© 2019 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 024/19 Grundsteuerreform: Die Gesetzgebungskompetenz von Bund und Ländern nach erfolglosem Verstreichen der Frist zum 31.12.2019 Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 024/19 Seite 2 Grundsteuerreform: Die Gesetzgebungskompetenz von Bund und Ländern nach erfolglosem Verstreichen der Frist zum 31.12.2019 Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 024/19 Abschluss der Arbeit: 6. März 2019 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 024/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Auswirkungen der Grundsteuer auf den Länderfinanzausgleich 4 3. Auswirkungen eines Scheiterns des Reformvorhabens 5 4. Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach erfolglosem Verstreichen der Frist zum 31.12.2019 5 5. Gesetzgebungskompetenz der Länder nach erfolglosem Verstreichen der Frist zum 31.12.2019 10 5.1. Freigabegesetz des Bundes 11 5.2. Normenkontrollverfahren auf Feststellung der Nichtigkeit des Gesetzes 12 5.3. Ersetzungsbefugnis des BVerfG? 12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 024/19 Seite 4 1. Fragestellung Der Auftraggeber bittet um Beantwortung diverser Einzelfragen zum Thema Reform der Grundsteuer . 2. Auswirkungen der Grundsteuer auf den Länderfinanzausgleich Durch die beschlossene Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen erfolgt ab 2020 eine Angleichung der Finanzkraftunterschiede der Länder über Zu- und Abschläge bei der Umsatzsteuerverteilung und Sonderbedarfsergänzungszuweisungen des Bundes. Bei der Berechnung der Finanzkraft eines Landes findet auch die kommunale Steuerkraft (ab 2020 75%) Berücksichtigung. „Eine Grundsteuerreform, die mit Anpassungen der Wertverhältnisse einhergeht, wird sich somit – wenn auch minimal – immer auch auf den Bund-Länder-Finanzausgleich auswirken.“1 Ob die Gesetzgebungskompetenz für die Reform der Grundsteuer beim Bund verbleibt oder durch die Länder künftig ausgeführt werden müsste, ist für die möglichen Auswirkungen in den föderalen Finanzbeziehungen unerheblich. Die Studie des ifo-Instituts aus dem August 2018 hat die Auswirkungen der damals diskutierten Reformmodelle (Äquivalenzmodell, Verkehrswertmodell, Bodenwertsteuer) auf den Länder-Finanzausgleich untersucht. Dabei kann konstatiert werden, dass die einzelnen Reformmodelle keinen Einfluss auf den Status als Geber- oder Nehmerland hätten. Durch die Untersuchung wird aufgezeigt, „dass es eine beachtliche Korrespondenz gibt zwischen den Lagern, die die einzelnen Reformmodelle unterstützen, und den Auswirkungen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs; die Befürworter der einzelnen Reformmodelle sind zumeist gleichzeitig auch deren Profiteure. So würde unseren Schätzungen zufolge die Einführung des Äquivalenzmodells dazu führen, dass die drei Urheber des Modells Baden-Württemberg, Bayern und Hessen, die gleichzeitig Geberländer sind, in Zukunft einen geringeren Beitrag im Rahmen des Finanzausgleichs zu leisten hätten, während es mit Ausnahme Hamburgs insbesondere aktuelle Nehmerländer sind, die durch das Äquivalenzmodell im Finanzausgleich verlieren. Insgesamt würde das Transfervolumen im Äquivalenzmodell abnehmen. Beim Verkehrswertmodell sind es dagegen abgesehen von Berlin ausschließlich die Geberländer, die sich durch die Reform im Länderfinanzausgleich schlechter stellen, da sie höhere Beiträge zu leisten haben. Dementsprechend nimmt das Transfervolumen insgesamt zu. Am stärksten betroffen ist dabei Bayern, dessen Beiträge beim Verkehrswertmodell den Schätzungen zufolge um fast 600 Millionen EUR ansteigen würden. Berlin verliert zwar ebenfalls, und dass, obwohl es als Befürworterin des Verkehrswertmodells gilt; als Stadtstaat steht Berlin jedoch das Grundsteueraufkommen zu, wodurch hier ein deutlich positiver Saldo zu Buche steht. Bei der Bodenwertsteuer sind es neben Berlin noch drei von vier Geberländer, die als Reformverlierer dastehen. Auch hier ist Bayern im Finanzausgleich mit einem zusätzlichen Beitrag 717 Millionen EUR der größte Verlierer.“2 1 Färber, Gisela: Eine schnelle und gerechte Grundsteuerreform ist nötig, in: Zeitgespräch, ZBW 2018, S. 168. 2 Ifo-Institut: Die Grundsteuer in Deutschland: Finanzwissenschaftliche Analyse und Reformoptionen, August 2018, im Internet unter: https://www.cesifo-group.de/DocDL/ifo-studie-2018-fuest-etal-grundsteuer.pdf [14.02.2019], S. 29. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 024/19 Seite 5 Neben den Auswirkungen im System des Länder-Finanzausgleichs hat das Aufkommen der Grundsteuer auch interkommunale Auswirkungen im Rahmen der jeweiligen kommunalen Finanzausgleiche in den Ländern. Im kommunalen Finanzausgleich ist die gemeindliche Steuerkraft ein zentrales Element, das bei entsprechender Neubewertung der Grundsteuer höher oder niedriger ausfallen kann.3 3. Auswirkungen eines Scheiterns des Reformvorhabens Bei einem Scheitern der Verhandlungen zwischen Bund und Ländern zur Reform der Grundsteuer würden den Kommunen ab 2020 jährlich mindestens 14 Mrd. Euro fehlen. Nach Einschätzung des Deutschen Städte- und Gemeindebundes würden folglich die Spielräume kommunaler Selbstverwaltung vielerorts wegfallen.4 Für die Gemeinden tragen nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes die Länder die Verantwortung. Sie haben folglich auch für eine angemessene finanzielle Ausstattung ihrer Kommunen zu sorgen. 4. Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach erfolglosem Verstreichen der Frist zum 31.12.2019 Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat dem Gesetzgeber für die verfassungskonforme Neuregelung einer Bewertungsmethode zur Bemessung der Grundsteuer eine Frist bis zum 31. Dezember 2019 gesetzt. Nach Verstreichen dieser Frist, sind die bestehenden Vorschriften zur Einheitsbewertung für die Grundsteuer nicht mehr anwendbar. Schafft der Gesetzgeber bis zum 31. Dezember 2019 neue Bewertungsregelungen für die Grundsteuer, so darf vom Zeitpunkt der Verkündung der Neuregelung das alte Einheitsbewertungssystem noch bis zu weitere fünf Jahre angewandt werden. Die wesentlichen Argumente für und gegen eine Bundesgesetzgebungskompetenz zur Reform der Grundsteuer können der nachfolgenden Tabelle entnommen werden: Argumente pro Bundesgesetzgebungskompetenz Argumente contra Bundesgesetzgebungskompetenz Vermeidung eines schädlichen Steuerwettbewerbs Kein geeignetes Instrument zur Beseitigung ungleicher Lebensverhältnisse Einbeziehung der Grundsteuer in den Länderfinanzausgleich Argument des Finanzausgleichs lässt Landesgesetzgebungskompetenz aus Art. 105 Abs. 2 i.V.m. Art. 72 Abs. 2 GG leerlaufen 3 Färber, Gisela: Eine schnelle und gerechte Grundsteuerreform ist nötig, in: Zeitgespräch, ZBW 2018, S. 168. 4 DStGB: DStGB warnt vor Scheitern der Grundsteuerreform, 14.01.2019. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 024/19 Seite 6 Gepräge der Grundsteuer als Sollertragsteuer bleibt erhalten Kommunales Hebesatzrecht führt bereits heute zu unterschiedlichem Besteuerungsniveau Solange die bisherigen Regelungen zur Einheitsbewertung weiter gelten, verfügt der Bundesgesetzgeber über die Gesetzgebungskompetenz aus Art. 125a Abs. 2 GG zur Weiterentwicklung des bestehenden Rechts. Diese Gesetzgebungskompetenz entfällt am 31. Dezember 2019. Das BVerfG führt zur Frage der Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 125a Abs. 2 GG in seinem Urteil vom 10. April 20185 Folgendes aus: „Die bestehende Regelung (gilt) nach Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG als Bundesrecht fort, solange sie nicht in wesentlichen Elementen geändert wird. Denn die Zuständigkeit zur Änderung solcher fortgeltender Vorschriften verbleibt ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG beim Bundesgesetzgeber, soweit die Änderung die wesentlichen Elemente der in dem fortbestehenden Bundesgesetz enthaltenen Regelung beibehält und keine grundlegende Neukonzeption enthält (vgl. BVerfGE 111, 10 <28 ff.>; 112, 226 <250>). Danach kann sich das geltende Recht der für die Grundsteuer maßgeblichen Einheitsbewertung für Grundbesitz nach wie vor auf eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes stützen. Die wesentlichen Elemente der Einheitsbewertung im Bewertungsgesetz sind nach der Einfügung der Erforderlichkeitsklausel in den Art. 72 Abs. 2 GG zum 15. November 1994 unverändert geblieben. Eine Neukonzeption dieses Teils des Bewertungsgesetzes hat seither nicht stattgefunden.“6 Ab dem 1. Januar 2020 könnte der Bundesgesetzgeber eine Neuregelung der Bewertungsnormen zur Grundsteuer nur gestützt auf die (reguläre) Steuergesetzgebungskompetenz aus Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG erlassen. Diese Gesetzgebungskompetenz besteht zu Gunsten des Bundes jedoch nur dann, wenn die Voraussetzungen der sogenannten Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt wären. Art. 72 Abs. 2 GG enthält die Erforderlichkeitsklausel , die für steuerrechtliche Gesetzgebungskompetenzen immer dann erfüllt sein müssen, wenn die Steuereinnahmen dem Bund nicht zufließen. Die Voraussetzungen der Erforderlichkeitsklausel wurden von der Rechtsprechung des BVerfG in den vergangenen Jahren eng definiert: „Das bundesstaatliche Rechtsgut gleichwertiger Lebensverhältnisse ist erst dann bedroht und der Bund erst dann zum Eingreifen ermächtigt, wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern „in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet.“7 5 BVerfG, Urteil vom 10. April 2018 – 1 BvL 11/14 6 BVerfG, Urteil vom 10. April 2018 – 1 BvL 11/14 –, Rn. 89 (juris) 7 BVerfG v. 24.10.2002 - 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (144); zitiert nach Tipke/Lang/Seer: Steuerrecht, § 2 Rn. 36 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 024/19 Seite 7 „Eine bundesgesetzliche Regelung ist zur „Wahrung der Rechtseinheit“ erforderlich, wenn und soweit die mit ihr erzielbare Einheitlichkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen Voraussetzung für die Vermeidung einer Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen ist, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden kann.“8 „Eine bundesgesetzliche Regelung ist zur „Wahrung der Wirtschaftseinheit“ erforderlich, wenn und soweit sie Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des gesamtstaatlichen Wirtschaftsraums ist, wenn also unterschiedliche Landesregelungen oder das Untätigbleiben der Länder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich brächten. Während die Wahrung der Rechtseinheit in erster Linie auf die Vermeidung einer Rechtszersplitterung zielt, geht es bei der Wahrung der Wirtschaftseinheit im Schwerpunkt darum, Schranken und Hindernisse für den wirtschaftlichen Verkehr im Bundesgebiet zu beseitigen.“9 Ob die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG für eine Neukonzeption der Grundsteuer erfüllt wären, ist in der Literatur umstritten. So bejaht Becker10 zu Gunsten der Wahrung der Rechtsund Wirtschaftseinheit die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung. Die Begründung liege jedoch weniger in der Vermeidung eines schädlichen Steuerwettbewerbs, sondern eher in der Einbeziehung der Grundsteuer in den Länderfinanzausgleich. Die Neutralisierung der Grundsteuer im Ausgleichssystem sei nur solange möglich, wie es eine einheitliche Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer gäbe. Aus diesem Grund sei die bundesgesetzliche Regelung unverzichtbar .11 Hantzsch12 sieht dagegen die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG für die Grundsteuer als nicht erfüllt an. Eine länderspezifische Regelung der Grundsteuer würde weder die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft gefährden noch die Rechtseinheit beeinträchtigen. „Weder liegt ein diesbezüglicher Handlungsbedarf, eine Ausgangslage vor, noch ist die Grundsteuer das geeignete Mittel zur Problemlösung. […] Die Grundsteuer ist auf jeden Fall aber ein für den Bund ungeeignetes Regulierungsinstrument zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Der Grundsteuer fehlt für den Bundesmaßstab die erforderliche Finanzierungswirkung, denn der steuerliche Belastungszugriff hält sich derart in Grenzen, dass dieser Steuer ein relevanter Steuerungseffekt in dem zur Behebung des Missstandes erforderlichen Ausmaß nicht wirklich zugeschrieben werden kann. […] Einer Steuer, deren konkrete Belastungsausgestaltung nach örtlicher Politikentscheidung ausgerichtet (Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG) und deren Aufkommen vollständig den örtlichen 8 BVerfG v. 27.1.2010 - 2 BvR 2185/04, 2 BvR 2189/04, BVerfGE 125, 141 (155); BVerfG v. 17.12.2014 - 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136, Rz. 109; zitiert nach Tipke/Lang/Seer: Steuerrecht, § 2 Rn. 36 9 Siehe Fn. 8 10 Becker, BB 2013, S. 861 (864 f.) 11 Becker: siehe Fn. 6, Seite 864 f. 12 Hantzsch, Dieter: „Reform der Grundsteuer durch den Bundesgesetzgeber?“ in: DStZ 2012, Seite 758-765 (761 f.) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 024/19 Seite 8 Gebietskörperschaften zugewiesen ist (Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG), fehlt es an einem gesamtstaatlichen Steuerungs- und Umverteilungspotential. Sie kann kein Instrument des Bundes sein, im gesamtstaatlichen Interesse für eine Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse sorgen.“13 Auch Prof. Seer14 sieht eine Bundesgesetzgebungskompetenz für die Grundsteuer zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse als nicht erforderlich an. „Zur Herstellung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet kann eine bundesgesetzliche Grundsteuer angesichts ihrer im gesamtstaatlichen Sinne geringen Finanzierungswirkung substantiell nichts beitragen.“15 Die zweite Variante der Erforderlichkeitsklausel, die eine Bundesgesetzgebungskompetenz zur Wahrung der Funktionsfähigkeit der Rechtsgemeinschaft und der Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums begründet, sieht Seer ebenfalls als nicht gegeben an. „Es ist nicht erkennbar, warum angesichts ihres örtlich begrenzten Wirkungskreises Landesgrundsteuern den länderübergreifenden Rechtsverkehr nennenswert beeinträchtigen könnten. Bereits heute bewirken die Kommunen durch ihr Hebesatzrecht sogar innerhalb eines Landes ein deutlich unterschiedliches Besteuerungsniveau . § 1 Abs. 1 Grundsteuergesetz (GrStG) lässt es zu, dass Gemeinden sogar vollständig auf die Erhebung einer Grundsteuer in ihrem Gemeindegebiet verzichten. Dies hat aber bisher weder zu Steueroasen noch durch Wegzüge zu einem „Grundsteuer-Tourismus“ geführt.“16 Seer tritt auch dem Argument einer Regelungsnotwendigkeit durch den Bund auf Grund der in Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG verankerten Hebesatz-Garantie der Gemeinden entgegen. Aus der Hebesatz -Garantie könne im Umkehrschluss nicht auf eine Bundeskompetenz geschlossen werden. „Vielmehr bedeutet die Garantie nur, dass den Kommunen – unabhängig davon, ob der Bund oder die Länder die Grundsteuer regeln – zur Wahrung ihrer finanziellen Eigenverantwortlichkeit (Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG) ein eigenes Hebesatzrecht zustehen soll.“17 Auch dem Argument das die Systematik des Länderfinanzausgleichs eine bundeseinheitliche Regelung der Grundsteuer erfordere, tritt Seer entgegen. Die Tatsache, dass die Grundsteuer mit der jeweiligen Realsteuerkraft unter Ausblendung der tatsächlich angewendeten Hebesätze in den Finanzausgleich einbezogen werde, sei kein durchgreifendes Argument für eine Bundesgesetzgebungskompetenz . „Mit diesem Argument würde die von Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG vorausgesetzte Gesetzgebungskompetenz der Länder außerhalb der in Art. 105 Abs. 2a GG in der ausschließlichen Landesgesetzgebungskompetenz liegenden örtlichen Verbrauchund Aufwandsteuern praktisch leerlaufen. Dies wiederspräche der föderalen Konzeption des Art. 13 Hantzsch: ebenda 14 Seer, Roman: „Grundsteuer nach dem Urteil des BVerfG vom 10.04.2018 – Analyse und Folgerungen“ in: Der Betrieb 2018, S. 1488-1495 15 Seer: ebenda, S. 1491 16 Seer: ebenda, S. 1491 17 Seer: ebenda, S. 1491 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 024/19 Seite 9 105 Abs. 2 GG. Daher ist der Länderfinanzausgleich vielmehr umgekehrt ggf. den Regelungen der Länder entsprechend anzupassen.“18 Ähnlich sieht es Kirchhof19 in seinem Gutachten für den Zentralen Immobilien Ausschuss: „Der Grundsteuer steht von Verfassungs wegen nur ein geringer Belastungsraum offen. Angesichts der strukturell geringen Steuerlast, aufgrund der in den gemeindlichen Hebesätzen bereits bestehenden Belastungsunterschiede (Art. 106 Abs. 6 S. 2 GG) und der daraus folgenden verfassungsgebotenen Regionalisierung der Steuer bewirken unterschiedliche grundsteuerliche Regelungen keine Rechtszersplitterung und keine Handelsbeschränkungen. Besteuerungsunterschiede von Immobilien können ohnehin nur schwer Schranken und Hindernisse für den wirtschaftlichen Verkehr errichten, weil sich der Wirtschaftsverkehr maßgeblich in Waren und Dienstleistungen entfaltet. Eine die Bundeskompetenz auslösende erhebliche Auseinanderentwicklung der Grundsteuerlast ist nicht ersichtlich und in den engen Belastungsgrenzen des Grundgesetzes kaum möglich. Auch die einheitlichen Lebensverhältnisse werden aufgrund der bestehen örtlichen Radizierung und der geringen Steuerlast nicht in einem Maß beeinträchtigt, das zur Bundeskompetenz führt. Ohnehin belastet die Grundsteuer nicht jedermann, sondern den Grundbesitz, der Lebensverhältnisse sichert. In dieser Ausrichtung auf strukturell gesicherte Lebensverhältnisse können grundsteuerliche Belastungsunterschiede nur in Extremfällen zu einer mit der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse unvereinbaren Benachteiligung führen oder das bundesstaatliche Sozialgefüge erheblich beeinträchtigen. Für eine Neuregelung der Bemessung der Grundsteuer sind daher nach geltenden Verfassungsrecht die Länder zuständig. Tappe20 verweist in seinem Gutachten für das Bundesministerium der Finanzen (BMF) dagegen darauf, dass durch eine bundeseinheitliche Bestimmung des Steuergegenstands und eine Rechtseinheit bei der Bewertung sichergestellt werde, dass das Gepräge der Grundsteuer als Sollertragsteuer erhalten bleibe. „Eine Vielzahl unterschiedlicher Anknüpfungspunkte, die sich in der Diskussion beispielhaft mit dem „Flächenmodell“ bzw. dem „wertorientierten Modell“ andeuten, würde den einheitlichen Charakter der Grundsteuer – die immerhin im Grundgesetz ausdrücklich genannt ist (Art. 106 Abs. 6 GG spricht im Singular von „der Grundsteuer“, nicht von „den Grundsteuern“)– in Frage stellen. Hinzu kommt, dass die grundsteuerliche Bewertung bislang vielfältige Querbezüge zu anderen Steuern und auch zu außersteuerlichen Regelungen aufweist. So sieht § 9 Nr. 1 GewStG eine pauschalierte Kürzung vor, um die Doppelbelastung mit Grundund Gewerbesteuer zu verringern, die im Rahmen der Grundsteuer vorgenommene bundeseinheitliche Bewertung von Grundbesitz hat z.B. Bedeutung für die landwirtschaftliche Sozialversicherung . Schließlich wird auch für die Zwecke des bundestaatlichen Finanzausgleichs (Art. 107 18 Seer: ebenda, S. 1491 19 Kirchhof, Gregor: „Die Reform der Grundsteuer und das Maß des Grundgesetzes“, https://www.zia-deutschland .de/fileadmin/Redaktion/Meta_Service/PDF/G._Kirchhof__Gutachten_ZIA__10.1.2019.pdf [zuletzt abgerufen am 27.02.2019], S. 10 f. 20 Tappe, Henning: „Gesetzgebungskompetenz für die Reform der Grundsteuer“ in der Ausschussdrucksache des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages 19(7) – 158, S. 12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 024/19 Seite 10 Abs. 2 GG) zur Bestimmung der gemeindlichen Finanzkraft auf die pauschalierten Grundsteuereinnahmen Bezug genommen (Steuerkraft, § 8 FAG).“21 Das BVerfG lässt in seinem Urteil zur Grundsteuer den Meinungsstreit in der Literatur um die Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG offen. Zwar benennt das BVerfG die unterschiedlichen Positionen zu dieser Frage. Letztlich stellt das BVerfG jedoch nur fest, dass für das derzeit noch anwendbare Bewertungssystem der Einheitsbewertung entweder Artikel 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG oder Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG anwendbar seien. Über die Gesetzgebungskompetenz für völlig neuartige Bewertungs- und Besteuerungsmodelle musste das BVerfG in diesem Urteil nicht entscheiden. Zusammenfassung: Die überwiegenden Stimmen in der Literatur gehen davon aus, dass die Voraussetzungen der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG für eine Gesetzgebung zur Neubestimmung der Bewertungsregelungen zur Grundsteuer nicht vorliegen. Damit könnte die Gesetzgebungskompetenz den Ländern obliegen. Für die Sicherung der Bundesgesetzgebungskompetenz wäre eine Verfassungsänderung erforderlich, wie sie der Bundesrat22 bereits 2016 beantragt hatte. 5. Gesetzgebungskompetenz der Länder nach erfolglosem Verstreichen der Frist zum 31.12.2019 Fraglich ist, ob nach Ablauf der Übergangsfrist am 31.12.2019 eine Gesetzgebungskompetenz für die Länder tatsächlich besteht und von diesen ausgeübt werden könnte. Das Urteil des BVerfG enthält bezüglich der Rechtslage ab dem 1.1.2020 keine ausdrückliche Regelung. Die Nichtigkeit der für verfassungswidrig erklärten Normen wurde nicht ausdrücklich angeordnet. „Das bisherige Bewertungsrecht des Bundes könnte entweder nichtig werden oder weiterhin Geltung beanspruchen . Das Urteil des BVerfG lässt insoweit eine eindeutige Aussage vermissen.“23 „Für ein automatisches Nichtigwerden der für verfassungswidrig erklärten Bestimmungen des Bewertungsgesetzes könnte der Umkehrschluss zu der Anwendbarkeitsregelung des BVerfG sprechen . Wenn die verfassungswidrigen Vorschriften ohne Neuregelung nur bis zum 31.12.2019 anwendbar bleiben, dann könnten sie danach ohne Neuregelung auch nichtig werden. Anderenfalls verbliebe ein verfassungswidriges und auch nicht mehr anwendbares Bundesgesetz, das nur noch eine leere Hülle darstellte und eine notwendige Neuregelung durch die Länder sperrte. Eine solche Nichtigkeitsfolge baute auch hinreichenden Druck auf den Bundesgesetzgeber auf, fristgerecht eine Neuregelung vorzunehmen oder die Materie zur Regelung durch die Länder freizugeben . Andererseits ist darauf hinzuweisen, dass das BVerfG die Möglichkeit gehabt hätte, nach Fristablauf ausdrücklich die Nichtigkeit der verfassungswidrigen Bestimmungen vorzusehen, davon aber – anders als etwa in der Entscheidung zur Kernbrennstoffsteuer – keinen Gebrauch gemacht 21 Tappe: ebenda 22 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes v. 4.11.2016, BR-Drs. 514/16 23 Schmidt, Thorsten Ingo: „Gesetzgebungskompetenz zur Neuregelung der Grundsteuer“ in: NVwZ 2019, S. 103- 109 (107), beck.online Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 024/19 Seite 11 hat. Sofern man einen Umkehrschluss zu der Übergangsvorschrift der Anwendbarkeit bis zum 31.12.2019 ziehen will, ergibt sich daraus lediglich, dass bei fehlender Neuregelung die bisherigen Bestimmungen nicht mehr anwendbar sind, nicht aber deren Nichtigkeit. Insofern sind die Fragen nach der Nichtigkeit einer verfassungswidrigen Norm und der Anwendbarkeit einer verfassungswidrigen , aber nicht nichtigen Norm, strikt zu trennen. So sprechen die besseren Gesichtspunkte dafür, auch nach erfolglosem Fristablauf keine Nichtigkeit der verfassungswidrigen bundesrechtlichen Bestimmungen anzunehmen.“24 Schmidt schlägt als Ausweg aus dem „Dilemma“ für die Ausübung der Gesetzgebungskompetenz durch die Länder entweder ein Freigabegesetz des Bundes (5.1.) oder ein Normenkontrollverfahren auf Feststellung der Nichtigkeit des Gesetzes vor dem BVerfG (5.2.) vor. Eine weitere Option wäre zudem, dass das BVerfG seine (vorläufige) Regelungskompetenz für die verfassungswidrigen Rechtsnormen (5.3.) nutzt, wie es bereits im Zusammenhang mit der letzten Erbschaftsteuer- Entscheidung des Verfassungsgerichts in der Literatur diskutiert wurde. 5.1. Freigabegesetz des Bundes „Das Auseinanderfallen von formeller Gestaltungsmacht des Bundes und materieller der Länder ließe sich durch den Erlass eines Freigabegesetzes durch den Bund gem. Art. 125 a II 2 GG auflösen . Darin könnte der Bund die Länder zum Ersetzen der bisherigen bundesrechtlichen Bestimmungen zur Immobilienbewertung zwecks Grundsteuererhebung durch Landesgesetze ermächtigen . Der Wortlaut des Art. 125 a II 2 GG „kann“ weist darauf hin, dass die Entscheidung im staatspolitischen Ermessen des Bundes liegt. Dies hat wenigstens bis zum Ablauf der Übergangsfrist am 31.12.2019 zu gelten, weil für den Bund immer noch die – wenngleich nach den obigen Ausführungen eher theoretische – Möglichkeit einer eigenständigen verfassungskonformen Neufassung der Bewertungsregeln bestände. Nach erfolglosem Ablauf der Übergangsfrist dürfte dieses staatspolitische Ermessen des Bundes aber auf Null schrumpfen, weil nur die Länder dann noch eine dem Grundgesetz entsprechende umfassende Neuregelung werden treffen können. Verfahrensrechtlich hätte eine Landesregierung gem. Art. 93 II 3 Var. 3 GG zunächst den Entwurf eines Freigabegesetzes in den Bundesrat einzubringen. Lehnte der Bundesrat den Gesetzentwurf ab, würde im Bundestag nicht binnen Jahresfrist beraten und Beschluss gefasst oder der Entwurf abgelehnt , könnte die Landesregierung oder ein Landesparlament bzw. bei Scheitern im Bundestag auch der Bundesrat gem. Art. 93 II 1 GG; §§ 13 Nr. 6 b, 96 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) einen Antrag auf Feststellung an das BVerfG richten, dass das bisherige Bundesrecht nicht mehr erlassen werden könnte. Sollte das BVerfG gleichfalls zu dem Schluss kommen, dass das Freigabeermessen des Bundes sich auf Null reduziert haben sollte, träte seine Entscheidung gem. Art. 93 II 2 GG an die Stelle eines entsprechenden Freigabegesetzes. In der Folge könnten die Länder ihrerseits Grundsteuer- bzw. Bewertungsgesetze erlassen und dabei eigene Akzente setzen, etwa hinsichtlich des Steuergegenstandes, zu verfolgender ökonomischer oder sozialer Lenkungsziele wie der Eigenheimförderung oder des sozialen Wohnungsbaus oder eines zonierten gemeindlichen Hebesatzrechts. Sollten die Länder eine gewisse Vereinheitlichung ihrer Regelungen anstreben, könnten parallele Landesgesetze erlassen werden.“25 24 Schmidt: ebenda, S. 107 25 Schmidt: aaO., S. 108 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 024/19 Seite 12 5.2. Normenkontrollverfahren auf Feststellung der Nichtigkeit des Gesetzes „Erlässt der Bund kein Freigabegesetz und wird er vom BVerfG dazu auch nicht gezwungen, muss gleichwohl die Möglichkeit gegeben sein, selbst bereits für verfassungswidrig erklärte Normen endgültig zu beseitigen. Dies kann durch Erhebung einer abstrakten Normenkontrolle durch eine Landesregierung gem. Art. 93 I Nr. 2 GG; §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG gerichtet auf Nichtigerklärung der verfassungswidrigen bundesgesetzlichen Vorschriften durch das BVerfG erfolgen. Die Landesregierung müsste gem. § 76 I Nr. 1 BVerfGG geltend machen, sie halte die verfassungswidrigen Bestimmungen der Immobilienbewertung zwecks Grundsteuererhebung mittlerweile für nichtig. Einer solchen abstrakten Normenkontrolle fehlte trotz der bereits ergangenen Grundsteuerentscheidung des BVerfG nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, weil die Nichtigkeit einer Norm in ihren Rechtswirkungen über deren bloße Verfassungswidrigkeit hinausgeht: Wird eine Norm für verfassungswidrig erklärt, bleibt sie bestehen und kann die Ausübung einer Gesetzgebungskompetenz durch die Länder blockieren, wird die Norm für nichtig erklärt, ist sie nicht mehr existent und hindert die Länder auch nicht mehr an der Ausübung der ihnen zukommenden Kompetenzen. Was die Begründetheit dieser abstrakten Normenkontrolle angeht, so reichen vom Ansatz her die Gründe aus, die zur Verfassungswidrigkeit der bisherigen Grundsteuerregelungen geführt haben, um auch die Nichtigkeit der Normen zu begründen. Denn die Nichtigkeit ist die regelmäßige Folge einer verfassungswidrigen Norm. Angesichts der Vorentscheidung vom April 2018 müssen aber ergänzend weitere Gesichtspunkte gegeben sein, die zum Zeitpunkt der neuen Entscheidung ein Festhalten an der bloßen Verfassungswidrigkeit als nicht mehr hinnehmbar erscheinen lassen. Dafür ist anzuführen, dass bei dieser Fallgestaltung der Bund bis zum Ablauf der Übergangsfrist weder fähig noch willens war, selbst eine grundgesetzkonforme Neuregelung zu treffen oder den Ländern die Kompetenz zu überantworten, so dass wegen dieser Untätigkeit den Gemeinden erhebliche Steuerausfälle drohen.“26 5.3. Ersetzungsbefugnis des BVerfG? Dem BVerfG steht es gemäß § 35 BVerfGG zu, im Einzelfall die Art und Weise der Vollstreckung zu regeln. Diese Norm wird vom BVerfG weit interpretiert. “Gestützt auf diese Kompetenz trifft das Gericht von Amts wegen […] alle Anordnungen, die erforderlich sind, um seinen ein Verfahren abschließenden Sachentscheidungen Geltung zu verschaffen. Der Vollstreckung […] sind auch Feststellungsurteile zugänglich […]. Aus dem umfassenden Gehalt der Vorschrift […] folgt aber, dass jene Anordnungen, wenn sich ihre Notwendigkeit erst nachträglich herausstellt, auch in einem selbstständigen Beschluss des Gerichts getroffen werden können.“27 Hoppe28 hielt bereits bei der Diskussion um das BVerfG-Urteil vom 7.11.2006 zur Erbschaftsteuer bei Nichthandeln des Gesetzgebers Vollstreckungsanordnungen des BVerfG für zulässig, die eine (Nach-)Frist für die Neuregelung setzen, die Aufhebung der Weitergeltung verfassungswidrigen 26 Schmidt: aaO., S. 108 27 BVerfG – Urteil v. 21.3.1957 – BVerfGE 6, 300 (304) 28 Hoppe DVBl. 2009, 628-629 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 024/19 Seite 13 Rechts zu einem bestimmten Zeitpunkt festlegen oder den Erlass einer normvertretenden Übergangsregelung für denkbar. “§ 35 BVerfGG dient dem Vollzug der Sachentscheidung. Die Vollstreckung ist akzessorisch. Sie steht im Dienst der Sachentscheidung. Die Übergangsregelungen und Rechtsfolgeanordnungen, die ergehen, um der Sachentscheidung Geltung zu verschaffen und das vom Bundesverfassungsgericht gefundene Recht zu verwirklichen, wirken nur in den Grenzen des Tenors und der ihn tragenden Entscheidungsgründe. Der Vollstreckungsbeschluss kann die Sachentscheidung nicht erweitern.“29 Das heißt, dass das BVerfG nur die für verfassungswidrig erklärten Normen mittels einer eigenen Übergangsregelung ersetzen könnte. Wollte das BVerfG eine eigene Übergangsregelung erlassen, müsste es sich um Regelungen handeln, die in das bestehende BewG einfügbar wären und mit den weiterhin geltenden Normen harmonieren würden. Denn ersetzbar wären nicht das gesamte BewG, sondern nur die für verfassungswidrig erklärten Teilregelungen. Es könnte somit eigene vorläufige Regelungen zur Bewertung des Grundvermögens für die Grundsteuer nach Maßgabe der BVerfG-Entscheidung entwickeln. Die Übergangsregelungen des BVerfG würden solange in Kraft bleiben, wie der Gesetzgeber keine Änderung an den für verfassungswidrig erklärten Regelungen vorgenommen hat. Sobald es ein parlamentarisch beschlossenes Gesetz zur Neufassung der steuerlichen Bemessungsgrundlage der Grundsteuer gäbe, träten die Übergangsregelungen des BVerfG außer Kraft. Das BVerfG greift mit dem Erlass von Übergangsregelungen in die Kompetenz des Gesetzgebers ein. Im Bewusstsein um diesen sensiblen Regelungsbereich hat das BVerfG das Prinzip der schonendsten Regelung30 entworfen . Es bleibt jedoch fraglich, ob sich das BVerfG für eine vorläufige Übergangsregelung für eines der bislang in der Literatur diskutierten Bewertungsmodelle entscheiden und dieses in das Bewertungsgesetz implementieren würde. *** 29 Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge: Bundesverfassungsgerichtsgesetz, a.a.O., § 35 Rn. 47 30 BVerfGE 84, 9 (23); 91, 186 (207); 93, 37 (85); 103, 111 (141)