© 2021 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 – 026/21 Geltungsdauer haushaltsrechtlicher Restkreditermächtigungen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 026/21 Seite 2 Geltungsdauer haushaltsrechtlicher Restkreditermächtigungen Aktenzeichen: WD 4 - 3000 – 026/21 Abschluss der Arbeit: 17. März 2021 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 026/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Haushaltsdaten 2020 und 2021 4 3. Geltungsdauer von Restkreditermächtigungen 6 3.1. Übertragbarkeit von Kreditermächtigungen 6 3.2. Geltungsdauer von Deckungskrediten 7 3.3. Begrenzung der Übertragbarkeit von Restkreditermächtigungen 7 3.4. Unterrichtung des Haushaltsausschusses 9 3.5. Geplant überhöhte Restkreditermächtigungen 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 026/21 Seite 4 1. Fragestellung Vor dem Hintergrund der im Haushaltsvollzug 2020 nicht ausgenutzten Kreditermächtigungen ist die Frage gestellt worden, inwieweit deren Übertragung auf das Haushaltsjahr 2021 rechtlich zulässig ist und ob ggf. Obergrenzen hierfür bestehen. Ferner solle geklärt werden, ob eine strategisch überhöhte Nettokreditaufnahme für eine in Folgejahren zu geringe Nettokreditaufnahme genutzt werden kann. 2. Haushaltsdaten 2020 und 2021 Zur Bewältigung der massiven wirtschaftlichen und sozialen Belastungen durch die Corona-Pandemie hat die Bundesregierung im Jahr 2020 zwei Nachtragshaushalte in die parlamentarische Beratung eingebracht. Mit dem Entwurf des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 20201 wurden die Ausgaben des Bundes auf rund 509,3 Mrd. Euro erhöht. Zum Haushaltsausgleich hat der Haushaltsgesetzgeber bei Abschluss der parlamentarischen Beratungen eine Nettokreditaufnahme gemäß § 2 Abs. 1 HG 2020 von 217,7 Mrd. Euro bewilligt.2 Das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2020 vom 14. Juli 2020 ist rückwirkend zum 1. Januar 2020 in Kraft getreten.3 Die zulässige Regelobergrenze für die Kreditaufnahme nach Art. 115 Abs. 2 Satz 2 und 3 Grundgesetz (GG) wurde um 118,7 Mrd. Euro überschritten. Der Deutsche Bundestag hat den hierfür nach Art. 115 Abs. 2 Satz 6 und 7 GG erforderlichen Beschluss4 über das Bestehen einer außergewöhnlichen Notsituation und über einen Tilgungsplan gefasst. Ausweislich des nach Art. 115 Abs. 2 Satz 7 GG aufgestellten Tilgungsplans werden die aufgenommenen Kredite ab dem Bundeshaushalt 2023 sowie in den folgenden 19 Haushaltsjahren in Höhe von jeweils einem Zwanzigstel des Betrages der Kreditaufnahme, die die nach Art. 115 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG zulässige Verschuldung überstiegen hat, zurückgeführt. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat den vorläufigen Haushaltsabschluss für das Jahr 2020 am 19. Januar 2021 vorgelegt.5 Es stellt fest, dass die zur Vorsorge eingeplanten Mittel nicht in voller Höhe abgerufen worden seien. Gleichzeitig habe die wirtschaftliche Entwicklung zu höheren Steuereinnahmen als erwartet geführt, so dass die Einnahmen - ohne Nettokreditaufnahme - bei 313 Mrd. Euro und damit 22,2 Mrd. Euro bzw. 6% über dem Ansatz im zweiten Nachtragshaushalt (290,8 Mrd. Euro) gelegen haben. Zudem seien die Ausgaben mit 443,4 Mrd. 1 Gesetzentwurf über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2020, BT-Drs. 19/20000. Beschlussempfehlung und Bericht des federführenden Haushaltsausschusses liegen auf BT-Drsn. 19/20600 und 19/20601 vor. 2 Gesetz über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2020 vom 14. Juli 2020 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2020), BGBl. I S. 1669. 3 Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2020, a.a.O. 4 In der Fassung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses vom 1.7.2020, BT-Drs. 19/20128 und 19/20716. 5 Vgl. https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2021/01/2021-01- 19-vorlaeufiger-haushaltsabschluss-2020.html Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 026/21 Seite 5 Euro geringer als die geplanten rund 500 Mrd. Euro ausgefallen. Die Nettokreditaufnahme habe aufgrund der beschriebenen positiven Faktoren 130,5 Mrd. Euro betragen. Das BMF gibt folgenden Überblick über den vorläufiger Haushaltsabschluss 2020: Beträge in Mrd. Euro Ist 2019 Soll 2020 Vorläufiges Ist 2020 mehr/weniger ggü. Soll Ausgaben ohne Zuführungen an Rücklagen 343,6 508,5 443,4 - 65,1 Zuführungen an Rücklagen 13,5 - - - Gesamtausgaben 357,1 508,5 443,4 - 65,1 Steuereinnahmen 329,0 264,4 283,3 + 18,8 Verwaltungs-/Münzeinnahmen ohne Entnahmen aus Rücklagen 28,1 26,3 29,7 + 3,4 Entnahmen aus Rücklagen - - - - Nettokreditaufnahme - 217,8 130,5 - 87,3 Gesamteinnahmen 357,1 508,5 443,4 - 65,1 Quelle: BMF, https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2021/01/2021-01-19-vorlaeufiger -haushaltsabschluss-2020.html, Abruf: 16.03.2021 Die für das Haushaltsjahr 2020 vom Haushaltsgesetzgeber bewilligte Nettokreditaufnahme von 217,8 Mrd. Euro wurde im Haushaltsvollzug mit 130,5 Mrd. Euro in Anspruch genommen. Entsprechend sind als Saldo nicht ausgenutzte Kreditermächtigungen in einem Umfang von 87,3 Mrd. Euro aus dem Haushaltsjahr 2020 entstanden. Für das folgende Haushaltsjahr 2021 hat die Bundesregierung den Entwurf des Bundeshaushalts 2021 am 25. September 2020 vorgelegt. Der Entwurf sah eine Nettokreditaufnahme in Höhe von 96,2 Mrd. Euro vor.6 Nach Abschluss der Haushaltberatungen legte der Haushaltsgesetzgeber die zulässige Nettokreditaufnahme für das Jahr 2021 mit 179,82 Mrd. Euro fest.7 6 Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2021 (Haushaltsgesetz 2021) – BT-Drs. 19/22600 7 Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2021 vom 21. Dezember 2020, BGBl. I S. 3208. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 026/21 Seite 6 3. Geltungsdauer von Restkreditermächtigungen Im Haushaltsjahr 2020 ist eine nicht ausgenutzte Kreditermächtigung von 87,3 Mrd. Euro entstanden . Für das folgende Haushaltsjahr 2021 wurde eine Nettokreditaufnahme von 179,82 Mrd. Euro bewilligt. Die Beziehung zwischen der „alten“ Kreditermächtigung aus dem Vorjahr und der „neu“ bewilligten des laufenden Haushaltsjahres soll im Folgenden untersucht werden. Einnahmen aus Krediten zur Deckung von Ausgaben dürfen nur in den Grenzen des Art. 115 GG in den Haushaltsplan eingestellt werden (§ 18 BHO). Die Übertragung von Kreditermächtigungen auf das Folgejahr könnte damit das Verbot übermäßiger Kreditfinanzierung, das auch für Nachtragshaushalte gilt (§ 33 BHO),8 verletzen. Vor diesem Hintergrund ist damit zunächst die Frage zu erörtern, ob und ggf. in welchem Umfang die Restkreditermächtigung in das Haushaltsjahr 2021 übertragen werden kann. Sodann ist zu erörtern, für welche Dauer Restkreditermächtigungen ggfs. in folgenden Haushaltsjahren genutzt werden können und ob Restriktionen gegen eine geplant überhöhte Nettokreditaufnahme bestehen. 3.1. Übertragbarkeit von Kreditermächtigungen Nach Art. 110 II GG wird der Haushaltsplan für ein oder mehrere Rechnungsjahre, nach Jahren getrennt, durch das Haushaltsgesetz festgestellt. Mit dem sog. Jährlichkeitsgrundsatz soll sichergestellt werden, dass das Parlament seine Kontrollfunktion erfüllen kann und eine geordnete öffentliche Finanzwirtschaft gewährleistet ist.9 Der Grundsatz der Jährlichkeit des Haushalts steht indes einer Nutzung der Restkreditermächtigung im folgenden Haushaltsjahr entgegen. Art. 110 IV S. 2 GG gestattet es, die Geltungsdauer von Kreditermächtigungen über das betreffende Haushaltsjahr hinaus auszudehnen.10 Als Ausnahme vom Jährlichkeitsprinzip bestimmt auf dieser Grundlage § 18 III BHO, dass Kreditermächtigungen überjährig genutzt werden können . Dies dient einer kontinuierlichen Kreditwirtschaft und stellt sicher, dass der Bund zu Beginn eines jeden Haushaltsjahres über ausreichend Mittel verfügt.11 Die Übertragbarkeit der Restkreditermächtigung ist zeitlich begrenzt; deren Dauer ist davon abhängig , ob es sich um Deckungskredite oder Kassenverstärkungskredite handelt. Dabei dienen Deckungs- bzw. Haushaltskredite nach § 18 II Nr. 1 BHO der Deckung von Ausgaben, während Kassenverstärkungskredite zur Aufrechterhaltung einer ordnungsmäßigen Kassenwirtschaft erforderlich sind (§ 18 II Nr. 2 BHO). 8 Knörzer in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Stand Januar 2011, § 18 RN 2. 9 Gröpl in: Gröpl, BHO, 2. Aufl. 2019, § 1 RN 28. 10 Demir in: Heuer/Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht, Stand Nov. 2020, § 18 RN 63. 11 Demir in: Heuer/Scheller, aaO, § 18 RN 63. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 026/21 Seite 7 Die Beurteilung der Frage, ob Restkreditermächtigungen für die Höhe der Nettokreditaufnahme des Folgejahres eine Rolle spielen, betrifft im Haushaltskreislauf den Bereich der Haushaltsaufstellung . Es kommen ausschließlich Deckungskredite in Betracht, so dass im Folgenden die Betrachtung auf diese begrenzt werden kann. 3.2. Geltungsdauer von Deckungskrediten Nach § 18 III S. 1 BHO verfallen nicht in Anspruch genommene Ermächtigungen für Deckungskredite nicht am Ende des jeweiligen Haushaltsjahres.12 Die bewilligten Kreditermächtigungen des laufenden Haushaltsjahres gelten vielmehr im Regelfall bis zum Ende des nächsten Haushaltsjahres fort. Nach Inkrafttreten des neuen Haushaltsgesetzes wachsen die darin enthaltenen Kreditermächtigungen den Restkreditermächtigungen zu.13 Sofern das Haushaltsgesetz für das zweitnächste Haushaltsjahr nicht rechtzeitig verkündet wird, können die Restkreditermächtigungen bis zur Verkündung dieses Haushaltsgesetzes genutzt werden (§ 18 III S. 1 BHO). Dieser Ausnahmefall ist insbesondere in Wahljahren relevant: Der von der Vorgängerregierung eingebrachte Haushaltsentwurf unterliegt der Diskontinuität, so dass im Regelfall kein Haushaltsgesetz für das auf die Wahl folgende Jahr besteht. Die für die vorläufige Haushaltsführung erforderlichen Kreditermächtigungen werden über die Ausnahmeregelung bereitgestellt .14 Die Restkreditermächtigung des Haushaltsjahres 2020 kann damit auf der Grundlage von § 18 III S. 1 BHO im Haushaltsjahr 2021 und - solange das Haushaltsgesetz 2022 nicht vorliegt - ggf. darüber hinaus genutzt werden. 3.3. Begrenzung der Übertragbarkeit von Restkreditermächtigungen Die neu bewilligten Kreditermächtigungen wachsen den Restkreditermächtigungen aus den Vorjahren zu (vgl. oben Tz. 3.2.). Im Haushaltsjahr 2021 stehen damit Restkreditermächtigungen von 87,3 Mrd. Euro des Jahres 2020 sowie die für das Haushaltsjahr 2021 bewilligte Nettokreditaufnahme von 179,82 Mrd. Euro15 zur Verfügung. Für die Inanspruchnahme des Gesamtkreditermächtigungsrahmens stellt sich mithin die Frage, auf welche der bewilligten Kreditermächtigungen als erstes zuzugreifen ist. Eine ausdrückliche Regelung zur Reihenfolge für die Inanspruchnahme von Restkreditermächtigungen des Vorjahres und der Kreditermächtigungen, die für das laufende Jahr bewilligt worden sind, besteht hierzu nicht.16 12 Knörzer in: Piduch, aaO, § 18 RN 11; Demir in: Heuer/Scheller, aaO, § 18 RN 65. 13 Demir in: Heuer/Scheller, aaO, § 18 RN 67. 14 Vgl. Demir in: Heuer/Scheller, aaO, § 18 RN 65 aE. 15 Haushaltsgesetz vom 21. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3208). 16 Demir in: Heuer/Scheller, aaO, § 18 RN 70. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 026/21 Seite 8 Das Nichtbestehen einer Regelung über die Inanspruchnahme wird teilweise als problematisch angesehen. „Denn werden Restkreditermächtigungen nicht vorrangig „verbraucht“, so kann dies zu einer erheblichen Erweiterung des Kreditrahmens führen, insbesondere dann, wenn Kreditermächtigungen über mehrere Jahre „angespart“ werden.“17 Auf Bundesebene hat das BMF bis zum Jahr 2007 zuerst Restkreditermächtigungen und erst nach deren Aufbrauchen die neu bewilligten Kreditermächtigungen in Anspruch genommen (First-in-First-out-(FiFo)-Methode) und schonte damit die für das laufende Haushaltsjahr bestehenden Ermächtigungen.18 Der Bundesrechnungshof (BRH) hat dieses Vorgehen in seinen Bemerkungen zur Haushalts- und Wirtschaftsführung für das Jahr 2000 beanstandet. Der BRH führte aus, dass eine nach § 18 III BHO grundsätzlich bis zum Ende des nächsten Haushaltsjahres fortgeltende Kreditermächtigung aus dem Vorjahr nur dann in Anspruch genommen werden kann, wenn die für das laufende Haushaltsjahr veranschlagte Ermächtigung zur Nettokreditaufnahme verbraucht ist. Hierdurch werde die Fortgeltung nicht ausgenutzter Kreditermächtigungen des Vorjahres auch tatsächlich auf die gesetzlich vorgesehene Jahresfrist beschränkt.19 Auch die Fachliteratur beurteilte die Nutzung von Kreditermächtigungen nach der FiFo-Methode als haushaltsrechtlich bedenklich und hob die Aushöhlung des parlamentarischen Budgetrechts durch Verletzung der Haushaltsgrundsätze der Jährlichkeit und des zeitlichen Bepackungsverbots hervor.20 In älteren Abhandlungen wurde darüber hinaus die Auffassung vertreten, dass die Fortgeltung nicht ausgeschöpfter Kreditermächtigungen ausschließlich der Finanzierung eines Nothaushalts oder zur Deckung übertragbarer Ausgabereste dienen dürfen.21 Das Bundesverfassungsgericht äußerte gleichfalls Zweifel an der langjährigen Haushaltspraxis.22 Unter Hinweis auf den Normzweck von § 18 III BHO, der die zeitliche Begrenzung der Restkreditermächtigungen zwar zulässt, diese aber zeitlich begrenze, sprach sich das Gericht dafür aus, „jeweils zuerst die für das laufende Haushaltsjahr erteilten Kreditermächtigen auszuschöpfen und erst im unvorhergesehenen Bedarfsfall von den vorjährigen Ermächtigungen Gebrauch zu machen.“23 Die seinerzeit entgegengesetzte herkömmliche Praxis könne indes nach Auffassung 17 Demir in: Heuer/Scheller, aaO, § 18 RN 70. 18 Demir in: Heuer/Scheller, aaO, § 18 RN 71. 19 Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2000 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung, BT-Drs. 14/4228, S. 48 ff. 20 Rossi in: Gröpl, aaO, § 18 RN 50; Wolffgang, Die Fortgeltung von Kreditermächtigungen nach § 13 Abs. 2 Satz 1 HGrG, DVBl. 1984, S. 1049 ff.; Birk/Wolffgang, Zur Verfassungsmäßigkeit der Inanspruchnahme der nach § 18 Abs. 3 Satz 1 LHO NW fortgeltenden Kreditermächtigung, Schriftenreihe BdSt 1984, Nr. 14; Bajohr, Verschuldungsgrenzen und die Wirkung nicht ausgeschöpfter Kreditermächtigungen im Landeshaushalt Nordrhein- Westfalen 1997, DÖV 1999, S. 397 ff. 21 Birk/Wolffgang, aaO, S. 27. 22 BVerfG, Urteil vom 9. 7. 2007, 2 BvF 1/04, BVerfGE 119, 96-180, RN 159. 23 BVerfG, Urteil vom 9. 7. 2007, aaO, RN 159 aE. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 026/21 Seite 9 des Gerichts auch bei Fehlerhaftigkeit eines über Jahrzehnte von den Regierungen im Zusammenwirken mit dem Parlament geübten Haushaltsvollzugs nicht ohne Weiteres zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines bestimmten Haushaltsgesetzes führen.24 Seit dem Haushaltsjahr 2008 ist daraufhin die beschriebene Praxis des Haushaltsvollzugs geändert worden.25 Auf der Grundlage der jeweiligen Haushaltsgesetze werden seither die Ermächtigungen für die Aufnahme von Krediten zunächst aus dem laufenden Haushaltsjahr in Anspruch genommen, bevor auf die Restkreditermächtigungen des Vorjahres zurückgegriffen wird. So stellt die Begründung zum Haushaltsgesetzentwurf 2021 klar, dass in der aktuellen Haushaltspraxis zuerst die Kreditermächtigungen des laufenden Jahres verbraucht werden, bevor gegebenenfalls auf die Restermächtigung des Vorjahres zurückgegriffen wird.26 Ungenutzte Restkreditermächtigungen verfallen damit entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 18 III BHO nach einem Jahr. Dem Normzweck des § 18 III BHO wird auf diese Weise seit dem Haushaltsjahr 2008 Rechnung getragen und die Berechnung des Ermächtigungsrahmens für die Nettokreditaufnahme deutlich vereinfacht.27 Der Ansammlung von Restkreditermächtigungen zur Deckung von Ausgabeermächtigungen , die erst in Folgejahren wirksam werden, wird mit dem beschriebenen haushaltsgesetzlichen Vorgehen wirksam entgegengetreten. Zu der in der früheren Haushaltspraxis über die Jahre hinweg möglichen Ansammlung von Kreditermächtigungspolstern und der damit verbundenen Ausweitung des Handlungsspielraums der Exekutive zulasten der parlamentarischen Haushaltsbewilligung kann es nicht mehr kommen. 3.4. Unterrichtung des Haushaltsausschusses Informationspflichten gegenüber dem Parlament in Bezug auf die Inanspruchnahme von Restkreditermächtigungen sind im Haushaltsgesetz festgelegt. § 2 VIII HG 2021 bestimmt, dass der Haushaltsausschuss zu unterrichten ist, falls die Restkreditermächtigung mit einem Betrag in Anspruch genommen werden soll, der höher als 1 % des Haushaltssolls ist. Der Ausschuss soll vor der Inanspruchnahme der Ermächtigung informiert werden. Durch die vorherige Unterrichtung soll dem Haushaltsausschuss die Gelegenheit gegeben werden zu prüfen, ob ein Nachtragshaushaltsverfahren einzuleiten ist.28 Von der vorherigen Unterrichtung kann abgewichen werden, soweit aus zwingenden Gründen eine Ausnahme geboten ist. 24 BVerfG, Urteil vom 9. 7. 2007, aaO, RN 160. 25 Von Lewinski/Burbat, BHO, 1. Aufl. 2013, § 18 RN 34. 26 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2021, BT-Drs. 19/22600, S. 14 ‚Zu Absatz 8‘. 27 Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2008 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes, BT-Drs. 16/11000, S. 44. 28 Knörzer in: Piduch, aaO, § 18 RN 11. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 026/21 Seite 10 3.5. Geplant überhöhte Restkreditermächtigungen Schließlich ist die Frage zu beantworten, ob das Zusammenspiel der nach § 18 III BHO zulässigen Übertragung von Restkreditermächtigungen mit einer überhöhten Nettokreditaufnahme zu einer zu geringen Nettokreditaufnahme für die Folgejahre führen könnte. Eine solcherart strategisch vorgenommene Überhöhung der Nettokreditaufnahme wäre möglicherweise zusammen mit den Restkreditermächtigungen dazu geeignet, der exekutiven Haushaltspraxis einen übermäßig weiten Spielraum zuzubilligen und das parlamentarische Budgetrecht zu beschneiden, indem auf die Aufstellung von Nachtragshaushalten verzichtet würde. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass bei Verabschiedung des Haushaltgesetzes für das folgende Jahr dem Parlament in der Regel die Höhe der Restkreditermächtigung des laufenden Haushaltsjahres nicht bekannt ist. Die Zahlenwerte aus dem Haushaltsabschluss liegen erst nach Beginn des folgenden Haushaltsjahres vor. Erst zu diesem Zeitpunkt stehen auch die Ist-Zahlen für die Nettokreditaufnahme des Vorjahres und damit die übertragbaren Restkreditermächtigungen fest. Darüber hinaus ist auf den Einschätzungs- und Beurteilungsspielraums des Haushaltsgesetzgebers hinzuweisen. So ist im Zusammenhang mit den Beratungen des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2020 intensiv diskutiert worden, ob die Erforderlichkeit der Nettokreditaufnahme in der vom Gesetzgeber beschlossenen Höhe von 61,7 Mrd. Euro gerechtfertigt erscheine. Die Kritik 29 im Hinblick auf eine mögliche „Überdimensionierung“ der Kreditaufnahme gründet sich im Wesentlichen darauf, dass der Zweite Nachtragshaushalt 2020 wegen der Veranschlagung bestimmter kreditfinanzierter Ausgaben die Verfassungsgrundsätze der Jährlichkeit, Fälligkeit, Wahrheit und Klarheit beeinträchtigen könne und die vorhandene „Asyl-Rücklage“ von 48,2 Mrd. Euro zur Haushaltsfinanzierung nicht eingesetzt worden sei. Problematisch im Hinblick auf die Justiziabilität dürfte mit Blick auf den Nachtragshaushalt 2020 sein, in welcher Höhe die Kreditaufnahme notlagenbedingt ist. Nach dem Wortlaut von Art. 115 II 2 GG bleibt diese Frage unbeantwortet . Um eine übermäßige Kreditaufnahme zu verhindern, wird davon auszugehen sein, dass die Handlungsfähigkeit des Staates in Krisensituationen zu gewährleisten ist und Art. 115 II Satz 6 GG nur zu einer zusätzlichen Kreditaufnahme in dem Umfange ermächtigt, der auch tatsächlich zur Bewältigung und Überwindung der Krise benötigt wird. Dieses Erfordernis der materiellen Beschränkung des Volumens der zusätzlichen Kreditaufnahme ist zur Wahrung des Ausnahmecharakters der Vorschrift restriktiv auszulegen. Insoweit besteht in der Verfassungsliteratur Einigkeit.30 Strittig erscheint der in der Krisensituation anzulegende Prüfungsmaßstab für die Erforderlichkeit der Kreditaufnahme. Die Beurteilung des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 29 Vgl. BRH, Schriftliche Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung über das Verfahren zum Entwurf des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2020 (BT-Drs. 19/20000) und zum Entwurf eines Gesetzes über begleitende Maßnahmen zur Umsetzung des Konjunktur- und Krisenbewältigungspakets (BT-Drs. 19/20057) https://www.bundesrechnungshof .de/de/veroeffentlichungen/produkte/sonderberichte/langfassungen-ab-2013/2020/zweiternachtragshaushalt -verfassungsrechtlich-bedenklich-pdf (Abruf 16.03.2021); Gröpl, Rechtsgutachten zur Vereinbarkeit des Entwurfs über die Feststellung eines Zweiten Nachtrages zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2020 mit den haushaltsverfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes, insbesondere mit der sog. Schuldenbremse, erstattet im Auftrag des Bundes der Steuerzahler e.V., https://www.steuerzahler.de/fileadmin /user_upload/Presseinformationen/2020/BdSt_Rechtsgutachten_Verfassungswidrigkeit_Nachtragshaushalt .pdf (Abruf 16.3.2021). 30 Vgl. Gröpl, Rechtsgutachten (Fn 29), S. 18 mwN. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 – 026/21 Seite 11 2020 hängt insoweit wesentlich vom Einschätzungs- und Beurteilungsspielraums des Haushaltsgesetzgebers ab. Auch bei restriktiver Auslegung der notlagenbedingten Neuverschuldungsregelung erscheint es geboten, die immensen Unsicherheiten hinsichtlich des Ausmaßes, der Dauer und der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise in den Blick zu nehmen und die hierdurch maßgeblich bestimmte Entscheidungssituation des Haushaltsgesetzgebers bei der Bewertung zu berücksichtigen. Die mögliche Übertragung von Restkreditermächtigungen, deren Wirkung haushaltsgesetzlich grundsätzlich auf das Folgejahr beschränkt ist, dürfte dahinter zurücktreten. * * *