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Übergewinnsteuer – historische Hintergründe, aktuelle Diskussion
und rechtliche Fragen
Ausarbeitung
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Übergewinnsteuer – historische Hintergründe, aktuelle Diskussion und rechtliche Fragen
Aktenzeichen: WD 4 - 3000 - 023/21
Abschluss der Arbeit: 31. März 2021
Fachbereich: WD 4: Haushalt und Finanzen
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Inhaltsverzeichnis
1. Fragestellung 4
2. Historische Beispiele für Übergewinnsteuern 4
2.1. USA 4
2.2. Großbritannien 5
2.3. Frankreich 6
2.4. Zusammenfassung zu historischen Übergewinnsteuern 7
3. Aktuelle Diskussion über Übergewinnsteuern 8
3.1. Einführung auf internationaler Ebene 8
3.2. Einführung auf nationaler Ebene 9
3.2.1. USA 9
3.2.2. Großbritannien 10
3.2.3. Weitere Staaten 11
4. Berechnungsmöglichkeiten des Übergewinns 12
4.1. Zwei Methoden zur Berechnung des Übergewinns 12
4.2. Schwierigkeiten und Abmilderungen der beiden Varianten 13
4.3. Kritik an der Umsetzung der beiden Varianten 15
5. Grundtatbestand einer Übergewinnsteuer 15
5.1. Ziel der Steuer 15
5.2. Steuersubjekt 16
5.3. Steuerobjekt 16
5.4. Steuertarif 16
5.5. Erhebungszeitraum 16
6. Verfassungsrechtliche Fragen einer Übergewinnsteuer 17
6.1. Einordnung in die Finanzverfassung und Kompetenzgrundlage 17
6.1.1. Gesetzgebungskompetenz für die Einkommen- und
Körperschaftsteuer 17
6.1.2. Gesetzgebungskompetenz für die Ergänzungsabgabe 19
6.2. Verfassungsrechtliche Vorgaben für eine Übergewinnsteuer 21
6.2.1. Rückwirkungsverbot 21
6.2.2. Verbot der Erdrosselungssteuer 23
6.2.3. Gleichmäßigkeit der Besteuerung 24
6.2.3.1. Vorgaben des allgemeinen Gleichheitssatzes 24
6.2.3.2. Weite Vorgaben für die Tarifgestaltung 25
6.2.3.3. Unterschiedliche Belastung gleicher Einkommen
rechtfertigungsbedürftig 26
6.2.3.3.1. Bestehende Ausnahmen von der Gleichbelastung der Einkommen 27
6.2.3.3.2. Fazit zum Gleichbehandlungsgebot 27
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1. Fragestellung
Angesichts des durch die Corona-Pandemie verursachten staatlichen Finanzbedarfs einerseits
und ihrer sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Branchen und Unternehmen
andererseits wird in verschiedenen Ländern über eine sog. Übergewinnsteuer (Excess Profits
Tax) diskutiert. Damit könnten die „Gewinner“ der Krise, die in den Jahren der Pandemie hohe
Umsätze und Gewinne verzeichnen, zur Finanzierung der öffentlichen Kosten der Corona-Pandemie
stärker herangezogen werden.
Die Übergewinnsteuer wird beschrieben als eine „Steuer auf den Mehrbetrag gegenüber dem Gewinn
einer vorangegangenen Basisperiode, z.B. die Excess Profits Tax während des Ersten und
Zweiten Weltkriegs in Großbritannien und USA“.1 Eine Übergewinnsteuer belastet den über einen
„Normalgewinn“ oder eine „Normalrendite“ hinausgehenden Gewinn; was als „Normal“-
und was als „Über“-Gewinn gelten soll, kann verschieden berechnet werden.2
Vor diesem Hintergrund wird gefragt nach der Zielsetzung und Funktionsweise der Excess Profits
Tax während der beiden Weltkriege in den USA sowie in Großbritannien und Frankreich
(dazu nachfolgend 2.), nach dem Stand der internationalen Debatte um die Einführung einer
Übergewinnsteuer (dazu nachfolgend 3.), nach unterschiedlichen Formen der Berechnung des
Übergewinns (dazu nachfolgend 4.) sowie nach der Möglichkeit der Einführung einer Übergewinnsteuer
in Deutschland unter Berücksichtigung insbesondere der verfassungsrechtlichen und
steuerlichen Aspekte (dazu nachfolgend 5. und 6.).
2. Historische Beispiele für Übergewinnsteuern
Die Idee einer Übergewinnsteuer ist, seitdem es moderne Formen der Einkommensteuer gibt, vor
allem in Kriegszeiten erwogen und umgesetzt worden. Anlass dafür waren zum einen der gestiegene
öffentliche Finanzbedarf, zum anderen die stark gestiegenen Umsätze und Gewinne bestimmter
Branchen, die vom Krieg wirtschaftlich profitierten.
2.1. USA
In den Vereinigten Staaten wurde die erste Excess Profits Tax im Laufe des Jahres 1917 mit Wirkung
ab 1917 eingeführt.3 Sie erfasste zunächst alle Steuerpflichtigen mit Einkünften aus Gewerbebetrieb
, seit 1918 allerdings nur noch Körperschaften. Der Steuersatz war progressiv ausgestaltet
und betrug zwischen 20 % und 60 % des definierten Übergewinns. Besteuert wurden dabei
1 So in Gablers Wirtschaftslexikon (https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/uebergewinnsteuer-47797/version
-271059).
2 Brümerhoff, Wirtschaftsdienst 1975, S. 298; Dunnagen, Wars, taxes, and excess profits (https://www.taxwatchuk
.org/excess_profits/).
3 Die folgenden Angaben zur Excess Profits Tax in den USA anlässlich des Ersten Weltkriegs sind entnommen
aus Holmes, The excess profits tax of 1917: Part I, The Bulletin of the National Tax Association Vol. 4, No. 1
(October, 1918), S. 7; Brownlee, Federal taxation in America, 1996, S. 51 (dort auch zur Einordnung in die Steuerpolitik
der Regierung Wilson); Brandes, Warhogs: A history of war profits in America, 1997, S. 242 f.; Hodge,
The history of excess profits taxes (https://taxfoundation.org/excess-profits-tax-pandemic-profits-tax/).
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solche Gewinne, die im Erhebungsjahr über der „normalen“ Rendite lagen. Dazu wurde vom tatsächlichen
Nettoeinkommen ein Betrag von 7 % bis 9 % des investierten Kapitals als „normale“
Rendite abgezogen; abgezogen wurde außerdem ein Freibetrag von 3.000 Dollar für Körperschaften
und 6.000 Dollar für Personengesellschaften und natürliche Personen. Ab 1918 wurde eine
alternative Berechnung des Übergewinns zugelassen, die auf einem Vergleich zu den Nettoeinkommen
der Vorkriegsjahre 1911 bis 1913 basierte; der Steuersatz betrug nun 80 %. Zur Berechnung
des Übergewinns siehe ausführlich unter 4. Von 1919 bis 1921 wurde die Steuer zu geringeren
Steuersätzen weiterhin erhoben. 1921 wurde die Excess Profits Tax schließlich abgeschafft.
Anlässlich des Zweiten Weltkriegs wurde von 1940 bis 1945 ebenfalls eine Excess Profits Tax erhoben
.4 Diese Steuer erfasste sowohl Körperschaften als auch Einzelunternehmer als Steuerpflichtige
. Die Steuersätze wurden progressiv ausgestaltet und betrugen 1940 zunächst bis zu
50 % und 1941 35 % bis 60 %. Ab 1942 wurde der Steuersatz auf einheitlich 90 % und 1943
nochmals auf 95 % erhöht. Zur Ermittlung des Übergewinns wurden vom Nettoeinkommen des
Erhebungsjahres zwischen 5 % und 8 % des investierten Kapitals als akzeptierte Rendite abgezogen
, wobei der Prozentsatz mit zunehmendem Volumen des Kapitals sank.5 Optional konnte der
Abzugsbetrag nach der average earnings method berechnet werden, wenn die Steuer dadurch geringer
ausfiel. Zur Berechnung des Übergewinns nach den beiden Methoden siehe ausführlich
unter 4. Im Jahre 1945 wurde die Excess Profits Tax mit Wirkung zum 1.1.1946 aufgehoben.
2.2. Großbritannien
Großbritannien erhob 1915 erstmals eine Excess Profits Tax, wobei der Steuersatz 50 % betrug.6
Steuerpflichtig waren alle Handels- und Gewerbeunternehmen. 1916 wurde der Steuersatz sodann
auf 60 % und 1917 auf 80 % Prozent angehoben. Die Erhebung der Excess Profits Tax endete
im Jahr 1921.7 Der steuerpflichtige Gewinn wurde wie folgt ermittelt: Der in der Steuerperiode
tatsächlich erzielte Gewinn zu Kriegszeiten wurde zu dem erzielten Gewinn in Friedenszeiten
in Vergleich gesetzt. Die Differenz ergab den steuerpflichtigen Mehrgewinn und bildete – abzüglich
eines Freibetrags von 200 Pfund – die Bemessungsgrundlage. Als Friedensgewinn wurde
der durchschnittliche Gewinn des Unternehmens aus zwei Friedensjahren angesehen, hierbei
konnte der Steuerpflichtige aus den letzten drei Friedensgeschäftsjahren zwei Geschäftsjahre auswählen
(Friedensgrundgewinn). Alternativ (als Mindestgewinn) wurde der Friedensgewinn prozentual
berechnet, als Verzinsung des investierten Kapitals am Ende des letzten Friedensjahres,
mit 6 % bei Körperschaften und 7 % bei anderen Unternehmen. Dieser Mechanismus schützte
4 Die folgenden Angaben zur Excess Profits Tax in den USA anlässlich des Zweiten Weltkriegs sind entnommen
aus Brandes, Warhogs: A history of war profits in America, 1997, S. 238 ff.; Brownlee, Federal taxation in America
, 1996, S. 90 ff.
5 Als Benachteiligung großer Unternehmen kritisiert von Douglas, Excess profits taxation and the taxpayer, S.
140, 146 (https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=2180&context=lcp).
6 Die folgenden Angaben zur Excess Profits Tax in Großbritannien anlässlich des Ersten Weltkriegs sind entnommen
aus Prion, Steuer- und Anleihepolitik in England während des Krieges, 1918, S. 20, 85 f.
7 Dunnagen, Wars, taxes, and excess profits (https://www.taxwatchuk.org/excess_profits/).
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Unternehmen, die vor dem Krieg keine (hohen) Friedensgewinne erzielt haben, vor einer überhöhten
Steuer, die ansonsten das gesamte Nettoeinkommen des Erhebungsjahres hätte erfassen
können.8
Anfang 1939 führte Großbritannien erneut eine Excess Profits Tax mit einem Steuersatz von 60 %
ein. Diese war zunächst auf die Rüstungsindustrie beschränkt; ab Herbst 1939 wurde die Steuer
in allen Branchen erhoben.9
2.3. Frankreich
Frankreich beschloss mit Gesetz vom 1.7.1916, eine Kriegsgewinnsteuer mit Rückwirkung für
den Zeitraum vom 1.8.1914 bis zum 31.12.1915 einzuführen.10 Die Kriegsgewinnsteuer sollte alle
außergewöhnlichen Gewinne erfassen, die in der Zeit vom 1.8.1914 bis zum Ende des Krieges erzielt
werden. Steuerbarer Kriegsgewinn war der Gewinn des Steuerzeitraums abzüglich des Normalgewinns
. Der Normalgewinn bestimmte sich nach dem Durchschnittsgewinn der drei letzten
Geschäftsjahre vor dem 1.8.1914. War dieser Durchschnittswert nicht zu berechnen, betrug der
Normalgewinn 5.000 Francs oder 6 % des im Unternehmen investierten Kapitals. Abzugsfähig
vom Reingewinn waren außerdem „außerordentliche Abschreibungen“ für (im Wesentlichen
kriegsbedingte) außergewöhnliche Materialentwertungen, eine Regel, die im Folgenden für Auslegungsschwierigkeiten
und Steuervermeidungspotential sorgte. Zudem galt ein Freibetrag von
5.000 Francs. Die Kriegsgewinne wurden mit einem Steuersatz in Höhe von 50 % belegt, ab 1916
60 % für Gewinne über 500.000 Francs. Ab 1917 galt ein erhöhter, gestaffelter Steuersatz. Dieser
variierte von 50 % für steuerbare Gewinne von bis zu 100.000 Francs über 60 % (bis zu 150.000
Francs) über 70 % (bis zu 500.000 Francs) bis zu 80 % für steuerbare Gewinne über 500.000
Francs. Steuersubjekt waren sowohl Gesellschaften und Personen, die der Gewerbesteuer unterlagen
. Das Gesetz erweiterte die Steuerpflicht auf Personen, die nicht gewerbesteuerpflichtig waren
, wenn diese direkt oder als Subunternehmer Verträge über Lieferungen an den Staat abgeschlossen
hatten oder dabei als Vermittler gegen Provision mitgewirkt hatten, und zwar auch,
wenn diese Geschäfte außerhalb ihrer üblichen Geschäfts- oder Berufstätigkeit lagen.
Ab 1939 erhob Frankreich erneut eine Übergewinnsteuer. Zunächst waren nur Unternehmen der
Rüstungsindustrie steuerpflichtig, fünf Monate später wurde die Steuerpflicht auf alle Unternehmen
erweitert.11 Im Jahr 1945 wurde außerdem eine „nationale Solidaritätssteuer“ als einmalige
8 Eine ähnliche Mindestgewinnregelung enthielt zum Beispiel auch die Kriegsgewinnsteuer der Schweiz, dazu
Herold, Kriegsgewinnsteuer 1946, S. 16.
9 Douglas, Excess profits taxation and the taxpayer, S. 142 (https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent
.cgi?article=2180&context=lcp).
10 Die folgenden Angaben zur Kriegsgewinnsteuer in Frankreich anlässlich des Ersten Weltkriegs sind entnommen
aus Respondek, Steuer- und Anleihepolitik in Frankreich während des Krieges, 1918, S. 71 ff. Neben der Kriegsgewinnsteuer
erhob Frankreich auch eine Kriegssteuer als Zuschlag zur zu zahlenden Einkommensteuer von bis
zu 25 %, die von mobilisierungsfähigen Personen erhoben wurde, die vom Kriegsdienst befreit waren bzw. keinen
Dienst leisteten, Respondek, a.a.O., S. 79.
11 Douglas, Excess profits taxation and the taxpayer, S. 142 (https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent
.cgi?article=2180&context=lcp).
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Progressivsteuer mit sehr hohen Steuersätzen auf Kapital und Gewinne erhoben, die während der
Besatzungszeit 1940 bis 1945 erwirtschaftet wurden.12 Neben einer Vermögensabgabe zum Stichtag
4.6.1945 wurden auch Vermögenszuwächse, die zwischen 1940 und 1945 entstanden waren,
mit bis zu 100 % Steuer belastet. Ziel dieser Steuer war die Abschöpfung der in der Besatzungsund
Kriegszeit entstandenen Gewinne.
2.4. Zusammenfassung zu historischen Übergewinnsteuern
Dieser Ausschnitt historischer Erscheinungsformen zeigt, dass die Übergewinnsteuer vor allem in
Kriegs- und Nachkriegszeiten erhoben wurde. Mit der Steuer wurden vor allem zwei Ziele verfolgt
, nämlich das fiskalpolitische Ziel der Deckung eines außergewöhnlich hohen öffentlichen
Finanzbedarfs und das weitere Ziel, Gewinne bestimmter Branchen abzuschöpfen, die entweder
aufgrund oder während der Kriege erwirtschaftet wurden und daher als ungerecht empfunden
wurden. Dass die Übergewinnsteuer in Kriegszeiten nicht nur darauf abzielte, gerade kriegsbedingte
Gewinnsteigerungen (zum Beispiel der Rüstungsindustrie) zu erfassen, sondern sämtliche
während des Krieges erzielten Gewinne, zeigt die Diskussion in den USA; hier wurde es als ungerecht
empfunden, dass einige Bürger hohe Gewinne erzielen konnten, während andere auf den
Schlachtfeldern für den Staat ihr Leben einsetzten.13
Diese Motive mögen auch die zum Teil außergewöhnlich hohen Steuersätze dieser Übergewinnsteuern
erklären, die zu einer nahezu vollständigen Besteuerung der Übergewinne führen konnten
. Die Steuersätze reichten von 20 % bis zu 95 %. Der Steuertarif war entweder fest oder progressiv
ausgestaltet. Allerdings waren aus heutiger Sicht als ungewöhnlich hoch erscheinende
Steuersätze in der Geschichte der modernen progressiven Einkommensbesteuerung in der Zeit
während und zwischen den Weltkriegen und auch darüber hinaus durchaus verbreitet.14
Hinsichtlich der weiteren Ausgestaltung der Übergewinnsteuern zeigt sich folgendes Bild. Die
subjektive Steuerpflicht wurde in ihrer engsten Form auf Unternehmen einer bestimmten Branche
, nämlich der Rüstungsindustrie, beschränkt. Überwiegend wurde sie jedoch branchenunabhängig
erhoben, zum Teil ausschließlich von Körperschaften, zumeist jedoch von allen Unternehmen
mit Einkünften aus Gewerbebetrieb. Branchensteuern zeigen sich historisch als Vorläufer
genereller Übergewinnsteuern.15 Als solche Vorläufer können auch Regelungen in den USA
angesehen werden, wonach Unternehmen zum Beispiel für die Herstellung und Lieferung eines
12 Dazu Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, 2016, S. 494.
13 Brandes, Warhogs: A history of war profits in America, 1997, S. 242.
14 Zu Höchststeuersätzen der progressiven Einkommensteuern in Frankreich, in den USA und in Großbritannien
siehe Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, 2016, S. 671, 679 ff.; Piketty, Kapital und Ideologie, 2020, S. 565 f.
15 Douglas, Excess profits taxation and the taxpayer, S. 142 (https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent
.cgi?article=2180&context=lcp) zu Beispielen aus den USA, Großbritannien und Frankreich.
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Kriegsschiffes oder Flugzeuges oberhalb einer bestimmten Auftragssumme einen Teil ihres Gewinns
aus diesem Geschäft an den Fiskus abführen müssen, zum Beispiel den über 10 % des
Kaufpreises hinausgehenden Gewinn.16
Steuerobjekt der Übergewinnsteuern waren die Übergewinne der Unternehmen, jedoch wurden
diese auf verschiedene Art und Weise definiert und berechnet (dazu ausführlich 4.). Die Übergewinnsteuern
wurden zumeist nur für wenige Jahre erhoben.
3. Aktuelle Diskussion über Übergewinnsteuern
3.1. Einführung auf internationaler Ebene
Ausgehend vom BEPS-Projekt der OECD sind im Rahmen des Inclusive Framework zwei sog.
Säulen (Pillars) vorgesehen, wobei die erste eine Neuverteilung der Besteuerungsrechte an Einkommen
der multinational operierenden Unternehmen unter Einbeziehung sog. Marktstaaten
und die zweite die Einführung eines Mindestbesteuerungsniveaus für Unternehmensgewinne beinhaltet
.17 Die erste Säule unterscheidet dabei zur Aufteilung des Besteuerungsrechts zwischen
dem sog. Routinegewinn und dem sog. Residualgewinn.18 Daran anknüpfend haben Tarcisio Diniz
Magalhaes und Allison Christians von der McGill University, Montreal, das Konzept einer
Übergewinnsteuer auf OECD-Ebene entwickelt.19 Danach soll als dritte Säule (Pillar 3) eine Sonderbesteuerung
der Übergewinne globaler Unternehmen während der Corona-Pandemie etabliert
werden. Dabei sollen die in Säule 1 und 2 angelegten Strukturen, insbesondere die Unterscheidung
zwischen Routine- und Residualgewinnen, zur Bestimmung des Übergewinns fruchtbar gemacht
werden. Die erhobenen Steuermittel sollen nach dem Maßstab der pandemiespezifischen
Bedürftigkeit verteilt werden.20
16 Douglas, Excess profits taxation and the taxpayer, S. 142 (https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent
.cgi?article=2180&context=lcp); Stimson, Limitation of war profits, 91 U. Pa. L. Rev. 29 (1942), S. 29 ff. zu
Gewinnbeschränkungen aufgrund des Vinson-Trammell Act 1934.
17 Siehe Wünnemann, IStR 2021, 73 ff. Zur Entwicklung des Projekts siehe Marquardt, IStR 2020, 292 ff.
18 Bräutigam/Kellermann/Spengel, IStR 2020, S. 281 ff.
19 Christians/Diniz Magalhaes, It’s Time for Pillar 3: A Global Excess Profits Tax for COVID-19 and Beyond, Taxnotes
, 1.5.2020 (https://www.taxnotes.com/featured-analysis/its-time-pillar-3-global-excess-profits-tax-covid-
19-and-beyond/2020/05/01/2cg34). Siehe auch Diniz Magalhaes/Christians, Rethinking Tax For the Digital Economy
After COVID-19, Harvard Business Law Review 2021, 1 ff.
20 Zustimmung findet das Konzept zum Beispiel beim deutschen Attac-Netzwerk (Attac, Amazons Corona-Bilanz:
Zeit für eine Übergewinnsteuer, 4.2.2021, ). Der britische Journalist Nicholas Shaxson warf den
noch weitergehenden Gedanken auf, auch Übergewinne multinationaler Unternehmen vor Beginn der Corona-
Pandemie in eine solche Steuer einzubeziehen (Shaxson, Corporate Taxation: Momentum is Building, Social
Europe, 21. Dezember 2020, abrufbar unter https://www.socialeurope.eu/corporate-taxation-momentum-is-building
). Im Grundsatz zustimmend auch Schüttpelz, Excess Profits Tax als Instrument zur Staatsfinanzierung in
der globalen Gesundheitskrise, 24.6.2020, abrufbar unter https://www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/excessprofits
-tax-zur-staatsfinanzierung-in-globaler-gesundheitskrise/).
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Auf internationaler Ebene hat das Centre on Economic and Social Rights (CESR) die Übergewinnsteuer
als nützliches Instrument zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie
herausgestellt und die Relevanz einer globalen Besteuerung und Steuerertragsverteilung bei
multinationalen Unternehmen auch in dieser Hinsicht betont.21
3.2. Einführung auf nationaler Ebene
3.2.1. USA
Seit den frühen Stadien der Corona-Pandemie setzen sich in den USA insbesondere Emmanuel
Saez und Gabriel Zucman für die Einführung einer Excess Profits Tax ein; die beiden Ökonomen
von der University of California, Berkeley, halten eine solche Steuer für unabdingbar, um eine
ungerechtfertigte Bereicherung aufgrund der Krise zu verhindern. In einem Gastbeitrag in der
New York Times vom 30.3.202022 fordern sie daher nicht nur Lohnersatzprogramme wie in vielen
europäischen Staaten, eine „Covid-Care“ für alle sowie Soforthilfen für Unternehmen. Sie fordern
den Kongress unter dem Motto „The battle for the speediest recovery starts today“ auch zur
Ausgestaltung einer Excess Profits Tax nach dem Vorbild der entsprechenden Regelungen im Ersten
und Zweiten Weltkrieg (siehe dazu 2.1.) auf.
Beinahe zeitgleich hat Reuven Avi-Yonah von der University of Michigan die Einführung einer
Übergewinnsteuer aufgrund von mit den Weltkriegen vergleichbaren Erwägungen für geboten erklärt
und argumentiert, es gebe keinen vernünftigen Grund gegen die Nutzung dieses Instruments
zum Defizitausgleich im Staatshaushalt und zur Vermeidung von Gewinnen, die nicht durch eigene
Verdienste entstanden seien. In seinem Artikel „It’s Time to Revive the Excess Profits Tax“
vom 27.3.202023 erklärt er hierbei die Berechnung des Übergewinns für den Dreh- und Angelpunkt
des Vorhabens und befürwortet eine Berechnung nach der average earnings method unter
Heranziehung der Jahre 2016 bis 2019, unter Anrechnung eines Betrages von 8 % der Forschungs
- und Entwicklungsausgaben und einer Kompensationen für die Neueinstellung von Arbeitnehmern
. Als Steuersatz für den so berechneten Übergewinn schlägt er 95 % vor.
Diese Vorstöße wurden von weiteren Wissenschaftlern wie Suresh Naidu von der University of
Columbia24 und Journalisten25 unterstützt. Kritiker verweisen hingegen auf die Schwierigkeiten
21 CESR, Topic Three: Progressive Tax Measures to Realize Rights, Juni 2020, abrufbar unter
.
22 Saez/Zucman, Jobs Aren’t Being Destroyed This Fast Elsewhere. Why Is That?, The New York Times, 30.3.2020,
abrufbar unter .
23 Avi-Yonah, It’s Time to Revive the Excess Profits Tax, The American Prospect v. 27.3.2020, abrufbar unter
.
24 Siehe dazu Nicholson, Tax ‘Excess’ Profits of Big Money-Making Companies to Fix Coronavirus Economy,
Scholar Urges, Market Watch, 30.4.2020, abrufbar unter .
25 Siehe nur Pearl, It’s Time to Bring Back America’s Tax on Excess Profits, Fast Company v. 8.7.2020, abrufbar
unter .
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der Berechnung des Übergewinns und fordern eine Unterscheidung zwischen nicht durch eigene
Leistung herbeigeführten Übergewinnen aufgrund der Pandemie als solcher und zusätzlichen Gewinnen
aufgrund von Innovationen.26
3.2.2. Großbritannien
Auch in Großbritannien wurden im Verlauf der Pandemie Forderungen nach einer Excess Profits
Tax erhoben. So verlangte Janette Rutterford, Lehren aus den zahlreichen vergangenen finanziellen
Krisen zu ziehen, in denen eine solche Steuer hilfreich gewesen sei.27 Auch Tim Sarson
stellte eine Übergewinnsteuer als im Vergleich zu allgemeinen Steuererhöhungen attraktivere
Möglichkeit in den Raum.28 Nach Berichten der Sunday Times, die sich insoweit auf geleakte E-
Mails beruft, sollen auch auf Ebene der britischen Regierung Überlegungen zur Einführung einer
Übergewinnsteuer als Einmalsteuer existieren.29
Auch in Großbritannien ist die Übergewinnsteuer indes umstritten. Stellvertretend für die Kritiker
verweist Ryan Bourne darauf, dass auch die angeblich von der Pandemie profitierenden Unternehmen
wie Online-Händler und Supermärkte während der Pandemie erheblichen Belastungen
, etwa durch die Notwendigkeit von Neueinstellungen und die Implementierung der sog.
Social-Distancing-Maßnahmen ausgesetzt gewesen seien. Bourne argumentiert, ihr erhöhter Gewinn
sei nicht etwa auf Zufall oder die Verluste anderer Wirtschaftsteilnehmer, sondern vielmehr
auf ihre schnelle Anpassungsfähigkeit und Innovation zurückzuführen und kritisiert, die
Einführung einer Übergewinnsteuer könne die Bereitschaft von Unternehmen zur Einrichtung
präventiver Mechanismen für künftige Krisen dieser Art mindern.30
26 Zusammenfassend Olivo, COVID-19 Revives Push For Decades-Old Excess Profits Tax, Law36, 24.2.2021, abrufbar
unter .
27 Rutterford, Taxing Financial Winners From Coronavirus to Pay for the Crisis: Lessons From WW1, The Conversation
, 13.10.2020, abrufbar unter . Rutterford ist emeritierte Professorin für Finanzen und Finanzgeschichte
.
28 Sarson, International Review for November, Tax Journal, 27.11.2020, abrufbar unter . Sarson ist Steuerpartner bei KPMG.
29 Shipman, Amazon and Online Giants Face Tax Raid on Booming Sales, The Times, 7.2.2021, abrufbar unter
https://www.thetimes.co.uk/article/amazon-and-online-giants-face-tax-raid-on-booming-sales-ljq9lg2gt; Reuters,
UK plans to tax firms that profited from pandemic: Sunday Times, 7.2.2021, abrufbar unter . Bourne ist Inhaber des R. Evan Scharf Chair for the Public Understanding of
Economics am Cato Institute,
30 Siehe zum Ganzen Bourne, Why a COVID-19-Windfall Tax Is a Terrible Idea, UK Telegraph, 21.5.2020, abrufbar
unter .
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3.2.3. Weitere Staaten
In Bezug auf Kanada hat Alex Hemingway in einem im Toronto Star veröffentlichten Artikel unter
Berufung auf Saez/Zucman die Einführung einer Übergewinnsteuer auf nationaler Ebene gefordert
.31 Diese sei wichtig zur Vermeidung eines Missbrauchs von staatlichen Hilfen in der Pandemie
und eines übermäßigen Profits einzelner Akteure aus einer Krise, die andere Teile der Gesellschaft
erheblich benachteilige. Der Vorsitzende der kanadischen New Democratic Party
(NDP), Jagmeet Singh, hat sich dieser Forderung gemeinsam mit seiner Partei im Oktober 2020
angeschlossen.32 Die Partei visiert eine Besteuerung von Pandemie-Übergewinnen mit mindestens
30 % neben einer Zusatzsteuer auf Vermögen über 20 Mio. kanadischen Dollar an. Neben
Zustimmung erfährt der Vorschlag auch Kritik. So befürchtet Elliot Hughes, dass eine solche
Steuer die falschen Firmen, beispielsweise Unternehmen zur Herstellung von Schutzbekleidung,
treffen könne.33
In Südafrika hat die Journalistin Barbara Curson die Einführung einer pandemie-bezogenen Einmal
-Übergewinnsteuer unter der Bedingung befürwortet, dass sie auf große Unternehmen beschränkt
werde, während Keith Engel eine solche Steuer zwar für ein interessantes akademisches
Konzept hält, zugleich aber vermeiden möchte, dass Unternehmen durch eine solche Maßnahme
zur Liquidierung von Assets gezwungen werden.34
In Deutschland wurde – neben der bestehenden Diskussion um eine „Pillar 3“ des BEPS-Projekts
– vereinzelt die Einführung einer Übergewinnsteuer auf nationaler Ebene diskutiert bzw. gefordert
.35
31 Hemingway, Excess Profits Tax Needed to Prevent Profiteering Amid COVID-19, Toronto Star, 23.4.2020, abrufbar
. Hemingway ist Ökonom und Analyst für öffentliche Finanzen beim Canadian
Centre for Policy Alternatives.
32 NDP, Pandemic Profiteers and Ultra-Wealthy Must Pay Their Share, 8.10.2020, abrufbar unter
.
33 Zum Meinungsstand zum NDP-Vorschlag siehe Jolson Lim, Jagmeet Singh Wants to Tax Companies Making Big
Profits During COVID, iPolitics, 8.10.2020, abrufbar unter .
34 Curson, Is a Corporate Excess Profits Tax on the Cards?, Moneyweb, 22.2.2021, abrufbar unter
. Engel
ist CEO des South African Institute of Tax Professionals.
35 Siehe etwa NachDenkSeiten, Hinweise des Tages, 25.6.2020, abrufbar unter . Westphalen, Die Krisengewinnler zur Gemeinschaftskasse, bitte!, Telepolis, 9.12.2020,
abrufbar unter . Siehe auch Schüttpelz, Excess Profits Tax als Instrument zur Staatsfinanzierung in der globalen
Gesundheitskrise, 24.6.2020, abrufbar unter https://www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/excess-profits-taxzur
-staatsfinanzierung-in-globaler-gesundheitskrise/).
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4. Berechnungsmöglichkeiten des Übergewinns
Für die konkrete Ausgestaltung der Übergewinnsteuer, ihre Belastungswirkungen für die Unternehmen
und das Aufkommen für den Fiskus ist die Berechnung des Übergewinns entscheidend.
Ausgangsgröße dafür ist das im Erhebungsjahr tatsächlich erzielte Nettoeinkommen, wie es sich
aus der steuerlichen Gewinnermittlung ergibt. Zur Ermittlung des Übergewinns muss dieses verglichen
werden mit dem „Normalgewinn“ als Referenzgewinn, der vom Nettoeinkommen des Erhebungsjahres
abgezogen wird (credit). Die Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Bestimmung
des Übergewinns werden im Folgenden im Wesentlichen anhand der beiden Excess Profit Taxes
erläutert, die in den USA anlässlich der beiden Weltkriege erhoben wurden (dazu oben 2.1.).
4.1. Zwei Methoden zur Berechnung des Übergewinns
Für den notwendigen Vergleich kommen zwei Referenzeinkommen in Betracht.36 Zum einen das
Nettoeinkommen, das sich bei einer vorgegebenen (fiktiven) Rendite auf das im Erhebungsjahr
investierte Kapital ergibt (invested capital method), zum anderen das tatsächliche Nettoeinkommen
desselben Unternehmens, das sich als Durchschnitt aus einem definierten Zeitraum vor dem
Erhebungsjahr ergibt (average earnings method; auch als average income method oder base years
method bezeichnet).37 Verglichen wird also entweder mit einem generellen Nettoeinkommen, das
als Prozentsatz des investierten Kapitals ermittelt wird, oder mit tatsächlichen Gewinnen desselben
Unternehmens vor dem Erhebungsjahr, also zum Beispiel vor dem Ausbruch eines Krieges.
Die Varianten der Berechnung entfalten unterschiedliche Wirkungen. Die invested capital method
zielt darauf ab, sämtliche Unternehmen zu erfassen, die im Erhebungsjahr hohe Renditen
auf ihr investiertes Kapital erzielen. Dies betrifft auch Unternehmen, die bereits zu Vorkriegszeiten
genauso erfolgreich waren. Die average earnings method zielt dagegen vor allem auf Unternehmen
, die im Erhebungsjahr deutlich erfolgreicher sind als zum Beispiel in der Vorkrisenzeit,
die also ihre Gewinne in Krisenzeiten deutlich steigern konnten.
Die Diskussion um diese beiden Varianten und ihre Vor- und Nachteile hat in den Gesetzgebungsverfahren
zur Excess Profits Tax in den USA anlässlich des Ersten und des Zweiten Weltkriegs
eine große Rolle gespielt.38 In Abhängigkeit von den relevanten Kennzahlen der Unternehmen
(Nettoeinkommen, investiertes Kapital, Vorkriegsgewinne) zeigten sich sehr unterschiedliche
tatsächliche Belastungen der Unternehmen. Die effektiven Steuersätze der Übergewinnsteuer
bezogen auf das Nettoeinkommen des Erhebungsjahres differenzierten stark, je nachdem welche
Methode angewendet wurde.39 So wurde ein hochprofitables Unternehmen wie die Coca-Cola
36 Dazu etwa Douglas, Excess profits taxation and the taxpayer, S. 146 (https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent
.cgi?article=2180&context=lcp).
37 Brandes, Warhogs: A history of war profits in America, 1997, S. 243.
38 Zum Ersten Weltkrieg Holmes, The excess profits tax of 1917: Part I, The Bulletin of the National Tax Association
Vol. 4, No. 1 (October, 1918), S. 7 ff.; zum Zweiten Weltkrieg Brandes, Warhogs: A history of war profits in
America, 1997, S. 239 ff.
39 Siehe die Übersicht bei Brandes, Warhogs: A history of war profits in America, 1997, S. 241.
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Company mit einer sehr hohen Kapitalrendite und bereits zu Vorkriegszeiten hohen Gewinnen
durch die average earnings method deutlich weniger belastet als durch die invested capital method
.40 Das Ergebnis des politischen Ringens war ein Kompromiss, wonach beide Methoden nach
Wahl des steuerpflichtigen Unternehmens zur Berechnung des Übergewinns zugelassen wurden
.41 Zwar wurde im Gesetzgebungsverfahren insbesondere von Seiten der Regierung Roosevelt
noch versucht, die Entlastungswirkung der average earnings method zu begrenzen, indem als Abzugsbetrag
(credit) vom Nettoeinkommen des Erhebungsjahres ein Maximum von 10 % des investierten
Kapitals festgelegt werden sollte, was jedoch im Kongress scheiterte.42
Zur Berechnung des Abzugsbetrags für Zwecke der average earnings method wurden als Vergleichszeitraum
die Jahre 1936 bis 1939 herangezogen, wobei ein Jahr unberücksichtigt blieb
(„drei aus vier“). Der so ermittelte Abzugsbetrag aus drei Jahren wurde außerdem um 5 % reduziert
.43 Zur Abmilderung der Folgen der Übergewinnsteuer gab es außerdem mehrere Befreiungstatbestände
für Unternehmen, deren Abzugsbeträge aus besonderen Gründen ungewöhnlich
niedrig blieben, zum Beispiel bei Unterbrechungen der Produktion, zeitlich begrenzten besonderen
ökonomischen Umständen, abweichenden Gewinnzyklen oder bei Veränderungen der Unternehmenstätigkeit
(zum Beispiel bei Beginn oder grundlegender Veränderung der Geschäftstätigkeit
, der Kapital- oder Unternehmensstruktur).44
4.2. Schwierigkeiten und Abmilderungen der beiden Varianten
Beide Varianten der Berechnung des Übergewinns weisen gewisse technische Schwierigkeiten
auf. Die Achillesferse der invested capital method ist die Berechnung des investierten Kapitals.45
Problematisch ist dabei sowohl die Frage des Ansatzes als auch der Bewertung der einzelnen Positionen
des Kapitals. Zwar ist das bilanzielle Eigenkapital (der Steuerbilanz) Ausgangspunkt für
das investierte Kapital. Diskutiert wurde aber zum Beispiel, solches Eigenkapital auszunehmen,
dessen Erträge (teilweise) steuerfrei sind (zum Beispiel Beteiligungseinkünfte) oder andererseits
40 Dazu Brandes, Warhogs: A history of war profits in America, 1997, S. 240.
41 Brandes, Warhogs: A history of war profits in America, 1997, S. 246; dies wird als großzügiges Entgegenkommen
an die Großindustrie gesehen, Brownlee, Federal taxation in America, 1996, S. 90.
42 Der damalige Senator aus Georgia, dem Sitz der Coca-Cola Company, soll dafür mitverantwortlich sein, dazu
Brandes, Warhogs: A history of war profits in America, 1997, S. 243 ff.
43 Douglas, Excess profits taxation and the taxpayer, S. 146 (https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent
.cgi?article=2180&context=lcp).
44 Douglas, Excess profits taxation and the taxpayer, S. 147 (https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent
.cgi?article=2180&context=lcp); die weiten Ausnahmen waren ein Zugeständnis der Regierung Roosevelt an
die Widerstände im Kongress als Gegenleistung für die Anhebung des Steuersatzes auf 90 %, Brownlee, Federal
taxation in America, 1996, S. 93.
45 Dazu etwa Holmes, The excess profits tax of 1917: Part I, The Bulletin of the National Tax Association Vol. 4,
No. 1 (October, 1918), S. 10.
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Fremdkapital in das investierte Kapital einzubeziehen.46 Diskutiert wurde auch über eine Bewertung
der Wirtschaftsgüter zum Zeitwert, die Einbeziehung (nicht aktivierter) immaterieller Wirtschaftsgüter
und des Geschäftswertes (Goodwill).47 Neben solchen Ansatz- und Bewertungsfragen
ist weiterhin zu klären, wie mit Kapitalveränderungen im laufenden Erhebungsjahr umzugehen
ist, zum Beispiel mit unterjährigen Kapitalzuführungen oder Veränderungen der Unternehmensstruktur
.
Demgegenüber scheint die average earnings method auf den ersten Blick einfacher zu handhaben
sein, weil sie die Bestimmung und Bewertung des investierten Kapitals vermeidet und die Vergleichsgrößen
der steuerlichen Einkommen des Erhebungsjahres und der Vorjahre bekannt sind.
Ihre Achillesferse liegt jedoch in der periodenübergreifenden Vergleichbarkeit der Gewinne eines
Unternehmens. Diese kann aufgrund von Veränderungen der Unternehmensstruktur erheblich
beeinträchtigt sein, zum Beispiel infolge von Unternehmenskäufen und Umwandlungen (Verschmelzungen
, Abspaltungen etc.). Aber auch andere Veränderungen der Kapitalstruktur des Unternehmens
können die Vergleichbarkeit der Gewinne beeinträchtigen. Dem lässt sich zum Beispiel
begegnen, indem der ermittelte Durchschnittsgewinn mit einem Faktor modifiziert wird,
und zwar proportional zur Veränderung des im Unternehmen investierten Kapitals im Erhebungszeitraum
im Vergleich zum investierten Kapital im Referenzzeitraum.48 Zwischenzeitliche
Kapitalzuführungen wirken sich dann erhöhend auf die Basis aus dem Referenzzeitraum (den
Abzugsbetrag) aus und reduzieren so den Übergewinn.
Die average earnings method führt außerdem zu einer hohen Bemessungsgrundlage und damit zu
einer hohen Steuerbelastung, wenn der durchschnittliche Vergleichsgewinn (der Vorkriegszeit)
sehr niedrig ausfällt oder sogar bei Null liegt. Dann würde das gesamte Nettoeinkommen des Erhebungsjahres
der Übergewinnsteuer unterliegen. Dieses Problem vermeidet die oben geschilderte
Optionsregelung in den USA. Auch andere Länder, die zwar die average earnings method
als Regelfall vorsahen, begegneten dem Problem mit Ausnahmeregeln, die eine Berechnung der
Basis (des Abzugsbetrages) mit einem fiktiven Vorkriegsgewinn vorsahen. Dies konnte ein festgelegter
Betrag sein oder – in Anlehnung an die invested capital method – ein Prozentsatz des investierten
Kapitals (sei es des Erhebungsjahres, sei es des Vorkriegsjahres).
Eine generelle Möglichkeit zur Abmilderung der Übergewinnsteuer sind Freibeträge (zum Beispiel
auch in Abhängigkeit von der Größe oder der Rechtsform der Unternehmen) oder Regelungen
über Sonderabschreibungen oder Abzugsbeträge für bestimmte Investitionen (speziell für
Zwecke der Übergewinnsteuer), die zu einem niedrigeren Übergewinn im Erhebungsjahr der
Steuer führen.
46 Siehe Holmes, The excess profits tax of 1917: Part I, The Bulletin of the National Tax Association Vol. 4, No. 1
(October, 1918), S. 7, 10.
47 Dazu Holmes, The excess profits tax of 1917: Part I, The Bulletin of the National Tax Association Vol. 4, No. 1
(October, 1918), S. 7 f.
48 Dazu Holmes, The excess profits tax of 1917: Part I, The Bulletin of the National Tax Association Vol. 4, No. 1
(October, 1918), S. 7 f.
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4.3. Kritik an der Umsetzung der beiden Varianten
Aus der Erhebung der Excess Profit Taxes in den USA wird berichtet, dass sie zu ungerechten Ergebnissen
führen konnte, die durch eine großzügige Auslegung des Gesetzes im Einzelfall seitens
der Finanzverwaltung in Grenzen gehalten werden konnten, um übermäßige Belastungen für die
Unternehmen zu vermeiden.49 Kritisiert wurde auch, dass die gesetzlichen Regelungen zu kompliziert
50 oder zu ungenau seien, um den Übergewinn realistisch zu berechnen.51 Kritisiert wurde
ferner, dass die Übergewinnsteuer der Wirtschaft Kapital entzieht, das sie gerade in Krisen- oder
Nachkrisenzeiten dringend benötigt.52
Aus den Gesetzgebungsverfahren in den USA lässt sich wohl die Schlussfolgerung ziehen, dass
die invested capital method als präferierte Form der Berechnung angesehen wurde, die Ungleichheiten
und Zufälle der average earnings method vermeidet53, und der average earnings method
eher eine Begrenzungsfunktion zukommt. Die gesetzliche Kombination beider Methoden und die
Wahlmöglichkeit für den Steuerpflichtigen können jedenfalls unerwünschte Auswüchse beider
Methoden im Einzelfall verhindern.
5. Grundtatbestand einer Übergewinnsteuer
Um die Übergewinnsteuer im Folgenden (dazu 6.) rechtlich einordnen zu können, werden auf
der Grundlage der historischen Erkenntnisse sowie der aktuellen Diskussion einige wesentliche
Eckpunkte ihres möglichen Steuertatbestands skizziert.
5.1. Ziel der Steuer
Die Übergewinnsteuer verfolgt in erster Linie einen fiskalpolitischen Zweck, nämlich Einnahmen
in Zeiten eines erheblich gesteigerten Finanzbedarfs zu generieren. Für die Ausgestaltung muss
entschieden werden, ob vorrangig Unternehmen belastet werden sollen, die ihren Gewinn im
Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie gesteigert haben, oder alle Unternehmen, die in Zeiten
der Corona-Pandemie hohe Gewinne erzielen.
49 Holmes, The excess profits tax of 1917: Part I, The Bulletin of the National Tax Association Vol. 4, No. 1 (October
, 1918), S. 9.
50 Douglas, Excess profits taxation and the taxpayer, S. 144 (https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent
.cgi?article=2180&context=lcp).
51 Holmes, The excess profits tax of 1917: Part I, The Bulletin of the National Tax Association Vol. 4, No. 1 (October
, 1918), S. 9; generell kritisch aus ökonomischer Sicht Brümmerhoff, Wirtschaftsdienst 1975, S. 298.
52 Douglas, Excess profits taxation and the taxpayer, S. 142, 147 (https://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent
.cgi?article=2180&context=lcp).
53 Vgl. Brandes, Warhogs: A history of war profits in America, 1997, S. 239.
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5.2. Steuersubjekt
Der Kreis der steuerpflichtigen Unternehmen muss bestimmt werden. Dies können Körperschaften
einerseits sowie Personengesellschaften und natürliche Personen mit unternehmerischen Einkünften
, ggf. nur mit Einkünften aus Gewerbebetrieb – andererseits sein. Die Orientierung an den
Einkünften aus Gewerbebetrieb würde einen Gleichlauf zur Gewerbesteuerpflicht herstellen.
Denkbar ist aber auch eine Beschränkung der Steuer allein auf Körperschaften.
Historisch ist eine Einbeziehung aller gewerblichen Unternehmen verbreitet. In der aktuellen
Diskussion äußern sich viele Befürworter nicht explizit zur Frage des Steuersubjekts; als Kontext
der Forderung werden aber häufig die Gewinne großer Unternehmen der Digitalwirtschaft genannt
. Denkbar ist daher auch im Anschluss an die Festlegung der steuerpflichtigen Rechtsformen
eine Beschränkung auf Unternehmen einer bestimmten Größenklasse. Die Verschonung kleinerer
und mittlerer Unternehmen kann auch durch einen Freibetrag bei der Berechnung der
Übergewinnsteuer erreicht werden.
5.3. Steuerobjekt
Als Steuerobjekt muss der Übergewinn definiert werden, der im Vergleich zu einem früheren
durchschnittlichen Gewinn oder im Vergleich zu einem akzeptierten Normalgewinn berechnet
werden kann (siehe dazu ausführlich 4.). In der aktuellen Diskussion ist die Berechnung des
Übergewinns umstritten und wird in vielen Vorschlägen zugleich nicht präzisiert. Vorgeschlagen
wird zum Beispiel eine Berechnung des Übergewinns als Differenz zum durchschnittlichen Gewinn
in den vier vorausgehenden Jahren (average earnings method),54 dabei wird ein Abzugsbetrag
für Investitionen und für die Neueinstellung von Arbeitnehmern befürwortet.
5.4. Steuertarif
Der auf die Übergewinne anzuwendende Steuersatz kann einheitlich oder progressiv ausgestaltet
sein. In der aktuellen Diskussion werden Steuersätze von 5 %55 über 75 bis 90 %56 bis hin zu 95
%57 oder eine Verdoppelung der regulären Steuersätze58 vorgeschlagen.
5.5. Erhebungszeitraum
Die Übergewinnsteuer kann für ein bestimmtes Erhebungsjahr als Einmalsteuer oder für einen
mehrjährigen Zeitraum eingeführt werden. Der Gesetzgeber kann die Steuer auch ohne Befristung
54 Avi-Yonah, It’s Time to Revive the Excess Profits Tax, The American Prospect, 27.3.2020. So wohl auch Shaxson
, Corporate Taxation: Momentum is Building, Social Europe, 21.12.2020.
55 Curson, Is a Corporate Excess Profits Tax on the Cards?, Moneyweb, 22.2.2021.
56 Shaxson, Corporate Taxation: Momentum is Building, Social Europe, 21.12.2020.
57 Avi-Yonah, It’s Time to Revive the Excess Profits Tax, The American Prospect, 27.3.2020.
58 Für Kanada NDP, Pandemic Profiteers and Ultra-Wealthy Must Pay Their Share, 8.10.2020.
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einführen. In der Diskussion wird die Übergewinnsteuer, soweit die Beiträge sich damit auseinandersetzen
, als Einmalsteuer begriffen.59
6. Verfassungsrechtliche Fragen einer Übergewinnsteuer
6.1. Einordnung in die Finanzverfassung und Kompetenzgrundlage
Um aus Sicht des deutschen Abgabenrechts die Gesetzgebungs-, Ertrags- und Verwaltungskompetenzen
sowie die materiell-rechtlichen Anforderungen an eine Abgabe zu bestimmen, sind Abgaben
zu klassifizieren. Liegt eine Steuer im verfassungsrechtlichen Sinne vor, bestimmt sich die
Gesetzgebungskompetenz nach Art. 105 GG, die Ertragskompetenz nach Art. 106 GG und die Verwaltungskompetenz
nach Art. 108 GG.60
Steuern sind öffentliche Abgaben, die als Gemeinlast ohne individuelle Gegenleistung („voraussetzungslos
“) zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs eines öffentlichen Gemeinwesens erhoben
werden.61 Nach § 3 Abs. 1 AO sind Steuern einmalige oder laufende Geldleistungen, die
nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen
Gemeinwesen zur Erzielung von Einkünften allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand
zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; die Erzielung von Einnahmen kann
Nebenzweck sein.62 Die gemäß oben 5. skizzierte Übergewinnsteuer erfüllt alle Merkmale des verfassungsrechtlichen
Steuerbegriffs.
6.1.1. Gesetzgebungskompetenz für die Einkommen- und Körperschaftsteuer
Nach Art. 105 Abs. 2 GG hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebung über die übrigen Steuern
, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen
des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen. Übrige Steuern in diesem Sinne sind nur die in Art. 106
GG genannten Steuern bzw. Steuerarten. Über andere dort nicht ausdrücklich genannte Steuern
oder Steuerarten haben Bund und Länder keine Gesetzgebungskompetenz; dem einfachen Gesetzgeber
kommt kein freies Steuererfindungsrecht zur Einführung anderer Steuern zu.63
59 Insbesondere Curson, Is a Corporate Excess Profits Tax on the Cards?, Moneyweb, 22.2.2021; Westphalen, Die
Krisengewinnler zur Gemeinschaftskasse, bitte!, Telepolis, 9.12.2020.
60 Tappe/Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 2019, Rn. 208, 212.
61 BVerfG, Beschluss vom 13.4.2017, 2 BvL 6/13, NJW 2017, 2249, Rn. 100.
62 Die einfach-rechtliche Definition in § 3 Abs. 1 AO stimmt mit dem verfassungsrechtlichen Steuerbegriff überein
, Tappe/Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 2019, Rn. 214; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24.
Aufl. 2021, Rn. 2.10.
63 Diese Sperrwirkung der Finanzverfassung zur Etablierung in Art. 106 GG nicht genannter Steuern gilt auch für
die Länder, BVerfG, Beschluss vom 13.4.2017, 2 BvL 6/13, NJW 2017, 2249, Rn. 69 ff., 94 ff.; Schwarz, in: v.
Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, GG Art. 106 Rn. 17; Ludwigs, NVwZ 2017, 1509 (1510 f.). Zum Streit darum
siehe Tappe/Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, 2. Aufl. 2019, Rn. 251 ff.
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Die in Art. 105 GG und Art. 106 GG genannten Steuern und Steuerarten sind Typusbegriffe; neue
Steuern sind daher daraufhin abzugleichen, ob sie dem Typus einer herkömmlichen Steuer entsprechen
.64 Um einerseits eine klare Abgrenzung der Kompetenzen in der Finanzverfassung zu
ermöglichen, andererseits aber eine Versteinerung des Steuersystems zu vermeiden, geben die in
Art. 106 GG aufgeführten Steuern als Steuertypen abstrakt einen äußeren Rahmen vor, innerhalb
dessen sich die Steuerarten entwicklungsoffen anpassen lassen und auch grundlegende Systemumstellungen
einzelner Steuern ermöglichen.65 Die in Art. 106 GG genannten Steuern können
daher auch grundlegend umgestaltet werden; auch neuartige Steuern können eingeführt werden,
wenn sie sich noch einem der in Art. 106 GG genannten Steuertypen zuordnen lassen.66 Die Zuordnung
einer Abgabe zu einem Kompetenztitel des Art. 106 GG bestimmt sich nach den wesensprägenden
Strukturmerkmalen der Steuer, also Subjekt (Schuldner) und Objekt (Gegenstand),
Maßstab der Bemessung und Art der Erhebung; entscheidend ist, ob zwei Steuern materiell dieselbe
Quelle wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit abschöpfen.67
Die Einkommensteuer im Sinne des Art. 106 Abs. 3 Satz 1 GG belastet das am allgemeinen Markt
erzielte Einkommen natürlicher Personen, wobei als Einkommen der Bruttoertrag aus gesetzlich
zu definierenden Erwerbsquellen (Einkunftsarten) abzüglich erwerbs- und existenzsichernder
Aufwendungen (objektives und subjektives Nettoprinzip) zu verstehen ist; die Körperschaftsteuer
betrifft das ebenso verstandene Einkommen der juristischen Personen.68 Die Übergewinnsteuer
greift auf die gleiche Quelle wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu wie die Einkommensteuer und
die Körperschaftsteuer, nämlich auf das am Markt erzielte Einkommen. Ein bestimmter Teil des
gleichen Steuerobjekts, nämlich des Nettoeinkommens, der bereits durch die Einkommen- und
die Körperschaftsteuer erfasst und mit dem regulären Steuertarif versteuert wird, wird dadurch
zusätzlich einem besonderen Steuertarif unterworfen, der über den regulären Steuertarif hinausgeht
. Im Ergebnis handelt es sich dann bei der Übergewinnsteuer um eine besondere Tarifbestimmung
zur Einkommen- und Körperschaftsteuer bei demselben Steuersubjekt und demselben
Steuerobjekt. Auf die formale Bezeichnung dieser Steuer kommt es nicht an.69
Die Übergewinnsteuer kann daher materiell als Einkommensteuer bzw. Körperschaftsteuer auf
die Kompetenzgrundlage des Art. 106 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 GG gestützt werden.
Das Aufkommen der Übergewinnsteuer steht dann dem Bund und den Ländern gemeinsam zu
64 Innerhalb der durch Art. 105 GG und Art. 106 GG vorgegebenen Typusbegriffe verfügt der Gesetzgeber über eine
weitgehende Gestaltungsfreiheit, BVerfG, Beschluss vom 13.4.2017, 2 BvL 6/13, NJW 2017, 2249, Rn. 64.
65 Seiler, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 106 Rn. 80 f.
66 Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 2.5 und Rn. 2.6 zu einer Umwandlung der Körperschaftsteuer
zu einer allgemeinen Unternehmensteuer.
67 Seiler, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 106 Rn. 82, Art. 105 Rn. 144 (dort zur Frage der Gleichartigkeit
von Steuern für Zwecke der Abgrenzung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz von Bund und
Ländern).
68 Seiler, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 106 Rn. 138, 140 (bei der Körperschaftsteuer ohne Abzug
existenzsichernder Aufwendungen).
69 Seiler, in: Maunz/Dürig, 92. EL August 2020, GG Art. 106 Rn. 82.
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(Art. 106 Abs. 3 Satz 1 GG). Am Aufkommen der Einkommensteuer (abzüglich eines Gemeindeanteils
, Art. 106 Abs. 5 GG) und der Körperschaftsteuer sind der Bund und die Länder jeweils zur
Hälfte beteiligt (Art. 106 Abs. 3 Satz 2 GG).
6.1.2. Gesetzgebungskompetenz für die Ergänzungsabgabe
Der Bund kann durch Gesetz eine Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer
erheben; das Aufkommen aus dieser Ergänzungsabgabe steht allein dem Bund zu
(Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG). Das Gesetz zur Einführung der Ergänzungsabgabe ist ein Einspruchsund
kein Zustimmungsgesetz (vgl. Art. 105 Abs. 3 GG). Weitere ausdrückliche Vorgaben für die
Erhebung und Ausgestaltung der Ergänzungsabgabe, z.B. hinsichtlich ihres Umfangs oder ihrer
Dauer, enthält der Wortlaut des Grundgesetzes nicht.70 Die Ergänzungsabgabe ermöglicht es dem
Bund, einen Finanzbedarf, der gerade beim Bund und nicht zugleich bei den Ländern und Gemeinden
besteht, durch eine Belastung des Einkommens der natürlichen Personen und Körperschaften
(anstelle einer Belastung des Verbrauchs durch Erhöhung von Bundesverbrauchssteuern
) zu decken, wenn eine allgemeine Erhöhung der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer
mit anteiliger Aufkommenswirkung zugunsten der Länder bzw. Gemeinden nicht notwendig
ist.71 Eine Ergänzungsabgabe ist der seit 1995 erhobene Solidaritätszuschlag auf der Grundlage
des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995.72
Als Ergänzung der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer ähnelt die Ergänzungsabgabe in
der Struktur diesen Steuern und baut auf ihrer Systematik auf.73 Das BVerfG verlangt daher, dass
sich die Ergänzungsabgabe in einem angemessenen Verhältnis zur Einkommensteuer und Körper-
70 Tappe, NVwZ 2020, 517 (518).
71 Vgl. Tappe, NVwZ 2020, 517 (519).
72 Zu den verschiedenen Ergänzungsabgaben in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland siehe Kube, DStR
2017, 1792 (1793).
73 BVerfG, Beschluss vom 9.2.1972, 1 BvL 16/69, NJW 1972, 757.
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schaftsteuer hält, um diese auch den Ländern zustehenden Gemeinschaftsteuern nicht auszuhöhlen
.74 Aus den vom BVerfG formulierten Anforderungen wird gefolgert, dass die Ergänzungsabgabe
einen „kleinen Prozentsatz“ zur Einkommen- und Körperschaftsteuer nicht überschreiten
darf.75
Umstritten ist im Übrigen, welchen Gestaltungsspielraum der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung
der Ergänzungsabgabe hat. Die Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer muss
diese Steuern „weiterführen“, wobei sich der Steuersatz (und die Höhe des Zuschlags) notwendig
von dem der Einkommen- und Körperschaftsteuer unterscheiden.76 Damit teilt sich die Ergänzungsabgabe
die gleiche Bemessungsgrundlage, als eigenständige Abgabe muss sie jedoch nicht
auf die Ausgestaltung der Einkommen- und Körperschaftsteuer abgestimmt sein, um etwa Lücken
zu vermeiden oder eine mehrfache Besteuerung zu verhindern.77 Nach dieser Auffassung soll der
Ergänzungscharakter nicht zu Restriktionen bei der Ausgestaltung der Ergänzungsabgabe führen,
sondern dem Gesetzgeber wie bei anderen Steuern auch hinsichtlich der Auswahl des Steuergegenstands
und des Steuersatzes ein weiter Spielraum zukommen.78 Nach anderer Auffassung
wird eine nicht streng akzessorisch (proportional) an die Höhe der Einkommensteuerschuld anknüpfende
Ausgestaltung der Ergänzungsabgabe durch den Bund (ohne notwendige Zustimmung
des Bundesrates) und damit eigene politische Gestaltung des Tarifverlaufs (bezogen auf die Gesamtsteuerbelastung
) als Umgehung des Art. 105 Abs. 3 GG angesehen, insbesondere weil die Tarifbestimmung
die „zentrale politische Stellschraube für die Verteilung der Steuerlasten“ sei. 79
Je nachdem, wie weit man den Spielraum des Gesetzgebers zur Ausgestaltung der Ergänzungsabgabe
zieht, kann die Übergewinnsteuer ggf. auch als Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer
und Körperschaftsteuer eingeführt werden, indem sie einen bestimmten Teil des Einkommens
(gleiches Besteuerungsobjekt) als Übergewinn definiert und diesen neben dem regulären Steuersatz
ergänzend mit einem zusätzlichen Steuersatz belastet. Der wesentliche Unterschied besteht
darin, dass das Aufkommen dann ausschließlich dem Bund zusteht. Umstritten und ungeklärt ist
74 BVerfG, Beschluss vom 9.2.1972, 1 BvL 16/69, NJW 1972, 757; BFH, Urteil vom 21.7.2011, II R 52/10, DStRE
2011, 1199 (1200). Eine Aushöhlung ist nur bei einer sehr deutlichen Verschiebung des bundesstaatlichen Verteilungsgefüges
anzunehmen (Kube, DStR 2017, 1792 (1796 f.): beim Solidaritätszuschlaggesetz 1995 eindeutig
nicht der Fall). Der BFH verlangt eine „schwerwiegende Belastung“ für das finanzielle Ausgleichssystem zwischen
Bund und Ländern (BFH, Urteil vom 21.7.2011, II R 52/10, DStRE 2011, 1199 (1201)).
75 Siehe Kube, in: BeckOK GG, 46. Ed. 15.11.2020, GG Art. 106 Rn. 14; Seiler, in: Maunz/Dürig, 92. EL August
2020, GG Art. 106 Rn. 117. Für zulässig gehalten werden jedenfalls 5,5 % (Heintzen, in: von Münch/Kunig, 7.
Aufl. 2021, GG Art. 106 Rn. 21), 7,5 % (Bartone, Gedanken zur Verfassungsmäßigkeit von Ergänzungsabgaben
im Sinne von Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG, in: Jochum u.a. (Hrsg.), Festschrift für Rudolf Wendt, 2015, S. 739 (744))
und maximal 10 % als Zuschlagsteuer und 5 % bei direkter Erhebung vom Einkommen (Frank, Verfassungsmäßigkeit
und Zukunft des Solidaritätszuschlags, 2019, zugl. Siegen, Univ. Diss. 2019, S. 49).
76 Für einen eher weiten Spielraum Tappe, NVwZ 2020, 517 (520); Frank, Verfassungsmäßigkeit und Zukunft des
Solidaritätszuschlags, 2019, zugl. Siegen, Univ. Diss. 2019, S. 35 ff.
77 Tappe, NVwZ 2020, 517 (520).
78 Tappe, NVwZ 2020, 517 (520).
79 Restriktiver daher Wernsmann, NJW 2018, 916 (918) und ZG 2020, 181 (189).
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allerdings noch, welche verfassungsrechtlichen Anforderungen an den erforderlichen zusätzlichen
Finanzbedarf des Bundes zu stellen sind, eine Diskussion, die vor allem im Hinblick auf die
teilweise Abschaffung bzw. Fortgeltung des Solidaritätszuschlages auch nach Auslaufen des sog.
Solidarpakts II vor der Corona-Pandemie geführt wurde.80 Mit dem erhöhten Finanzbedarf gerade
des Bundes aufgrund der Corona-Pandemie könnte sich ein solcher Finanzbedarf begründen lassen
.81 Weiter stellt sich die Frage nach dem Verhältnis einer zweiten Ergänzungsabgabe zum Solidaritätszuschlag
. Es ist allerdings nicht von vornherein ausgeschlossen, dass auch zwei Ergänzungsabgaben
erhoben werden können.82
6.2. Verfassungsrechtliche Vorgaben für eine Übergewinnsteuer
Eine wie unter 5. skizzierte Übergewinnsteuer muss so ausgestaltet sein, dass sie den materiellen
Anforderungen des Grundgesetzes an Steuergesetze genügt. Bei ihrer Einführung muss das Rückwirkungsverbot
beachtet werden (dazu nachfolgend 6.2.1.), sie darf keine erdrosselnde Wirkung
haben (dazu nachfolgend 6.2.2.), und sie muss den Vorgaben des allgemeinen Gleichheitssatzes
des Art. 3 Abs. 1 GG genügen (dazu nachfolgend 6.2.3.).
6.2.1. Rückwirkungsverbot
Übergewinnsteuern wurden vor allem in Krisenzeiten und unter einem gewissen Zeitdruck eingeführt
, häufig auch mit Rückwirkung. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutzgrundsatz
setzt der Rückwirkung Grenzen. Das BVerfG unterscheidet für die Zulässigkeit der Rückwirkung
zwischen der echten und der unechten Rückwirkung. Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn
ein Gesetz nachträglich in bereits abgeschlossene Sachverhalte eingreift und bereits eingetretene
Rechtsfolgen ändert, eine unechte Rückwirkung, wenn das Gesetz gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene
Sachverhalte betrifft und die Rechtsfolgen für die Zukunft ändert.83
80 Vgl. dazu Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung „Zur Verfassungsmäßigkeit des
Solidaritätszuschlags - Zur Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Solidaritätszuschlags in aktueller
Konzeption und der Verfassungsmäßigkeit geplanter Änderungen“, WD 4 – 3000 – 099/19 (https://www.bundestag
.de/resource/blob/655866/4410c74d5f58e7ccf5830b0c4c2d3f39/WD-4-099-19-pdf-data.pdf).
81 Jedenfalls dürfte der durch die Corona-Pandemie entstandene öffentliche Finanzbedarf eine neue Ergänzungsabgabe
rechtfertigen, Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 2.6; siehe auch Hey, in: Tipke/Lang,
Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 7.36.
82 Vgl. dazu Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Sachstand „Zulässigkeit einer Ergänzungsabgabe
zur Einkommen- und Körperschaftsteuer zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung“, WD 4 -
3000 - 135/20, S. 13 (https://www.bundestag.de/resource
/blob/815876/571283f24f564962dc1be74090b3c05b/WD-4-135-20-pdf-data.pdf).
83 BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012, 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302, Rn. 42 f.; Wernsmann, in: Hübschmann
/Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 4 Rn. 714, 740; Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl.
2021, Rn. 3.261 f.
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Bei veranlagungszeitraumbezogenen Steuern liegt eine echte Rückwirkung vor, wenn gesetzliche
Regelungen nach Ablauf des Veranlagungszeitraums mit Wirkung für einen vorangegangen, abgeschlossenen
Veranlagungszeitraum erlassen werden.84 Die echte Rückwirkung ist regelmäßig verfassungswidrig
, so dass die Erhöhung des Steuersatzes nach Ablauf des Veranlagungszeitraums
unzulässig ist.85 Die von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmetatbestände für echte Rückwirkungen
86 dürften hier nicht vorliegen. Die Einführung einer Übergewinnsteuer als Modifikation
der Einkommen- und Körperschaftsteuer oder als Ergänzungsabgabe dazu, die auf dieselbe –
in Veranlagungszeiträumen erfasste – Besteuerungsgrundlage zugreift, ist demnach im Jahr 2021
für Übergewinne des Veranlagungszeitraums 2020 nicht mehr zulässig.
Die Erhöhung des Steuersatzes während des laufenden Veranlagungszeitraums ist dagegen eine
unechte Rückwirkung.87 Auch wenn die Rechtsprechung des BVerfG zu unechten Rückwirkungen
strenger geworden ist, bleibt es dabei, dass unechte Rückwirkungen grundsätzlich zulässig
sind.88 Die aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip folgenden
Grenzen sind erst überschritten, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung
zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die
Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen.89 Dabei
sind die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen
der Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage abzuwägen, also das Gewicht des enttäuschten
Vertrauens und das Gewicht und die Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden
Gründe.90 Das BVerfG betont dabei auch, dass der dem Gemeinwohl verpflichtete Gesetzgeber
nicht in wichtigen Bereichen gelähmt werden darf und die Rechtsordnung für notwendige
Änderungen anpassungsfähig bleiben muss.91 Zu fragen ist daher, ob ein „besonderer Moment
der Schutzbedürftigkeit“ besteht, der in einer „gesteigerten rechtlichen Abgeschlossenheit des
Sachverhalts“ oder in bereits getätigten Dispositionen liegen kann.92
84 Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 3.262
85 Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 4 Rn. 734, 739, 742 (Höchstmaß an
Abgeschlossenheit).
86 Dazu Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 3.269; Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler,
260. EL. November 2020, AO § 4 Rn. 744.
87 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012, 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302, Rn. 44, 70
88 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012, 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302, Rn. 43; Wernsmann, in: Hübschmann
/Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 4 Rn. 768 f.
89 BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012, 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302, Rn. 43, 70.
90 BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012, 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302, Rn. 46.
91 BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012, 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302, Rn. 45.
92 Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 4 Rn. 769, 774; vgl. auch BVerfG,
Beschluss vom 10.10.2012, 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302, Rn. 71.
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Die durch Einführung einer Übergewinnsteuer ausgelöste Steuermehrbelastung knüpft an das Ergebnis
des gesamten Jahres an, nicht aber an einzelne Dispositionen des Steuerpflichtigen während
des Jahres, zum Beispiel ein einzelnes Veräußerungsgeschäft, das im Vertrauen auf die bestehende
steuerliche Rechtslage vorgenommen wird und damit eine gefestigte Rechtsposition
entstehen lässt.93 Es bleibt dann zu fragen, ob in der generellen Erwartung der Steuerpflichtigen,
dass sich im laufenden Veranlagungszeitraum keine Steuererhöhungen ergeben, ein besonderer
Moment der Schutzbedürftigkeit liegt. Nach einer Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1961
kann der Steuerpflichtige angesichts der Erfordernisse der öffentlichen Finanzwirtschaft nicht
darauf vertrauen, dass der zu Beginn eines Veranlagungszeitraums geltende Steuertarif bis zu
dessen Ende unverändert bleibt, wohl aber darauf, dass sich eine Erhöhung des Steuertarifs während
des Veranlagungszeitraums „in maßvollen Grenzen“ hält.94 Ohne näheren Begründungsaufwand
hat das BVerfG eine Erhöhung des Körperschaftsteuersatzes in der Mitte des laufenden
Veranlagungszeitraums mit Wirkung vom 1. Januar desselben Jahres von 50 % auf 60 % als maßvoll
angesehen. Im Schrifttum wird auch die Schaffung einer zusätzlichen Steuer während des
Veranlagungszeitraums als grundsätzlich möglich angesehen.95 Auch ein unerwartet auftretender
außerordentlicher Finanzbedarf kann als Interesse für Steuererhöhungen berücksichtigt werden.96
Unter Berücksichtigung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers zur Bestimmung der Steuersätze
und der Erfordernisse der öffentlichen Finanzwirtschaft gerade in Krisenzeiten kommt daher die
Einführung einer Übergewinnsteuer grundsätzlich auch im laufenden Veranlagungszeitraum in
Betracht, wobei allerdings unklar ist, wo die vom BVerfG verlangten „maßvollen Grenzen“ dafür
liegen und inwieweit das Gericht diese Anforderung noch aufrechterhält.
6.2.2. Verbot der Erdrosselungssteuer
Manche historische Übergewinnsteuern wiesen sehr hohe Steuersätze von bis zu 95 % auf. Dann
stellt sich die Frage, ob darin eine Erdrosselungssteuer liegt. Erdrosselungssteuern sind keine
Steuern, da sie nicht der Erzielung von Einnahmen dienen.97 Sie können weder auf Art. 105 GG
noch auf die Sachgesetzgebungskompetenz gestützt werden.98 Zudem verletzen sie die Steuerpflichtigen
in ihren Freiheitsgrundrechten. Zwar setzt das freiheitsrechtliche Übermaßverbot und
der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den Belastungswirkungen einer Steuer freiheitsrechtlich
93 Dazu Kirchhof, DStR 2015, 717 (718).
94 BVerfG, Urteil vom 19.12.1961, 2 BvR 1/60, BVerfGE 13, 274 (278).
95 Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 4 Rn. 737.
96 Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 3.272.
97 BVerfG, Beschluss vom 18.1.2006, 2 BvR 2194/99, NJW 2006, 1191, Rn. 44; Drüen, in: Tipke/Kruse, 163. EL November
2020, AO § 3 Rn. 17.
98 Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 3 Rn. 122.
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„kaum Grenzen“, mit Ausnahme eben der Erdrosselungssteuer.99 Eine Verletzung von Freiheitsgrundrechten
aufgrund eines unverhältnismäßigen, erdrosselnden Steuerzugriffs liegt erst vor,
wenn die unternehmerische Betätigung durch eine Totalbesteuerung ökonomisch sinnlos wird
und auf ein faktisches Verbot hinausläuft (Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG) oder zur Aufgabe des
Eigentums an einem konkreten Vermögensgegenstand zwingt (Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1
GG).100
Die Übergewinnsteuer greift zum einen nicht auf den gesamten Gewinn eines Jahres, sondern nur
auf den Übergewinn zu. Durch verschiedene Maßnahmen bei der Berechnung des Übergewinns
kann verhindert werden, dass der Großteil dieses Nettoeinkommens zur Bemessungsgrundlage
der Übergewinnsteuer wird (siehe oben 4.). Zum anderen muss der konkrete Steuersatz mit der
bereits bestehenden Belastung durch Einkommen- und Körperschaftsteuer abgestimmt werden.
Eine verfassungswidrige Erdrosselungssteuer liegt nur vor, wenn sie den betroffenen Unternehmer
zu einer Aufgabe seiner unternehmerischen Tätigkeit zwingen würde.
6.2.3. Gleichmäßigkeit der Besteuerung
Die Belastungswirkungen der Übergewinnsteuer müssen den allgemeinen Gleichheitssatz des
Art. 3 Abs. 1 GG beachten. Eine Ungleichbehandlung kann sich daraus ergeben, dass die Übergewinnsteuer
nur ganz bestimmte Teile des Nettoeinkommens mit einem erhöhten Steuersatz belastet
. Die Belastungswirkungen sind also in Abhängigkeit von der Berechnung des Übergewinns
unterschiedlich verteilt.
6.2.3.1. Vorgaben des allgemeinen Gleichheitssatzes
Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG folgt das Gebot, wesentlich Gleiches
gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln; dies gilt für ungleiche Belastungen
und ungleiche Begünstigungen. Differenzierungen bedürfen der Rechtfertigung durch Sachgründe
, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein
stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab
, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen
unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen.101 Je nach Regelungsgegenstand
und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich dabei unterschiedliche Grenzen für den
Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen
Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers
kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben; dies gilt auch, je weniger die
99 Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 3 Rn. 105; Hey, in: Tipke/Lang,
Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 3.182 f., 3.196 f.
100 Vgl. Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 3 Rn. 123; § 4 Rn. 549 ff.;
Drüen, in: Tipke/Kruse, 163. EL November 2020, AO § 3 Rn. 17a (praktisch kommt das Verbot der Erdrosselungssteuer
kaum zur Wirkung).
101 BVerfG, Urteil vom 10.4.2018, 1 BvL 11/14 u.a., DStR 2018, 791, Rn. 94; BVerfG, Urteil vom 17.12.2014, 1 BvL
21/12, DStR 2015, 31, Rn. 121.
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Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind oder
sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern.102
Im Steuerrecht müssen die Steuerpflichtigen nach dem Grundsatz der Lastengleichheit durch ein
Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden. Dabei hat der Gesetzgeber
einen weit reichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstandes
als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes.103 Ist diese Wahl bzw. Belastungsentscheidung getroffen
, müssen sich Abweichungen davon ihrerseits am Gleichheitssatz messen lassen (Gebot
der folgerichtigen Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands) und bedürfen eines
besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermag. Dabei steigen
die Anforderungen an den Rechtfertigungsgrund mit Umfang und Ausmaß der Abweichung
.104 Diese aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Bindung an die Grundsätze der Besteuerung nach
der Leistungsfähigkeit und der Folgerichtigkeit gilt erst im Binnensystem der einzelnen Steuern
und nicht für die Bestimmung des Steuergegenstandes und des Steuersatzes.105 Daher kann sich
die oben diskutierte Frage, inwieweit die Ergänzungsabgabe als eigenständige Abgabe anzusehen
ist (dazu 6.1.3.), auf die verfassungsrechtliche Rechtfertigung ihrer Ausgestaltung auswirken.
Der Gleichheitssatz wird im Steuerrecht bereichsspezifisch konkretisiert durch das Prinzip der
Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, insbesondere im Einkommensteuerrecht
; danach darf der Gesetzgeber – zumindest für direkte Steuern – nicht auf finanzielle Mittel
zugreifen, soweit keine individuelle Leistungsfähigkeit besteht.106
6.2.3.2. Weite Vorgaben für die Tarifgestaltung
Gerade bei der Tarifgestaltung verfügt der Gesetzgeber nach der ständigen Rechtsprechung des
BVerfG (dazu 6.2.3.1.) über einen sehr weiten Gestaltungsspielraum. Der Tarifverlauf unterliegt
daher weitgehend dem Gestaltungswillen des Gesetzgebers und erweist sich nur in eingeschränktem
Maße einer gerichtlichen Kontrolle als zugänglich.107 Der Gleichheitssatz zieht nur „äußerste
102 BVerfG, Urteil vom 10.4.2018, 1 BvL 11/14 u.a., DStR 2018, 791, Rn. 95; BVerfG, Urteil vom 17.12.2014, 1 BvL
21/12, DStR 2015, 31, Rn. 122.
103 BVerfG, Urteil vom 17.12.2014, 1 BvL 21/12, DStR 2015, 31, Rn. 123; BVerfG, Beschluss vom 15.1.2008, 1 BvL
2/04, DStRE 2008, 1003, Rn. 82; Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 3
Rn. 97 (Art. 3 Abs. 1 GG hält „insoweit kaum Vorgaben bereit“); kritisch daher Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht,
24. Aufl. 2021, Rn. 3.118, 3.125 (Relativierung des Folgerichtigkeitsgebots).
104 BVerfG, Urteil vom 17.12.2014, 1 BvL 21/12, DStR 2015, 31, Rn. 123.
105 Tappe, NVwZ 2020, 517 (520); kritisch zu dieser Rechtsprechung Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl.
2021, Rn. 3.119, 3.125, die zumindest für die auf das Einkommen zugreifenden Steuern eine steuerübergreifende
Betrachtung und eine inhaltliche Abstimmung der Steuern fordert.
106 Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 3.121; Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 260.
EL. November 2020, AO § 3 Rn. 48, 88 f.
107 So Pfirrmann, in: Kirchhof/Seer, 19. Aufl. 2020, EStG § 32a Rn. 3.
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Grenzen“.108 Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Tarif verlangen insbesondere die Berücksichtigung
des existenznotwendigen Bedarfs und einen folgerichtig gestalteten, die (unterschiedliche
) wirtschaftliche Leistungsfähigkeit iSv. Art. 3 GG angemessen berücksichtigenden
Tarifverlauf.109 Der Steuersatz kann progressiv oder proportional ausgestaltet sein.110
Nach einiger Diskussion zum Halbteilungsgrundsatz im Anschluss an seine Entscheidung zur
Vermögensteuer111 hat das BVerfG für die Ertragsteuern klargestellt, dass sich aus dem Grundgesetz
keine allgemein verbindliche, absolute verfassungsrechtliche Obergrenze in der Nähe einer
hälftigen Teilung für die Belastung mit Einkommen- und Gewerbesteuer ergibt.112 Nach der
Rechtsprechung des BVerfG gibt es daher keine konkrete Obergrenze für die steuerliche Belastung
.113 Neben dem Verbot der Erdrosselungssteuer verlangt das BVerfG allerdings, dass der wirtschaftliche
Erfolg nicht grundlegend beeinträchtigt wird.114
Die Übergewinnsteuer greift nur auf einen Teil der gemeinsamen Bemessungsgrundlage der Ertragsteuern
zu. Zu beachten ist dabei, dass die Intensität der Steuerbelastung nicht allein durch
die Höhe des Steuersatzes bestimmt wird, sondern erst durch die Relation zwischen Steuersatz
und Bemessungsgrundlage.115 Die Höhe des Steuersatzes der Übergewinnsteuer ist daher grundsätzlich
nicht durch verfassungsrechtliche Vorgaben begrenzt.
6.2.3.3. Unterschiedliche Belastung gleicher Einkommen rechtfertigungsbedürftig
Unabhängig von der Höhe ihres Steuersatzes schafft die Übergewinnsteuer jedenfalls eine Ungleichbehandlung
zulasten der von ihr betroffenen Unternehmen, weil sie für gleich hohe Nettoeinkommen
zu unterschiedlichen steuerlichen Belastungen führt, je nachdem ob sich nach den
einschlägigen Berechnungsregeln (dazu oben 4.) ein Übergewinn ergibt oder nicht. Dadurch werden
Steuerpflichtige mit gleich hohem Nettoeinkommen unterschiedlich hoch belastet. Soweit
108 Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, 260. EL. November 2020, AO § 4 Rn. 509.
109 BVerfG, Beschluss vom 18.1.2006, 2 BvR 2194/99, NJW 2006, 1191, Rn. 48; Pfirrmann, in: Kirchhof/Seer, 19.
Aufl. 2020, EStG § 32a Rn. 3.
110 BVerfG, Beschluss vom 18.1.2006, 2 BvR 2194/99, NJW 2006, 1191, Rn. 48. Das BVerfG hält einen progressiven
Steuersatz nicht (mehr) für geboten, siehe Wernsmann, NJW 2006, 1169, 1174. Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht,
24. Aufl. 2021, Rn. 7.86 f., 8.802 sieht einen proportionalen niedrigen Tarif als ideale gleichheitsgerechte Lösung
für Unternehmen und natürliche Personen an, wenigstens aber eine im internationalen Vergleich maßvolle
Progression.
111 BVerfG, Beschluss vom 22.6.1995, 2 BvL 37/91, NJW 1995, 2615.
112 BVerfG, Beschluss vom 18.1.2006, 2 BvR 2194/99, NJW 2006, 1191, Rn. 41.
113 Drüen, in: Tipke/Kruse, 163. EL November 2020, AO § 3 Rn. 17b; Pfirrmann, in: Kirchhof/Seer, 19. Aufl. 2020,
EStG § 32a Rn. 3; Wernsmann, NJW 2006, 1169, 1174 (eine solche Grenze wäre auch kaum handhabbar gewesen
und hätte Prozesslawinen ausgelöst, wie die zulässige Obergrenze zu berechnen ist).
114 BVerfG, Beschluss vom 18.1.2006, 2 BvR 2194/99, NJW 2006, 1191, Rn. 48.
115 BVerfG, Beschluss vom 18.1.2006, 2 BvR 2194/99, NJW 2006, 1191, Rn. 47.
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man in der Übergewinnsteuer eine Ausgestaltung der Tarifbelastung bei Zugriff auf dieselbe Besteuerungsgrundlage
sieht (dazu oben 6.1.), steht dem Gesetzgeber dafür ein weiter Gestaltungsspielraum
zu (dazu oben 6.2.3.1.). Die Ungleichbehandlung muss daher zumindest durch einen
sachlichen Grund gerechtfertigt werden.
6.2.3.3.1. Bestehende Ausnahmen von der Gleichbelastung der Einkommen
Das Ertragsteuerrecht kennt mehrere, auch grundlegende Ausnahmen von der (tariflichen)
Gleichbelastung gleich hoher Einkommen. Aufgrund der Rechtsformabhängigkeit des Ertragsteuerrechts
werden Einkünfte juristischer Personen grundlegend anders besteuert als Einkünfte natürlicher
Personen und Personengesellschaften.116 Insbesondere im Falle der Thesaurierung der
Gewinne ergeben sich erhebliche Belastungsunterschiede.
Steuerpflichtige mit Einkünften aus Gewerbebetrieb werden seit jeher mit einer zusätzlichen
Steuer belegt, der Gewerbesteuer. Auch wenn diese auf die Einkommensteuer natürlicher Personen
anrechenbar ist, verbleiben dennoch unterschiedliche steuerliche Belastungen, zum Beispiel
aufgrund von Hinzurechnungen und hoher Gewerbesteuerhebesätze. Das BVerfG hat diese Zusatzbelastungen
derselben Einkommen bei unterschiedlichen Steuerpflichtigen nicht als verfassungswidrige
Ungleichbehandlung angesehen. Es hat aufgrund des weiten Spielraums des Gesetzebers
bei der Ausgestaltung des Steuergegenstandes und des Steuersatzes bei der Schaffung von
Steuern die unterschiedliche Belastung von Steuerpflichtigen durch die Gewerbesteuer lediglich
am Willkürverbot gemessen.117
Im Anwendungsbereich des EStG werden bestimmte Einkünfte unterschiedlichen Steuersätzen
unterworfen. So werden private Kapitaleinkünfte grundsätzlich aus der progressiven Einkommensbesteuerung
herausgelöst und einer proportionalen Abgeltungsteuer unterworfen. Damit
wird das System der synthetischen Einkommensteuer durchbrochen. Dennoch wird diese
Schedulenbesteuerung für gleichheitsgerecht gehalten.118 Auch für andere Einkunftsarten ergeben
sich unter dem EStG unterschiedliche Belastungen in Abhängigkeit von der Art der Einkünfte,
zum Beispiel durch unterschiedliche Gewinnermittlungsregeln, Freibeträge oder Steuerbefreiungen
.
6.2.3.3.2. Fazit zum Gleichbehandlungsgebot
Das Ertragsteuerrecht weist bereits mit steigender Tendenz – jeweils sachlich zu begründende –
unterschiedliche Belastungswirkungen gleich hoher Nettoeinkommen auf. Für die Übergewinn-
116 Die Spreizung der Steuersätze (zum Beispiele zwischen einem niedrigen Körperschaftsteuer- und einem höheren
Einkommensteuerspitzensatz) lässt sich als international verbreiteter Trend im Zeitalter der Globalisierung
ausmachen, Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 3.79, 7.76, 8.804. In der proportionalen Besteuerung
, wie sie bei der Körperschaftsteuer und bei der Abgeltungsteuer zum Ausdruck kommt, sieht Kirchhof
, in: Kirchhof/Seer, 19. Aufl. 2020, EStG Einleitung Rn. 7 einen im Vordringen befindlichen Gedanken.
117 BVerfG, Beschluss vom 15.1.2008, 1 BvL 2/04, DStRE 2008, 1003, Rn. 80, 85.
118 Kirchhof, in: Kirchhof/Seer, 19. Aufl. 2020, EStG § 2 Rn. 113. Die Entwicklung weg von der synthetischen zur
dualen Einkommensteuer wird zwar als rechtfertigungsbedürftig, aber verfassungsrechtlich zulässig betrachtet,
Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 7.77.
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steuer kann der sachliche Grund darin liegen, dass die betroffenen steuerpflichtigen Unternehmen
während der Corona-Pandemie im Vergleich zu einem Referenzgewinn höhere Gewinne erzielt
haben, während andere Teile der Wirtschaft stark durch die Pandemie betroffen sind und
sich ein großer zusätzlicher Finanzbedarf für die öffentlichen Haushalte ergibt. Für die Belastungswirkungen
der Übergewinnsteuer ist die Ausgestaltung ihrer Bemessungsgrundlage entscheidend
. Für diese muss ein sachlich begründeter und nachvollziehbarer Referenzgewinn herangezogen
werden (dazu oben 4.). Zur Abmilderung der Belastungswirkungen kann dieser Referenzgewinn
– historischen Vorbildern folgend – ggf. durch eine alternative Berechnungsregel, einen
Mindestreferenzgewinn oder Freibeträge ergänzt werden. Allerdings lassen sich dabei die
aus der Historie der Übergewinnsteuern bekannten technischen Probleme nicht vermeiden. Soweit
die Einführung einer solchen Steuer in den weiten Gestaltungspielraum des Gesetzgebers
fällt, ist sie lediglich am Willkürverbot zu messen. Dann genügt dem Gesetzgeber ein sachlicher
Grund zur Einführung einer Übergewinnsteuer.
* * *