© 2021 Deutscher Bundestag WD 4 - 3000 - 023/21 Übergewinnsteuer – historische Hintergründe, aktuelle Diskussion und rechtliche Fragen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 2 Übergewinnsteuer – historische Hintergründe, aktuelle Diskussion und rechtliche Fragen Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 023/21 Abschluss der Arbeit: 31. März 2021 Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Historische Beispiele für Übergewinnsteuern 4 2.1. USA 4 2.2. Großbritannien 5 2.3. Frankreich 6 2.4. Zusammenfassung zu historischen Übergewinnsteuern 7 3. Aktuelle Diskussion über Übergewinnsteuern 8 3.1. Einführung auf internationaler Ebene 8 3.2. Einführung auf nationaler Ebene 9 3.2.1. USA 9 3.2.2. Großbritannien 10 3.2.3. Weitere Staaten 11 4. Berechnungsmöglichkeiten des Übergewinns 12 4.1. Zwei Methoden zur Berechnung des Übergewinns 12 4.2. Schwierigkeiten und Abmilderungen der beiden Varianten 13 4.3. Kritik an der Umsetzung der beiden Varianten 15 5. Grundtatbestand einer Übergewinnsteuer 15 5.1. Ziel der Steuer 15 5.2. Steuersubjekt 16 5.3. Steuerobjekt 16 5.4. Steuertarif 16 5.5. Erhebungszeitraum 16 6. Verfassungsrechtliche Fragen einer Übergewinnsteuer 17 6.1. Einordnung in die Finanzverfassung und Kompetenzgrundlage 17 6.1.1. Gesetzgebungskompetenz für die Einkommen- und Körperschaftsteuer 17 6.1.2. Gesetzgebungskompetenz für die Ergänzungsabgabe 19 6.2. Verfassungsrechtliche Vorgaben für eine Übergewinnsteuer 21 6.2.1. Rückwirkungsverbot 21 6.2.2. Verbot der Erdrosselungssteuer 23 6.2.3. Gleichmäßigkeit der Besteuerung 24 6.2.3.1. Vorgaben des allgemeinen Gleichheitssatzes 24 6.2.3.2. Weite Vorgaben für die Tarifgestaltung 25 6.2.3.3. Unterschiedliche Belastung gleicher Einkommen rechtfertigungsbedürftig 26 6.2.3.3.1. Bestehende Ausnahmen von der Gleichbelastung der Einkommen 27 6.2.3.3.2. Fazit zum Gleichbehandlungsgebot 27 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 4 1. Fragestellung Angesichts des durch die Corona-Pandemie verursachten staatlichen Finanzbedarfs einerseits und ihrer sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Branchen und Unternehmen andererseits wird in verschiedenen Ländern über eine sog. Übergewinnsteuer (Excess Profits Tax) diskutiert. Damit könnten die „Gewinner“ der Krise, die in den Jahren der Pandemie hohe Umsätze und Gewinne verzeichnen, zur Finanzierung der öffentlichen Kosten der Corona-Pandemie stärker herangezogen werden. Die Übergewinnsteuer wird beschrieben als eine „Steuer auf den Mehrbetrag gegenüber dem Gewinn einer vorangegangenen Basisperiode, z.B. die Excess Profits Tax während des Ersten und Zweiten Weltkriegs in Großbritannien und USA“.1 Eine Übergewinnsteuer belastet den über einen „Normalgewinn“ oder eine „Normalrendite“ hinausgehenden Gewinn; was als „Normal“- und was als „Über“-Gewinn gelten soll, kann verschieden berechnet werden.2 Vor diesem Hintergrund wird gefragt nach der Zielsetzung und Funktionsweise der Excess Profits Tax während der beiden Weltkriege in den USA sowie in Großbritannien und Frankreich (dazu nachfolgend 2.), nach dem Stand der internationalen Debatte um die Einführung einer Übergewinnsteuer (dazu nachfolgend 3.), nach unterschiedlichen Formen der Berechnung des Übergewinns (dazu nachfolgend 4.) sowie nach der Möglichkeit der Einführung einer Übergewinnsteuer in Deutschland unter Berücksichtigung insbesondere der verfassungsrechtlichen und steuerlichen Aspekte (dazu nachfolgend 5. und 6.). 2. Historische Beispiele für Übergewinnsteuern Die Idee einer Übergewinnsteuer ist, seitdem es moderne Formen der Einkommensteuer gibt, vor allem in Kriegszeiten erwogen und umgesetzt worden. Anlass dafür waren zum einen der gestiegene öffentliche Finanzbedarf, zum anderen die stark gestiegenen Umsätze und Gewinne bestimmter Branchen, die vom Krieg wirtschaftlich profitierten. 2.1. USA In den Vereinigten Staaten wurde die erste Excess Profits Tax im Laufe des Jahres 1917 mit Wirkung ab 1917 eingeführt.3 Sie erfasste zunächst alle Steuerpflichtigen mit Einkünften aus Gewerbebetrieb , seit 1918 allerdings nur noch Körperschaften. Der Steuersatz war progressiv ausgestaltet und betrug zwischen 20 % und 60 % des definierten Übergewinns. Besteuert wurden dabei 1 So in Gablers Wirtschaftslexikon (https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/uebergewinnsteuer-47797/version -271059). 2 Brümerhoff, Wirtschaftsdienst 1975, S. 298; Dunnagen, Wars, taxes, and excess profits (https://www.taxwatchuk .org/excess_profits/). 3 Die folgenden Angaben zur Excess Profits Tax in den USA anlässlich des Ersten Weltkriegs sind entnommen aus Holmes, The excess profits tax of 1917: Part I, The Bulletin of the National Tax Association Vol. 4, No. 1 (October, 1918), S. 7; Brownlee, Federal taxation in America, 1996, S. 51 (dort auch zur Einordnung in die Steuerpolitik der Regierung Wilson); Brandes, Warhogs: A history of war profits in America, 1997, S. 242 f.; Hodge, The history of excess profits taxes (https://taxfoundation.org/excess-profits-tax-pandemic-profits-tax/). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 5 solche Gewinne, die im Erhebungsjahr über der „normalen“ Rendite lagen. Dazu wurde vom tatsächlichen Nettoeinkommen ein Betrag von 7 % bis 9 % des investierten Kapitals als „normale“ Rendite abgezogen; abgezogen wurde außerdem ein Freibetrag von 3.000 Dollar für Körperschaften und 6.000 Dollar für Personengesellschaften und natürliche Personen. Ab 1918 wurde eine alternative Berechnung des Übergewinns zugelassen, die auf einem Vergleich zu den Nettoeinkommen der Vorkriegsjahre 1911 bis 1913 basierte; der Steuersatz betrug nun 80 %. Zur Berechnung des Übergewinns siehe ausführlich unter 4. Von 1919 bis 1921 wurde die Steuer zu geringeren Steuersätzen weiterhin erhoben. 1921 wurde die Excess Profits Tax schließlich abgeschafft. Anlässlich des Zweiten Weltkriegs wurde von 1940 bis 1945 ebenfalls eine Excess Profits Tax erhoben .4 Diese Steuer erfasste sowohl Körperschaften als auch Einzelunternehmer als Steuerpflichtige . Die Steuersätze wurden progressiv ausgestaltet und betrugen 1940 zunächst bis zu 50 % und 1941 35 % bis 60 %. Ab 1942 wurde der Steuersatz auf einheitlich 90 % und 1943 nochmals auf 95 % erhöht. Zur Ermittlung des Übergewinns wurden vom Nettoeinkommen des Erhebungsjahres zwischen 5 % und 8 % des investierten Kapitals als akzeptierte Rendite abgezogen , wobei der Prozentsatz mit zunehmendem Volumen des Kapitals sank.5 Optional konnte der Abzugsbetrag nach der average earnings method berechnet werden, wenn die Steuer dadurch geringer ausfiel. Zur Berechnung des Übergewinns nach den beiden Methoden siehe ausführlich unter 4. Im Jahre 1945 wurde die Excess Profits Tax mit Wirkung zum 1.1.1946 aufgehoben. 2.2. Großbritannien Großbritannien erhob 1915 erstmals eine Excess Profits Tax, wobei der Steuersatz 50 % betrug.6 Steuerpflichtig waren alle Handels- und Gewerbeunternehmen. 1916 wurde der Steuersatz sodann auf 60 % und 1917 auf 80 % Prozent angehoben. Die Erhebung der Excess Profits Tax endete im Jahr 1921.7 Der steuerpflichtige Gewinn wurde wie folgt ermittelt: Der in der Steuerperiode tatsächlich erzielte Gewinn zu Kriegszeiten wurde zu dem erzielten Gewinn in Friedenszeiten in Vergleich gesetzt. Die Differenz ergab den steuerpflichtigen Mehrgewinn und bildete – abzüglich eines Freibetrags von 200 Pfund – die Bemessungsgrundlage. Als Friedensgewinn wurde der durchschnittliche Gewinn des Unternehmens aus zwei Friedensjahren angesehen, hierbei konnte der Steuerpflichtige aus den letzten drei Friedensgeschäftsjahren zwei Geschäftsjahre auswählen (Friedensgrundgewinn). Alternativ (als Mindestgewinn) wurde der Friedensgewinn prozentual berechnet, als Verzinsung des investierten Kapitals am Ende des letzten Friedensjahres, mit 6 % bei Körperschaften und 7 % bei anderen Unternehmen. Dieser Mechanismus schützte 4 Die folgenden Angaben zur Excess Profits Tax in den USA anlässlich des Zweiten Weltkriegs sind entnommen aus Brandes, Warhogs: A history of war profits in America, 1997, S. 238 ff.; Brownlee, Federal taxation in America , 1996, S. 90 ff. 5 Als Benachteiligung großer Unternehmen kritisiert von Douglas, Excess profits taxation and the taxpayer, S. 140, 146 (https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=2180&context=lcp). 6 Die folgenden Angaben zur Excess Profits Tax in Großbritannien anlässlich des Ersten Weltkriegs sind entnommen aus Prion, Steuer- und Anleihepolitik in England während des Krieges, 1918, S. 20, 85 f. 7 Dunnagen, Wars, taxes, and excess profits (https://www.taxwatchuk.org/excess_profits/). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 6 Unternehmen, die vor dem Krieg keine (hohen) Friedensgewinne erzielt haben, vor einer überhöhten Steuer, die ansonsten das gesamte Nettoeinkommen des Erhebungsjahres hätte erfassen können.8 Anfang 1939 führte Großbritannien erneut eine Excess Profits Tax mit einem Steuersatz von 60 % ein. Diese war zunächst auf die Rüstungsindustrie beschränkt; ab Herbst 1939 wurde die Steuer in allen Branchen erhoben.9 2.3. Frankreich Frankreich beschloss mit Gesetz vom 1.7.1916, eine Kriegsgewinnsteuer mit Rückwirkung für den Zeitraum vom 1.8.1914 bis zum 31.12.1915 einzuführen.10 Die Kriegsgewinnsteuer sollte alle außergewöhnlichen Gewinne erfassen, die in der Zeit vom 1.8.1914 bis zum Ende des Krieges erzielt werden. Steuerbarer Kriegsgewinn war der Gewinn des Steuerzeitraums abzüglich des Normalgewinns . Der Normalgewinn bestimmte sich nach dem Durchschnittsgewinn der drei letzten Geschäftsjahre vor dem 1.8.1914. War dieser Durchschnittswert nicht zu berechnen, betrug der Normalgewinn 5.000 Francs oder 6 % des im Unternehmen investierten Kapitals. Abzugsfähig vom Reingewinn waren außerdem „außerordentliche Abschreibungen“ für (im Wesentlichen kriegsbedingte) außergewöhnliche Materialentwertungen, eine Regel, die im Folgenden für Auslegungsschwierigkeiten und Steuervermeidungspotential sorgte. Zudem galt ein Freibetrag von 5.000 Francs. Die Kriegsgewinne wurden mit einem Steuersatz in Höhe von 50 % belegt, ab 1916 60 % für Gewinne über 500.000 Francs. Ab 1917 galt ein erhöhter, gestaffelter Steuersatz. Dieser variierte von 50 % für steuerbare Gewinne von bis zu 100.000 Francs über 60 % (bis zu 150.000 Francs) über 70 % (bis zu 500.000 Francs) bis zu 80 % für steuerbare Gewinne über 500.000 Francs. Steuersubjekt waren sowohl Gesellschaften und Personen, die der Gewerbesteuer unterlagen . Das Gesetz erweiterte die Steuerpflicht auf Personen, die nicht gewerbesteuerpflichtig waren , wenn diese direkt oder als Subunternehmer Verträge über Lieferungen an den Staat abgeschlossen hatten oder dabei als Vermittler gegen Provision mitgewirkt hatten, und zwar auch, wenn diese Geschäfte außerhalb ihrer üblichen Geschäfts- oder Berufstätigkeit lagen. Ab 1939 erhob Frankreich erneut eine Übergewinnsteuer. Zunächst waren nur Unternehmen der Rüstungsindustrie steuerpflichtig, fünf Monate später wurde die Steuerpflicht auf alle Unternehmen erweitert.11 Im Jahr 1945 wurde außerdem eine „nationale Solidaritätssteuer“ als einmalige 8 Eine ähnliche Mindestgewinnregelung enthielt zum Beispiel auch die Kriegsgewinnsteuer der Schweiz, dazu Herold, Kriegsgewinnsteuer 1946, S. 16. 9 Douglas, Excess profits taxation and the taxpayer, S. 142 (https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent .cgi?article=2180&context=lcp). 10 Die folgenden Angaben zur Kriegsgewinnsteuer in Frankreich anlässlich des Ersten Weltkriegs sind entnommen aus Respondek, Steuer- und Anleihepolitik in Frankreich während des Krieges, 1918, S. 71 ff. Neben der Kriegsgewinnsteuer erhob Frankreich auch eine Kriegssteuer als Zuschlag zur zu zahlenden Einkommensteuer von bis zu 25 %, die von mobilisierungsfähigen Personen erhoben wurde, die vom Kriegsdienst befreit waren bzw. keinen Dienst leisteten, Respondek, a.a.O., S. 79. 11 Douglas, Excess profits taxation and the taxpayer, S. 142 (https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent .cgi?article=2180&context=lcp). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 7 Progressivsteuer mit sehr hohen Steuersätzen auf Kapital und Gewinne erhoben, die während der Besatzungszeit 1940 bis 1945 erwirtschaftet wurden.12 Neben einer Vermögensabgabe zum Stichtag 4.6.1945 wurden auch Vermögenszuwächse, die zwischen 1940 und 1945 entstanden waren, mit bis zu 100 % Steuer belastet. Ziel dieser Steuer war die Abschöpfung der in der Besatzungsund Kriegszeit entstandenen Gewinne. 2.4. Zusammenfassung zu historischen Übergewinnsteuern Dieser Ausschnitt historischer Erscheinungsformen zeigt, dass die Übergewinnsteuer vor allem in Kriegs- und Nachkriegszeiten erhoben wurde. Mit der Steuer wurden vor allem zwei Ziele verfolgt , nämlich das fiskalpolitische Ziel der Deckung eines außergewöhnlich hohen öffentlichen Finanzbedarfs und das weitere Ziel, Gewinne bestimmter Branchen abzuschöpfen, die entweder aufgrund oder während der Kriege erwirtschaftet wurden und daher als ungerecht empfunden wurden. Dass die Übergewinnsteuer in Kriegszeiten nicht nur darauf abzielte, gerade kriegsbedingte Gewinnsteigerungen (zum Beispiel der Rüstungsindustrie) zu erfassen, sondern sämtliche während des Krieges erzielten Gewinne, zeigt die Diskussion in den USA; hier wurde es als ungerecht empfunden, dass einige Bürger hohe Gewinne erzielen konnten, während andere auf den Schlachtfeldern für den Staat ihr Leben einsetzten.13 Diese Motive mögen auch die zum Teil außergewöhnlich hohen Steuersätze dieser Übergewinnsteuern erklären, die zu einer nahezu vollständigen Besteuerung der Übergewinne führen konnten . Die Steuersätze reichten von 20 % bis zu 95 %. Der Steuertarif war entweder fest oder progressiv ausgestaltet. Allerdings waren aus heutiger Sicht als ungewöhnlich hoch erscheinende Steuersätze in der Geschichte der modernen progressiven Einkommensbesteuerung in der Zeit während und zwischen den Weltkriegen und auch darüber hinaus durchaus verbreitet.14 Hinsichtlich der weiteren Ausgestaltung der Übergewinnsteuern zeigt sich folgendes Bild. Die subjektive Steuerpflicht wurde in ihrer engsten Form auf Unternehmen einer bestimmten Branche , nämlich der Rüstungsindustrie, beschränkt. Überwiegend wurde sie jedoch branchenunabhängig erhoben, zum Teil ausschließlich von Körperschaften, zumeist jedoch von allen Unternehmen mit Einkünften aus Gewerbebetrieb. Branchensteuern zeigen sich historisch als Vorläufer genereller Übergewinnsteuern.15 Als solche Vorläufer können auch Regelungen in den USA angesehen werden, wonach Unternehmen zum Beispiel für die Herstellung und Lieferung eines 12 Dazu Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, 2016, S. 494. 13 Brandes, Warhogs: A history of war profits in America, 1997, S. 242. 14 Zu Höchststeuersätzen der progressiven Einkommensteuern in Frankreich, in den USA und in Großbritannien siehe Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, 2016, S. 671, 679 ff.; Piketty, Kapital und Ideologie, 2020, S. 565 f. 15 Douglas, Excess profits taxation and the taxpayer, S. 142 (https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent .cgi?article=2180&context=lcp) zu Beispielen aus den USA, Großbritannien und Frankreich. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 8 Kriegsschiffes oder Flugzeuges oberhalb einer bestimmten Auftragssumme einen Teil ihres Gewinns aus diesem Geschäft an den Fiskus abführen müssen, zum Beispiel den über 10 % des Kaufpreises hinausgehenden Gewinn.16 Steuerobjekt der Übergewinnsteuern waren die Übergewinne der Unternehmen, jedoch wurden diese auf verschiedene Art und Weise definiert und berechnet (dazu ausführlich 4.). Die Übergewinnsteuern wurden zumeist nur für wenige Jahre erhoben. 3. Aktuelle Diskussion über Übergewinnsteuern 3.1. Einführung auf internationaler Ebene Ausgehend vom BEPS-Projekt der OECD sind im Rahmen des Inclusive Framework zwei sog. Säulen (Pillars) vorgesehen, wobei die erste eine Neuverteilung der Besteuerungsrechte an Einkommen der multinational operierenden Unternehmen unter Einbeziehung sog. Marktstaaten und die zweite die Einführung eines Mindestbesteuerungsniveaus für Unternehmensgewinne beinhaltet .17 Die erste Säule unterscheidet dabei zur Aufteilung des Besteuerungsrechts zwischen dem sog. Routinegewinn und dem sog. Residualgewinn.18 Daran anknüpfend haben Tarcisio Diniz Magalhaes und Allison Christians von der McGill University, Montreal, das Konzept einer Übergewinnsteuer auf OECD-Ebene entwickelt.19 Danach soll als dritte Säule (Pillar 3) eine Sonderbesteuerung der Übergewinne globaler Unternehmen während der Corona-Pandemie etabliert werden. Dabei sollen die in Säule 1 und 2 angelegten Strukturen, insbesondere die Unterscheidung zwischen Routine- und Residualgewinnen, zur Bestimmung des Übergewinns fruchtbar gemacht werden. Die erhobenen Steuermittel sollen nach dem Maßstab der pandemiespezifischen Bedürftigkeit verteilt werden.20 16 Douglas, Excess profits taxation and the taxpayer, S. 142 (https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent .cgi?article=2180&context=lcp); Stimson, Limitation of war profits, 91 U. Pa. L. Rev. 29 (1942), S. 29 ff. zu Gewinnbeschränkungen aufgrund des Vinson-Trammell Act 1934. 17 Siehe Wünnemann, IStR 2021, 73 ff. Zur Entwicklung des Projekts siehe Marquardt, IStR 2020, 292 ff. 18 Bräutigam/Kellermann/Spengel, IStR 2020, S. 281 ff. 19 Christians/Diniz Magalhaes, It’s Time for Pillar 3: A Global Excess Profits Tax for COVID-19 and Beyond, Taxnotes , 1.5.2020 (https://www.taxnotes.com/featured-analysis/its-time-pillar-3-global-excess-profits-tax-covid- 19-and-beyond/2020/05/01/2cg34). Siehe auch Diniz Magalhaes/Christians, Rethinking Tax For the Digital Economy After COVID-19, Harvard Business Law Review 2021, 1 ff. 20 Zustimmung findet das Konzept zum Beispiel beim deutschen Attac-Netzwerk (Attac, Amazons Corona-Bilanz: Zeit für eine Übergewinnsteuer, 4.2.2021, ). Der britische Journalist Nicholas Shaxson warf den noch weitergehenden Gedanken auf, auch Übergewinne multinationaler Unternehmen vor Beginn der Corona- Pandemie in eine solche Steuer einzubeziehen (Shaxson, Corporate Taxation: Momentum is Building, Social Europe, 21. Dezember 2020, abrufbar unter https://www.socialeurope.eu/corporate-taxation-momentum-is-building ). Im Grundsatz zustimmend auch Schüttpelz, Excess Profits Tax als Instrument zur Staatsfinanzierung in der globalen Gesundheitskrise, 24.6.2020, abrufbar unter https://www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/excessprofits -tax-zur-staatsfinanzierung-in-globaler-gesundheitskrise/). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 9 Auf internationaler Ebene hat das Centre on Economic and Social Rights (CESR) die Übergewinnsteuer als nützliches Instrument zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie herausgestellt und die Relevanz einer globalen Besteuerung und Steuerertragsverteilung bei multinationalen Unternehmen auch in dieser Hinsicht betont.21 3.2. Einführung auf nationaler Ebene 3.2.1. USA Seit den frühen Stadien der Corona-Pandemie setzen sich in den USA insbesondere Emmanuel Saez und Gabriel Zucman für die Einführung einer Excess Profits Tax ein; die beiden Ökonomen von der University of California, Berkeley, halten eine solche Steuer für unabdingbar, um eine ungerechtfertigte Bereicherung aufgrund der Krise zu verhindern. In einem Gastbeitrag in der New York Times vom 30.3.202022 fordern sie daher nicht nur Lohnersatzprogramme wie in vielen europäischen Staaten, eine „Covid-Care“ für alle sowie Soforthilfen für Unternehmen. Sie fordern den Kongress unter dem Motto „The battle for the speediest recovery starts today“ auch zur Ausgestaltung einer Excess Profits Tax nach dem Vorbild der entsprechenden Regelungen im Ersten und Zweiten Weltkrieg (siehe dazu 2.1.) auf. Beinahe zeitgleich hat Reuven Avi-Yonah von der University of Michigan die Einführung einer Übergewinnsteuer aufgrund von mit den Weltkriegen vergleichbaren Erwägungen für geboten erklärt und argumentiert, es gebe keinen vernünftigen Grund gegen die Nutzung dieses Instruments zum Defizitausgleich im Staatshaushalt und zur Vermeidung von Gewinnen, die nicht durch eigene Verdienste entstanden seien. In seinem Artikel „It’s Time to Revive the Excess Profits Tax“ vom 27.3.202023 erklärt er hierbei die Berechnung des Übergewinns für den Dreh- und Angelpunkt des Vorhabens und befürwortet eine Berechnung nach der average earnings method unter Heranziehung der Jahre 2016 bis 2019, unter Anrechnung eines Betrages von 8 % der Forschungs - und Entwicklungsausgaben und einer Kompensationen für die Neueinstellung von Arbeitnehmern . Als Steuersatz für den so berechneten Übergewinn schlägt er 95 % vor. Diese Vorstöße wurden von weiteren Wissenschaftlern wie Suresh Naidu von der University of Columbia24 und Journalisten25 unterstützt. Kritiker verweisen hingegen auf die Schwierigkeiten 21 CESR, Topic Three: Progressive Tax Measures to Realize Rights, Juni 2020, abrufbar unter . 22 Saez/Zucman, Jobs Aren’t Being Destroyed This Fast Elsewhere. Why Is That?, The New York Times, 30.3.2020, abrufbar unter . 23 Avi-Yonah, It’s Time to Revive the Excess Profits Tax, The American Prospect v. 27.3.2020, abrufbar unter . 24 Siehe dazu Nicholson, Tax ‘Excess’ Profits of Big Money-Making Companies to Fix Coronavirus Economy, Scholar Urges, Market Watch, 30.4.2020, abrufbar unter . 25 Siehe nur Pearl, It’s Time to Bring Back America’s Tax on Excess Profits, Fast Company v. 8.7.2020, abrufbar unter . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 10 der Berechnung des Übergewinns und fordern eine Unterscheidung zwischen nicht durch eigene Leistung herbeigeführten Übergewinnen aufgrund der Pandemie als solcher und zusätzlichen Gewinnen aufgrund von Innovationen.26 3.2.2. Großbritannien Auch in Großbritannien wurden im Verlauf der Pandemie Forderungen nach einer Excess Profits Tax erhoben. So verlangte Janette Rutterford, Lehren aus den zahlreichen vergangenen finanziellen Krisen zu ziehen, in denen eine solche Steuer hilfreich gewesen sei.27 Auch Tim Sarson stellte eine Übergewinnsteuer als im Vergleich zu allgemeinen Steuererhöhungen attraktivere Möglichkeit in den Raum.28 Nach Berichten der Sunday Times, die sich insoweit auf geleakte E- Mails beruft, sollen auch auf Ebene der britischen Regierung Überlegungen zur Einführung einer Übergewinnsteuer als Einmalsteuer existieren.29 Auch in Großbritannien ist die Übergewinnsteuer indes umstritten. Stellvertretend für die Kritiker verweist Ryan Bourne darauf, dass auch die angeblich von der Pandemie profitierenden Unternehmen wie Online-Händler und Supermärkte während der Pandemie erheblichen Belastungen , etwa durch die Notwendigkeit von Neueinstellungen und die Implementierung der sog. Social-Distancing-Maßnahmen ausgesetzt gewesen seien. Bourne argumentiert, ihr erhöhter Gewinn sei nicht etwa auf Zufall oder die Verluste anderer Wirtschaftsteilnehmer, sondern vielmehr auf ihre schnelle Anpassungsfähigkeit und Innovation zurückzuführen und kritisiert, die Einführung einer Übergewinnsteuer könne die Bereitschaft von Unternehmen zur Einrichtung präventiver Mechanismen für künftige Krisen dieser Art mindern.30 26 Zusammenfassend Olivo, COVID-19 Revives Push For Decades-Old Excess Profits Tax, Law36, 24.2.2021, abrufbar unter . 27 Rutterford, Taxing Financial Winners From Coronavirus to Pay for the Crisis: Lessons From WW1, The Conversation , 13.10.2020, abrufbar unter . Rutterford ist emeritierte Professorin für Finanzen und Finanzgeschichte . 28 Sarson, International Review for November, Tax Journal, 27.11.2020, abrufbar unter . Sarson ist Steuerpartner bei KPMG. 29 Shipman, Amazon and Online Giants Face Tax Raid on Booming Sales, The Times, 7.2.2021, abrufbar unter https://www.thetimes.co.uk/article/amazon-and-online-giants-face-tax-raid-on-booming-sales-ljq9lg2gt; Reuters, UK plans to tax firms that profited from pandemic: Sunday Times, 7.2.2021, abrufbar unter . Bourne ist Inhaber des R. Evan Scharf Chair for the Public Understanding of Economics am Cato Institute, 30 Siehe zum Ganzen Bourne, Why a COVID-19-Windfall Tax Is a Terrible Idea, UK Telegraph, 21.5.2020, abrufbar unter . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 11 3.2.3. Weitere Staaten In Bezug auf Kanada hat Alex Hemingway in einem im Toronto Star veröffentlichten Artikel unter Berufung auf Saez/Zucman die Einführung einer Übergewinnsteuer auf nationaler Ebene gefordert .31 Diese sei wichtig zur Vermeidung eines Missbrauchs von staatlichen Hilfen in der Pandemie und eines übermäßigen Profits einzelner Akteure aus einer Krise, die andere Teile der Gesellschaft erheblich benachteilige. Der Vorsitzende der kanadischen New Democratic Party (NDP), Jagmeet Singh, hat sich dieser Forderung gemeinsam mit seiner Partei im Oktober 2020 angeschlossen.32 Die Partei visiert eine Besteuerung von Pandemie-Übergewinnen mit mindestens 30 % neben einer Zusatzsteuer auf Vermögen über 20 Mio. kanadischen Dollar an. Neben Zustimmung erfährt der Vorschlag auch Kritik. So befürchtet Elliot Hughes, dass eine solche Steuer die falschen Firmen, beispielsweise Unternehmen zur Herstellung von Schutzbekleidung, treffen könne.33 In Südafrika hat die Journalistin Barbara Curson die Einführung einer pandemie-bezogenen Einmal -Übergewinnsteuer unter der Bedingung befürwortet, dass sie auf große Unternehmen beschränkt werde, während Keith Engel eine solche Steuer zwar für ein interessantes akademisches Konzept hält, zugleich aber vermeiden möchte, dass Unternehmen durch eine solche Maßnahme zur Liquidierung von Assets gezwungen werden.34 In Deutschland wurde – neben der bestehenden Diskussion um eine „Pillar 3“ des BEPS-Projekts – vereinzelt die Einführung einer Übergewinnsteuer auf nationaler Ebene diskutiert bzw. gefordert .35 31 Hemingway, Excess Profits Tax Needed to Prevent Profiteering Amid COVID-19, Toronto Star, 23.4.2020, abrufbar . Hemingway ist Ökonom und Analyst für öffentliche Finanzen beim Canadian Centre for Policy Alternatives. 32 NDP, Pandemic Profiteers and Ultra-Wealthy Must Pay Their Share, 8.10.2020, abrufbar unter . 33 Zum Meinungsstand zum NDP-Vorschlag siehe Jolson Lim, Jagmeet Singh Wants to Tax Companies Making Big Profits During COVID, iPolitics, 8.10.2020, abrufbar unter . 34 Curson, Is a Corporate Excess Profits Tax on the Cards?, Moneyweb, 22.2.2021, abrufbar unter . Engel ist CEO des South African Institute of Tax Professionals. 35 Siehe etwa NachDenkSeiten, Hinweise des Tages, 25.6.2020, abrufbar unter . Westphalen, Die Krisengewinnler zur Gemeinschaftskasse, bitte!, Telepolis, 9.12.2020, abrufbar unter . Siehe auch Schüttpelz, Excess Profits Tax als Instrument zur Staatsfinanzierung in der globalen Gesundheitskrise, 24.6.2020, abrufbar unter https://www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/excess-profits-taxzur -staatsfinanzierung-in-globaler-gesundheitskrise/). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 12 4. Berechnungsmöglichkeiten des Übergewinns Für die konkrete Ausgestaltung der Übergewinnsteuer, ihre Belastungswirkungen für die Unternehmen und das Aufkommen für den Fiskus ist die Berechnung des Übergewinns entscheidend. Ausgangsgröße dafür ist das im Erhebungsjahr tatsächlich erzielte Nettoeinkommen, wie es sich aus der steuerlichen Gewinnermittlung ergibt. Zur Ermittlung des Übergewinns muss dieses verglichen werden mit dem „Normalgewinn“ als Referenzgewinn, der vom Nettoeinkommen des Erhebungsjahres abgezogen wird (credit). Die Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Bestimmung des Übergewinns werden im Folgenden im Wesentlichen anhand der beiden Excess Profit Taxes erläutert, die in den USA anlässlich der beiden Weltkriege erhoben wurden (dazu oben 2.1.). 4.1. Zwei Methoden zur Berechnung des Übergewinns Für den notwendigen Vergleich kommen zwei Referenzeinkommen in Betracht.36 Zum einen das Nettoeinkommen, das sich bei einer vorgegebenen (fiktiven) Rendite auf das im Erhebungsjahr investierte Kapital ergibt (invested capital method), zum anderen das tatsächliche Nettoeinkommen desselben Unternehmens, das sich als Durchschnitt aus einem definierten Zeitraum vor dem Erhebungsjahr ergibt (average earnings method; auch als average income method oder base years method bezeichnet).37 Verglichen wird also entweder mit einem generellen Nettoeinkommen, das als Prozentsatz des investierten Kapitals ermittelt wird, oder mit tatsächlichen Gewinnen desselben Unternehmens vor dem Erhebungsjahr, also zum Beispiel vor dem Ausbruch eines Krieges. Die Varianten der Berechnung entfalten unterschiedliche Wirkungen. Die invested capital method zielt darauf ab, sämtliche Unternehmen zu erfassen, die im Erhebungsjahr hohe Renditen auf ihr investiertes Kapital erzielen. Dies betrifft auch Unternehmen, die bereits zu Vorkriegszeiten genauso erfolgreich waren. Die average earnings method zielt dagegen vor allem auf Unternehmen , die im Erhebungsjahr deutlich erfolgreicher sind als zum Beispiel in der Vorkrisenzeit, die also ihre Gewinne in Krisenzeiten deutlich steigern konnten. Die Diskussion um diese beiden Varianten und ihre Vor- und Nachteile hat in den Gesetzgebungsverfahren zur Excess Profits Tax in den USA anlässlich des Ersten und des Zweiten Weltkriegs eine große Rolle gespielt.38 In Abhängigkeit von den relevanten Kennzahlen der Unternehmen (Nettoeinkommen, investiertes Kapital, Vorkriegsgewinne) zeigten sich sehr unterschiedliche tatsächliche Belastungen der Unternehmen. Die effektiven Steuersätze der Übergewinnsteuer bezogen auf das Nettoeinkommen des Erhebungsjahres differenzierten stark, je nachdem welche Methode angewendet wurde.39 So wurde ein hochprofitables Unternehmen wie die Coca-Cola 36 Dazu etwa Douglas, Excess profits taxation and the taxpayer, S. 146 (https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent .cgi?article=2180&context=lcp). 37 Brandes, Warhogs: A history of war profits in America, 1997, S. 243. 38 Zum Ersten Weltkrieg Holmes, The excess profits tax of 1917: Part I, The Bulletin of the National Tax Association Vol. 4, No. 1 (October, 1918), S. 7 ff.; zum Zweiten Weltkrieg Brandes, Warhogs: A history of war profits in America, 1997, S. 239 ff. 39 Siehe die Übersicht bei Brandes, Warhogs: A history of war profits in America, 1997, S. 241. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 13 Company mit einer sehr hohen Kapitalrendite und bereits zu Vorkriegszeiten hohen Gewinnen durch die average earnings method deutlich weniger belastet als durch die invested capital method .40 Das Ergebnis des politischen Ringens war ein Kompromiss, wonach beide Methoden nach Wahl des steuerpflichtigen Unternehmens zur Berechnung des Übergewinns zugelassen wurden .41 Zwar wurde im Gesetzgebungsverfahren insbesondere von Seiten der Regierung Roosevelt noch versucht, die Entlastungswirkung der average earnings method zu begrenzen, indem als Abzugsbetrag (credit) vom Nettoeinkommen des Erhebungsjahres ein Maximum von 10 % des investierten Kapitals festgelegt werden sollte, was jedoch im Kongress scheiterte.42 Zur Berechnung des Abzugsbetrags für Zwecke der average earnings method wurden als Vergleichszeitraum die Jahre 1936 bis 1939 herangezogen, wobei ein Jahr unberücksichtigt blieb („drei aus vier“). Der so ermittelte Abzugsbetrag aus drei Jahren wurde außerdem um 5 % reduziert .43 Zur Abmilderung der Folgen der Übergewinnsteuer gab es außerdem mehrere Befreiungstatbestände für Unternehmen, deren Abzugsbeträge aus besonderen Gründen ungewöhnlich niedrig blieben, zum Beispiel bei Unterbrechungen der Produktion, zeitlich begrenzten besonderen ökonomischen Umständen, abweichenden Gewinnzyklen oder bei Veränderungen der Unternehmenstätigkeit (zum Beispiel bei Beginn oder grundlegender Veränderung der Geschäftstätigkeit , der Kapital- oder Unternehmensstruktur).44 4.2. Schwierigkeiten und Abmilderungen der beiden Varianten Beide Varianten der Berechnung des Übergewinns weisen gewisse technische Schwierigkeiten auf. Die Achillesferse der invested capital method ist die Berechnung des investierten Kapitals.45 Problematisch ist dabei sowohl die Frage des Ansatzes als auch der Bewertung der einzelnen Positionen des Kapitals. Zwar ist das bilanzielle Eigenkapital (der Steuerbilanz) Ausgangspunkt für das investierte Kapital. Diskutiert wurde aber zum Beispiel, solches Eigenkapital auszunehmen, dessen Erträge (teilweise) steuerfrei sind (zum Beispiel Beteiligungseinkünfte) oder andererseits 40 Dazu Brandes, Warhogs: A history of war profits in America, 1997, S. 240. 41 Brandes, Warhogs: A history of war profits in America, 1997, S. 246; dies wird als großzügiges Entgegenkommen an die Großindustrie gesehen, Brownlee, Federal taxation in America, 1996, S. 90. 42 Der damalige Senator aus Georgia, dem Sitz der Coca-Cola Company, soll dafür mitverantwortlich sein, dazu Brandes, Warhogs: A history of war profits in America, 1997, S. 243 ff. 43 Douglas, Excess profits taxation and the taxpayer, S. 146 (https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent .cgi?article=2180&context=lcp). 44 Douglas, Excess profits taxation and the taxpayer, S. 147 (https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent .cgi?article=2180&context=lcp); die weiten Ausnahmen waren ein Zugeständnis der Regierung Roosevelt an die Widerstände im Kongress als Gegenleistung für die Anhebung des Steuersatzes auf 90 %, Brownlee, Federal taxation in America, 1996, S. 93. 45 Dazu etwa Holmes, The excess profits tax of 1917: Part I, The Bulletin of the National Tax Association Vol. 4, No. 1 (October, 1918), S. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 14 Fremdkapital in das investierte Kapital einzubeziehen.46 Diskutiert wurde auch über eine Bewertung der Wirtschaftsgüter zum Zeitwert, die Einbeziehung (nicht aktivierter) immaterieller Wirtschaftsgüter und des Geschäftswertes (Goodwill).47 Neben solchen Ansatz- und Bewertungsfragen ist weiterhin zu klären, wie mit Kapitalveränderungen im laufenden Erhebungsjahr umzugehen ist, zum Beispiel mit unterjährigen Kapitalzuführungen oder Veränderungen der Unternehmensstruktur . Demgegenüber scheint die average earnings method auf den ersten Blick einfacher zu handhaben sein, weil sie die Bestimmung und Bewertung des investierten Kapitals vermeidet und die Vergleichsgrößen der steuerlichen Einkommen des Erhebungsjahres und der Vorjahre bekannt sind. Ihre Achillesferse liegt jedoch in der periodenübergreifenden Vergleichbarkeit der Gewinne eines Unternehmens. Diese kann aufgrund von Veränderungen der Unternehmensstruktur erheblich beeinträchtigt sein, zum Beispiel infolge von Unternehmenskäufen und Umwandlungen (Verschmelzungen , Abspaltungen etc.). Aber auch andere Veränderungen der Kapitalstruktur des Unternehmens können die Vergleichbarkeit der Gewinne beeinträchtigen. Dem lässt sich zum Beispiel begegnen, indem der ermittelte Durchschnittsgewinn mit einem Faktor modifiziert wird, und zwar proportional zur Veränderung des im Unternehmen investierten Kapitals im Erhebungszeitraum im Vergleich zum investierten Kapital im Referenzzeitraum.48 Zwischenzeitliche Kapitalzuführungen wirken sich dann erhöhend auf die Basis aus dem Referenzzeitraum (den Abzugsbetrag) aus und reduzieren so den Übergewinn. Die average earnings method führt außerdem zu einer hohen Bemessungsgrundlage und damit zu einer hohen Steuerbelastung, wenn der durchschnittliche Vergleichsgewinn (der Vorkriegszeit) sehr niedrig ausfällt oder sogar bei Null liegt. Dann würde das gesamte Nettoeinkommen des Erhebungsjahres der Übergewinnsteuer unterliegen. Dieses Problem vermeidet die oben geschilderte Optionsregelung in den USA. Auch andere Länder, die zwar die average earnings method als Regelfall vorsahen, begegneten dem Problem mit Ausnahmeregeln, die eine Berechnung der Basis (des Abzugsbetrages) mit einem fiktiven Vorkriegsgewinn vorsahen. Dies konnte ein festgelegter Betrag sein oder – in Anlehnung an die invested capital method – ein Prozentsatz des investierten Kapitals (sei es des Erhebungsjahres, sei es des Vorkriegsjahres). Eine generelle Möglichkeit zur Abmilderung der Übergewinnsteuer sind Freibeträge (zum Beispiel auch in Abhängigkeit von der Größe oder der Rechtsform der Unternehmen) oder Regelungen über Sonderabschreibungen oder Abzugsbeträge für bestimmte Investitionen (speziell für Zwecke der Übergewinnsteuer), die zu einem niedrigeren Übergewinn im Erhebungsjahr der Steuer führen. 46 Siehe Holmes, The excess profits tax of 1917: Part I, The Bulletin of the National Tax Association Vol. 4, No. 1 (October, 1918), S. 7, 10. 47 Dazu Holmes, The excess profits tax of 1917: Part I, The Bulletin of the National Tax Association Vol. 4, No. 1 (October, 1918), S. 7 f. 48 Dazu Holmes, The excess profits tax of 1917: Part I, The Bulletin of the National Tax Association Vol. 4, No. 1 (October, 1918), S. 7 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 15 4.3. Kritik an der Umsetzung der beiden Varianten Aus der Erhebung der Excess Profit Taxes in den USA wird berichtet, dass sie zu ungerechten Ergebnissen führen konnte, die durch eine großzügige Auslegung des Gesetzes im Einzelfall seitens der Finanzverwaltung in Grenzen gehalten werden konnten, um übermäßige Belastungen für die Unternehmen zu vermeiden.49 Kritisiert wurde auch, dass die gesetzlichen Regelungen zu kompliziert 50 oder zu ungenau seien, um den Übergewinn realistisch zu berechnen.51 Kritisiert wurde ferner, dass die Übergewinnsteuer der Wirtschaft Kapital entzieht, das sie gerade in Krisen- oder Nachkrisenzeiten dringend benötigt.52 Aus den Gesetzgebungsverfahren in den USA lässt sich wohl die Schlussfolgerung ziehen, dass die invested capital method als präferierte Form der Berechnung angesehen wurde, die Ungleichheiten und Zufälle der average earnings method vermeidet53, und der average earnings method eher eine Begrenzungsfunktion zukommt. Die gesetzliche Kombination beider Methoden und die Wahlmöglichkeit für den Steuerpflichtigen können jedenfalls unerwünschte Auswüchse beider Methoden im Einzelfall verhindern. 5. Grundtatbestand einer Übergewinnsteuer Um die Übergewinnsteuer im Folgenden (dazu 6.) rechtlich einordnen zu können, werden auf der Grundlage der historischen Erkenntnisse sowie der aktuellen Diskussion einige wesentliche Eckpunkte ihres möglichen Steuertatbestands skizziert. 5.1. Ziel der Steuer Die Übergewinnsteuer verfolgt in erster Linie einen fiskalpolitischen Zweck, nämlich Einnahmen in Zeiten eines erheblich gesteigerten Finanzbedarfs zu generieren. Für die Ausgestaltung muss entschieden werden, ob vorrangig Unternehmen belastet werden sollen, die ihren Gewinn im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie gesteigert haben, oder alle Unternehmen, die in Zeiten der Corona-Pandemie hohe Gewinne erzielen. 49 Holmes, The excess profits tax of 1917: Part I, The Bulletin of the National Tax Association Vol. 4, No. 1 (October , 1918), S. 9. 50 Douglas, Excess profits taxation and the taxpayer, S. 144 (https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent .cgi?article=2180&context=lcp). 51 Holmes, The excess profits tax of 1917: Part I, The Bulletin of the National Tax Association Vol. 4, No. 1 (October , 1918), S. 9; generell kritisch aus ökonomischer Sicht Brümmerhoff, Wirtschaftsdienst 1975, S. 298. 52 Douglas, Excess profits taxation and the taxpayer, S. 142, 147 (https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent .cgi?article=2180&context=lcp). 53 Vgl. Brandes, Warhogs: A history of war profits in America, 1997, S. 239. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 16 5.2. Steuersubjekt Der Kreis der steuerpflichtigen Unternehmen muss bestimmt werden. Dies können Körperschaften einerseits sowie Personengesellschaften und natürliche Personen mit unternehmerischen Einkünften , ggf. nur mit Einkünften aus Gewerbebetrieb – andererseits sein. Die Orientierung an den Einkünften aus Gewerbebetrieb würde einen Gleichlauf zur Gewerbesteuerpflicht herstellen. Denkbar ist aber auch eine Beschränkung der Steuer allein auf Körperschaften. Historisch ist eine Einbeziehung aller gewerblichen Unternehmen verbreitet. In der aktuellen Diskussion äußern sich viele Befürworter nicht explizit zur Frage des Steuersubjekts; als Kontext der Forderung werden aber häufig die Gewinne großer Unternehmen der Digitalwirtschaft genannt . Denkbar ist daher auch im Anschluss an die Festlegung der steuerpflichtigen Rechtsformen eine Beschränkung auf Unternehmen einer bestimmten Größenklasse. Die Verschonung kleinerer und mittlerer Unternehmen kann auch durch einen Freibetrag bei der Berechnung der Übergewinnsteuer erreicht werden. 5.3. Steuerobjekt Als Steuerobjekt muss der Übergewinn definiert werden, der im Vergleich zu einem früheren durchschnittlichen Gewinn oder im Vergleich zu einem akzeptierten Normalgewinn berechnet werden kann (siehe dazu ausführlich 4.). In der aktuellen Diskussion ist die Berechnung des Übergewinns umstritten und wird in vielen Vorschlägen zugleich nicht präzisiert. Vorgeschlagen wird zum Beispiel eine Berechnung des Übergewinns als Differenz zum durchschnittlichen Gewinn in den vier vorausgehenden Jahren (average earnings method),54 dabei wird ein Abzugsbetrag für Investitionen und für die Neueinstellung von Arbeitnehmern befürwortet. 5.4. Steuertarif Der auf die Übergewinne anzuwendende Steuersatz kann einheitlich oder progressiv ausgestaltet sein. In der aktuellen Diskussion werden Steuersätze von 5 %55 über 75 bis 90 %56 bis hin zu 95 %57 oder eine Verdoppelung der regulären Steuersätze58 vorgeschlagen. 5.5. Erhebungszeitraum Die Übergewinnsteuer kann für ein bestimmtes Erhebungsjahr als Einmalsteuer oder für einen mehrjährigen Zeitraum eingeführt werden. Der Gesetzgeber kann die Steuer auch ohne Befristung 54 Avi-Yonah, It’s Time to Revive the Excess Profits Tax, The American Prospect, 27.3.2020. So wohl auch Shaxson , Corporate Taxation: Momentum is Building, Social Europe, 21.12.2020. 55 Curson, Is a Corporate Excess Profits Tax on the Cards?, Moneyweb, 22.2.2021. 56 Shaxson, Corporate Taxation: Momentum is Building, Social Europe, 21.12.2020. 57 Avi-Yonah, It’s Time to Revive the Excess Profits Tax, The American Prospect, 27.3.2020. 58 Für Kanada NDP, Pandemic Profiteers and Ultra-Wealthy Must Pay Their Share, 8.10.2020. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 17 einführen. In der Diskussion wird die Übergewinnsteuer, soweit die Beiträge sich damit auseinandersetzen , als Einmalsteuer begriffen.59 6. Verfassungsrechtliche Fragen einer Übergewinnsteuer 6.1. Einordnung in die Finanzverfassung und Kompetenzgrundlage Um aus Sicht des deutschen Abgabenrechts die Gesetzgebungs-, Ertrags- und Verwaltungskompetenzen sowie die materiell-rechtlichen Anforderungen an eine Abgabe zu bestimmen, sind Abgaben zu klassifizieren. Liegt eine Steuer im verfassungsrechtlichen Sinne vor, bestimmt sich die Gesetzgebungskompetenz nach Art. 105 GG, die Ertragskompetenz nach Art. 106 GG und die Verwaltungskompetenz nach Art. 108 GG.60 Steuern sind öffentliche Abgaben, die als Gemeinlast ohne individuelle Gegenleistung („voraussetzungslos “) zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs eines öffentlichen Gemeinwesens erhoben werden.61 Nach § 3 Abs. 1 AO sind Steuern einmalige oder laufende Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einkünften allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein.62 Die gemäß oben 5. skizzierte Übergewinnsteuer erfüllt alle Merkmale des verfassungsrechtlichen Steuerbegriffs. 6.1.1. Gesetzgebungskompetenz für die Einkommen- und Körperschaftsteuer Nach Art. 105 Abs. 2 GG hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebung über die übrigen Steuern , wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen. Übrige Steuern in diesem Sinne sind nur die in Art. 106 GG genannten Steuern bzw. Steuerarten. Über andere dort nicht ausdrücklich genannte Steuern oder Steuerarten haben Bund und Länder keine Gesetzgebungskompetenz; dem einfachen Gesetzgeber kommt kein freies Steuererfindungsrecht zur Einführung anderer Steuern zu.63 59 Insbesondere Curson, Is a Corporate Excess Profits Tax on the Cards?, Moneyweb, 22.2.2021; Westphalen, Die Krisengewinnler zur Gemeinschaftskasse, bitte!, Telepolis, 9.12.2020. 60 Tappe/Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 2019, Rn. 208, 212. 61 BVerfG, Beschluss vom 13.4.2017, 2 BvL 6/13, NJW 2017, 2249, Rn. 100. 62 Die einfach-rechtliche Definition in § 3 Abs. 1 AO stimmt mit dem verfassungsrechtlichen Steuerbegriff überein , Tappe/Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 2019, Rn. 214; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 2.10. 63 Diese Sperrwirkung der Finanzverfassung zur Etablierung in Art. 106 GG nicht genannter Steuern gilt auch für die Länder, BVerfG, Beschluss vom 13.4.2017, 2 BvL 6/13, NJW 2017, 2249, Rn. 69 ff., 94 ff.; Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, GG Art. 106 Rn. 17; Ludwigs, NVwZ 2017, 1509 (1510 f.). Zum Streit darum siehe Tappe/Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 2019, Rn. 251 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 18 Die in Art. 105 GG und Art. 106 GG genannten Steuern und Steuerarten sind Typusbegriffe; neue Steuern sind daher daraufhin abzugleichen, ob sie dem Typus einer herkömmlichen Steuer entsprechen .64 Um einerseits eine klare Abgrenzung der Kompetenzen in der Finanzverfassung zu ermöglichen, andererseits aber eine Versteinerung des Steuersystems zu vermeiden, geben die in Art. 106 GG aufgeführten Steuern als Steuertypen abstrakt einen äußeren Rahmen vor, innerhalb dessen sich die Steuerarten entwicklungsoffen anpassen lassen und auch grundlegende Systemumstellungen einzelner Steuern ermöglichen.65 Die in Art. 106 GG genannten Steuern können daher auch grundlegend umgestaltet werden; auch neuartige Steuern können eingeführt werden, wenn sie sich noch einem der in Art. 106 GG genannten Steuertypen zuordnen lassen.66 Die Zuordnung einer Abgabe zu einem Kompetenztitel des Art. 106 GG bestimmt sich nach den wesensprägenden Strukturmerkmalen der Steuer, also Subjekt (Schuldner) und Objekt (Gegenstand), Maßstab der Bemessung und Art der Erhebung; entscheidend ist, ob zwei Steuern materiell dieselbe Quelle wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit abschöpfen.67 Die Einkommensteuer im Sinne des Art. 106 Abs. 3 Satz 1 GG belastet das am allgemeinen Markt erzielte Einkommen natürlicher Personen, wobei als Einkommen der Bruttoertrag aus gesetzlich zu definierenden Erwerbsquellen (Einkunftsarten) abzüglich erwerbs- und existenzsichernder Aufwendungen (objektives und subjektives Nettoprinzip) zu verstehen ist; die Körperschaftsteuer betrifft das ebenso verstandene Einkommen der juristischen Personen.68 Die Übergewinnsteuer greift auf die gleiche Quelle wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu wie die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer, nämlich auf das am Markt erzielte Einkommen. Ein bestimmter Teil des gleichen Steuerobjekts, nämlich des Nettoeinkommens, der bereits durch die Einkommen- und die Körperschaftsteuer erfasst und mit dem regulären Steuertarif versteuert wird, wird dadurch zusätzlich einem besonderen Steuertarif unterworfen, der über den regulären Steuertarif hinausgeht . Im Ergebnis handelt es sich dann bei der Übergewinnsteuer um eine besondere Tarifbestimmung zur Einkommen- und Körperschaftsteuer bei demselben Steuersubjekt und demselben Steuerobjekt. Auf die formale Bezeichnung dieser Steuer kommt es nicht an.69 Die Übergewinnsteuer kann daher materiell als Einkommensteuer bzw. Körperschaftsteuer auf die Kompetenzgrundlage des Art. 106 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 GG gestützt werden. Das Aufkommen der Übergewinnsteuer steht dann dem Bund und den Ländern gemeinsam zu 64 Innerhalb der durch Art. 105 GG und Art. 106 GG vorgegebenen Typusbegriffe verfügt der Gesetzgeber über eine weitgehende Gestaltungsfreiheit, BVerfG, Beschluss vom 13.4.2017, 2 BvL 6/13, NJW 2017, 2249, Rn. 64. 65 Seiler, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 106 Rn. 80 f. 66 Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 2.5 und Rn. 2.6 zu einer Umwandlung der Körperschaftsteuer zu einer allgemeinen Unternehmensteuer. 67 Seiler, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 106 Rn. 82, Art. 105 Rn. 144 (dort zur Frage der Gleichartigkeit von Steuern für Zwecke der Abgrenzung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz von Bund und Ländern). 68 Seiler, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 106 Rn. 138, 140 (bei der Körperschaftsteuer ohne Abzug existenzsichernder Aufwendungen). 69 Seiler, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 106 Rn. 82. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 19 (Art. 106 Abs. 3 Satz 1 GG). Am Aufkommen der Einkommensteuer (abzüglich eines Gemeindeanteils , Art. 106 Abs. 5 GG) und der Körperschaftsteuer sind der Bund und die Länder jeweils zur Hälfte beteiligt (Art. 106 Abs. 3 Satz 2 GG). 6.1.2. Gesetzgebungskompetenz für die Ergänzungsabgabe Der Bund kann durch Gesetz eine Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer erheben; das Aufkommen aus dieser Ergänzungsabgabe steht allein dem Bund zu (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG). Das Gesetz zur Einführung der Ergänzungsabgabe ist ein Einspruchsund kein Zustimmungsgesetz (vgl. Art. 105 Abs. 3 GG). Weitere ausdrückliche Vorgaben für die Erhebung und Ausgestaltung der Ergänzungsabgabe, z.B. hinsichtlich ihres Umfangs oder ihrer Dauer, enthält der Wortlaut des Grundgesetzes nicht.70 Die Ergänzungsabgabe ermöglicht es dem Bund, einen Finanzbedarf, der gerade beim Bund und nicht zugleich bei den Ländern und Gemeinden besteht, durch eine Belastung des Einkommens der natürlichen Personen und Körperschaften (anstelle einer Belastung des Verbrauchs durch Erhöhung von Bundesverbrauchssteuern ) zu decken, wenn eine allgemeine Erhöhung der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer mit anteiliger Aufkommenswirkung zugunsten der Länder bzw. Gemeinden nicht notwendig ist.71 Eine Ergänzungsabgabe ist der seit 1995 erhobene Solidaritätszuschlag auf der Grundlage des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995.72 Als Ergänzung der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer ähnelt die Ergänzungsabgabe in der Struktur diesen Steuern und baut auf ihrer Systematik auf.73 Das BVerfG verlangt daher, dass sich die Ergänzungsabgabe in einem angemessenen Verhältnis zur Einkommensteuer und Körper- 70 Tappe, NVwZ 2020, 517 (518). 71 Vgl. Tappe, NVwZ 2020, 517 (519). 72 Zu den verschiedenen Ergänzungsabgaben in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland siehe Kube, DStR 2017, 1792 (1793). 73 BVerfG, Beschluss vom 9.2.1972, 1 BvL 16/69, NJW 1972, 757. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 20 schaftsteuer hält, um diese auch den Ländern zustehenden Gemeinschaftsteuern nicht auszuhöhlen .74 Aus den vom BVerfG formulierten Anforderungen wird gefolgert, dass die Ergänzungsabgabe einen „kleinen Prozentsatz“ zur Einkommen- und Körperschaftsteuer nicht überschreiten darf.75 Umstritten ist im Übrigen, welchen Gestaltungsspielraum der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Ergänzungsabgabe hat. Die Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer muss diese Steuern „weiterführen“, wobei sich der Steuersatz (und die Höhe des Zuschlags) notwendig von dem der Einkommen- und Körperschaftsteuer unterscheiden.76 Damit teilt sich die Ergänzungsabgabe die gleiche Bemessungsgrundlage, als eigenständige Abgabe muss sie jedoch nicht auf die Ausgestaltung der Einkommen- und Körperschaftsteuer abgestimmt sein, um etwa Lücken zu vermeiden oder eine mehrfache Besteuerung zu verhindern.77 Nach dieser Auffassung soll der Ergänzungscharakter nicht zu Restriktionen bei der Ausgestaltung der Ergänzungsabgabe führen, sondern dem Gesetzgeber wie bei anderen Steuern auch hinsichtlich der Auswahl des Steuergegenstands und des Steuersatzes ein weiter Spielraum zukommen.78 Nach anderer Auffassung wird eine nicht streng akzessorisch (proportional) an die Höhe der Einkommensteuerschuld anknüpfende Ausgestaltung der Ergänzungsabgabe durch den Bund (ohne notwendige Zustimmung des Bundesrates) und damit eigene politische Gestaltung des Tarifverlaufs (bezogen auf die Gesamtsteuerbelastung ) als Umgehung des Art. 105 Abs. 3 GG angesehen, insbesondere weil die Tarifbestimmung die „zentrale politische Stellschraube für die Verteilung der Steuerlasten“ sei. 79 Je nachdem, wie weit man den Spielraum des Gesetzgebers zur Ausgestaltung der Ergänzungsabgabe zieht, kann die Übergewinnsteuer ggf. auch als Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer eingeführt werden, indem sie einen bestimmten Teil des Einkommens (gleiches Besteuerungsobjekt) als Übergewinn definiert und diesen neben dem regulären Steuersatz ergänzend mit einem zusätzlichen Steuersatz belastet. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass das Aufkommen dann ausschließlich dem Bund zusteht. Umstritten und ungeklärt ist 74 BVerfG, Beschluss vom 9.2.1972, 1 BvL 16/69, NJW 1972, 757; BFH, Urteil vom 21.7.2011, II R 52/10, DStRE 2011, 1199 (1200). Eine Aushöhlung ist nur bei einer sehr deutlichen Verschiebung des bundesstaatlichen Verteilungsgefüges anzunehmen (Kube, DStR 2017, 1792 (1796 f.): beim Solidaritätszuschlaggesetz 1995 eindeutig nicht der Fall). Der BFH verlangt eine „schwerwiegende Belastung“ für das finanzielle Ausgleichssystem zwischen Bund und Ländern (BFH, Urteil vom 21.7.2011, II R 52/10, DStRE 2011, 1199 (1201)). 75 Siehe Kube, in: BeckOK GG, 46. Ed. 15.11.2020, GG Art. 106 Rn. 14; Seiler, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 106 Rn. 117. Für zulässig gehalten werden jedenfalls 5,5 % (Heintzen, in: von Münch/Kunig, 7. Aufl. 2021, GG Art. 106 Rn. 21), 7,5 % (Bartone, Gedanken zur Verfassungsmäßigkeit von Ergänzungsabgaben im Sinne von Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG, in: Jochum u.a. (Hrsg.), Festschrift für Rudolf Wendt, 2015, S. 739 (744)) und maximal 10 % als Zuschlagsteuer und 5 % bei direkter Erhebung vom Einkommen (Frank, Verfassungsmäßigkeit und Zukunft des Solidaritätszuschlags, 2019, zugl. Siegen, Univ. Diss. 2019, S. 49). 76 Für einen eher weiten Spielraum Tappe, NVwZ 2020, 517 (520); Frank, Verfassungsmäßigkeit und Zukunft des Solidaritätszuschlags, 2019, zugl. Siegen, Univ. Diss. 2019, S. 35 ff. 77 Tappe, NVwZ 2020, 517 (520). 78 Tappe, NVwZ 2020, 517 (520). 79 Restriktiver daher Wernsmann, NJW 2018, 916 (918) und ZG 2020, 181 (189). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 21 allerdings noch, welche verfassungsrechtlichen Anforderungen an den erforderlichen zusätzlichen Finanzbedarf des Bundes zu stellen sind, eine Diskussion, die vor allem im Hinblick auf die teilweise Abschaffung bzw. Fortgeltung des Solidaritätszuschlages auch nach Auslaufen des sog. Solidarpakts II vor der Corona-Pandemie geführt wurde.80 Mit dem erhöhten Finanzbedarf gerade des Bundes aufgrund der Corona-Pandemie könnte sich ein solcher Finanzbedarf begründen lassen .81 Weiter stellt sich die Frage nach dem Verhältnis einer zweiten Ergänzungsabgabe zum Solidaritätszuschlag . Es ist allerdings nicht von vornherein ausgeschlossen, dass auch zwei Ergänzungsabgaben erhoben werden können.82 6.2. Verfassungsrechtliche Vorgaben für eine Übergewinnsteuer Eine wie unter 5. skizzierte Übergewinnsteuer muss so ausgestaltet sein, dass sie den materiellen Anforderungen des Grundgesetzes an Steuergesetze genügt. Bei ihrer Einführung muss das Rückwirkungsverbot beachtet werden (dazu nachfolgend 6.2.1.), sie darf keine erdrosselnde Wirkung haben (dazu nachfolgend 6.2.2.), und sie muss den Vorgaben des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG genügen (dazu nachfolgend 6.2.3.). 6.2.1. Rückwirkungsverbot Übergewinnsteuern wurden vor allem in Krisenzeiten und unter einem gewissen Zeitdruck eingeführt , häufig auch mit Rückwirkung. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutzgrundsatz setzt der Rückwirkung Grenzen. Das BVerfG unterscheidet für die Zulässigkeit der Rückwirkung zwischen der echten und der unechten Rückwirkung. Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn ein Gesetz nachträglich in bereits abgeschlossene Sachverhalte eingreift und bereits eingetretene Rechtsfolgen ändert, eine unechte Rückwirkung, wenn das Gesetz gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte betrifft und die Rechtsfolgen für die Zukunft ändert.83 80 Vgl. dazu Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung „Zur Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags - Zur Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Solidaritätszuschlags in aktueller Konzeption und der Verfassungsmäßigkeit geplanter Änderungen“, WD 4 – 3000 – 099/19 (https://www.bundestag .de/resource/blob/655866/4410c74d5f58e7ccf5830b0c4c2d3f39/WD-4-099-19-pdf-data.pdf). 81 Jedenfalls dürfte der durch die Corona-Pandemie entstandene öffentliche Finanzbedarf eine neue Ergänzungsabgabe rechtfertigen, Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 2.6; siehe auch Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 7.36. 82 Vgl. dazu Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Sachstand „Zulässigkeit einer Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung“, WD 4 - 3000 - 135/20, S. 13 (https://www.bundestag.de/resource /blob/815876/571283f24f564962dc1be74090b3c05b/WD-4-135-20-pdf-data.pdf). 83 BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012, 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302, Rn. 42 f.; Wernsmann, in: Hübschmann /Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 4 Rn. 714, 740; Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 3.261 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 22 Bei veranlagungszeitraumbezogenen Steuern liegt eine echte Rückwirkung vor, wenn gesetzliche Regelungen nach Ablauf des Veranlagungszeitraums mit Wirkung für einen vorangegangen, abgeschlossenen Veranlagungszeitraum erlassen werden.84 Die echte Rückwirkung ist regelmäßig verfassungswidrig , so dass die Erhöhung des Steuersatzes nach Ablauf des Veranlagungszeitraums unzulässig ist.85 Die von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmetatbestände für echte Rückwirkungen 86 dürften hier nicht vorliegen. Die Einführung einer Übergewinnsteuer als Modifikation der Einkommen- und Körperschaftsteuer oder als Ergänzungsabgabe dazu, die auf dieselbe – in Veranlagungszeiträumen erfasste – Besteuerungsgrundlage zugreift, ist demnach im Jahr 2021 für Übergewinne des Veranlagungszeitraums 2020 nicht mehr zulässig. Die Erhöhung des Steuersatzes während des laufenden Veranlagungszeitraums ist dagegen eine unechte Rückwirkung.87 Auch wenn die Rechtsprechung des BVerfG zu unechten Rückwirkungen strenger geworden ist, bleibt es dabei, dass unechte Rückwirkungen grundsätzlich zulässig sind.88 Die aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip folgenden Grenzen sind erst überschritten, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen.89 Dabei sind die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen der Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage abzuwägen, also das Gewicht des enttäuschten Vertrauens und das Gewicht und die Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe.90 Das BVerfG betont dabei auch, dass der dem Gemeinwohl verpflichtete Gesetzgeber nicht in wichtigen Bereichen gelähmt werden darf und die Rechtsordnung für notwendige Änderungen anpassungsfähig bleiben muss.91 Zu fragen ist daher, ob ein „besonderer Moment der Schutzbedürftigkeit“ besteht, der in einer „gesteigerten rechtlichen Abgeschlossenheit des Sachverhalts“ oder in bereits getätigten Dispositionen liegen kann.92 84 Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 3.262 85 Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 4 Rn. 734, 739, 742 (Höchstmaß an Abgeschlossenheit). 86 Dazu Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 3.269; Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 4 Rn. 744. 87 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012, 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302, Rn. 44, 70 88 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012, 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302, Rn. 43; Wernsmann, in: Hübschmann /Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 4 Rn. 768 f. 89 BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012, 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302, Rn. 43, 70. 90 BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012, 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302, Rn. 46. 91 BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012, 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302, Rn. 45. 92 Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 4 Rn. 769, 774; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012, 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302, Rn. 71. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 23 Die durch Einführung einer Übergewinnsteuer ausgelöste Steuermehrbelastung knüpft an das Ergebnis des gesamten Jahres an, nicht aber an einzelne Dispositionen des Steuerpflichtigen während des Jahres, zum Beispiel ein einzelnes Veräußerungsgeschäft, das im Vertrauen auf die bestehende steuerliche Rechtslage vorgenommen wird und damit eine gefestigte Rechtsposition entstehen lässt.93 Es bleibt dann zu fragen, ob in der generellen Erwartung der Steuerpflichtigen, dass sich im laufenden Veranlagungszeitraum keine Steuererhöhungen ergeben, ein besonderer Moment der Schutzbedürftigkeit liegt. Nach einer Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1961 kann der Steuerpflichtige angesichts der Erfordernisse der öffentlichen Finanzwirtschaft nicht darauf vertrauen, dass der zu Beginn eines Veranlagungszeitraums geltende Steuertarif bis zu dessen Ende unverändert bleibt, wohl aber darauf, dass sich eine Erhöhung des Steuertarifs während des Veranlagungszeitraums „in maßvollen Grenzen“ hält.94 Ohne näheren Begründungsaufwand hat das BVerfG eine Erhöhung des Körperschaftsteuersatzes in der Mitte des laufenden Veranlagungszeitraums mit Wirkung vom 1. Januar desselben Jahres von 50 % auf 60 % als maßvoll angesehen. Im Schrifttum wird auch die Schaffung einer zusätzlichen Steuer während des Veranlagungszeitraums als grundsätzlich möglich angesehen.95 Auch ein unerwartet auftretender außerordentlicher Finanzbedarf kann als Interesse für Steuererhöhungen berücksichtigt werden.96 Unter Berücksichtigung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers zur Bestimmung der Steuersätze und der Erfordernisse der öffentlichen Finanzwirtschaft gerade in Krisenzeiten kommt daher die Einführung einer Übergewinnsteuer grundsätzlich auch im laufenden Veranlagungszeitraum in Betracht, wobei allerdings unklar ist, wo die vom BVerfG verlangten „maßvollen Grenzen“ dafür liegen und inwieweit das Gericht diese Anforderung noch aufrechterhält. 6.2.2. Verbot der Erdrosselungssteuer Manche historische Übergewinnsteuern wiesen sehr hohe Steuersätze von bis zu 95 % auf. Dann stellt sich die Frage, ob darin eine Erdrosselungssteuer liegt. Erdrosselungssteuern sind keine Steuern, da sie nicht der Erzielung von Einnahmen dienen.97 Sie können weder auf Art. 105 GG noch auf die Sachgesetzgebungskompetenz gestützt werden.98 Zudem verletzen sie die Steuerpflichtigen in ihren Freiheitsgrundrechten. Zwar setzt das freiheitsrechtliche Übermaßverbot und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den Belastungswirkungen einer Steuer freiheitsrechtlich 93 Dazu Kirchhof, DStR 2015, 717 (718). 94 BVerfG, Urteil vom 19.12.1961, 2 BvR 1/60, BVerfGE 13, 274 (278). 95 Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 4 Rn. 737. 96 Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 3.272. 97 BVerfG, Beschluss vom 18.1.2006, 2 BvR 2194/99, NJW 2006, 1191, Rn. 44; Drüen, in: Tipke/Kruse, 163. EL November 2020, AO § 3 Rn. 17. 98 Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 3 Rn. 122. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 24 „kaum Grenzen“, mit Ausnahme eben der Erdrosselungssteuer.99 Eine Verletzung von Freiheitsgrundrechten aufgrund eines unverhältnismäßigen, erdrosselnden Steuerzugriffs liegt erst vor, wenn die unternehmerische Betätigung durch eine Totalbesteuerung ökonomisch sinnlos wird und auf ein faktisches Verbot hinausläuft (Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG) oder zur Aufgabe des Eigentums an einem konkreten Vermögensgegenstand zwingt (Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG).100 Die Übergewinnsteuer greift zum einen nicht auf den gesamten Gewinn eines Jahres, sondern nur auf den Übergewinn zu. Durch verschiedene Maßnahmen bei der Berechnung des Übergewinns kann verhindert werden, dass der Großteil dieses Nettoeinkommens zur Bemessungsgrundlage der Übergewinnsteuer wird (siehe oben 4.). Zum anderen muss der konkrete Steuersatz mit der bereits bestehenden Belastung durch Einkommen- und Körperschaftsteuer abgestimmt werden. Eine verfassungswidrige Erdrosselungssteuer liegt nur vor, wenn sie den betroffenen Unternehmer zu einer Aufgabe seiner unternehmerischen Tätigkeit zwingen würde. 6.2.3. Gleichmäßigkeit der Besteuerung Die Belastungswirkungen der Übergewinnsteuer müssen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG beachten. Eine Ungleichbehandlung kann sich daraus ergeben, dass die Übergewinnsteuer nur ganz bestimmte Teile des Nettoeinkommens mit einem erhöhten Steuersatz belastet . Die Belastungswirkungen sind also in Abhängigkeit von der Berechnung des Übergewinns unterschiedlich verteilt. 6.2.3.1. Vorgaben des allgemeinen Gleichheitssatzes Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG folgt das Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln; dies gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen. Differenzierungen bedürfen der Rechtfertigung durch Sachgründe , die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab , dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen.101 Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich dabei unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben; dies gilt auch, je weniger die 99 Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 3 Rn. 105; Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 3.182 f., 3.196 f. 100 Vgl. Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 3 Rn. 123; § 4 Rn. 549 ff.; Drüen, in: Tipke/Kruse, 163. EL November 2020, AO § 3 Rn. 17a (praktisch kommt das Verbot der Erdrosselungssteuer kaum zur Wirkung). 101 BVerfG, Urteil vom 10.4.2018, 1 BvL 11/14 u.a., DStR 2018, 791, Rn. 94; BVerfG, Urteil vom 17.12.2014, 1 BvL 21/12, DStR 2015, 31, Rn. 121. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 25 Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind oder sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern.102 Im Steuerrecht müssen die Steuerpflichtigen nach dem Grundsatz der Lastengleichheit durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden. Dabei hat der Gesetzgeber einen weit reichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstandes als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes.103 Ist diese Wahl bzw. Belastungsentscheidung getroffen , müssen sich Abweichungen davon ihrerseits am Gleichheitssatz messen lassen (Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands) und bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermag. Dabei steigen die Anforderungen an den Rechtfertigungsgrund mit Umfang und Ausmaß der Abweichung .104 Diese aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Bindung an die Grundsätze der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und der Folgerichtigkeit gilt erst im Binnensystem der einzelnen Steuern und nicht für die Bestimmung des Steuergegenstandes und des Steuersatzes.105 Daher kann sich die oben diskutierte Frage, inwieweit die Ergänzungsabgabe als eigenständige Abgabe anzusehen ist (dazu 6.1.3.), auf die verfassungsrechtliche Rechtfertigung ihrer Ausgestaltung auswirken. Der Gleichheitssatz wird im Steuerrecht bereichsspezifisch konkretisiert durch das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, insbesondere im Einkommensteuerrecht ; danach darf der Gesetzgeber – zumindest für direkte Steuern – nicht auf finanzielle Mittel zugreifen, soweit keine individuelle Leistungsfähigkeit besteht.106 6.2.3.2. Weite Vorgaben für die Tarifgestaltung Gerade bei der Tarifgestaltung verfügt der Gesetzgeber nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG (dazu 6.2.3.1.) über einen sehr weiten Gestaltungsspielraum. Der Tarifverlauf unterliegt daher weitgehend dem Gestaltungswillen des Gesetzgebers und erweist sich nur in eingeschränktem Maße einer gerichtlichen Kontrolle als zugänglich.107 Der Gleichheitssatz zieht nur „äußerste 102 BVerfG, Urteil vom 10.4.2018, 1 BvL 11/14 u.a., DStR 2018, 791, Rn. 95; BVerfG, Urteil vom 17.12.2014, 1 BvL 21/12, DStR 2015, 31, Rn. 122. 103 BVerfG, Urteil vom 17.12.2014, 1 BvL 21/12, DStR 2015, 31, Rn. 123; BVerfG, Beschluss vom 15.1.2008, 1 BvL 2/04, DStRE 2008, 1003, Rn. 82; Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 3 Rn. 97 (Art. 3 Abs. 1 GG hält „insoweit kaum Vorgaben bereit“); kritisch daher Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 3.118, 3.125 (Relativierung des Folgerichtigkeitsgebots). 104 BVerfG, Urteil vom 17.12.2014, 1 BvL 21/12, DStR 2015, 31, Rn. 123. 105 Tappe, NVwZ 2020, 517 (520); kritisch zu dieser Rechtsprechung Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 3.119, 3.125, die zumindest für die auf das Einkommen zugreifenden Steuern eine steuerübergreifende Betrachtung und eine inhaltliche Abstimmung der Steuern fordert. 106 Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 3.121; Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 3 Rn. 48, 88 f. 107 So Pfirrmann, in: Kirchhof/Seer, 19. Aufl. 2020, EStG § 32a Rn. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 26 Grenzen“.108 Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Tarif verlangen insbesondere die Berücksichtigung des existenznotwendigen Bedarfs und einen folgerichtig gestalteten, die (unterschiedliche ) wirtschaftliche Leistungsfähigkeit iSv. Art. 3 GG angemessen berücksichtigenden Tarifverlauf.109 Der Steuersatz kann progressiv oder proportional ausgestaltet sein.110 Nach einiger Diskussion zum Halbteilungsgrundsatz im Anschluss an seine Entscheidung zur Vermögensteuer111 hat das BVerfG für die Ertragsteuern klargestellt, dass sich aus dem Grundgesetz keine allgemein verbindliche, absolute verfassungsrechtliche Obergrenze in der Nähe einer hälftigen Teilung für die Belastung mit Einkommen- und Gewerbesteuer ergibt.112 Nach der Rechtsprechung des BVerfG gibt es daher keine konkrete Obergrenze für die steuerliche Belastung .113 Neben dem Verbot der Erdrosselungssteuer verlangt das BVerfG allerdings, dass der wirtschaftliche Erfolg nicht grundlegend beeinträchtigt wird.114 Die Übergewinnsteuer greift nur auf einen Teil der gemeinsamen Bemessungsgrundlage der Ertragsteuern zu. Zu beachten ist dabei, dass die Intensität der Steuerbelastung nicht allein durch die Höhe des Steuersatzes bestimmt wird, sondern erst durch die Relation zwischen Steuersatz und Bemessungsgrundlage.115 Die Höhe des Steuersatzes der Übergewinnsteuer ist daher grundsätzlich nicht durch verfassungsrechtliche Vorgaben begrenzt. 6.2.3.3. Unterschiedliche Belastung gleicher Einkommen rechtfertigungsbedürftig Unabhängig von der Höhe ihres Steuersatzes schafft die Übergewinnsteuer jedenfalls eine Ungleichbehandlung zulasten der von ihr betroffenen Unternehmen, weil sie für gleich hohe Nettoeinkommen zu unterschiedlichen steuerlichen Belastungen führt, je nachdem ob sich nach den einschlägigen Berechnungsregeln (dazu oben 4.) ein Übergewinn ergibt oder nicht. Dadurch werden Steuerpflichtige mit gleich hohem Nettoeinkommen unterschiedlich hoch belastet. Soweit 108 Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 4 Rn. 509. 109 BVerfG, Beschluss vom 18.1.2006, 2 BvR 2194/99, NJW 2006, 1191, Rn. 48; Pfirrmann, in: Kirchhof/Seer, 19. Aufl. 2020, EStG § 32a Rn. 3. 110 BVerfG, Beschluss vom 18.1.2006, 2 BvR 2194/99, NJW 2006, 1191, Rn. 48. Das BVerfG hält einen progressiven Steuersatz nicht (mehr) für geboten, siehe Wernsmann, NJW 2006, 1169, 1174. Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 7.86 f., 8.802 sieht einen proportionalen niedrigen Tarif als ideale gleichheitsgerechte Lösung für Unternehmen und natürliche Personen an, wenigstens aber eine im internationalen Vergleich maßvolle Progression. 111 BVerfG, Beschluss vom 22.6.1995, 2 BvL 37/91, NJW 1995, 2615. 112 BVerfG, Beschluss vom 18.1.2006, 2 BvR 2194/99, NJW 2006, 1191, Rn. 41. 113 Drüen, in: Tipke/Kruse, 163. EL November 2020, AO § 3 Rn. 17b; Pfirrmann, in: Kirchhof/Seer, 19. Aufl. 2020, EStG § 32a Rn. 3; Wernsmann, NJW 2006, 1169, 1174 (eine solche Grenze wäre auch kaum handhabbar gewesen und hätte Prozesslawinen ausgelöst, wie die zulässige Obergrenze zu berechnen ist). 114 BVerfG, Beschluss vom 18.1.2006, 2 BvR 2194/99, NJW 2006, 1191, Rn. 48. 115 BVerfG, Beschluss vom 18.1.2006, 2 BvR 2194/99, NJW 2006, 1191, Rn. 47. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 27 man in der Übergewinnsteuer eine Ausgestaltung der Tarifbelastung bei Zugriff auf dieselbe Besteuerungsgrundlage sieht (dazu oben 6.1.), steht dem Gesetzgeber dafür ein weiter Gestaltungsspielraum zu (dazu oben 6.2.3.1.). Die Ungleichbehandlung muss daher zumindest durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt werden. 6.2.3.3.1. Bestehende Ausnahmen von der Gleichbelastung der Einkommen Das Ertragsteuerrecht kennt mehrere, auch grundlegende Ausnahmen von der (tariflichen) Gleichbelastung gleich hoher Einkommen. Aufgrund der Rechtsformabhängigkeit des Ertragsteuerrechts werden Einkünfte juristischer Personen grundlegend anders besteuert als Einkünfte natürlicher Personen und Personengesellschaften.116 Insbesondere im Falle der Thesaurierung der Gewinne ergeben sich erhebliche Belastungsunterschiede. Steuerpflichtige mit Einkünften aus Gewerbebetrieb werden seit jeher mit einer zusätzlichen Steuer belegt, der Gewerbesteuer. Auch wenn diese auf die Einkommensteuer natürlicher Personen anrechenbar ist, verbleiben dennoch unterschiedliche steuerliche Belastungen, zum Beispiel aufgrund von Hinzurechnungen und hoher Gewerbesteuerhebesätze. Das BVerfG hat diese Zusatzbelastungen derselben Einkommen bei unterschiedlichen Steuerpflichtigen nicht als verfassungswidrige Ungleichbehandlung angesehen. Es hat aufgrund des weiten Spielraums des Gesetzebers bei der Ausgestaltung des Steuergegenstandes und des Steuersatzes bei der Schaffung von Steuern die unterschiedliche Belastung von Steuerpflichtigen durch die Gewerbesteuer lediglich am Willkürverbot gemessen.117 Im Anwendungsbereich des EStG werden bestimmte Einkünfte unterschiedlichen Steuersätzen unterworfen. So werden private Kapitaleinkünfte grundsätzlich aus der progressiven Einkommensbesteuerung herausgelöst und einer proportionalen Abgeltungsteuer unterworfen. Damit wird das System der synthetischen Einkommensteuer durchbrochen. Dennoch wird diese Schedulenbesteuerung für gleichheitsgerecht gehalten.118 Auch für andere Einkunftsarten ergeben sich unter dem EStG unterschiedliche Belastungen in Abhängigkeit von der Art der Einkünfte, zum Beispiel durch unterschiedliche Gewinnermittlungsregeln, Freibeträge oder Steuerbefreiungen . 6.2.3.3.2. Fazit zum Gleichbehandlungsgebot Das Ertragsteuerrecht weist bereits mit steigender Tendenz – jeweils sachlich zu begründende – unterschiedliche Belastungswirkungen gleich hoher Nettoeinkommen auf. Für die Übergewinn- 116 Die Spreizung der Steuersätze (zum Beispiele zwischen einem niedrigen Körperschaftsteuer- und einem höheren Einkommensteuerspitzensatz) lässt sich als international verbreiteter Trend im Zeitalter der Globalisierung ausmachen, Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 3.79, 7.76, 8.804. In der proportionalen Besteuerung , wie sie bei der Körperschaftsteuer und bei der Abgeltungsteuer zum Ausdruck kommt, sieht Kirchhof , in: Kirchhof/Seer, 19. Aufl. 2020, EStG Einleitung Rn. 7 einen im Vordringen befindlichen Gedanken. 117 BVerfG, Beschluss vom 15.1.2008, 1 BvL 2/04, DStRE 2008, 1003, Rn. 80, 85. 118 Kirchhof, in: Kirchhof/Seer, 19. Aufl. 2020, EStG § 2 Rn. 113. Die Entwicklung weg von der synthetischen zur dualen Einkommensteuer wird zwar als rechtfertigungsbedürftig, aber verfassungsrechtlich zulässig betrachtet, Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 7.77. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 4 - 3000 - 023/21 Seite 28 steuer kann der sachliche Grund darin liegen, dass die betroffenen steuerpflichtigen Unternehmen während der Corona-Pandemie im Vergleich zu einem Referenzgewinn höhere Gewinne erzielt haben, während andere Teile der Wirtschaft stark durch die Pandemie betroffen sind und sich ein großer zusätzlicher Finanzbedarf für die öffentlichen Haushalte ergibt. Für die Belastungswirkungen der Übergewinnsteuer ist die Ausgestaltung ihrer Bemessungsgrundlage entscheidend . Für diese muss ein sachlich begründeter und nachvollziehbarer Referenzgewinn herangezogen werden (dazu oben 4.). Zur Abmilderung der Belastungswirkungen kann dieser Referenzgewinn – historischen Vorbildern folgend – ggf. durch eine alternative Berechnungsregel, einen Mindestreferenzgewinn oder Freibeträge ergänzt werden. Allerdings lassen sich dabei die aus der Historie der Übergewinnsteuern bekannten technischen Probleme nicht vermeiden. Soweit die Einführung einer solchen Steuer in den weiten Gestaltungspielraum des Gesetzgebers fällt, ist sie lediglich am Willkürverbot zu messen. Dann genügt dem Gesetzgeber ein sachlicher Grund zur Einführung einer Übergewinnsteuer. * * *