Bliebe ein Land passiv und würde keine ergänzende Biersteuerregelung erlassen, läge darin ein Verstoß gegen Unionsrecht. Zu bedenken ist allerdings, dass die Freigabe der Bestimmung der Steuersätze durch die Länder in einen gewissen Widerspruch zu den Voraussetzungen der Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG geraten könnte, soweit diese gerade auf das Ziel der Wirtschaftseinheit durch Vermeidung unterschiedlicher Biersteuerhöhen in den Ländern gestützt wird (siehe oben 4.1.1.). 4.3. Weitere Möglichkeiten zur Übertragung biersteuerlicher Kompetenzen auf die Länder Alternativ könnte der Bund das Biersteuergesetz ganz aufheben mit der Begründung, den Ländern insgesamt die Regelung der Biersteuer im Rahmen der unionsrechtlichen Vorgaben überlassen zu wollen. Allerdings würde dies eine Veränderung der Verwaltungskompetenz mit sich bringen; Landesbiersteuern müssten – vorbehaltlich einer anderweitigen Regelung – durch die Landesfinanzbehörden verwaltet werden (Art. 108 Abs. 2 GG). Denkbar ist schließlich auch, dass den Ländern die Befugnis zur Bestimmung der Biersteuersätze als ausschließliche Gesetzgebungskompetenz durch das Grundgesetz übertragen wird, wie in Art. 105 Abs. 2a Satz 2 GG für die Grunderwerbsteuer. Die Kompetenz der Länder zur Bestimmung der Biersteuersätze würde damit verfassungsrechtlich verstärkt. Die bestehenden bundesrechtlich geregelten Biersteuersätze könnten bestehen bleiben, solange die Länder von dieser Kompetenz keinen Gebrauch machen (vgl. Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG für die Grunderwerbsteuer). Künftige Änderungen der Steuersätze durch den Bund würden gesperrt.28 Bei der eigenständigen Regelung der Biersteuersätze durch die Länder müssten diese wiederum die unionsrechtlichen Vorgaben beachten, also insbesondere die Mindeststeuersätze für Bier. Eine Aussetzung der Biersteuer durch die Länder wäre in diesem Fall ebenfalls ausgeschlossen. 27 Seiler, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 105 Rn. 146; Kube, in: BeckOK GG, 46. Ed. 15.2.2021, GG Art. 105 Rn. 41. 28 Vgl. Seiler, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 105 Rn. 178. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 028/21 Seite 10 5. Zusammenfassung Der Bund hat die Gesetzgebungskompetenz über die Biersteuer und hat die Biersteuersätze unter Beachtung der unionsrechtlichen Vorgaben, insbesondere zu den Mindeststeuersätzen, festgelegt. Dies sperrt eigenständige biersteuerliche Regelungen der Länder. Der Bund hat im Rahmen der unionsrechtlichen Vorgaben noch Spielräume zur Senkung sowohl des Regelsteuersatzes als auch der ermäßigten Steuersätze für kleine Brauereien sowie für Bier mit einem reduzierten Alkoholgehalt . Eine Kompetenz der Länder zur Bestimmung und damit zur Senkung der Biersteuersätze kann sich ergeben, wenn der Bund die Regelungen im Biersteuergesetz über die Steuersätze aufhebt und den Ländern zur Ausgestaltung überlässt. Alternativ kann der Bund das Biersteuergesetz aufheben und gänzlich den Ländern zur eigenen Regelung überlassen. Die Kompetenz der Länder zur Bestimmung der Biersteuersätze (ähnlich wie bei der Grunderwerbsteuer) kann stattdessen auch durch eine ausdrückliche Änderung des Grundgesetzes begründet werden. In jedem Fall müssen die Länder die unionsrechtlichen Vorgaben für die Besteuerung von Bier, insbesondere die Mindeststeuersätze, beachten. Eine Aussetzung der Biersteuer durch einzelne Länder kommt daher nicht in Betracht. * * *