Deutscher Bundestag Zentralisierte und dezentralisierte Steuerverwaltung Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 4 – 3000 - 024/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 024/10 Seite 2 Zentralisierte und dezentralisierte Steuerverwaltung Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 4 – 3000 - 024/10 Abschluss der Arbeit: 15. Februar 2010 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 024/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Merkmale zentralisierter und dezentralisierter Steuerverwaltung 4 3. Vor- und Nachteile zentralisierter und dezentralisierter Steuerverwaltung 5 4. Beispiele für zentralisierte und dezentralisierte Steuerverwaltungen 6 4.1. Frankreich 6 4.2. Dänemark 6 4.3. England 7 4.4. Deutschland 8 5. In 2007 für Deutschland diskutierte Änderungsvorschläge 9 5.1. Haltung des Bundesministeriums der Finanzen 9 5.2. Kienbaum-Studie im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen 10 5.3. Bundesrechnungshof 12 5.4. Stellungnahme der Länder 13 6. Vorgenommene Änderungen des FVG 14 7. Zusammenfassung 14 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 024/10 Seite 4 1. Einleitung Die Verwaltung der Steuereinnahmen eines Landes lässt sich zentralisiert oder dezentralisiert gestalten, wobei bei einer dezentralisierten Steuerverwaltung unterschiedliche Ausprägungen möglich sind. Im Folgenden werden die beiden Verwaltungsformen kurz beschrieben und die Vor- und Nachteile aufgelistet. Es folgt eine kurze Beschreibung der Strukturen der zentralisierten Steuerverwaltungen in Frankreich, Dänemark und England und der dezentralisierten Verwaltung in Deutschland. Zum Schluss werden die wesentlichen Vorschläge zur Reform der deutschen Steuerverwaltung aus dem Jahr 2007 vorgestellt. 2. Merkmale zentralisierter und dezentralisierter Steuerverwaltung Merkmal einer zentralisierten Steuerverwaltung ist die Zuständigkeit einer staatlichen Ebene sowohl für die Verwaltungskompetenz als auch für den Vollzug aller Steuern für alle staatlichen Ebenen. Man findet in Ländern mit solcher Verwaltung neben der zentralen Ebene regionale und lokale Dependancen.1 Merkmal einer dezentralisierten Steuerverwaltung ist die Aufteilung der Steuern und der steuerrechtlichen Kompetenzen auf die einzelnen Gebietskörperschaften. Jede staatliche Ebene erhebt Steuern. Man unterscheidet zwei Ausprägungen: Entweder erheben die Gebietskörperschaften parallel Steuern für den gleichen Steuertatbestand. Das gilt z. B. für die Einkommensteuer in der Schweiz, die vom Zentralstaat und den Kantonen erhoben wird. Oder eine Gebietskörperschaft nimmt die Steuern für eine andere staatliche Ebene mit ein. Diese Ausprägung existiert in Deutschland, wo die Länder im Rahmen der Auftragsverwaltung die anteilsmäßig auch dem Bund zustehende Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer vollziehen.2 1 Vgl. Vehorn, Charles L.; Ahmad, Ehtisham: Tax Administration, in: Ter-Minassian, Teresa: Fiscal Federalism in Theory and Practice, Washington 1997, S. 112. 2 Vgl. Senger, Eike Alexander: Die Reform der Finanzverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 2009, S. 101. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 024/10 Seite 5 3. Vor- und Nachteile zentralisierter und dezentralisierter Steuerverwaltung Zentralisierte Steuerverwaltung3 Vorteile Nachteile Einheitliche Organisationsstruktur Klare Kompetenzverteilung Einheitliche Verfahren und Handlungsweisen Einheitliche Regelungen und Gesetze Einheitlichkeit der elektronischen Datenverarbeitung Informationsaustausch zwischen den Ebenen entfällt Steuerstraftaten werden schneller entdeckt Einheitliche Verwaltung in Bezug auf die Veranlagung , Steuerprüfungsverfahren, Steuerstrafen und Beschwerdeverfahren Einheitliche Schulung und Arbeitsabläufe für die Angestellten Geringer Einfluss der lokalen Ebene Schwächung der Finanzautonomie der untergeordneten Gebietskörperschaften Weniger Bürgernähe Geringere Innovationsfähigkeit Das Prinzip der Subsidiarität lässt sich nicht einhalten Dezentralisierte Steuerverwaltung Vorteile Nachteile Größere Verantwortlichkeit der Verwaltungsangestellten für das Steueraufkommen der jeweiligen Gebietskörperschaft Erhöhte Flexibilität der Verwaltung Geeigneter bei bestimmten Steuerarten (z. B. Grundsteuer) Spiegelt unter Umständen die politischen und verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen wider Mehr Freiheit, lokalen Präferenzen zu folgen Entspricht im Grundsatz dem Prinzip der Subsidiarität Möglichkeit der Behinderung nationaler Konjunktur - und Stabilitätspolitik Doppelbesteuerung möglich Potenziell ungleiche Behandlung der Steuersubjekte Mögliche Effektivitätseinbußen durch mangelnde Kooperation unter den Behörden Hohe Befolgungskosten (Steuerpflichtiger muss sich mit mehreren unterschiedlichen Verfahren , Gesetzen und Formularen auseinandersetzen ) Möglichkeit des Missbrauchs der Steuerpolitik zur Standortpolitik 3 Ders., S. 102. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 024/10 Seite 6 Die OECD hat in einer Studie4 die administrativen Kosten von Steuerverwaltungen untersucht. U. a. hat sie die Lohnkosten in Relation zu den gesamten Verwaltungskosten gesetzt. Für die im Folgenden dargestellten Steuerverwaltungen ergeben sich dabei folgende Quotienten: Frankreich 81,1 %, Dänemark 66,8 %, England 59,5 % und Deutschland 85,3 %. 4. Beispiele für zentralisierte und dezentralisierte Steuerverwaltungen 4.1. Frankreich In Frankreich wird die ohnehin schon zentralisierte Steuerverwaltung weiter konzentriert.5 Bisher gab es drei Generaldirektionen, eine für die Erhebung des Zolls, der Verbrauchsteuern und der Einfuhrumsatzsteuer, eine für die Gesetzgebung, Veranlagung und Prüfung aller Steuern sowie für die Erhebung der Körperschaftsteuer und der Umsatzsteuer und eine dritte für die Haushalte der Gebietskörperschaften und des Staates sowie der Erhebung der Einkommensteuer. Die letzten beiden Generaldirektionen werden im Zeitraum 2008 bis 2012 zur Generaldirektion der öffentlichen Finanzen (Direction générale des finances publiques - DGFiP) fusioniert. Der Bereich Steuern wird unterteilt in eine Unterabteilung Prüfung, eine Veranlagungsabteilung und eine Rechtsbehelfsabteilung. Auch die Verwaltung in den Départements folgt der Zentralisierungen. In jedem Département wird eine einheitliche lokale Direktion mit einem Generalverwalter der öffentlichen Finanzen geschaffen. Die Unternehmen erhalten mit einer Stelle für Unternehmensteuer und für Großunternehmen einen Ansprechpartner. Für natürliche Personen werden Steuerschalter eingerichtet. In den Städten heißen sie "Steuerstelle" für natürliche Personen, in den ländlichen Gebieten, in denen es vorher keine Anlaufstelle gab, "Steuerempfängestelle". Das neue System soll u. a. dazu beitragen, die Beitreibung der Steuern zu verbessern und eine höhere Effizienz bei der Betrugsbekämpfung zu erzielen. Die Fusion bedeutet eine Harmonisierung der Statuten und der Personalverwaltung. Immobilien und EDV werden zusammengelegt. Die mit der Zusammenlegung verbundenen sozialen Härten werden mit einem Sozialplan abgefedert. 4.2. Dänemark In Dänemark gab es bis 2005 eine staatliche Steuerverwaltung und kommunale Steuerbehörden. Sie haben sich zu einer übergreifenden Behörde (SKAT) zusammengeschlossen, die dem Finanzministerium unterstellt ist. Zum 1. Januar 2009 fand eine Restrukturierung statt. Die SKAT betrachtet sich selbst als Konzern und ist wie ein Privatunternehmen strukturiert. So erstellt sie 4 Vgl. OECD: Tax Administration in OECD an selected Non-OECD Countries: Comparative Information Series (2006), S. 107. 5 Vizet, Olivier; Hermant, Luc: Die DGFiP, die neue französische Finanzverwaltung, in: http://www.botschaftfrankreich .de/IMG/pdf_Steuerinfo_DE_DGFiPdec08.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 024/10 Seite 7 Leitbilder, hat eine landesweit einheitliche Software für die Innenverwaltung und misst die Kundenzufriedenheit . Die SKAT ist für die Einziehung fast aller dänischen Steuern und Abgaben zuständig, auch für die Bemessung der Realsteuern und der Kraftfahrzeugsteuer. Wichtigstes Hilfsmittel dabei ist das Bestehen eines Bürger- und eines Unternehmensregisters, mit denen Steuerpflichtige schnell identifiziert werden können. Die SKAT besteht aus der Zentrale, 30 Steuerzentren sowie Büros, die über das Land verteilt sind. Die Steuerbehörde gibt wegen der Transparenz für die Steuerpflichtigen in jedem Jahr einen Einsatzplan bekannt, in dem festgelegt wird, welche Schwerpunkthemen bei den Prüfungen der Steuererklärungen gewählt werden. In 2009 war ein Schwerpunktthema u. a. die Besteuerung von Aktien und Investmentzertifikaten.6 4.3. England Auch in England fand 2005 eine Neustrukturierung der Finanzverwaltung statt, die bis heute fortgesetzt wird. Die Behörde für Inlandseinkommen und diejenige für Zölle und Verbrauchsteuern haben sich zur HM Revenue & Customs (HMRC)7 zusammengeschlossen. Die Behörde ist für die Verwaltung und Einziehung der direkten Steuern einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge und der indirekten Steuern zuständig. Sie zahlt und verwaltet das Kindergeld und die Kinderhilfe sowie Steuergutschriften. Außerdem unterstützt sie Steuerpflichtige bei der Entrichtung von Umweltsteuern, überwacht die Durchsetzung nationaler Mindestlöhne und treibt Studenten- Darlehen ein. Die HMRC untersteht keinem Ministerium. Die Königin ernennt Kommissionsmitglieder , die sich unparteiisch um individuelle Angelegenheiten von Steuerpflichtigen kümmern. Die HMRC wird von einem Vorsitzenden mit einem Direktorium und einem Generaldirektor mit einem Leitungsgremium geleitet. Vorsitzender und Direktorium sind für die effiziente Steuerung der Behörde zuständig, der Generaldirektor und das Leitungsgremium führen das operative Geschäft . Das Leitungsgremium hat mehrere Unterausschüsse, darunter auch einen Steuerausschuss . 6 Vgl. SKAT in: http://www.skat.dk/SKAT.aspx?oId=1841995&vId=0; MATERNA Information & Communications : SKAT Schnelles und kostengünstiges Fall-Management kombiniert Remedy und Intranet, in: http://www.materna.de/cae/servlet/contentblob/15242/publicationFile/552/SKAT%2002.pdf; Eriksen, Lars: SKAT - ein Spiel mit offenen Karten in Dänemark, in: http://www.danrevision.com/fileadmin/user_upload/PDF/WNO/WNO_Flensburg_0609.pdf. 7 http://www.hmrc.gov.uk/menus/aboutmenu.htm. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 024/10 Seite 8 4.4. Deutschland Ursprünglich hatte sich der Parlamentarische Rat für eine Bundesfinanzverwaltung ausgesprochen , die Militärgouverneure haben sich dem jedoch widersetzt.8 Deutschland erhielt einen "zweigleisigen dreistufigen Verwaltungsaufbau"9. Art. 108 GG Abs. 1 regelt, dass Zölle, Finanzmonopole, die bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer, die Kraftfahrzeugsteuer und sonstige auf motorisierte Verkehrsmittel bezogene Verkehrsteuern sowie die Abgaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften von Bundesfinanzbehörden verwaltet werden. Bundesfinanzbehörden sind nach § 1 des Gesetzes über die Finanzverwaltung (Finanzverwaltungsgesetz - FVG)10: - Als oberste Behörde das Bundesministerium der Finanzen, zuständig für die Leitung der Bundesfinanzverwaltung (§ 3 FVG). - Als Oberbehörden die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, das Bundesausgleichsamt, das Bundeszentralamt für Steuern und das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen . Die Aufgaben des Bundeszentralamtes für Steuern sind abschließend in 36 Nummern des § 5 Abs. 1 FVG geregelt. Dazu gehören u. a. die Fachaufsicht über die Durchführung des Familienleistungsausgleichs , die Fachaufsicht über die Gewährung der Altersvorsorgezulage und die Erstattung, Vergütung und Freistellung von Kapitalertragsteuer, Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer .11 Außerdem ist es zur Mitwirkung von Außenprüfungen berechtigt, die durch die Landesfinanzbehörden durchgeführt werden (§ 19 FVG). - Als Mittelbehörden, soweit eingerichtet12, die Bundesfinanzdirektionen und das Zollkriminalamt . Die Bundesfinanzdirektionen sind für die Leitung der Finanzverwaltung des Bundes im Bundesfinanzbezirk zuständig (§ 8 FVG). - Als örtliche Behörden die Hauptzollämter einschließlich ihre Dienststellen (Zollämter) und die Zollfahndungsämter. Hauptzollämter übernehmen die Verwaltung der Zölle, der Abgaben der Europäischen Gemeinschaften, und der bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern (einschließlich Einfuhrumsatz-, Strom- und Biersteuer). Außerdem obliegt ihnen die zollamtliche Überwachung des Warenverkehrs über die Grenze (§ 12 FVG). 8 Vgl. Brockmeyer, Bernhard, in: Schmidt-Bleibtreu, Bruno; Klein, Franz; Hofmann, Hans; Hopfauf, Axel: GG Kommentar zum Grundgesetz, Köln 2008, S. 2262. 9 Seer, Roman, in: Tipke, Klaus: Steuerrecht, Köln 2010. S. 957. 10 Siehe dazu auch ders., S. 960. 11 Siehe auch: http://www.bzst.bund.de/003_menue_links/001_ueberuns/101_Faltblatt_Aufgaben.pdf. 12 Auf die Einrichtung kann nach § 2a FVG verzichtet werden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 024/10 Seite 9 Nach Art. 108 Abs. 2 GG werden die übrigen Steuern durch die Landesfinanzbehörden verwaltet. Abs. 3 besagt, dass die Länder im Auftrag des Bundes tätig werden, wenn sie Steuern verwalten, die ganz oder zum Teil dem Bund zufließen. In Deutschland sind dies die Einkommen-, Körperschaft - und Umsatzsteuer. In diesen Fällen hat der Bund ein Weisungsrecht (Art. 85 GG), das allerdings nur Einzelanweisungen in konkreten Fällen, aber keine allgemeinen Weisungen umfasst .13 Die Landessteuerverwaltung gliedert sich nach § 2 FVG wie folgt14: - Als oberste Behörde die für die Finanzverwaltung zuständige oberste Landesbehörde, verantwortlich für die Leitung der Landesverwaltung. - Oberbehörden, soweit sie nach diesem Gesetz oder nach Landesrecht als Landesfinanzbehörden eingerichtet sind. - Als Mittelbehörden, soweit eingerichtet15, die Oberfinanzdirektionen; anstelle der Oberfinanzdirektionen können Oberbehörden treten. Die Oberfinanzdirektionen sind für die Leitung der Landesfinanzverwaltung im Oberfinanzbezirk zuständig (§8a FVG). - Als örtliche Behörden die Finanzämter. Sie verwalten die Steuern, die nicht vom Bund oder von den Gemeinden verwaltet werden, also die Besitz- und Verkehrsteuern. Ausgenommen ist demnach die Festsetzung der Realsteuern (§ 17 FVG). 5. In 2007 für Deutschland diskutierte Änderungsvorschläge 5.1. Haltung des Bundesministeriums der Finanzen Das Bundesministerium der Finanzen hat sich bereits vor 2007 für eine Übertragung des Vollzugs der Gemeinschaftsteuern auf den Bund ausgesprochen.16 Die bestehenden Effizienzmängel sind auf die von der föderalen Struktur geprägte Steuerverwaltung zurückzuführen. Durch den von den Ländern festgelegten Einsatz des Personals, der technischen Ausstattung, der Prüfungsfrequenz und -schwerpunkte komme es zu Vollzugsunterschieden. Das Ministerium sieht die Gefahr , dass die Länder mangels eigener finanzieller Interessen den Vollzug der Steuergesetze vernachlässigen . Die unterschiedliche IT-Ausstattung verhindert einen effektiven Informationsaus- 13 Vgl. Seer, Roman, a. a. O. S. 958. 14 Siehe dazu auch ders. S. 960. 15 Auf die Einrichtung kann nach § 2a FVG verzichtet werden. 16 Vgl. "Bundesverantwortung für den Steuervollzug", Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion DIE LINKE., Bundestagsdrucksache 16/4302 und zitiert in: Engels, Dieter: Modernisierung der Verwaltungsbeziehungen von Bund und Ländern, Gutachten des Präsidenten des Bundesrechnungshofes als Bundesbeauftragter für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, Kommissionsdrucksache 055, www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse/gremien/foederalisreform/kommissionsdrucksachen/kdrs055.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 024/10 Seite 10 tausch und leistet dem Umsatzsteuerbetrug Vorschub. Eine flexible und konsequente Verhandlungsführung Deutschlands mit der Europäischen Union wird erschwert. 5.2. Kienbaum-Studie im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen Das Bundesministerium der Finanzen hat das Consultingunternehmen Kienbaum damit beauftragt , "eine realistische Abschätzung des Potentials möglicher Mehreinnahmen und Minderausgaben im Falle einer Bundessteuerverwaltung bzw. einer verbesserten Kooperation, Koordination und Organisation der Länderverwaltungen vorzunehmen und die "föderalismusbedingten" Effizienznachteile (Mindereinnahmen und Mehrausgaben) zu quantifizieren."17 Die Gutachter betonen , dass es sich bei der Quantifizierung von Effizienzpotentialen um qualifizierte Schätzungen und nicht um exakte Berechnungen handelt. In der Studie werden vier Modelle untersucht: Modell 1: Optimiertes Ländermodell Es bleibt beim Steuervollzug durch die Länder mit Bundesauftragsverwaltung, es findet jedoch eine verstärkte Kooperation der Länder und eine verstärkte Koordination durch den Bund statt. Für Bürger und Mitarbeiter ergeben sich keine gravierenden Änderungen. Die Regelungen könnten ohne Änderung von Art. 108 GG einfachgesetzlich eingeführt werden. Modell 2: Bund-Länder-Modell Es bleibt ebenfalls beim Steuervollzug durch die Länder mit Bundesauftragsverwaltung. Der Bund erhält jedoch allgemeine Weisungsrechte ohne Einspruchsrecht der Länder, das Recht zur Groß- und Konzernbetriebsprüfung, das Recht zur Einrichtung von Rechenzentren sowie das Recht zur Aus- und Fortbildung. Groß- und Konzernbetriebe erhalten bundeseinheitliche Ansprechpartner . Positiv für Mitarbeiter ist der Wechsel zum Bund als Dienstherrn, negativ eine eventuelle Verlagerung des Einsatzortes. Auch dieses Modell wäre durch Art. 108 GG gedeckt und bedürfte nur einer Änderung des FVG. Modell 3: Bundessteuerverwaltung - Variante A Der Vollzug der Gemeinschaftssteuern verlagert sich im Rahmen einer Eigenverwaltung auf den Bund, die Länder vollziehen die Landessteuern. Die Bundessteuerverwaltung gliedert sich in die oberste Behörde mit dem Bundesfinanzministerium, mittlere Behörden mit Finanzdirektionen und in untere Behörden mit Finanzämtern. Die Bürger erhalten zwei verschiedene Ansprechpartner , für die Mitarbeiter ergeben sich neben erheblicher Umorganisation dieselben Probleme 17 Kienbaum Management Consultants GmbH in Zusammenarbeit mit der Ruhr-Universität Bochum: Abschlussbericht "Quantifizierung der im Falle einer Bundessteuerverwaltung bzw. einer verbesserten Kooperation, Koordination und Organisation der Länderverwaltungen zu erwartenden Effizienzgewinne" Kurzfassung, Berlin 2006, S. 3, in: Kommission a. a. O., Kommissionsdrucksache 009a, www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse/gremien/foederalisreform/kommissionsdrucksachen/kdrs009a.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 024/10 Seite 11 wie bei Modell 2. Für dieses Modell müsste Art. 108 GG neu konzipiert und das FVG angepasst werden. Modell 4: Bundessteuerverwaltung - Variante B Der Bund erhält die Kompetenz zum Einzug sowohl der Gemeinschaftsteuern als auch der bundesgesetzlich geregelten Landessteuern. Es wird wie bei Variante A ein dreistufiger Aufbau der Steuerverwaltung gewählt. Positiv für die Bürger ist ein einheitlicher Ansprechpartner für alle Steuern, für die Mitarbeiter ändern sich Organisation und Dienstherr, es kann zu Verlagerungen der Arbeitsorte kommen. Auch hier bedürfte es einer Neukonzipierung von Art. 108 GG. In der Tabelle sind die jährlichen kassenmäßigen Effekte und die föderalismusbedingten Effizienznachteile dargestellt. Diese ergeben sich aus der Differenz der Mehreinnahmen von Modell 1 gegenüber Modell 4 (alles in Millionen Euro): Jahr Modell 1 Modell 2 Modell 3 Modell 4 föderalismusbedingte Effizienznachteile 2007 62 42 95 73 11 2008 1.357 1.913 2.735 2.731 1.374 2009 2.374 3.378 4.986 5.000 2.626 2010 3.476 4.942 7.137 7.169 3.694 2011 4.684 6.706 9.488 9.538 4.854 2012 5.537 7.975 11.343 11.411 5.874 2013 5.821 8.392 11.380 11.467 5.645 2014 5.821 8.410 11.406 11.505 5.684 2015 5.821 8.438 11.434 11.533 5.721 2016 5.821 8.439 11.435 11.533 5.721 Es zeigt sich, dass Modell 4 die höchsten Mehreinnahmen erbringt und die föderalismusbedingten Nachteile am besten ausgleicht. Kienbaum favorisiert deshalb trotz der umfangreichen (grund-)gesetzlichen Maßnahmen und der eventuell negativen Auswirkungen auf die Mitarbeiter dieses Modell. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 024/10 Seite 12 5.3. Bundesrechnungshof Der Bundesrechnungshof18 schließt sich den Bedenken des Bundesministeriums der Finanzen an und kritisiert die bisherige Aufteilung der Steuerverwaltung, die zu einer Verflechtung der staatlichen Ebenen führt. Er führt insbesondere folgende Nachteile weiter aus: - Die Länder ziehen im Rahmen der Auftragsverwaltung die gesamten Gemeinschaftsteuern ein, erhalten daran jedoch nur einen Anteil für ihren Haushalt. Außerdem tragen sie die gesamten Kosten für den organisatorischen und personellen Aufbau. Die einzelnen Länder streben auch danach, die landeseigene Wirtschaft mit Hilfe der Besteuerung zu fördern. Aus diesen Gründen fehlt ihnen ein Eigeninteresse, die Steuern vollständig und rechtzeitig zu erheben bzw. notwendiges Personal einzustellen. - In den Länderverwaltungen werden die Steuergesetze nicht gleich angewendet, somit ist keine Steuergerechtigkeit gegeben. - Der Aufwand für die notwendige Kooperation zwischen Bund und Ländern ist unwirtschaftlich und verhindert eine effektive Steuerverwaltung. Der Bund kann sich nicht immer mit seiner Rechtsauffassung zu bundesgesetzlichen Steuervorschriften durchsetzen, die Länder halten sich nicht in allen Fällen an den Konsens. Darüber hinaus sei das Demokratieprinzip verletzt , weil wichtige Auslegungsentscheidungen keiner staatlichen Ebene klar zugeordnet werden können. - Die unterschiedlichen Landesverwaltungen verhindern die Einführung moderner und einheitlicher IT-Systeme. Einige Länder hätten eigene Systeme zur Herausfilterung prüfungswürdiger Veranlagungsfälle entwickelt. Der Aufbau des bundeseinheitlichen Datensystems FISCUS ist gescheitert. - Die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union insbesondere bei der Bekämpfung innergemeinschaftlicher Umsatzsteuerbetrügereien wird durch die Zuständigkeit der Länder, die nicht über das nötige Know-how verfügen, behindert. Der Bundesrechnungshof kommt zu dem Schluss, eine Änderung des Grundgesetzes vorzunehmen und eine Bundessteuerverwaltung einzurichten, die die Gemeinschaft- und Bundessteuer vollzieht. Die Länder sollten wegen des Subsidiaritätsprinzips die Landessteuern selbst erheben. Er verweist auf die Kienbaum-Studie, die für diese Aufteilung ähnlich hohe Mehreinnahmen wie bei einer reinen Bundessteuerverwaltung berechnet hat. Neben der Effizienzrendite könnten die Steuern in ganz Deutschland vollständig, nach gleichen Maßstäben und ohne regionale Einflüsse erhoben werden. Die Nachteile, die für den Bürger durch die Zuständigkeiten zweier Verwaltungen entstehen, sollen durch verwaltungspraktische Maßnahmen reduziert werden. 18 Engels, Dieter: a. a. O. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 024/10 Seite 13 Sollte die Einrichtung einer Bundessteuerverwaltung nicht durchsetzbar sein, spricht sich der Bundesrechnungshof für ein Weisungsrecht des Bundes ohne Einspruchsrecht der Länder aus. Diese Regelung sollte aber ebenfalls in Art. 108 GG festgeschrieben sein. 5.4. Stellungnahme der Länder Die Mehrheit der Länder sieht die größten Hindernisse für eine effiziente Steuerverwaltung in der Komplexität des Steuerrechts und der Häufigkeit der Änderungen. Sie weisen die Einführung einer Bundessteuerverwaltung u. a. mit folgenden Argumenten zurück:19 - Die von Kienbaum erwarteten Effizienzgewinne sind nicht nachvollziehbar und nicht belegbar . - Der Vollzug der Gemeinschaftsteuern soll in der Hand der Länder bleiben, weil nur die Länderverwaltungen schnell und flexibel auf örtliche Besonderheiten reagieren könnten. Die Landesverwaltungen müssten allerdings optimiert werden.20 - Die Besteuerung eines Bürgers müsse in einer Hand liegen. - Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes sind bereits jetzt gegeben. Weitere Einwirkungsmöglichkeiten störten das föderale Gleichgewicht und führten zu weiteren Verflechtungen. - Auch eine Bundessteuerverwaltung garantiert nicht, dass in allen Ländern gleiche Ergebnisse erzielt werden. Vielmehr müssen die unterschiedlichen Voraussetzungen der Länder in den Bereichen Wirtschaftskraft und Unternehmensstruktur berücksichtigt werden. - Das Bundesministerium der Finanzen unterschätzt den Aufwand bei einer Umstellung der Konzernbetriebsprüfung auf den Bund. Nur wenige Länder verfügten über die entsprechenden Einrichtungen. - Im Bereich des Risikomanagements, Controllings und IT-Einsatzes arbeiten die Länder untereinander und mit dem Bund eng und erfolgreich zusammen. Die Systeme müssen aber an den örtlichen Besonderheiten ausgerichtet sein. Die neue länderübergreifende Datenabfrage ist eine wesentliche Grundlage zur Bekämpfung des Steuerbetrugs. Außerdem soll das Projekt Koordinierte Neue Software-Entwicklung der Steuerverwaltung - KONSENS beschleunigt werden . 19 Positionspapier von Nordrhein-Westfalen und Bayern zur Steigerung der Effizienz in der Steuerverwaltung, in: Kommission, a. a. O., Kommissionsdrucksache 121, www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse/gremien/foederalisreform/kommissionsdrucksachen/kdrs121.pdf 20 Vgl. o. V.: Länder lehnen zentrale Steuerverwaltung ab, in: Handelsblatt 7. Dezember 2007, http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/laender-lehnen-zentrale-steuerverwaltung-ab;1363355 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 – 3000 - 024/10 Seite 14 6. Vorgenommene Änderungen des FVG Art. 108 wurde von der Föderalismuskommission nicht geändert, mit dem Begleitgesetz zur zweiten Föderalismusreform vom 10. August 200921 hat man sich nur auf wenige Änderungen des FVG verständigt. Dazu gehören u. a.: Das Bundeszentralamt für Steuern erhält die Berechtigung zur Veranlagung beschränkt Steuerpflichtiger, die Verwaltungskompetenz für die Versicherungsteuer und Feuerschutzsteuer und das Recht, bei der Prüfung sog. Einkommensmillionäre22 mitzuwirken. "Bund und Länder beabsichtigen, mit der Änderung des FVG die bereits bestehende Bund-Länder-Arbeitsteilung im Bereich der Betriebsprüfung zu vertiefen und Kommunikationsstrukturen mit Hilfe eindeutiger Zuständigkeitsregelungen effizient zu organisieren."23 § 21a FVG wurde neu gefasst. Nach Abs. 2 können nunmehr die obersten Landesbehörden mit dem Bundesministerium der Finanzen bilateral operationale Vollzugsziele für die Steuerverwaltung vereinbaren. Grundlage ist ein Rahmenkatalog maßgeblicher Leistungskennzahlen. Die Zustimmung zu diesem Katalog gilt als erteilt, wenn eine Mehrheit der Länder nicht widerspricht. 7. Zusammenfassung Zahlreiche Argumente sprechen für bzw. gegen eine zentralisierte oder dezentralisierte Steuerverwaltung . Es zeigt sich, dass in Ländern mit ohnehin zentralisierter Steuerverwaltung ein Trend zur weiteren Fokussierung besteht. Begründet wird die mit einer Steigerung der Effizienz der Steuereintreibung und Verwaltung und der Transparenz für den Bürger. In Deutschland wurden in der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder- Finanzbeziehungen im Jahr 2007 Modelle zu mehr Zentralisierung diskutiert. Sie umfassten mit Hinweis auf Kostenersparnis die fast vollständige Verlagerung der Aufgaben auf eine Bundessteuerverwaltung und - mit Hinweis auf die Subsidiarität - die Übertragung des Vollzugs nur der Gemeinschaftsteuern auf den Bund. Keines der Modelle konnte sich am Schluss durchsetzen. 21 BGBl. Teil 1, Nr. 53, S. 2702. 22 Summe der positiven Einkünfte über 500.000 Euro im Kalenderjahr. 23 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Entwurf eines Begleitgesetzes zur zweiten Föderalismusreform , Bundestags-Drucksache 16/12400.