© 2021 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 025/21 Haushaltsrechtliche Bezugspunkte von Next Generation EU Einzelfragen zur haushaltsrechtlichen Einordnung der Aufbau- und Resilienzfazilität und des Europäischen Aufbauinstruments Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Abbildung der Mittel für Zuschüsse 6 2.3. Die RRF im Entwurf des Haushaltsplans 2021 6 3. Frage 2: RRF als Extrahaushalt? 7 3.1. Begriffe des Kern- und Extrahaushalts 7 3.2. Übertragung auf die RRF und den jährlichen EU-Haushalt 8 4. Frage 3: NGEU-Finanzen als Gegenstand der EU- Haushaltsaufstellung und -beratung 9 5. Frage 5: Auswirkungen der EU-Schulden auf die Schuldenstände der Mitgliedstaaten 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 025/21 Seite 4 1. Einleitung: Next Generation EU und die Aufbau- und Resilienzfazilität Zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie innerhalb der Europäischen Union hat die Europäische Kommission am 28. Mai 2020 ihren Vorschlag für das Instrument Next Generation EU (NGEU) vorgelegt. Dieses sieht eine Aufnahme von 750 Mrd. € am Kapitalmarkt durch die EU vor, die den Mitgliedstaaten anschließend als Darlehen und Zuschüsse zur Förderung ihrer Wiederaufbaukonzepte ausgezahlt werden können; die Zuschüsse werden über den EU-Haushalt refinanziert.1 Next Generation EU basiert dabei im Wesentlichen auf drei Rechtsakten: In der Verordnung über die Errichtung des Europäischen Aufbauinstruments vom 14. Dezember 2020 (EURI-Verordnung )2 auf der Grundlage von Art. 122 AEUV sind neben den Zielen des Programms Umfang und Verteilung der aufgenommenen Mittel festgelegt. Der neue Eigenmittelbeschluss3, der auf europäischer Ebene am 14 Dezember 2020 angenommen wurde und nun der Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten bedarf, enthält die Ermächtigung der EU zur Kreditaufnahme sowie eine zweckgebundene befristete Erhöhung der Eigenmittelobergrenze zur Sicherung der Refinanzierung. Die Verordnung zur Einrichtung der Aufbau- und Resilienzfazilität (engl.: Recovery and Resilience Facility, RRF) vom 12. Februar 2021 (RRF-Verordnung)4 begründet auf der Grundlage von Art. 175 Abs. 3 AEUV schließlich den eigentlichen Krisenfonds, der mit 672,5 Mrd. € einen Großteil der NGEU-Mittel fasst. Bis zu 312,5 Mrd. € können davon als (nicht rückzahlbare) Zuschüsse , bis zu 360 Mrd. € als (rückzahlbare) Darlehen an die Mitgliedstaaten vergeben werden, wenn diese einen den festgelegten Zielen genügenden Aufbau- und Resilienzplan vorlegen. Die Zuweisung der Mittel soll anhand eines Verteilungsschlüssels bis Ende 2023, die Auszahlung bis Ende 2026 erfolgen.5 2. Frage 1: Abbildung der RRF im jährlichen EU-Haushalt Im Folgenden wird zunächst untersucht, inwieweit die RRF Teil des jährlichen EU-Haushalts ist. Im jährlichen Haushaltsplan der EU werden alle als erforderlich erachteten Einnahmen und Ausgaben der EU innerhalb des betreffenden Jahres niedergelegt, Art. 310, 313 AEUV i.V.m. Art. 7, 9 1 Vgl. zur Konzeption von NGEU Hoffmann/Harta/Anzini, Das Aufbauinstrument Next Generation EU, cepAdhoc v. 28.07.2020, abrufbar unter , S. 4 f. Alle Internetlinks wurden zuletzt abgerufen am 9. März 2021. 2 Verordnung (EU) 2020/2094 des Rates vom 14. Dezember 2020 zur Schaffung eines Aufbauinstruments der Europäischen Union zur Unterstützung der Erholung nach der COVID-19-Krise, abrufbar unter . 3 BRat-Drs. 764/20. 4 Verordnung (EU) 2021/241 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Februar 2021 zur Einrichtung der Aufbau- und Resilienzfazilität, abrufbar unter . 5 Vgl. dazu die Darstellung der Europäischen Kommission zur Aufbau- und Resilienzfazilität, abrufbar unter . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 025/21 Seite 5 EU-Haushaltsordnung (HO)6. Neben dem jährlichen Haushaltsplan besteht seit 1988 der mehrjährige Finanzrahmen (MFR), auch langfristiger EU-Haushalt genannt, der für jeweils sieben Jahre den finanziellen und politischen Rahmen für die jährlichen Haushaltspläne vorgibt, Art. 312 AEUV i.V.m. Art. 54 HO. Der mehrjährige Finanzrahmen für die Jahre 2021-2027 wurde am 17. Dezember 2020 beschlossen und ihm angegliedert auch das Projekt Next Generation EU.7 Der NGEU-Fonds aus den 750 Mrd. €, die per Mittelaufnahme über den Finanzmarkt generiert werden, inklusive der RRF mit ihren 672,5 Mrd. €, ist auf der Grundlage von Art. 122, 175 Abs. 3 AEUV als besondere Maßnahme außerhalb der bestehenden Fonds konzipiert.8 Bezüglich der Darstellung dieser Mittel im Haushaltsplan ist zwischen den für die Vergabe von Darlehen aufgenommenen 360 Mrd. € und den für Zuschüsse eingeteilten Mitteln in Höhe von 312,5 Mrd. € zu unterscheiden. 2.1. Abbildung der Mittel für Darlehen Die bereits vor NGEU zur Unionspraxis zählende Aufnahme von Mitteln für sog. Back to Back- Darlehen der Union an die Mitgliedstaaten ist ein haushaltsexterner Vorgang: Die am Finanzmarkt aufgenommenen Mittel werden im jährlichen Haushalt nicht als Einnahme verbucht; ebenso wenig stellt die für den Fall des Abrufs des Darlehens durch einen Mitgliedstaat bestehende Eventualverbindlichkeit (Art. 2 Nr. 15 HO) eine Ausgabe dar; Haushaltslinien im jährlichen Haushaltsplan bestehen ausschließlich für Zahlungsausfälle.9 Weil sich die am Kapitalmarkt aufgenommenen und die bei Abruf des Darlehens weitergegebenen Mittel entsprechen und ihnen eine korrespondierende Rückzahlungsforderung gegenüber dem abrufenden Mitgliedstaat gegenübersteht, handelt es sich insoweit um einen haushaltsneutralen Vorgang, der auch keine Bereitstellung von Mitteln im jährlichen Haushalt zur Rückzahlung und Tilgung erforderlich macht.10 6 Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union, abrufbar unter . 7 Eine Darstellung des Europäischer Rates und des Rat der Europäischen Union zum langfristigen EU-Haushalt 2021-2027 und dem Aufbaupaket findet sich auf . 8 Schorkopf, Die Europäische Union auf dem Weg zur Fiskalunion, NJW 2020, 3085 (3085). 9 Stellungnahme des Juristischen Dienstes des Rates v. 24. Juni 2020, Rats-Dok. 9062/20, abrufbar unter , Rn. 24 f. 10 Siehe dazu Art. 12, 13 RRF-Verordnung i.V.m. Art. 220 HO sowie Stellungnahme des Juristischen Dienstes des Rates v. 24. Juni 2020, Rats-Dok. 9062/20, Rn. 23 ff. Vgl. auch Mayer, Der Vorschlag für einen neuen Beschluss über das EU-Eigenmittelsystem und das Next Generation EU (NGEU) Programm, Stellungnahme v. 26. Oktober 2020, Ausschuss-Drs. 19(21)118, abrufbar unter , S. 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 025/21 Seite 6 2.2. Abbildung der Mittel für Zuschüsse Die für Zuschüsse an die Mitgliedstaaten aufgenommenen Mittel fließen nach den Art. 4 EURI- Verordnung sowie der Begründung zur RRF-Verordnung als externe zweckgebundene Einnahmen im Sinne von Art. 21 der EU-Haushaltsordnung (HO) in den EU-Haushalt ein und finanzieren von dort die entsprechenden Zahlungen an die Mitgliedstaaten.11 Externe zweckgebundene Einnahmen sind ergänzende besondere Einnahmen, die zur Finanzierung spezifischer Ausgaben erhoben werden; sie stellen insoweit eine Ausnahme vom haushaltsrechtlichen Grundsatz der Gesamtdeckung dar.12 Gemäß Art. 7 Abs. 2 lit. e HO werden sie zwar in den Haushalt eingestellt, gehören aber nicht zu den im Haushaltsplan „bereitgestellten“ Mitteln gemäß Art. 7 Abs. 2 lit. a HO, weil ihre Bereitstellung und Verwendung prädeterminiert ist und nicht der Disposition des Haushaltsgesetzgebers unterliegt.13 Weil die Zuschüsse nicht rückzahlbar sind und die dafür aufgenommenen und ausgekehrten Mittel somit zulasten des EU-Haushalts gehen (Art. 5 Abs. 2 Eigenmittelbeschluss ), sind die mit der Rückzahlung der entsprechenden Kredite verbundenen Ausgaben allerdings konventioneller Teil des jährlichen Haushalts.14 2.3. Die RRF im Entwurf des Haushaltsplans 2021 Die beschriebene begrenzte haushaltstechnische Erfassung der NGEU-Mittel zeigt sich im Entwurf des Haushaltsplans für 2021: Dieser veranschlagt im Überblick neben Ausgaben von 39,6 Mio. € für Kuponzahlungen und 34,6 Mio. € für Tilgungen bei Fälligkeit in Teilrubrik 2b (Werte und Resilienz) auch 116,4 Mio. € an Mitteln für Verpflichtungen und 109,2 Mio. € an Mitteln für Zahlungen für die RRF im Speziellen.15 Auf der Einnahmeseite wird das Aufbauinstrument insgesamt unter „Garantie der Europäischen Union für die Anleihen und Darlehen in Mitgliedstaaten “ sowie „Zusammenhalt, Resilienz und Werte“ (externe zweckgebundene Einnahmen) aufgeführt und jeweils mit „p.m.“ bezeichnet.16 11 Vgl. dazu auch Europäische Kommission, Entwurf des EU-Haushaltsplans 2021: Fragen und Antworten, 24. Juni 2020, abrufbar unter . 12 Mayer, Der Vorschlag für einen neuen Beschluss über das EU-Eigenmittelsystem und das Next Generation EU (NGEU) Programm, Ausschuss-Drs. 19(21)118, S. 2. 13 Vgl. dazu Stellungnahme des Juristischen Dienstes des Rates v. 24. Juni 2020, Rats-Dok. 9062/20, Rn. 34. 14 Die Rückzahlungen aus Jahreshaushaltsmitteln sollen im Wesentlichen ab 2028 erfolgen, vgl. Art. 5 Abs. 2 UA 2 Eigenmittelbeschluss. Für Näheres s.u. Frage 3. 15 Siehe Europäische Kommission, Zweiter Entwurf des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 2021: Allgemeine Einleitung, 10. Dezember 2020, abrufbar unter , S. 14, 33. Der Gesamthaushaltsplan für 2021 wird am 18. März 2021 veröffentlicht. 16 Siehe Europäische Kommission, Zweiter Entwurf des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 2021, Band 1: Einnahmen, 10. Dezember 2020, abrufbar unter , S. 51, 54, 63, 64 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 025/21 Seite 7 3. Frage 2: RRF als Extrahaushalt? Der folgende Abschnitt behandelt die Übertragbarkeit der Kategorien der Kern- und Extrahaushalte auf das Verhältnis von RRF und jährlichem EU-Haushalt, insbesondere vor dem regulatorischen Hintergrund der HO sowie des Europäischen Systems der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (ESVG) 2010. 3.1. Begriffe des Kern- und Extrahaushalts Die Begriffe des Kern- und Extrahaushalts sind Teil der Terminologie des „Schalenkonzepts“ des Statistischen Bundesamts und an die Beschreibung des Sektors Staat im ESVG angelehnt. Der Kernhaushalt bildet den „inneren Kern“ und der Extrahaushalt die „mittlere Schale“ der Staatsfinanzen ; beide zusammen ergeben den Öffentlichen Gesamthaushalt. Öffentliche Fonds, Einrichtungen und Unternehmen, die nicht der Definition eines Extrahaushalts unterfallen, sind die „äußere Schale“, die gemeinsam mit dem Öffentlichen Gesamthaushalt den sog. Öffentlichen Bereich bildet.17 Zum Kernhaushalt zählen im Rahmen dieser begrifflichen Abgrenzung alle Einnahmen und Ausgaben , die in den Haushaltsplänen der Teilsektoren des Sektors Staat, also in den Haushaltsplänen von Bund, Ländern, Gemeinden, Gemeindeverbänden und Sozialversicherung erfasst sind.18 Extrahaushalte sind demgegenüber alle öffentlichen Fonds, Einrichtungen und Unternehmen, die im Sinne des ESVG 2010 dem Sektor Staat zuzurechnen sind, d.h. überwiegend staatlich finanzierte institutionelle Einheiten unter öffentlicher Kontrolle darstellen.19 Es handelt sich dabei um abgesonderte Teile des Staatsvermögens, die zur Erfüllung besonderer Aufgaben des Staates eingesetzt werden.20 Zu den Extrahaushalten des Bundes zählten im Jahr 2020 etwa der Energie- und Klimafonds sowie der Entschädigungsfonds.21 Die haushaltsrechtliche Besonderheit der Extrahaushalte besteht darin, dass sie – als Ausnahme vom Grundsatz der Einheit des Haushaltsplans 17 So die Darstellung des Statistischen Bundesamts auf . 18 Statistisches Bundesamt, Finanzen und Steuern: Fachbegriffe der Finanz- und Personalstatistiken, 2019, abrufbar unter , S. 12. 19 Statistisches Bundesamt, Finanzen und Steuern: Fachbegriffe der Finanz- und Personalstatistiken, 2019, S. 6 f., sowie Reischmann, Staatsverschuldung in Extrahaushalten, IFO Working Paper No. 175, März 2014, abrufbar unter , S. 6 f. 20 Reischmann, Staatsverschuldung in Extrahaushalten, IFO Working Paper No. 175, März 2014, S. 6 f. 21 Die Bundesbank-Liste der Extrahaushalte in Deutschland im Jahre 2020 kann heruntergeladen werden unter . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 025/21 Seite 8 gemäß Art. 110 GG – dem Staat zurechenbare Einnahmen und Ausgaben umfassen, die im Haushaltsplan nicht umfassend, sondern allenfalls als „Zuführungen“ oder „Ablieferungen“ abgebildet sind.22 3.2. Übertragung auf die RRF und den jährlichen EU-Haushalt Die Einordnung des formalen jährlichen EU-Haushalts als Kernhaushalt erscheint auf dieser terminologischen Basis naheliegend. Bei der RRF handelt es sich demgegenüber um einen Fonds für besondere Aufgaben, vgl. Art. 175 Abs. 3 AEUV. Dessen Mittel tauchen im jeweiligen jährlichen Haushalt nur begrenzt in Form von externen zweckgebundenen Einnahmen auf. Eine Übertragung der terminologischen Kategorie des Extrahaushalts auf diesen Fonds in Abgrenzung zum jährlichen Haushalt als Kernhaushalt liegt vor diesem Hintergrund ebenfalls nahe, handelt es sich der Sache nach doch um der EU zugehöriges Vermögen, dass indes nur begrenzt Teil des regulären Haushalts ist und nicht zur unmittelbaren Verfügung des EU-Haushaltsgesetzgebers steht. So wird auch im haushaltsrechtlichen Diskurs bereits vom NGEU bzw. von der RRF als „Sonderhaushalt“ und dem jährlichen EU-Haushalt als „ordentlichem Haushalt“ gesprochen.23 Im Recht der Europäischen Union fehlt indes eine ausdrückliche Bestimmung zu Kern- und Extrahaushalten oder entsprechenden Synonymen. So regelt die auf Art. 317 AEUV basierende Haushaltsordnung allein Aufstellung, Inhalt und Durchführung des regulären Jahreshaushaltsplans . Zur generellen Position des HO-Gesetzgebers zur Bildung von nicht vollständig im jährlichen Haushalt abgebildetem EU-Vermögen lassen sich zwar Art. 7 und 8 HO heranziehen, die in Übereinstimmung mit Art. 310 Abs. 1 UA 1 AEUV den Grundsatz der Haushaltseinheit normieren und somit dem Grunde nach von der Erfassung allen EU-Vermögens in einem Haushaltsplan ohne Neben-und Sonderhaushalte ausgehen.24 Allerdings gilt dies weder nach der Konzeption der Haushaltsordnung noch in der unionsrechtlichen Rechtspraxis uneingeschränkt: So enthält die HO selbst Regelungen zu Berichtigungsplänen (Art. 44)25 und besonderen Fonds (Teil 2). In Bezug auf die bestehende Darlehenspraxis der Union normiert Art. 17 Abs. 2 HO zwar ein Verbot der Kreditaufnahme, allerdings nur im Rahmen des Haushalts; die Vorschrift lässt sich in Abgrenzung zur Vorgängerregelung26, welche die Kreditaufnahme schlechthin verbot, als Billigung haushaltsexterner Darlehensaufnahme und -weitergabe durch die EU interpretieren.27 Die Exis- 22 Nebel in: Piduch (Hrsg.), Bundeshaushaltsrecht, 52. EL Mai 2020, Art. 110 Rn. 19. 23 Vgl. nur Meyer, Next Generation EU, EuZW 2021, 16 (16); Ruffert, Europa für die nächste Generation, NVwZ 2020, 1777 (1778); Schorkopf, Die Europäische Union auf dem Weg zur Fiskalunion, NJW 2020, 3085 (3085). 24 Niedobitek in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018 Art. 110 AEUV Rn. 17. 25 Vgl. dazu Niedobitek in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018 Art. 110 AEUV Rn. 18. 26 Art. 14 Abs. 2 der Haushaltsordnung in der Fassung von 2002. 27 Vgl. Stellungnahme des Juristischen Dienstes des Rates v. 24. Juni 2020, Rats-Dok. 9062/20, Rn. 23 und Fn. 13. Vgl. zur haushaltsexternen Abwicklung von Darlehenstransaktionen auch Rossi in: Dauses/Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 51. EL Oktober 2020, Rn. 159 f. Mit Bezug zum Europäischen Entwicklungsfonds Waldhoff, in: Caliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2018, Art. 310 Rn. 22. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 025/21 Seite 9 tenz externer zweckgebundener Einnahmen, die mit haushaltsexterner Vermögensplanung in Zusammenhang stehen, wird schließlich in Art. 21, 22 HO anerkannt.28 Der hier maßgebliche Gehalt der HO erschöpft sich folglich darin, den dem Kernhaushalt entsprechenden EU-Jahreshaushalt zu regeln und die Existenz von Vermögen im Sinne der Definition eines Extrahaushalts außerhalb dieses Jahreshaushalts zuzulassen. Auch das ESVG trifft keine explizite Bestimmung zur Einteilung der EU-Finanzen in Kern- und Extrahaushalte; es regelt im Wesentlichen die Zurechenbarkeit volkswirtschaftlicher Einheiten zu den darin definierten Sektoren Staat, öffentliche und private Kapitalgesellschaften, private Organisationen ohne Erwerbszweck und private Haushalte.29 Dies dient auf Unionsebene vor allem der Vereinheitlichung der Datenerfassung zu den Mitgliedstaaten zum Zweck der Schuldenstandermittlung , der Bestimmung der Eigenmittelbeträge und der Verteilung von Mitteln.30 Es bildet aber auch die EU selbst als die gesamteuropäische Volkswirtschaft ab, die sich aus den Gesamtrechnungen der Mitgliedstaaten und der gebietsansässigen europäischen Organe zusammensetzt .31 Das ESVG ließe sich im hiesigen Kontext somit lediglich im Sinne einer Übertragung der Kriterien für eine Zurechnung von nicht im regulären Haushaltsplan genannten Vermögensmassen zum Sektor Staat auf die RRF und die EU fruchtbar machen; nach dessen Maßstäben liegt eine Zurechnung wegen der umfassenden Finanzierungs- und Kontrollposition der EU in Bezug auf die RRF auf der Hand. 4. Frage 3: NGEU-Finanzen als Gegenstand der EU-Haushaltsaufstellung und -beratung Im Folgenden soll untersucht werden, inwieweit die RRF und die EU-Verschuldung im Rahmen des Europäischen Aufbauinstruments Gegenstand der Aufstellungs- und Beratungsprozesse zum jährlichen EU-Haushalt sein werden. Wie im Zusammenhang mit Frage 1 dargestellt, fließen die Mittel der RRF allenfalls als externe zweckgebundene Mittel in den Haushaltsplan ein, sodass sich ihre haushaltstechnische Ausgestaltung der Beratung und Beschlussfassung des Haushaltsgesetzgebers entzieht.32 Ihre Bereitstellung und Verwendung ist durch die Regelungen der NGEU-Rechtsakte determiniert, die eine Vorfinanzierung von 13% im Jahr 2021 und eine Bindung von 70% der Mittel in den Jahren 2021 und 2022 sowie von 30% im Jahr 2023 vorsehen.33 Auch die Verschuldung im Rahmen des Europäischen Aufbauinstruments ist außerhalb des Haushaltsplans geregelt und steht insoweit nicht 28 Vgl. Stellungnahme des Juristischen Dienstes des Rates v. 24. Juni 2020, Rats-Dok. 9062/20, Rn. 58 ff. 29 Eurostat, Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG 2010), abrufbar unter , S. 52 f. Rn. 2.111 ff. 30 ESVG 2010, S. 5, Rn. 1.19. 31 ESVG 2010, S. 471 ff., Rn. 19.01 ff. 32 Vgl. zusammenfassend Stellungnahme des Juristischen Dienstes des Rates v. 24. Juni 2020, Rats-Dok. 9062/20 Rn. 34. 33 Vgl. dazu Art. 13 RRF-Verordnung sowie Schlussfolgerungen des Europäischen Rates v. 21. Juni 2020, A 13, 15, abrufbar unter . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 025/21 Seite 10 zur Disposition des Haushaltsgesetzgebers, Art. 5 Abs. 1 Eigenmittelbeschluss. Indes werden die für nicht rückzahlbare Zuschüsse aufgenommenen Mittel über den EU-Haushalt refinanziert. Die Bereitstellung der Mittel für die Rückzahlung der entsprechenden Kredite der EU im jährlichen Haushaltsplan erfolgt durch den Haushaltsgesetzgeber und unterliegt daher dem Grunde nach den allgemeinen Aufstellungs- und Beratungsregeln des Art. 314 AEUV i.V.m. Art. 39 ff. HO. Die NGEU-Rechtsakte geben indes bestimmte Rahmenbedingungen für die Rückzahlung im Rahmen des Haushalts vor. So regelt Art. 4 Abs. 3 EURI-Verordnung, dass die als Mittel für Verpflichtungen erforderlichen Mittel ab dem Inkrafttreten des Eigenmittelbeschlusses automatisch zur Verfügung gestellt werden. Einschränkend sind zudem die Vorgaben in Art. 5 Abs. 2 und 3 des Eigenmittelbeschlusses zu beachten: Generell bestimmt Art. 5 Abs. 2 UA 2 unter Verweis auf den allgemeinen Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung (Art. 33 HO), dass eine „stetige und vorhersehbare Verringerung der Verbindlichkeiten“ bei der Gestaltung der Rückzahlung zu gewährleisten sei. Im MFR-Zeitraum 2021-2027 solle, je nach zur Verfügung stehenden Mitteln, die Rückzahlung eines Mindestbetrags erfolgen; die maßgebliche Bereitstellung von Haushaltsmitteln für die Tilgung ist damit für den Zeitraum 2028-2058 vorgesehen.34 Als Jahreshöchstgrenze für die zur Tilgung bereitgestellten Beträge werden 7,5% des für Zuschüsse aufgenommenen Betrags von 390 Mrd. € festgelegt (Art. 5 Abs. 2 UA 3); dies entspricht 29,25 Mrd. € im Jahr. Die Verantwortung für die (Fort-)Entwicklung einer diesen Rahmenregeln entsprechenden Schuldenmanagementstrategie weist Art. 5 Abs. 3 der Kommission zu, die ihren Plan für die Aufnahme und Tilgung der Schulden regelmäßig zu aktualisieren und dem Rat und dem Parlament zuzuleiten hat. Art. 6 des Eigenmittelbeschlusses ist zudem insoweit zu beachten, als er durch die vorübergehende und zweckgebundene Erhöhung der Eigenmittelobergrenze um 0,6% zusätzliche Eigenmittel generiert, deren Verwendung aber auf die Tilgung der EURI-Schulden beschränkt und insoweit den haushaltsgesetzgeberischen Spielraum in Haushaltsberatung und -aufstellung eingrenzt. 5. Frage 5: Auswirkungen der EU-Schulden auf die Schuldenstände der Mitgliedstaaten Schließlich wird das Verhältnis der im Rahmen des Europäischen Aufbauinstruments aufgenommenen Schulden der EU zu den Schuldenständen der EU-Mitgliedstaaten untersucht. Die Schuldenstände der Mitgliedstaaten, die auf europäischer Ebene unter anderem bei der haushaltspolitischen Kontrolle im Rahmen der haushaltsrechtlichen Kontrolle nach dem sog. Stabilitäts - und Wachstumspakt Bedeutung erlangen, werden nach den Grundsätzen des ESVG ermittelt ; zuständig dafür ist das der Kommission zugeordnete statistische Amt der EU Eurostat.35 Es berechnet am jeweiligen Jahresende den öffentlichen Schuldenstand als konsolidierten Brutto- 34 Vgl. dazu auch Schlussfolgerungen des Europäischen Rates v. 21. Juni 2020, A 7. 35 Siehe dazu die Übersichtsdarstellung von Eurostat zu den Finanzstatistiken des Sektors Staat, abrufbar unter . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 4 - 3000 - 025/21 Seite 11 schuldenstand zum Nominalwert von Bargeld und Einlagen, Schuldverschreibungen und Krediten des jeweiligen Staates.36 Nach den Regeln des ESVG zum Sektor Staat gerechnet werden dabei wie dargelegt alle staatlichen Einheiten sowie die von ihm kontrollierten nichtmarktbestimmten Organisationen ohne Erwerbszweck. Die Europäische Union als supranationale Organisation wird im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen hingegen als gebietsfremde Einheit dem Sektor der übrigen Welt zugeordnet.37 In volkswirtschaftlich-statistischer Hinsicht besteht somit eine Trennung zwischen den supranationalen Stellen und ihren jeweiligen Mitgliedstaaten . Rechtlicher Ausgangspunkt für die Zuordnung der Schulden im Rahmen des Aufbauinstruments ist deren Aufnahme durch die EU mit eigener Rechtspersönlichkeit, Art. 5 Abs. 1 Eigenmittelbeschluss . Schuldnerin ist somit zunächst allein die EU; die NGEU-Rechtsakte sehen keine gesamtschuldnerische Haftung von Union und Mitgliedstaaten vor. Zwar können die Mitgliedstaaten aufgrund von Art. 6 Abs. 4 Eigenmittelbeschluss durch die Kommission für die Bereitstellung zusätzlicher Mittel zur kurzfristigen Begleichung der aus der EU-Verschuldung resultierenden Verbindlichkeiten herangezogen werden.38 Eine Verpflichtung zu entsprechenden Zahlungen besteht nach dieser Vorschrift indes nur als „letztes Mittel“ unter spezifischen Bedingungen, zudem auch dann nur im Rahmen der im Eigenmittelbeschluss festgelegten Eigenmittelobergrenzen. Zwar führt die dadurch und die durch die allgemeinen Eigenmittelverpflichtungen der Mitgliedstaaten bewirkte Absicherung der Unionsschulden zu einer faktischen Garantie für die Rückzahlung der aufgenommenen Mittel durch die Union zugunsten der Gläubiger; eine rechtliche oder faktische Behandlung der Mitgliedstaaten als Schuldner im Hinblick auf die Schulden der EU folgt daraus jedoch nicht.39 Vielmehr macht die Konzeption gerade die Trennung zwischen den Kreditverpflichtungen der Union gegenüber ihren Gläubigern und den Zahlungsverpflichtungen der Mitgliedstaaten gegenüber der EU deutlich. Es ist damit kein rechtlicher Anknüpfungspunkt für eine anteilige Anrechnung der Schulden auf die nationalen Schuldenstände erkennbar. Mittelbaren Einfluss auf die Haushalte und damit gegebenenfalls auch die Schuldenstände der Mitgliedstaaten hat die Schuldenaufnahme der Union im Übrigen allenfalls im Zusammenhang mit der dadurch bedingten Verpflichtung zu höheren Eigenmittelbeiträgen nach Maßgabe des Eigenmittelbeschlusses .40 *** 36 Eurostat, Öffentlicher Bruttoschuldenstand, 8. Februar 2021, abrufbar unter . 37 ESVG 2010, S. 55, Rn. 2.131 und S. 488, Rn. 20.55. Die volkswirtschaftliche Behandlung von Transaktionen zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten wird auf S. 525 f., Rn. 20.291 ff. beschrieben. 38 Vgl. dazu Stellungnahme des Juristischen Dienstes des Rates v. 24. Juni 2020, Rats-Dok. 9062/20, Rn. 107. 39 Vgl. dazu Stellungnahme des Juristischen Dienstes des Rates v. 24. Juni 2020, Rats-Dok. 9062/20, Rn. 43. 40 Die durch die Bundesregierung prognostizierten Erhöhungen der Beiträge der Bundesrepublik Deutschland an die EU bis 2027 finden sich in BRat-Drs. 764/20, S. 3.